Wie gut ist Deutschland bisher durch die Pandemie gekommen?
Ein internationaler Vergleich anhand von zehn Kriterien
In der renommierten Wirtschaft- und Finanznachrichtenagentur Bloomberg werden auch umfangreiche Datensammlungen und Informationen aus anderen Gesellschaftsbereichen aufbereitet [1]. Insbesondere sollen hier die Daten von zehn Einflussfaktoren analysiert werden, die eine quantitative Bewertung der verschiedenen LÀnder in Bezug auf die BewÀltigung der Coronapandemie ermöglichen.
Dieser Aufsatz soll nicht die vielen EinzelmaĂnahmen diskutieren, die in Deutschland und anderen LĂ€ndern zur Abwehr der Coronapandemie durchgefĂŒhrt worden sind. Vielmehr werden deren Auswirkungen anhand von mehreren quantitativen MessgröĂen vergleichend bewertet.
Neuerdings werden mit Flug- und Reisemöglichkeiten zwei weitere Kriterien bei Bloomberg angeboten. Diese beziehen wir nicht mit ein, weil dadurch die Betrachtung der zeitlichen Entwicklung der frĂŒheren Daten nicht mehr möglich ist. Ferner wird das Gleichgewicht zwischen den beiden Gruppen mit den direkten MaĂzahlen zu Corona und zur LebensqualitĂ€t dadurch gestört.
Die ersten fĂŒnf Variablen beschreiben direkt die Corona-Entwicklung. Als Erstes werden die monatlichen (registrierten) Infektionen pro 100.000 Einwohner, also die Monatsinzidenz fĂŒr die Infektionen angegeben.
Das zweite Kriterium beinhaltet die monthly fatality rate, das heiĂt den Quotienten aus den aktuellen TodesfĂ€llen zu den registrierten Infizierten im letzten Monat.
Die dritte GröĂe misst die TodesfĂ€lle seit Beginn der Pandemie relativ zur BevölkerungsgröĂe.
Es folgt an vierter Stelle die neueste Positivrate, die den Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl aller durchgefĂŒhrten PCR-Tests angibt.
SchlieĂlich gehört in diese Gruppe noch die Impfquote, gemessen durch die Anzahl der verimpften Dosen pro 100 Einwohner. Damit sind jetzt auch die Boosterimpfungen einbezogen.
Die zweite Gruppe umfasst ebenfalls fĂŒnf GröĂen zur LebensqualitĂ€t. Das sechste Merkmal misst die StĂ€rke der MaĂnahmen gegen Corona und wird anhand eines Indexes aus einer gröĂeren Anzahl von EinschrĂ€nkungen durch ein britisches Expertenteam ermittelt.
Diese Variable unterliegt starken aktuellen Schwankungen wegen der unterschiedlichen Gefahrenlagen in den jeweiligen LĂ€ndern.
Ferner wird siebtens die MobilitĂ€t innerhalb der Bevölkerung aufgefĂŒhrt.
Als achte KenngröĂe wird das geschĂ€tzte Bruttoinlandsprodukt fĂŒr 2021 verwendet, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzubilden.
Die beiden letzten Faktoren werden in der Regel nur jĂ€hrlich ermittelt und bestehen aus einem Index fĂŒr die GĂŒte der allgemeinen Gesundheitsversorgung und dem Stand der humanitĂ€ren Entwicklung in den betrachteten LĂ€ndern.
Hongkong, SĂŒdkorea und Taiwan in FĂŒhrung
Die Klassifizierung in den Merkmalen lĂ€uft so ab, dass man die Spanne, also die Differenz zwischen dem Maximum und dem Minimum der einzelnen LĂ€nderwerte in zehn etwa gleich groĂe Intervalle einteilt, die mit einer Bewertung von ein bis zehn versehen werden. Dabei sind gröĂere Werte als besser zu interpretieren.
Somit sind in den beiden FĂŒnfergruppen maximal 50 Punkte erreichbar. Die entsprechenden Punktwerte fĂŒr die zehn Kriterien sind fĂŒr dreiĂig ausgewĂ€hlte, wichtige Handelsnationen in einer Tabelle zusammengestellt worden. ZusĂ€tzlich ist fĂŒr jedes Kriterium der Mittelwert angegeben.
Klar an der Spitze der Nationenbewertung steht weiterhin Hongkong vor SĂŒdkorea und Israel, das als erstes Land erfolgreich die Boosterimpfung weitestgehend durchgefĂŒhrt hat. Neuseeland hat seinen RĂŒckfall durch die Delta-Mutante ĂŒberwunden und sich stark beim Impfen verbessert.
Weit nach vorn sind im November auch Japan und Taiwan auf den geteilten fĂŒnften und sechsten Platz vorgestoĂen. Dann folgenden als bestes europĂ€isches Land Finnland sowie Australien. Knapp dahintersteht jetzt Schweden, das am Anfang der Pandemie mit einer kritikwĂŒrdigen Strategie viele TodesfĂ€lle zu beklagen hatte.
