Wie weit ist der Weg vom Christen zum Coronaleugner?
Christen scheinen nicht nur Gemeinsamkeiten mit der politischen Rechten zu haben, sondern auch mit Coronaleugnern. Gibt es diese Schnittmengen tatsächlich – und wenn ja, welche?
Ein landeskirchlicher Pfarrer wurde Anfang März mit sofortiger Wirkung von seinem Amt entbunden: Martin Michaelis, der Vorsitzende der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), hatte am 5. Dezember bei Protesten gegen staatliche Coronamaßnahmen im thüringischen Sonneberg eine Andacht gehalten.
Ein ungeimpfter Kollege, Alexander Titz aus Bayern, "warf der Landeskirche vor, mit ihrer Werbung für die staatliche Impfkampagne 'die Diskriminierung, Ausgrenzung und Schikanen' gegen Ungeimpfte zu unterstützen.
Die Corona-Beschränkungen empfinde er 'als einen Kreuzzug gegen Ungeimpfte' und sehe sich in seiner Meinungsfreiheit beschnitten. Das erinnert Titz 'an absolutistische und autoritäre Regime'."
Natürlich bekam er sofort Gegenwind, und zwar von Politik und Kirche.
Die Evangelische Kirchengemeinde Werl (Nordrhein-Westfalen) hat ihren Pfarrer freigestellt, weil er nicht gegen Corona geimpft ist.
Aus der Landeskirche drei Beispiele und eine Linie.
In vielen Freikirchen und religiösen Gemeinschaften ist es anders.
Wir schließen niemand aus" ist eine Art Aktionsbündnis für freie Teilnahme an realen, nicht digitalen, Gottesdiensten. Auf der Website heißt es Mitte Oktober 2021 (laut URL):
Aus (...) theologischen und gewissensbedingten Gründen und in völliger Übereinstimmung mit Art 4 GG werden wir unter keinen Umständen akzeptieren, dass ein G-2-Status (geimpft, genesen) oder ein G-3-Status (geimpft, genesen, getestet) zur Bedingung für die Teilnahme an unseren Gottesdiensten gemacht wird. (…) Die unterzeichnenden Gemeinden versprechen hiermit, ihren realen Gottesdienst für alle Menschen offenzuhalten – und dafür weder eine Impfpflicht noch eine Testpflicht einzuführen. Das Motiv dieser Entscheidung ist nicht Auflehnung gegenüber der Obrigkeit, sondern allein der Gehorsam gegenüber dem Gebot unseres Herrn (Apg 5,29). Wir sind fest davon überzeugt, mit dieser Entscheidung zugleich einen heilsamen Dienst an unserer Gesellschaft zu leisten.
Aktion "Wir schließen niemanden aus"
FeG ist die Abkürzung für Freie evangelische Gemeinde. Das ist der Eigenname einer evangelikalen Freikirche mit bundesweit 500 Ortsgemeinden mit insgesamt etwas über 43.000 Mitgliedern, Stand 2019.
Der Bund ist kongregationalistisch organisiert, das heißt: Die einzelnen Ortsgemeinden sind relativ selbstständig.
Einer der 30 Teilnehmer am Aktionsbündnis "Wir schließen niemand aus" ist die FeG Hamm. Aber die FeG Haiger in Mittelhessen hat Ende November 2021 eine Impfaktion gegen das Coronavirus veranstaltet, die alle Erwartungen übertroffen habe.
Kurz: Das Bild ist bunt, aber es gibt Schnittmengen.
Was finden Christen bei Coronaleugnern oder "Querdenkern"?
Diese freikirchlichen Beispiele stehen exemplarisch für den unterschiedlichen Umgang Evangelikaler mit Corona. Einerseits gab es von Anfang an Gottesdienste, die zum Cluster für Ansteckungen wurden. Andererseits wird geimpft.
Gemeinsam ist beiden Richtungen ein missionarisches bzw. evangelistisches Interesse: Die einen halten Gottesdienste für alle offen, die anderen wollen mit so einer Impfaktion Menschen einladen. So schreibt idea über die Impfaktion der FeG Haiger: "Während der Wartezeiten hätten sich viele Gespräche mit Besuchern ergeben. Einige seien spontan zum Gottesdienst des Kairos-Projekts am Samstagnachmittag geblieben."
Außerdem hätten sich Politiker eingefunden – die so auch in idea erwähnt wurden, und die dem Ganzen auch einen seriösen Anstrich gegeben haben dürften, eine Win-win-Situation.
Viele konservative Christen mischen sich beim Thema Corona ein: Das Medienmagazin pro wandte sich am 6. Januar dieses Jahres in seinem Newsletter gegen eine allgemeine, aber für eine eingeschränkte Impfpflicht ab 50. Mit Verweis auf die Risikostatistiken.
