Wie kommt der Ton ins Spiel?
Interview mit Morten Sørlie, Audio-Director bei Funcom
Sounds in Spielen sind alles andere als zweitrangig, auch wenn sie oft im Hintergrund stehen. Effekte wie Schwerterklingen, Schüsse, Schritte, Wind oder Reifenquietschen und gute Dialoge machen ein Game realistisch. Stimmung kommt mit Musik ins Spiel. Ein guter Soundtrack gibt Emotionen den Drall und dem Game sein Image – genau wie beim Film.
Zuständig für die Welt der Sounds im Prozess der Entwicklung ist der Audio-Director. Er sagt nicht nur, wie es klingen muss, wenn ein Raumschiff vorbeidüst und welcher Schauspieler oder Synchronsprecher den Part des Protagonisten aufsagt, sondern auch, wie das Erlebnis musikalisch untermalt wird. Nicht selten übernimmt er sogar die Rolle des Komponisten.
Der norwegische Spieleentwickler Funcom , u. a. verantwortlich für die bizarre Science-Fiction-Onlinerollenspielreihe "Anarchy Online", legt besonderen Wert auf Sounds. Anfang nächsten Jahres erscheint ihr Nachfolger zum Adventure-Hit "The longest Journey". Der zuständige Audio-Director Morten Sørlie stellte sich vorab einigen Fragen über seine Arbeit.
Herr Sørlie, würden Sie bitte den Job eines Audio Directors beschreiben?
Morten Sørlie: Hier bei Funcom füllt der Audio Direktor nicht nur die Position eines Managers aus. Es ist ebenso eine künstlerische Aufgabe mit der Verantwortung, Musik zu komponieren, Soundeffekte zu machen und mit technischem Sounddesign zu arbeiten. Wir haben uns bisher immer selbst mit Sounds und Musik versorgt. Der A.D. ist verantwortlich für die interne Koordination der Audio-Abteilung und stellt sicher, daß jedes Projekt die Klanghilfen empfängt, die es braucht. Allerdings werden wir für kommende Titel auch Quellen von außen prüfen und nutzen. Der A.D. wird dann zusätzlich Verbindungskontakt zu externen Gesellschaften sein.
Ist Ihre Arbeit mit der des Filmkomponisten zu vergleichen oder gibt es starke Unterschiede?
Morten Sørlie: Spielkomponisten nehmen, ebenso wie Filmkomponisten, die Rolle ein, visuelle und emotionale Erfahrungen zu steigern. Wir arbeiten während des Entwicklungsprozesses eng mit Direktoren und Designern zusammen. Funcom macht schon sehr lange epische Spiele, in denen Musik und Sounds eine filmische Rolle übernehmen, im Kontrast zu, sagen wir mal, Rennspielen, in denen die Musik hauptsächlich die Absicht verfolgt, das Geschwindigkeitsgefühl zu steigern oder als akustischer Background von Menüs zu dienen. Es gibt aber einen sehr großen Unterschied zum Film: Musikkomponisten und Sounddesigner beim Film arbeiten in einem linearen Rahmen, in dem das finale Produkt ein festgelegter Multichannelstream aus Musik und Sounds ist. In Spielen, die natürlich interaktiv sind, wird dieser Stream in Echtzeit generiert, mit Einbezug der Effekte und sonstigen Soundeinlagen, die der Spieler individuell hervorruft. Dieser Aspekt verwickelt den Sound Direktor und –Komponisten in eine sehr viel technischere Rolle, da alle Sounds Parameter und Einstellungen benötigen, um so abgespielt zu werden, wie beabsichtigt.
Wie wichtig ist Musik für ein Spiel wie das 2005 kommende Funcom-Adventure "The Longest Journey 2: Dreamfall"?
Morten Sørlie: Wie gesagt, Musik ist in jedem Fall wichtig für Funcom. Ich möchte erneut den Vergleich zum Film ziehen: Wenn du Filme ganz ohne Sound guckst, können die größten Meisterwerke total langweilig sein. Das gleiche gilt für die meisten Spiele. Der Sound erweitert die Spielerfahrung ganz entscheidend. Schon beim ersten Teil von "The Longest Journey" haben wir viel Wert auf hohe Qualität von Effekten, Musik und Voice-Acting gelegt. Seit 2000 hat sich aber einiges getan. Für "Dreamfall" werden wir die neuesten Technologien wie Multichannel 7.1 Surroundsound nutzen, um das akustische Erlebnis zu verstärken. Außerdem werden wir nicht nur übliche Spielmusik wie Ambient oder Klassik einsetzen, sondern auch zeitgenössische Musik lizenzieren oder speziell komponierte Musik von zeitgenössischen Künstlern einspielen lassen.
