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"Wie viele Sklaven halten Sie?"

Beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013 starben mehr als 1100 Angestellte, 2500 wurden verletzt. Bild: rijans/CC-BY-SA-2.0

Was ist von der Kritik der globalen Ausbeutung ausgerechnet von einer Professorin für "Supply Chain Management" zu halten?

Eine scharfe Anklage der Ausbeutung durch global agierende Konzerne kommt derzeit ausgerechnet von einer BWL-Professorin für "Supply Chain Management" [1], also jenem ehemals "Logistik" genannten Fach, das Konzernen die Lieferketten organisiert: von den billigsten Arbeitsmärkten im Süden, wo Menschen als Sklaven oder in an Sklaverei grenzenden Verhältnissen schuften, hin zu uns, zu den Konsumenten im Norden. Für Prof. Evi Hartmann ist der moralische Konsument die Lösung: Wir alle sollten nur als sozialverträglich hergestellt gekennzeichnete Ware kaufen. Sie verweist vor allem auf Drei-Euro-Hemden von KiK als Beispiel boykottwürdiger Produkte, denn Fabrikdesaster bei KiK-Zulieferern in Bangladesch forderten Tausende von Opfern.

Gegen die Vermeidung solcher mittels Sklavenarbeit hergestellter Ware wäre eigentlich wenig einzuwenden, wenn diese Problemlösung über den Boykott nicht als Gegenmodell zur Einforderung von gesetzlichen Regelungen auftreten würde. Aber Evi Hartmann lehnt Globalisierungskritik von links strikt ab. In der Kurzbeschreibung vom Campus-Verlag, der das Buch verlegt hat, heißt es: "Unsere Wirtschaft macht uns alle zu Sklavenhaltern - das führt uns jedes Drei-Euro-T-Shirt und jede Reportage über die Sweatshops in der Dritten Welt vor Augen. Dennoch machen wir weiter mit. Wir können die Globalisierung nicht abschaffen, auch können wir die Spielregeln nicht ändern. Doch wir können anders spielen, zeigt die Expertin für globale Netzwerke."

Regeln nicht ändern heißt: Keine Reregulierung und stattdessen nur noch eine individuelle Lösung über den privaten Konsum? Damit tritt das Buch all jenen entgegen, die wie etwa Attac oder die Weltsozialforen eine Reregulierung des Welthandels und eine Durchsetzung der Menschenrechte auch gegen Konzerne fordern, um Kindersklaverei und andere menschenunwürdige Ausbeutung zurückzudrängen. Globalisierungskritik wird individualisiert und entpolitisiert und letztlich bleibt nur der Markt als Lösung: Firmen sollen moralisch werden, weil moralische Konsumenten ihre Produkte sonst nicht kaufen.

Beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013 starben mehr als 1100 Angestellte, 2500 wurden verletzt. Bild [2]: rijans/CC-BY-SA-2.0 [3]

Firmenethik und Corporate Social Responsibility

Hartmanns Ansatz ist nicht neu. Er entspricht den schon seit Beginn der Kritik an globaler Ausbeutung von Konzernen vorgeschlagenen Lösungen durch freiwillige Selbstkontrolle. Es war die Reaktion des Managements auf Clean-Clothes-Kampagnen, die dem Firmenimage zu schaden begannen, was für Markenprodukte fatal sein kann.

Die Proteste begannen, nachdem die US-Bekleidungsindustrie massiv Arbeitsplätze in Billiglohnländer ausgelagert hatte. 1991 begann Levi Strauss damit, solche Kodizes einzuführen: Auch damals schon entzündete sich der Protest besonders an ausbeuterischer Kinderarbeit. Gekoppelt war Sklaven- bzw. Kinderarbeit meist an Unterdrückung von Gewerkschaften und so fand man in vielen Konzern-Kodizes nicht nur keine Rechte für Arbeitnehmer, sondern sogar explizites Pochen auf "gewerkschaftsfreie" Firmenkultur (Braun, S.268).

Rainer Braun vertritt dagegen die Ansicht, die Verpflichtung auf internationale Gesetze sollte auch für international agierende Unternehmen gelten bzw. bei ihnen durchgesetzt werden: Namentlich die Menschenrechte der UNO-Erklärung von 1948, ergänzt 1966 durch politische Rechte, wie das auf freie Gewerkschaften (Zivilpakt), und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), Braun S.261. Das Eintreten für freiwillige Selbstverpflichtung mit Kodizes unterläuft - ob vorsätzlich oder unwillentlich - politische Bestrebungen, die Menschenrechte endlich verbindlich auch auf das Verhalten von Konzernen anzuwenden.