Besonders offensiv ist beim Thema Corona der schon erwähnte Arbeitskreis Christliche Coronahilfe, ACCH. Er begann seine öffentliche Arbeit mit einem Aufruf zum gemeinsamen Gebet. Am Sonntag, dem 30. Januar 2022, sollten Christen und Gemeinden im deutschsprachigen Raum, gemeinsam in besonderer Weise etwa um Trost für Leidende beten:
Viele Geschwister befinden sich aufgrund der derzeitigen Krise in großen Nöten, sei es aufgrund Krankheit und Tod, sei es aufgrund staatlicher Maßnahmen, wie etwa dem bevorstehenden Verlust des Arbeitsplatzes.
Man solle für die medizinische Situation beten, aber auch dafür, "dass es zu keinen weiteren Verschärfungen der Maßnahmen kommt, insbesondere dass das politische Vorhaben zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht nicht durchgesetzt wird. Ebenso, dass die bereits beschlossene Impfpflicht für den medizinischen und sozialen Bereich wieder zurückgenommen wird.
Lasst uns auch besonders für die Geschwister in Österreich eintreten, wo eine allgemeine Impfpflicht ab 1. Februar 2022 gelten soll." Der letzte Punkt in der Liste ist das Gebet für die "Erweckung für unsere Gemeinden und Mitmenschen".
Lasst uns beten, dass Gott diese Krise gebrauchen möge, um viele Menschen aufzurütteln und zur Umkehr zum einzigen Retter Jesus Christus zu führen, aber auch, um viele Christen und Gemeinden zu einer neuen Hingabe, Wachheit und Ernsthaftigkeit in der treuen Nachfolge zu leiten."
Diese Aktion sei, so idea auf breite Resonanz gestoßen. Innerhalb von fünf Tagen sei das "Ankündigungsvideo mit dem Aufruf zum Gebetstag in den Sozialen Medien über 20.000-mal angeklickt worden. Hunderte von E-Mails mit Rückfragen habe man beantwortet".
Weitere Gebetstage fanden Ende Februar und Ende März statt. Beim zweiten Gebetstag wurde zum "Dank für Gebetserhöhrung" aufgerufen: "Gemeinsam wollen wir unserem Gott und Vater danken, denn Er hört das Bitten Seiner Kinder.
Die Pläne zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland geraten, so scheint es, immer mehr in die Kritik; das Vorhaben, in Baden-Württemberg eine 3-G-Regelung für Gottesdienste einzuführen, wird zunächst nicht umgesetzt; und die einrichtungsbezogene Impfpflicht soll zumindest in Bayern und Sachsen vorerst ausgesetzt werden."
Im Aufruf zum dritten Gebetstag am 27. März 2022 hieß es:
Dankbar sind wir, dass in der letzten Woche die allgemeine Impfpflicht nicht beschlossen werden konnte, obwohl der Kanzler das geplant hatte. Die kritischen Stimmen werden zahlreicher, wie auch die jüngste Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag zeigte. In Sachsen wurde Ministerpräsident Kretschmer von der eigenen Fraktion ausgebremst. So lasst uns trotz aller Spannungen getrost weiterbeten.
Nach der Abstimmung im Bundestag eine Erklärung des ACCH:
Am Donnerstag, den 7. April 2022, hat der Deutsche Bundestag die Anträge auf Einführung einer allgemeinen Impfpflicht abgelehnt. Der ACCH hatte seit Januar 2022 zu drei Gebetstagen aufgerufen, bei denen wir gemeinsam mit tausenden von Christen in Deutschland und weit darüber hinaus für Gottes Eingreifen in dieser Sache gebetet hatten. Außerdem hatte der ACCH Ende Februar ein Schreiben an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags sowie die Regierungschefs der Länder geschickt, in dem wir erläuterten, warum sich viele Christen aus Glaubens- und Gewissensgründen einer Impfpflicht nicht unterordnen könnten.
Nun haben wir Grund, voller Freude und Dankbarkeit den HERRN, unseren Gott, zu preisen. Denn Er hat die Stimme unseres Flehens gehört und nicht zugelassen hat [sic], dass der Staat so tiefgreifend über unsere Körper bestimmt.
Diese Erklärung erwähnt ein Schreiben an zahlreiche Politiker. Unterzeichnet hätten 150 Evangelikale, darunter Hartmut Steeb, und Pfarrer Winrich Scheffbuch (beide Stuttgart).
Das sind bekannte Namen in der evangelikalen Szene mit zahlreichen Ämtern. Ämterhäufung ist unter Evangelikalen typisch. Bauer (58) zitiert Ulrich Betz, früheren Leiter der FeG Hamburg, "der deutsche Evangelikalismus werde im Wesentlichen von Personen getragen, weniger von Organisationen".
