Wie sich Deutschland auf künftige Hitzewellen vorbereitet
Schutzpläne sollen Menschen in Hitzeperioden helfen. Online-Portale geben Tipps für den Alltag. Wer davon bisher nicht profitiert und warum Kirchen ein Revival erleben könnten.
Hitze wird hierzulande immer mehr zum Gesundheitsrisiko. Dennoch verfügten bislang nur wenige Kommunen und Einrichtungen geeignete Hitzeschutzpläne. Ende Juni nun stellte Karl Lauterbach einen nationalen Hitzeschutzplan [1] vor.
Ziel ist es insbesondere Ältere, Vorerkrankte, Schwangere und Kinder frühzeitig vor Hitzewellen zu warnen. Die Länder sollen prüfen, ob sie die Warnstufen des Deutschen Wetterdienstes [2] (DWD) an Maßnahmen in Krankenhäusern oder anderen sozialen Einrichtungen koppeln.
Damit die Menschen rechtzeitig informiert sind, sollen Warnungen vor extremen Temperaturen über Radio, Fernsehen und SMS-Botschaften verbreitet werden. Nach französischem Vorbild sollen unterschiedliche Schweregrade einer Hitzewelle festgelegt und je nach Temperatur nach konkreten Maßnahmen gestaffelt werden: Von Kälteräumen über Hitzeaktionsplänen für Pflegeeinrichtungen und Kliniken bis hin zur Aufforderung an alte Menschen, regelmäßig zu trinken.
Für die Umsetzung der Pläne sind Länder und Kommunen verantwortlich. Ferner will das Robert Koch-Institut den Zeitraum zwischen Juni und September 2023 statistisch auswerten und die Ergebnisse in einem wöchentlichen Bericht veröffentlichen.
Mit seinen Hitzeschutzplänen reagiert Lauterbach auf Forderungen aus der Ärzteschaft und Pflege sowie der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), die im Juni mit einem Hitzeaktionstag auf die mangelnden Vorkehrungen in Deutschland aufmerksam machte.
Auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, forderte, den gesundheitlichen Hitzeschutz gesetzlich zu verankern und in die Planungen des Gesundheitswesens einzubeziehen.
Rasches Handeln beim Hitzeschutz sei wichtig, weil die Zahl der Hitzetoten wegen der Klimaerwärmung zunehme, erklärt Lauterbach. Allein im vergangenen Jahr starben schätzungsweise 4.500 Menschen während der großen Hitzewelle. Im extrem heißen Sommer 2018 registrierte das Robert Koch-Institut sogar 8.700 hitzebedingte Sterbefälle. Besonders gefährdet [3] sind Kinder, alte Menschen und chronisch Kranke.
Deutschland hinkt beim Hitzeschutz hinterher
Außer Zustimmung gab es auch Kritik zu Lauterbachs Hitzeschutzplänen. Der angekündigte Aktionsplan komme "deutlich zu spät", kritisierte etwa VdK-Präsidentin Verena Bentele. Nun müssten so schnell wie möglich Taten folgen. Jede Verzögerung gehe auf Kosten Betroffenen. Konkret fordert der VdK [4] die Installation von Klimaanlagen [5] in Einrichtungen für Senioren und Kinder. Dabei sollten allerdings klimafreundliche Varianten [6] gewählt werden, um den Klimawandel nicht zusätzlich zu verstärken.
In den Städten brauche es dringend gekühlte Räume [7], in denen sich vor allem Senioren tagsüber abkühlen und vor Hitze schützen könnten.
Klaus Holetschek begrüßte zwar die längst überfälligen Pläne, allerdings müsse man hier auch die Länder einbinden, forderte der bayerische Gesundheitsminister. Auch seien die Hitzeaktionspläne nur dann effizient, wenn sie auf die Situation vor Ort angepasst sind, so der CSU-Politiker.
Eugen Brysch zu Folge braucht es "milliardenschwere Investitionen des Bundes und der Länder". Andernfalls seien Absichtserklärungen, Aktionsbündnisse und Papiere nicht viel wert, glaubt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. In drei Jahren müsse der Hitzeschutz für die Bestandsbauten der 1.900 Krankenhäuser und 12.000 Pflegeheime stehen.