Es folgen Kanada und Norwegen, das wegen erhöhter Infektionen in diesem Monat wie fast alle europÀischen LÀnder viele PlÀtze verloren hat. Den zwölften Rang nimmt mit konstanten Werten China ein.
Auf den weiteren PlĂ€tzen stehen in dieser Reihenfolge DĂ€nemark, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie mit einem weiteren Abstand Spanien, GroĂbritannien und Chile, das sich dank einer ausgezeichneten Impfquote deutlich im Ranking verbessert hat.
60 und mehr Punkte erreichen noch Italien, TĂŒrkei und die Schweiz. Mit 50 bis 60 Punkten und damit einer nur ausreichenden Note reihen sich die Niederlande, Ăsterreich, Belgien, USA und Deutschland ein, das gegenĂŒber Oktober durch die hohe vierte Welle stark zurĂŒckgefallen ist.
Nur Brasilien, Ăgypten und Russland sind noch wesentlich schlechter aufgestellt und mĂŒssen als mangelhaft eingestuft werden.
FĂŒr Deutschland sollen die aktuellen Werte fĂŒr November jetzt im Einzelnen diskutiert werden. In der ersten Gruppe, den Corona-MaĂzahlen, kommt Deutschland insgesamt auf schwache 24 Punkte.
Das resultiert hauptsĂ€chlich aus den hohen Infektionen (Kriterium 1) und der stark gestiegenen Positivrate (Kriterium 4). In beiden FĂ€llen erhĂ€lt Deutschland lediglich die geringste Punktzahl 1. Bei den TodesfĂ€llen durch Corona seit Beginn liegt Deutschland mit fĂŒnf Punkten im Mittelfeld, wĂ€hrend bei den TodesfĂ€llen bezogen auf die registrierten Infizierten (aktuelle LetalitĂ€t) im Kriterium 2 und bei den Impfquoten (Kriterium 5) mit 9 und 8 Punkten international ĂŒberdurchschnittliche Bewertungen erreicht werden.
Deutschland mit relativ geringem Aufholbedarf in der Wirtschaft
In der zweiten Gruppe, die die LebensqualitĂ€t reprĂ€sentiert, schneidet Deutschland mit 31 Punkten deutlich besser ab. Dabei ist die StĂ€rke der MaĂnahmen (Kriterium 6) auf mittlerem Niveau.
Beim Bruttoinlandsprodukt fĂŒr 2021 gehört Deutschland zu den LĂ€ndern mit den geringsten Steigerungen zum Vorjahr, was daran liegt, dass Deutschland 2020 wirtschaftlich relativ gut ĂŒberstanden hat und daher im Folgejahr 2021 keinen so groĂen Nachholbedarf wie viele andere LĂ€nder hat.
Hier wird Deutschland eindeutig unter Wert eingestuft. DafĂŒr gibt es bei den drei anderen Faktoren MobilitĂ€t und vor allem GĂŒte des Gesundheitswesens und Stand der humanitĂ€ren Entwicklung hohe Bewertungen.
Das Ergebnis fĂŒr den November insgesamt liegt in Deutschland weit unter dem Durchschnitt der anderen LĂ€nder. Alle west- und nordeuropĂ€ischen LĂ€nder stehen erstmalig besser da als Deutschland. Die Bilanz vor dem Regierungswechsel in Deutschland fĂ€llt somit nur mĂ€Ăig aus.
Es ist lohnenswert, die in der Gesamtrangliste (ĂŒber die letzten sieben Monate) fĂŒhrenden (zwölf) LĂ€nder auf Gemeinsamkeiten zu untersuchen (siehe Tabelle). Diese LĂ€nder haben einen Punktedurchschnitt von ĂŒber 70, was auf einer ĂŒblichen Notenskala mit gut bis sehr gut einzustufen ist.
Seit Beginn der Bewertungen vor knapp einem Jahr gibt es vier fĂŒhrende Nationen, die jetzt immer noch ganz oben stehen. Vor den verstĂ€rkten Impfmöglichkeiten war zu Beginn Neuseeland mit seiner konsequenten No-Covid-Strategie fĂŒhrend.
Dann erfolgten ein RĂŒckfall wegen der gefĂ€hrlicheren Delta-Mutante und der zunĂ€chst relativ geringen Impfquote. Aufgrund des jetzt erhöhten Impftempos konnten danach Singapur und Norwegen die Spitzenpositionen einnehmen.
Weil in diesen beiden LĂ€ndern gröĂere Infektionen ausgebrochen sind, ist seit drei Monaten Hongkong in FĂŒhrung gegangen. Dieses Land hat exzellente Corona-MaĂzahlen und schneidet auch bei den KenngröĂen zur LebensqualitĂ€t hervorragend ab.