Und Guske (74) zählt eine Reihe evangelikaler Vereine und regelmäßiger evangelikaler Veranstaltungen auf, bei denen "immer die gleichen führenden Personen der evangelikalen Bewegung" auftauchten, darunter der genannte Hartmut Steeb. Der war früher Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz.
Das ist ein Netzwerk von Evangelikalen, gegründet im Jahr 1846, ein Dachverband für Evangelikale und international aktiv. Die Deutsche Evangelische Allianz hält zu ca. 370 überregionalen Werken und Verbänden Kontakt.
Es ist eine Art "Sammelbecken der Evangelikalen" (Bauer 642). Hartmut Steeb ist also nicht irgendwer. Er wurde auch Mitinitiator eines Aufrufs "Christenstehenauf", die möchten, dass in der Debatte um eine Impfpflicht im Kampf gegen die Coronapandemie Geimpfte und Ungeimpfte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zudem plädieren sie dafür, in der Debatte Runde Tische in Kirchengemeinden einzurichten – ähnlich wie zu Zeiten nach der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR."
Idea gibt den ACCH wieder: "Man habe sich mit dem (ersten) Gebetstag vor allem an die 'bibeltreue Szene' im deutschsprachigen Raum gewandt. Mit dem Schreiben dann wandte man sich an die höchsten Politiker.
Es fällt auf, dass viele führende Evangelikale auch versteckt eine Impfpflicht kritisieren. So berichtet idea über einen öffentlichen Auftritt von Christoph Raedel, Dozent an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen – eine fundamentalistische Kaderschmiede: Die Coronakrise erinnere die Gesellschaft daran, dass Gott der Herr über alles sei.
"Außerdem segne Gott durch die Krise auch, indem er zeige, wie wichtig Beziehungen seien. Wahrhaftige Begegnung und Berührung seien digital nicht ersetzbar. Für die Gesellschaft könne Segen aus der Krise entstehen, 'wenn wir wahrnehmen, dass der Herr uns durch sie lehrt, dass wir mitten im Leben vom Tod umfangen sind'. Eine Gesellschaft, die 'kein gesundes Verhältnis zum Tod hat', sei todkrank. In diesem Punkt hätte er sich auch ein 'deutlicheres Wort der Kirchen' gewünscht, so Raedel."
Ich habe mich auf deutsche Quellen gestützt. Vermutlich geht es in den USA ähnlich zu. Und von da habe ich Zahlen. Idea berichtete am 12. Februar dieses Jahres über eine US-Umfrage:
Die Impfquote ist bei weißen Evangelikalen in den Vereinigten Staaten am niedrigsten. Zu dem Ergebnis kommt das "Pew Research Center" (Washington) in einer repräsentativen Studie. Demnach haben bisher 62 Prozent der erwachsenen weißen Evangelikalen mindestens eine Dosis eines Corona-Vakzins erhalten. Bei den weißen "Mainline"-Protestanten liegt der Wert dagegen bei 77 Prozent, bei Katholiken sogar bei 85 Prozent und damit höher als bei Konfessionslosen (80 Prozent).
Das legt einen Zusammenhang nahe. Es gab auch seit Beginn der Pandemie immer wieder Berichte über große freikirchliche Gottesdienste in den USA ebenso wie Europa, die zu Infektionsclustern wurden.
Und so schrieb das Gesundheitsamt des Lahn-Dill-Kreises Mitte Dezember 2021 110 Glaubensgemeinschaften an und fragte nach der Art ihrer Veranstaltungen. Diese Frage kam auf, weil sich 154 Personen im Zusammenhang mit Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften mit dem Coronavirus angesteckt hatten und eine Person gestorben war. Das Ganze machte viel Wirbel in freikirchlichen Kreisen und führte zu einer Aussprache im Kreistag.
Am Schluss schrieb idea dass der
Sozialdezernent des Kreises, Stephan Aurand (SPD), (...) bei einer Aussprache im Kreistag (sagte): 'Viele Freikirchen haben gute und wichtige Arbeit geleistet. Es stand uns fern, Freikirchen in ein falsches Licht zu stellen.' (...) Gegen die Diskriminierung von Freikirchen hatte sich der CDU-Kreistagsabgeordnete Daniel Steinraths (Lahnau) in einem Schreiben an den Kreis gewandt. In der Aussprache erklärte er nun, dass viele Religionsgemeinschaften nach Recht und Ordnung gehandelt hätten. Der Brief des Kreises habe sie 'vor den Kopf gestoßen'. Aurand pflichtete Steinraths einerseits bei, meinte aber zugleich, dass das Schreiben im Ton freundlich gehalten gewesen sei. Steinraths sagte IDEA, dass die CDU es erreicht habe, dass der Kreis nicht länger 'alle Freikirchen über einen Kamm' schere. Wünschenswert wäre es jedoch gewesen, wenn die Kreisverwaltung von Anfang an missverständliches Handeln vermieden hätte.