Auch dürften Neubauten ohne Temperaturbegrenzung auf maximal 25 Grad in jedem Bewohnerzimmer nicht mehr in Betrieb gehen. Entsprechende Maßnahmen brauche es auch in Kitas, Schulen und Unternehmen, ergänzt Klaus Reinhardt [8], Präsident der Bundesärztekammer. Diese müssten baurechtlich verankert werden. Ohne konkrete finanzielle Zusagen weiter auf Zeit zu spielen, damit nehme man das Leiden und Sterben der pflegebedürftigen und kranken Menschen in Kauf.
Mit Tipps aus dem Netz den Hitze-Alltag besser bewältigen
Im Netz mangelt es nicht an guten Ratschlägen [9], wie Menschen in ihren Wohnungen mit Hitze umgehen sollen. Neuerdings kommen immer mehr Online-Portale hinzu – mit Erklärvideos und Info-Broschüren rund um das Thema Hitze und Schutzmaßnahmen. So schaltete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein Portal [10] mit Tipps, die helfen sollen, den Hitze-Alltag besser zu bewältigen.
Im Rahmen des Pilotprojektes Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin entwickelten Bündnispartner Musterhitzeschutzpläne [11], die bei einer starken anhaltenden Hitzewelle Krankheiten vorbeugen und Versorgungsketten sichern sollen. Es soll vorwiegend Krankenhäusern, ambulante Praxen sowie stationäre und ambulante Pflege als Orientierungshilfe dienen.
Im Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin [12] arbeiten Ärzte, Pflege, Katastrophenschutz, Rettungsdienste und der Öffentliche Gesundheitsdienst zusammen. Es wurde im März 2022 zum Schutz von gefährdeten Bevölkerungsgruppen auf Initiative der Ärztekammer Berlin, der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege und KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. ins Leben gerufen.
Das Bündnis erarbeitete bereits im Frühjahr 2022 Musterhitzeschutzpläne für Berliner Gesundheitseinrichtungen und Bezirke. Bisher spielten Gesundheitsakteure keine zentrale Rolle in der Erstellung und Umsetzung von Hitzeschutzplänen. Das Bündnis spiele daher eine Vorreiterrolle, heißt es auf der Seite.
Zudem wurde von der LMU München eine vom Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit (BMG) geförderte Website [13] freigeschaltet, mit praxisnahen Tipps für Hitzeaktionspläne für Städte und Kommunen. Unter anderem wird erklärt, wie Notfallpläne in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aussehen können, wie man Gebäude vor Wärme schützt, warum es sinnvoll ist, Trinkwasser im öffentlichen Raum bereitzustellen u. v. m.
Heiße Tage sind besonders gefährlich für Obdachlose
Was machen Obdachlose, die keine Wohnung mit Klimaanlage und Kühlschrank haben, nicht mal Zugang zu kaltem Trinkwasser? Gerade sie leiden im Sommer besonders unter Sonnenstich oder Dehydrierung. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. Sie geben sich untereinander Tipps, wo es öffentliche Brunnen oder entsprechende Einrichtung gibt. Manche bemerken auch gar nicht, wenn sie stundenlang in der prallen Sonne liegen und zu wenig trinken.
In einigen Kommunen tut sich etwas – etwa in Nürnberg. Hier wurde die Zahl der Obdachlosen im August 2022 im Stadtgebiet auf rund 2.300 geschätzt, Tendenz steigend. Die Planungen und Konzepte bei starker Hitze für obdachlose Personen orientieren sich aktuell primär am winterlichen Kälteschutz, erklärte die Stadt Nürnberg [14] auf Nachfrage von t-online.
Entsprechende Einrichtungen und Unterkünfte stehen ganzjährig zur Verfügung – also bei extremer Hitze. Diese ließen sich bei Bedarf auch erweitern. Die Betroffenen erhielten die Informationen und Hilfsangebote über Streetworker, Unterkünfte, Kirchen, Polizei oder Rettungsdienste. Auch über Homepage oder Flyer können sie sich niederschwellig informieren. Trinkwasser und alkoholfreie Getränke erhalten obdachlose Menschen in allen Einrichtungen. Zusätzlich gibt es in der Stadt fünfzehn öffentliche Trinkwasserbrunnen [15] an verschiedenen Stellen.