Wie sieht das bei MMORPGs (Massive Multiplayer Online Role Playing Games/Online-Rollenspiele) aus? Dadurch, daß Spiele dieses Genres nicht in zehn bis 20 Stunden ausgespielt sind, müssen doch ganz andere Maßstäbe gesetzt werden, damit der Spieler die Atmosphäre verbreitende Musik nicht einfach abstellt.
Morten Sørlie: Stimmt, im Gegensatz zum Film, der normalerweise nicht mehr als ein paar Stunden geht, können Onlinerollenspiele mehrere tausend Stunden beschäftigen. Es ist fast unmöglich, Musik für solch eine lange Zeit zu machen, die nicht irgendwann ermüdet. Ein paar wirksame Kniffe verhindern, daß der Hörer nicht schon bald von der Musik gelangweilt ist. Interaktive Musik ist z.B. sehr effektiv. Das bedeutet, daß die Musik sich im Bezug auf Aktion, Aufenthaltsort und Zustand des Spielers ändert. Für "Anarchy Online" haben wir eine spezielle Technologie entwickelt, die wir SIM- (Samplebased Interactive Music)-Player nennen. Er kontrolliert knapp 1500 kurze Musikschnipsel (von je zwei bis zehn Sekunden Länge), die in Echtzeit – bezogen auf den einzelnen Spieler – zusammengefügt werden. Z.B. während eines Kampfes, dem sich mehrere Spieler anschließen, wird die Musik bestimmt durch: die Seite oder Neigung des Spielers, die Größe des Monsters, das Level des Spielers, die Länge des Kampfes, wie sich der Kampf entwickelt (welche Seite die Überhand gewinnt) und das Ausmaß des Kampfes (andere Spieler oder Monster können sich dem Kampf mittendrin anschließen oder ihn verlassen).
Wie werden Soundeffekte gemacht?
Morten Sørlie: Die Basis aller Soundeffekte sind Bibliotheken und eigene Aufnahmen. Aber fast alle Sounds, die nachher im Spiel landen, werden nachproduziert; sehr selten nur benutzt man fertige Muster. Die Arbeit an Soundeffekten sehe ich selber mehr spielerisch, während ich beim Komponieren von Musik mehr akademisch vorgehe. Wir benutzen eine Reihe von Synthesizern und Effektmaschinen – beides: Hard- und Software. Damit entwerfen wir Monsterschreie oder verdrehte Effekte von Einrichtungsgegenständen. Mehr als einmal habe ich angefangen, einen Sound für einen bestimmten Grund zu entwerfen, z.B. einen Ambient-Sound für eine Untergrundhöhle. Weil aber während des Prozesses so viele komische aber auch wundervolle Sachen passieren, schloß ich die Arbeit mit etwas komplett anderem ab, z.B. mit dem Sound eines Science-Fiction-Kampfjets. Das ist das Schöne am Sounddesign, es gibt weniger Regeln, seltenes "Richtig" und "Falsch", im Vergleich zum Musikkomponieren. Viele unserer "Monsterstimmen" haben wir von unseren Angestellten aufgenommen. Danach habe ich sie mit einem alten "Freund", dem Ensoniq DP4 (Parallel-Effektprozessor) verändert und weitere Veränderungen am PC vorgenommen. Bei "AO - Shadowlands" habe ich für die Umweltgeräusche der Kategorie "nicht von dieser Welt" den verrückten Yamaha VL-1 (Virtual Acoustic Tone Generator) genommen. Einfach erstaunlich dieses Teil!
Wird Orchestermusik eigentlich am Computer gemacht oder wird sie von Musikern mit klassischen Instrumenten eingespielt?