Aktuell setzen Konzerne im firmeneigenen Ethikkodex auf CSR ("Corporate Social Responsibility"), um sich als moralisch integer auszuweisen. CSR wird jedoch auch als Methode kritisiert, dringend nötige gesetzliche Regulierung durch eine "freiwillige Selbstkontrolle" mittels Branchen- oder Firmenkodex zu vermeiden, denn ein Kodex ist relativ unverbindlich. CSR-Befürworter warnen im Fall gesetzlicher Regelungen oft vor "überbordender Bürokratie". Auch Professorin Hartmann gestaltet CSR - als Teil der Logistik (Leppelt/Foerstl/Hartmann 2013), doch der CSR-Ansatz ist immer wieder durch schlimme Debakel aufgefallen, die auch aus der Unverbindlichkeit der firmeneigenen Regelungen resultieren.

Tausende Tote trotz Firmenkodex

Als 2012 in Pakistan und Bangladesch zwei Textilwerke abbrannten (über 350 Tote) und im April 2013, ebenfalls in Bangladesch, dann noch eine Fabrik einstürzte (über 1.100 Tote), hatte es Firmen getroffen, die über einen CSR-Kodex verfügten. Hauptabnehmer der Billigware aus Bangladesch war der deutsche Textildiscounter KiK. Globalisierungsgewinner KiK hat einen CSR-Kodex und ließ die Fabriken seines asiatischen Zulieferers 2007-2011 viermal auf Einhaltung prüfen - Ergebnis: alles o.k., auch beim Brandschutz (Kaleck/Saage-Maaß 2016, S.84). Solche Prüfungen werden von privaten Audit-Firmen durchgeführt. Professorin Hartmann kommentiert die Tragödien:

Die Fabrik ist abgebrannt, die Fassade rußschwarz, Menschen und Maschinen verbrannt - wie schlimm! Wie katastrophal! Wie mitleidheischend! Aber warum hat die Fabrik gebrannt? Sendepause in der Diskussion. Natürlich: Brandschutz und Arbeitsbedingungen! Unmenschlich und entwürdigend! Aber keiner fragt danach, welcher Antrieb hinter dieser Unmenschlichkeit steckt.

Hartmann, Blätter 3/16, S.43

Scheinbar ist Hartmann 20 Jahre Globalisierungskritik nicht bekannt, denn genau das debattieren Bewegungen wie Attac schon lange. Im Folgenden erklärt Hartmann aus ihrer Sicht, warum das Unglück geschah: Weil es dem Einkäufer im Großkonzern weiter oben in der Lieferkette an Moral mangelte, denn er musste auf den Profit achten und die Einkaufspreise drücken. Die Logistik spricht vom "Lieferanten-Squeezing" (Ausquetschen):

"Globalisierung ist exportiertes Squeezing. Imperialismus via Preismechanismus.

Hartmann, Blätter 3/16, S.46

In ihrem Universitäts-Blog "Weltbewegend" kommentiert Professor Hartmann auch das Versagen des CSR-Audits /"Sieben stramme Sünden Rana Plaza - erinnern Sie sich? 1.100 Näherinnen kamen beim Einsturz des Fabrikgebäudes ums Leben. Das Gebäude war auditiert." Das Problem waren nach Hartmann aber nur ein paar "bad apples" in der großen Kiste der Auditfirmen. Schließlich trügen letztlich die Kunden der global agierenden Firmen die Schuld, also wir alle:

Nicht die Globalisierung an sich ist das Problem. Wir sind das Problem.

Hartmann, Blätter 4/16, S.109

Ausbeutung vor Gericht bringen?

Im Kampf für menschliche Arbeitsbedingungen zeichnen sich zwei Positionen ab: Normen zum Schutz der Menschen zu etablieren oder im Glauben an Märkte und Freihandel weiter auf freiwillige Firmenkodex-Lösungen zu setzen.

Die Durchsetzung von Normen befindet sich derzeit im Aufwind, denn es scheint möglich, Konzerne in den Herkunftsländern zu verklagen. Sogar in Deutschland steht bald eine Firma vor Gericht: KiK. Vor gut einem Jahr reichten Betroffene der Fabrikdesaster in Bangladesch in Dortmund Klage gegen KiK und gegen die Auditfirma RINA ein (Kaleck/Saage-Maaß 2016, S.86). Inzwischen könnte die langsam mahlende Mühle der Justiz sich der Abarbeitung dieses Falles nähern.

Ob Gerichte die Schadensersatzforderungen von Opfern und Hinterbliebenen anerkennen, ist von vielen Faktoren abhängig. Auch von einer allgemeinen Stimmung in Deutschland, von der Verbreitung von Ansichten darüber, wen man für solche aus Sklavenarbeit und unmenschlichen Arbeitsbedingungen resultierenden Katastrophen verantwortlich machen sollte: die Konzerne? Ihre -meist in Abhängigkeit gehaltenen - Zulieferer? Ihre Audit-Firmen, die falsche Gutachten liefern? Oder ihre Kunden, also uns alle?

