Wie faschistisch sind die deutschen Autobahnen?
Warum Rechte schon immer Autofans waren. Und weshalb Eva Herman zu Unrecht aus einer "Kerner"-Sendung im ZDF flog. Antworten liefert Kulturwissenschaftler Conrad Kunze.
"Aber Hitler hat die Autobahn gebaut" – solche und ähnliche Sätze, die darauf angelegt waren, das verbrecherische NS-Regime zu relativieren, waren in der Bundesrepublik bis weit in die 1980er-Jahre zu hören.
Als die ehemalige Fernsehmoderatorin Eva Herman 2007 in der ZDF Talkshow von Johannes B. Kerner unter anderem die provokante Behauptung aufstellte, dass wir heute alle auf Autobahnen fahren, die von den Nazis gebaut wurden, wurde sie aus der Sendung geworfen.
Dabei habe Herman in der Sache Recht, erklärte der Kulturwissenschaftler Conrad Kunze. Er hat die Geschichte der Autobahnen in Deutschland erforscht und seine Ergebnisse in dem Buch "Deutschland als Autobahn" veröffentlicht, das im Transcript-Verlag erschienen ist und kostenlos heruntergeladen werden kann.
Die Lektüre lohnt sich, weil Kunze wichtige Aspekte anspricht, die in der aktuellen Diskussion oft zu kurz kommen. So betont er zu Recht den Umweltaspekt des Autobahnausbaus und weist darauf hin, dass mit dem weiteren Autobahnausbau, wie ihn der Autolobbyist im Verkehrsministerium Volker Wissing vorantreibt, der Verkehrskollaps droht.
Wie die Nazis die Autobahn populär machten
Kunze betont die wichtige Rolle der Nationalsozialisten bei der Popularisierung der Autobahnen in Deutschland. Denn noch in den 1930er-Jahren galten Autobahnen in weiten Teilen der Bevölkerung als unpopuläres Eliteprojekt. Nur wenige konnten sich Autos leisten.
Dass die NSDAP 1933 die in den Schubladen der großen Konzerne liegenden Autobahnpläne aufgriff, sei auch ein Signal der NS-Führung an die Kapitalfraktionen gewesen, dass sie unter ihrer Regierung gut bedient würden, so Kunze.
Schon früh habe es aber auch Spenden aus der fossilen Industrie an die NSDAP gegeben. Kunze verwies auf Fritz Thyssen, der bereits in den 1940er-Jahren mit dem Bekenntnis "Ich habe Hitler bezahlt bekannt wurde.
Weniger bekannt sei, dass mit Ford und Shell auch führende Konzerne des nichtdeutschen fossilen Kapitals aktive Förderer der Nazis gewesen seien. Sie investierten damit in die aus ihrer Sicht richtige Partei.
Schließlich habe die NSDAP das Lob des technischen Fortschritts und der Geschwindigkeit in ihr Programm aufgenommen. Kunze verweist auf die theoretischen Bezüge zum Futurismus, einer Kunstrichtung, die Nationalismus und Antifeminismus mit einem Bekenntnis zu schnellen Autos und Geschwindigkeitsrausch verband. Einige Vertreter des Futurismus wurden zu frühen Anhängern Adolf Hitlers und Benito Mussolinis.
Kunze betont nun, dass man sich auch aus antifaschistischen Gründen kritisch mit den deutschen Autobahnen auseinandersetzen sollte. Er weist darauf hin, dass ein Großteil der Autobahnen während des Nationalsozialismus durch Zwangsarbeit gebaut wurde. Viele Arbeiter seien dabei ums Leben gekommen.
Bis heute gibt es weder eine Gedenkstätte für sie, noch wurde über Entschädigungszahlungen diskutiert: "Die meisten Überlebenden oder ihre Angehörigen haben nie den ihnen zustehenden Stundenlohn erhalten, geschweige denn eine Entschädigung. Dafür ist es höchste Zeit."
Wenig erforscht sind auch die Streiks der Arbeiter beim Autobahnbau in den 1930er-Jahren. Für die Nazis waren sie ehemalige Kommunisten. Viele von ihnen wurden verhaftet und in Konzentrationslager gesteckt. Kunze liefert hier Grundlagen für weitere Forschungen.
Freie Fahrt für freie Bürger heute
Aber auch heute habe der Kampf gegen weitere Autobahnen eine antifaschistische Komponente, betonte Kunze. Er erinnerte daran, dass zeitgenössische rechte Akteure wie die AfD, aber auch die Bewegung Fridays for Hubraum jeden Eingriff in den individuellen Straßenverkehr als Eingriff in ihre Freiheitsrechte massiv bekämpfen und mit besonderem Hass gegen Klimaaktivisten vorgehen, die den Autoverkehr für kurze Zeit unterbrechen.
Schon in der Vergangenheit haben sich rechte Parteien als Vorkämpfer gegen jede Geschwindigkeitsbegrenzung erwiesen. Ende der 1980er-Jahre gab es eine rechte Kampagne gegen die von der ersten rot-grünen West-Berliner Landesregierung eingeführte Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Avus.
Beteiligt waren damals auch die CDU und die aufstrebenden Republikaner, eine Vorläuferpartei der AfD. In der Schweiz gründete sich sogar eine rechte "Auto-Partei" mit der Forderung "Freie Fahrt für freie Bürger".
Klare Positionierung gegen Totalitarismustheorien
Dabei spart Kunze auch den Autobahnbau in der DDR nicht aus. Zuvor aber positioniert er sich mit einer heute seltenen Entschiedenheit gegen die gängigen Totalitarismustheorien, die Nationalsozialismus und Nominalsozialismus gleichsetzen. Dem entgegen schrieb Kunze:
Die Prämisse für eine Kritik der DDR, die frei wäre von einer Fortsetzung des Hitler‘schen Antikommunismus, ist die unbedingte Anerkennung ihrer Existenzberechtigung, die sich aus Stalingrad, Buchenwald und Auschwitz ergibt. Von hier aus, und nur von hier aus, ist die DDR mit aller Schärfe zu kritisieren.
Im Folgenden beschreibt der Autor, wie auch die DDR Autobahnen baute und wie auch in der DDR das Auto zum Maßstab für Wohlstand wurde.
Kunze weist aber auch darauf hin, dass es in der DDR-Nomenklatura immer wieder Kritik am Autobahnbau aus unterschiedlichen Richtungen gab, dass der Ausbau des Nahverkehrs Priorität hatte und es auf Autobahnen auch ein Tempolimit gab, auf Landstraßen aber nicht.
So liefert das Buch nützliche Informationen für eine soziale Bewegung, die ihr Engagement gegen die Autobahn mit dem Kampf gegen Nationalismus und Antifeminismus verbinden wollen.