Wie man sich (intensiv-)bettet, so checkt man

Seite 2: Faktenchecks in alle Richtungen?

Wenn sozial umstritten, ja umkämpft ist, was "Fake News" sind, dann wundert nicht, dass auch das angeblich beste Mittel dagegen Kontroversen provoziert. Meyen kritisiert die oft selbst etablierten "Faktenchecker" als "Absage der alten Deutungseliten" an die Demokratisierungsverheißungen des Internets (Aufruf 24.11.2021, 21.28 Uhr).

An diese Kritik musste ich denken, als ich den folgenden Faktencheck las:

Das Team von Correctiv.org hatte sich die auf Facebook viral verbreitete Aussage "4.000 Intensivbetten wurden eingespart" vorgenommen.

Die zu checkende Behauptung: "Eine Aussage von Divi-Präsident Gernot Marx bestätige, dass 4.000 Intensivbetten wegen Misswirtschaft weggefallen seien." (21.11.2021, 16.36 Uhr).

Tenor des Faktenchecks: Das Zitat sei verkürzt worden, damit fehle wesentlicher Kontext. Bei correctiv.org heißt es:

Auf der Webseite des MDR fanden wir das Interview. Bei Minute 1:27 äußert Marx das Zitat, das in voller Länge lautet: "Wir haben zwar in Anführungszeichen nur 1.600 Covid-19-Patienten aber im Vergleich zu Anfang des Jahres haben wir 4.000 Intensivbetten weniger zur Verfügung, weil entsprechend der Belastung viele Pflegekräfte entweder ihren Beruf beendet haben oder ihre Arbeitszeit reduziert haben."

Der Faktencheck-Autor schreibt, damit werde wesentlicher Kontext weggelassen und der "Mythos" befeuert, in Deutschland seien während der Pandemie Intensivbetten "abgebaut" worden.

Das ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert:

1.) Auch hier wird, wie relativ oft, lediglich die Faktenlage auf Seiten "alternativer Medien" überprüft und (eher) nicht jene Fakten, mit denen die Regierung oder andere offizielle Stellen arbeiten.

2.) Die eindeutige Bewertung des Faktencheck-Autors wirft vorwiegend zumindest Fragen auf: Dass "Intensivbetten abgebaut" werden, muss ja nicht so gemeint sein (und verstanden werden), dass diese Betten erstens physisch verschwänden oder dass dort zweitens Wille, Plan und Anordnung durch irgendwelche Instanzen oder Personen dahinterstünden.

Fakt scheint jedenfalls, dass viele Tausende Intensivbetten insofern nicht mehr zur Verfügung stehen, da das Pflegepersonal in dramatischer Dynamik weniger wird. Es macht die Lage für Patient:innen und Angehörige keinesfalls besser (sondern wohl noch schlimmer), dass die Betten selbst und die Technik (Beatmungsgeräte etc.) anscheinend vorhanden sind - nur eben die Fachleute nicht.

"Fake News" jedenfalls dürften an der Stelle anders aussehen als die hier von correctiv.org monierte Version einer Zusammenfassung des Zitates.

3.) Das mythische und mystische Wort "Einsparen", das hier auf beiden Seiten des Faktenchecks verwendet wird: Dieser Terminus impliziert einerseits, dass dies Menschen mehr oder weniger bewusst planen und umsetzen, und zugleich konnotiert es relativ positiv: Wir legen etwas zur Seite, um damit später etwas Größeres und Gutes erreichen zu können.

4.) Last but not least scheint mensch hier – wiederum auf beiden Seiten des Faktenchecks – kaum auf die Idee zu kommen, dass es sich um Strukturprobleme handelt.

Die sind offenbar noch viel gravierender und wirksamer als das Agieren (und die etwaige "Misswirtschaft") konkreter Politiker:innen und anderer Entscheidungsträger. Stichworte sind hier neoliberale Privatisierungen im Gesundheitswesen, Fallpauschalen und so fort; allgemein gesprochen: der Abbau von Sozialstaatlichkeit.

Insofern muss sich dieser Faktencheck Kritik gefallen lassen, dass hier beckmesserisch verurteilt wird, ohne einen der blinden Flecken im aktuellen Diskurs-Raum auch nur anzusprechen – nämlich das Strukturproblem des Pflegenotstands.

Und eines dürfte Fakt sein, sozusagen kontrafaktisch: Ohne jenen gesellschaftlich bedingten Notstand müssten das Corona-Drama oder der entsprechende mediale Corona-Alarm womöglich gar nicht so heftig sein.


Redaktioneller Hinweis: Der im Artikel erwähnte Bild-Titel heißt korrekt Biontech-Impfung nur noch für U30. Nicht "Ü30". Dies war bei der Bearbeitung fälschlicherweise geändert worden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.