Unter den zwölf bestplatzierten LĂ€ndern fĂŒr das Jahr 2021 (siehe letzte Spalte der Tabelle) sind mit Hongkong, Singapur, SĂŒdkorea und China vier asiatische Staaten, und zwar demokratische und autokratische LĂ€nder.
Ferner gehören die nordeuropĂ€ischen LĂ€nder Norwegen, DĂ€nemark, Finnland und mit leichtem Abstand wegen der missglĂŒckten Strategie zu Coronabeginn jetzt auch Schweden dazu. Den dritten Block bilden die vier westlich orientierten Staaten Neuseeland, Australien, Israel und Kanada.
Man kann den Erfolg dieser LÀnder mithilfe der Verbindungen innerhalb eines dreifachen Fundaments erklÀren, das aus der Regierung, der Bevölkerung und der Wissenschaft besteht.
Beziehung der Bevölkerung zum Staat relevant
In allen zwölf LÀndern sind die Beziehungen zwischen diesen drei wesentlichen SÀulen sehr stark ausgeprÀgt. So ist die Kommunikation zwischen Regierung und Bevölkerung nicht nur traditionell in den nordeuropÀischen Staaten, sondern auch in Neuseeland, Australien und Kanada besonders positiv.
In den asiatischen Staaten besteht zwar eine andere Kultur mit mehr Gehorsam gegenĂŒber dem Staat, aber das ist wie in Israel ebenfalls erfolgreich. Diese Kulturen haben ebenfalls ein ungestörteres VerhĂ€ltnis zur (medizinischen) Wissenschaft und dieses zeichnet sich auch durch eine gute Zusammenarbeit mit der Politik aus.
Der Glauben an die FĂ€higkeiten der Regierung, die Pandemie abzuwehren, und der Wille, die aufgestellten Regeln zu befolgen sowie die SolidaritĂ€t innerhalb der Bevölkerung tragen in hohem MaĂe zur QualitĂ€t der Seuchenabwehr in diesen LĂ€ndern bei. Ganz anders hingegen in Deutschland und den USA, die auf den PlĂ€tzen 23 und 25 weit zurĂŒckliegen.
Hier steht die IndividualitĂ€t der Menschen vor der SolidaritĂ€t, ein gröĂerer Teil ist staatsverdrossen oder zieht alternative MedizinansĂ€tze vor, wobei man hĂ€ufig auf Ideologien beharrt und faktenresistent ist. In den USA ist diese schĂ€dliche Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten, wĂ€hrend in Deutschland noch Hoffnung besteht, eine weitere Spaltung der Gesellschaft abzuwenden.
Allein schon durch den Vergleich der beiden PlĂ€tze bzw. Punktwerte, die die LĂ€nder beim aktuellen November-Ranking und in der Gesamtrangliste fĂŒr die zurĂŒckliegenden sieben Monate erzielen, lassen sich die Auf- und Absteiger in der zeitlichen Corona-Entwicklung ablesen.
FĂŒnf LĂ€nder sind zuletzt besonders erfolgreich gewesen. Chile und Israel haben exzellente Impfquoten (Kriterium 5) verbunden mit hoher MobilitĂ€t (Kriterium 7).
Ăhnliches gilt auch fĂŒr Taiwan, Japan und Brasilien. Letzte bleiben jedoch insgesamt mangelhaft in der Bewertung. EuropĂ€ische LĂ€nder, die in den letzten Monaten Spitzenpositionen eingenommen hatten, sind nicht dabei, weil die aktuelle hohe Infektionswelle dort Schaden anrichtet. Zu den LĂ€ndern, die die höchsten EinbuĂen bei den Punktwerten haben, insbesondere bei Kriterium 1 (Inzidenzen der monatlichen Infektionen) und Kriterium 4 (Positivrate), gehören die Schweiz, Norwegen und Deutschland sowie Singapur.
Die gerade sich stark ausbreitende neue Omikron-Mutante mischt die Karten neu. Sie ist wohl ansteckender und könnte sich in vielen LÀndern bis Januar durchsetzen. Inwieweit sie den Immunschutz der Impfungen umgehen kann, ist zurzeit noch nicht geklÀrt. Aber gerade in der Wintersaison könnte es die europÀischen LÀnder hart treffen. Es tritt damit eine Situation ein, die alle vor die nÀchsten Herausforderungen stellen werden.
Prof. Dr. Walter Mohr: Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, Lehr- und ForschungstĂ€tigkeiten an Fachhochschulen und UniversitĂ€ten mit ĂŒber 50 Veröffentlichungen, insbesondere in den Bereichen Zeitreihenanalyse und Wirtschafts- und Wahlprognosen sowie medizinischen QualitĂ€tsuntersuchungen (eHealth).
Dr. Frank W. PĂŒschel: Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, LehrtĂ€tigkeiten im Hochschulbereich, Forschungsschwerpunkt auf den Gebieten der Zeitreihenanalyse und Wirtschaftsprognosen. Aktuell tĂ€tig in der GeschĂ€ftsfĂŒhrung eines Medizinprodukteherstellers.
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