Morten Sørlie: Es gibt keine absolute Antwort auf diese Frage, aber bei modernen Spielen gibt es keine Einschränkungen, was Musik betrifft. Es ist mehr eine Frage der Auswahl als der der Wahlmöglichkeit. Wenn jemand ein ganzes Orchester haben möchte, das den Soundtrack einspielt, ist es möglich. Recht viele Spiele nutzen das. Die Tendenz geht trotzdem dahin, daß die Musik in kleinen Studios geschrieben und produziert wird, bei denen fortschrittliche orchestrale Bibliotheken, Sampler und Synthies benutzt werden. Mit den heutigen Orchesterbibliotheken kommst du verdammt nah an den Sound eines echten Orchesters ran, während du dir gleichzeitig die Bearbeitungsmöglichkeiten viel mehr offen hältst, verglichen mit zuvor aufgenommenem Material.
Wieviel Zeit wird für die Audioarbeit aufgebracht?
Morten Sørlie: Ein typischer Funcom-Titel hat mindestens 60 Minuten Musik und viele tausend Soundeffekte. Diese Menge an Arbeit bedeutet, daß wir mindestens einen Vollzeit-Musiker und -Sounddesigner pro Projekt und Produktionsprozess brauchen. Ein Projekt ist ca. ein bis drei Jahre in Entwicklung, je nachdem, worum es sich handelt.
Wann merken Sie, daß Sie Ihr Ziel erreicht haben? Testen Sie das fertige Produkt vor Veröffentlichung an anderen Leuten?
Morten Sørlie: Alle Teile einer Spielproduktion, also jeder einzelne Aspekt, seien es Grafik, Animation, Spieldynamik oder eben Sound, gehen durch umfangreiche Qualitätskontrollen. Dafür gibt es ein Schlüsselpersonal, um sicher zu stellen, daß die kreative Arbeit mit dem Design übereinstimmt und die erwartete Qualität trifft. Jedes Spiel hat auch eine Beta-Periode. Eine limitierte Gruppe externer Tester und Spieler testen dann das Spiel vor der Veröffentlichung. Diese Testphase liefert ausschlaggebende Informationen über mögliche Bugs (Programmierfehler) oder kreative, künstlerische Aspekte zurück ans Produktionsteam.
Gibt es Situationen, die von bestimmter Musik besonders unterstützt werden?
Morten Sørlie: Ein Monumentalfilm wie "Herr der Ringe" braucht natürlich fanfarenhafte Musik und muß während des ganzen Filmes musikalisch unterlegt sein, während Teeniekomödien wie "American Pie" dosierte Musik und einen ganz leichten Soundtrack-Score brauchen. Bei unserem epischen Onlinerollenspiel "Alien Invasion" (Teil der "Anarchy Online"-Reihe) brauchten wir einen massiven Soundtrack für weite Locations, mystische Orte und große Kampfszenen. Ein Spiel wie "Die Sims" braucht meistens nur beiläufige Musik.
Welcher Musikstil wird erfahrungsgemäß für welches Genre benutzt?
Morten Sørlie: Das variiert und ist außerdem sehr davon abhängig, in welchem Land das Spiel gemacht wurde. Zum Beispiel hast du in japanischen Spielen viele Progrock-Gitarrensounds, während in den meisten europäischen Spielen Technosounds benutzt werden. Der Fokus ändert sich aber schnell. Mehr und mehr Studios erhöhen ihr Budget für Musikproduktionen und die Plattenfirmen sind auch zunehmend interessiert daran, ihre Künstler auf Spielsoundtracks unterzubringen.
Der Sound und die Musik eines Spieles können auch helfen, Rätsel im Spiel zu lösen. Können Sie Beispiele nennen?
Morten Sørlie: Ja, Musik kann ein extrem wichtiger Teil eines Spieles sein. Ein prominentes Beispiel ist Nintendos "Zelda". Darin kannst du mit einer Panflöte Türen öffnen, die Zeit beeinflussen und vieles mehr. Auch in "Dreamfall" wird Musik in manchen Situationen wichtiger Bestandteil des Gameplays sein. Um genauer zu werden: In einer der drei Welten von "Dreamfall" ist Musik eine Form von Magie. Außerdem mußt du Gespräche belauschen, mußt besonders leise gehen, wenn es verlangt wird oder mußt bestimmte Melodien spielen um Rätsel zu lösen.
Welcher Soundtrack gefällt Ihnen momentan am besten?
Morten Sørlie: Auch, wenn er nicht besonders spektakulär ist, finde ich den Soundtrack von "Homeworld 2" sehr gelungen. Er ist sehr unaufdringlich und wird in perfekter Übereinstimmung zur optischen Spielatmosphäre eingeblendet.