Bei Prof. Hartmann sind wir am Ende alle "Sklavenhalter" und als Fazit bleibt, ohne dass die Autorin dies zugeben würde: Sind alle Schuld, hat keiner Schuld. Jeder könne ja als Konsument frei entscheiden, ob er etwa Kleidung kaufe, die mit Sklavenarbeit produziert wurde, oder Markenkleidung. "Wir können die Globalisierung nicht abschaffen, auch können wir die Spielregeln nicht ändern", lautet ihr politisches Programm, was ihr im Politblog "Scharf-Links" die Kritik einbrachte, sie betreibe unter dem Deckmantel der Kritik an Sklavenarbeit eine Pro-Globalisierungs-Kampagne (Sies 2016). Ihre Sichtweise stellt sich provokativ den Globalisierungskritikern entgegen, will sozusagen eine "anständige Ausbeutung" einfordern. Doch die Argumentation enthält einen inneren Widerspruch: Sie klammert sich an den neoliberalen Marktglauben und lehnt gesetzliche Regelung zu Lasten der Konzerne ab. Aber von den Konsumenten verlangt sie, sich entgegen den Marktprinzipien zu verhalten, die sie doch so hartnäckig verteidigt.

Zuletzt bleibt die Frage, ob hier eine BWL-Professorin der Globalisierungskritik ihr schärfstes Argument gegen die Macht der Konzerne (die Ausbeutung von Kindern) aus der Hand schlagen will? Die individualisierte und sogar psychologisierte Kritik zielt nicht mehr auf die politische Ebene. Sie greift auf das schlechte Gewissen der Konsumenten zu und verspricht ihm eine unpolitische Abhilfe durch moralischen Konsum. Soll Globalisierung (analog etwa zum "Greenwashing" der Chemieindustrie durch Pseudo-NGOs) hier einem "Moralwashing" unterzogen werden?

Literaturliste

Braun, Rainer: Konzerne als Beschützer der Menschenrechte? Zur Bedeutung von Verhaltenskodizes, in: Brühl, Tanja u.a. (Hg.): Die Privatisierung der Weltpolitik: Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Dietz: Bonn 2001, S.257-280.

Hartmann, Evi: Wir Sklavenhalter. Warum die Globalisierung keine Moral kennt [4], Blätter für deutsche und internationale Politik Nr.3, 2016, S.41-49.

Hartmann, Evi: Wir Sklavenhalter, Teil II. Wie viele Sklaven halten Sie - und wie lange noch? Blätter für deutsche und internationale Politik Nr.4, 2016, S.101-110.

Hartmann, Evi: Wie viele Sklaven halten Sie? Über Globalisierung und Moral [5], Campus Verlag: Frankfurt/NY 2016.

Hartmann, Evi: Sieben stramme Sünden: Rana Plaza - erinnern Sie sich? [6] 1.100 Näherinnen kamen beim Einsturz des Fabrikgebäudes ums Leben. Das Gebäude war auditiert.

Kaleck, Wolfgang u. Miriam Saage-Maaß: Der 'Kunde ist König' - auch wenn es Leben kostet [7], Blätter für deutsche und internationale Politik Nr.5, 2016, S.83-92.

Leppelt, T. / Foerstl, K. / Hartmann, E. (2013): Corporate Social Responsibility in Buyer-Supplier Relationships [8]: Is it Beneficial for Top-Tier Suppliers to Market their Capability to Ensure a Responsible Supply Chain?, in: Business Research BuR, 126-152.

Lobmueh, Daniela, Von ARD&Co. übersehen? [9] US-Parlament fordert Kontrolle der US-Kriegsführung, Nachdenkseiten 20.5.2014.

Sies, Hannes: Rezension: "Wie viele Sklaven halten Sie?", Scharf-Links.de [10], 26.5.2016.


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[3] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.de
[4] http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/maerz/wir-sklavenhalter
[5] http://www.campus.de/buecher-campus-verlag/gesellschaft-wirtschaft/wirtschaft/wie_viele_sklaven_halten_sie-10265.html
[6] http://blogs.fau.de/weltbewegend/2016/02/22/sieben-stramme-suenden/
[7] http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/mai/der-%C2%BBkunde-ist-koenig%C2%AB-%E2%80%93-auch-wenn-es-leben-kostet
[8] http://link.springer.com/article/10.1007/BF03342746
[9] http://www.nachdenkseiten.de/?p=21777/
[10] http://Scharf-Links.de