In Frankfurt am Main und Wiesbaden werden Obdachlose in den Teestuben außer Duschen und Essen auch Trinkwasser angeboten. Ferner gibt es viele weitere Ideen: Die Deutsche Bahn könnte an heißen Tagen Obdachlose in den eher kühlen Bahnhöfen dulden. Im Frankfurter Hauptbahnhof könnten sie sich in der kühle unterirdische B-Ebene aufhalten. Auch Restaurants könnten Menschen kostenfrei Wasser zur Verfügung stellen, fordert Stefan Gillich [16] von der Diakonie Hessen gegenüber dem HR.
Auch Container, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, können sich bis zu 35 Grad Celsius aufheizen, so etwa in Berlin, wie der Tagesspiegel berichtet. [17] Nun soll jede Unterkunft Kälteräume mit Klimaanlagen bekommen.
Kirchen als Kälteräume nutzen
Auch Kirchen sollten während anhaltender Hitze als Kälteräume tagsüber offen sein und Schutz bieten, twitterte Karl Lauterbach [18] vor wenigen Tagen aus einer Basilika in Siena in der Toskana. Dieser sei ein wunderschöner mittelalterlicher Bau, aber auch als Kälteraum nutzbar.
Damit rennt er bei der Kirche offene Türen ein: In den Kirchen seien alle herzlich willkommen, zum Gebet, zur Andacht, aber auch zum Schutz vor Hitze, bestätigte ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Kirchen sollten nach Möglichkeit immer allen Menschen offen stehen, hieß es auch vom Erzbistum Köln, das die Initiative der offenen Kirchen unterstützt. Das sei im Winter ebenso wichtig wie im Sommer.
Dass es in den Gotteshäusern angenehm kühl ist, wenn draußen die Hitze brütet, dürfte Kirchgängern und Touristen bereits aufgefallen sein, lange bevor Lauterbach seinen Kirchenbesuch twitterte.
Neu wäre die sich wandelnde Bedeutung der Kirche, die sich hier andeutet: Während Jahr für Jahr immer mehr Mitglieder austreten und gleichzeitig die Hitzeperioden immer intensiver werden, bieten die uralten Gemäuer natürliche Kühlung für Hunderte Menschen – ohne jeden technischen Aufwand und auch noch dann, wenn sich die traditionelle Amtskirche in ihrer jetzigen Form aufgelöst haben wird. Möglich, dass sich die Bewohner des christlichen Abendlandes den Erbauern sakraler Gebäude einmal mehr als dankbar erweisen.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/H/Hitzeschutzplan/30623_BMG_Hitzeschutzplan.pdf
[2] https://www.hitzewarnungen.de/index.jsp
[3] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/lauterbach-hitze-schutz-klimawandel-100.html
[4] https://www.vdk.de/deutschland/
[5] https://www.deutschlandfunk.de/sozialverband-vdk-verlangt-rasche-massnahmen-100.html
[6] https://www.mdr.de/ratgeber/lifestyle/servicestunde-klimaanlage-splitgeraet-test-100.html
[7] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/lauterbach-hitzeschutzplan-hitzeradar-massnahmen-hitzeservice-100.html
[8] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hitzeschutz-plan-lauterbach-100.html
[9] https://www.t-online.de/leben/id_47490256/was-tun-wenn-es-in-der-wohnung-zu-heiss-ist-.html
[10] https://www.klima-mensch-gesundheit.de/
[11] https://hitze.info/hitzeschutz/hitzeschutzplane/
[12] https://hitzeschutz-berlin.de/
[13] https://hitzeservice.de/
[14] https://www.t-online.de/region/nuernberg/id_100035782/extreme-hitze-in-nuernberg-obdachlose-leiden-besonders-so-helfen-sie.html
[15] https://tourismus.nuernberg.de/fileadmin/bilder/informieren/anreise/trinkwasserbrunnen_nuernberg.pdf
[16] https://www.hr-inforadio.de/programm/themen/wie-wir-obdachlosen-bei-der-hitze-helfen-koennen,obdachlose-schutz-hitze-100.html
[17] https://www.tagesspiegel.de/berlin/mehr-als-35-grad-im-zimmer-tausende-fluchtlinge-in-der-hitze-falle-in-berlins-not-containern-10193026.html
[18] https://www.t-online.de/gesundheit/aktuelles/id_100209204/karl-lauterbach-fordert-kirchen-sollen-als-hitzeschutz-dienen.html
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