Ein starkes Beispiel für politisches Engagement von Freikirchen in Sache Corona.
Mitte Februar dieses Jahres geriet Michael Diener in die evangelikalen Schlagzeilen. Diener war von 2009 bis 2020 Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, der Organisation von Evangelikalen in der Landeskirche, auch eine sehr wichtige Dachorganisation von Evangelikalen.
Auch Diener ist nicht irgendwer, allerdings bekam er oft Gegenwind, etwa wenn er Homosexuelle nicht verurteilte. Laut idea erklärte er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), unter Pietisten und Evangelikalen
gebe es überdurchschnittlich viele Menschen, die einer Impfung gegen das Coronavirus skeptisch bis rigide ablehnend gegenüberstünden. Die Impfgegner seien zwar auch unter den theologisch konservativen Christen eine Minderheit, doch ihr Anteil sei höher als im evangelischen Durchschnitt.
Auf Nachfrage des Medienmagazins 'PRO' (Wetzlar) sagte das EKD-Ratsmitglied, er stütze sich bei seiner Einschätzung auf eigene Beobachtungen zu Gebieten mit regionaler Frömmigkeitsprägung – darunter das Erzgebirge, das Siegerland und Teile Württembergs –, Gespräche mit Verantwortlichen, eigenen Begegnungen und Erfahrungen in den Sozialen Medien.
Zunächst widersprach der Siegerländer Gemeinschaftsverband, dann der sächsische, und idea berichtete lang und breit. Es ist unfreiwillig komisch: Idea schreibt nämlich, dass
Diener (...) ferner laut epd die Ansicht vertreten [hatte], dass unter Pietisten und Evangelikalen 'ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Staat' herrsche. Hinzu komme bei manchen eine ausgeprägte Wissenschaftsskepsis. Wer die Evolutionstheorie ablehne, an den Kreationismus glaube und die Jungfrauengeburt als reale Tatsache ansehe, habe öfter auch mal grundlegend Probleme mit wissenschaftlichen Fakten, an denen die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ausgerichtet seien.
Dann gibt idea den Präses des Siegerländer Gemeinschaftsverbandes wieder: Es
könne von einem generellen Misstrauen gegenüber dem Staat keine Rede sein. Gemäß biblischen Aussagen, dass Christen der Obrigkeit untertan sein sollen, hielten sich Pietisten an die staatlichen Vorgaben zur Impfung und an die Corona-Regeln. Sie würden sich nur dann staatlichen Anordnungen verweigern, wenn diese dem Willen Gottes widersprächen.
Pietisten seien auch nicht wissenschaftsfeindlich. Sie hätten nur ein Problem damit, wenn sich die Wissenschaft von biblischen Grundaussagen entferne. So halte der Gemeinschaftsverband daran fest, dass die Jungfrauengeburt durch den Heiligen Geist geschehen sei.
Was finden Coronaleugner an Christen?
Beim Thema Christen und Rechte lautete die erste Frage, was Christen an Rechten finden und dann die Zweite, was umgekehrt Rechte an Christen finden. Beim Thema Christen und Coronaleugner lautete die erste Frage, was Christen an ihnen finden. Und jetzt geht es darum, was Coronaleugner an Christen finden.
Es gab einen Gottesdienst. Oder einen Fake-Gottesdienst, wie idea suggeriert, das aber dürfte Ansichtssache sein.
Der christliche Komponist Siegfried Fietz erfuhr,
dass das von ihm vertonte Kirchenlied 'Von guten Mächten wunderbar geborgen' im November 2020 auf einer 'als Gottesdienst getarnten Veranstaltung von Querdenkern' in München gesungen worden war. Der Text des Liedes geht auf ein Gedicht des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten Pfarrers und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) zurück. Er verfasste den Liedtext im Dezember 1944, als er in der Gestapo-Haft in Berlin saß. Es ist der letzte theologische Text von ihm, bevor er am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz hingerichtet wurde." Dieser Querdenker-Gottesdienst wurde von der Polizei in dem Moment aufgelöst, als das Lied gesungen wurde. Das wurde gefilmt. Und auf "Facebook sei dazu aufgerufen worden, gerade diese Szene zu teilen, so Fietz. Er sei über diese Aktion informiert worden und habe gegen den Gebrauch des Videos auf allen Kanälen wegen eines Rechteverstoßes Beschwerde eingelegt: 'Das war das Einzige, was wir tun konnten.' Fietz ist Rechteinhaber der Melodie. Wie der 75-Jährige weiter sagte, muss man sich in der Debatte um die Querdenker und die Corona-Pandemie positionieren: 'Die Querdenker können sich doch nicht mit Bonhoeffer vergleichen und so tun, als seien sie Märtyrer. Darin sieht Fietz einen Missbrauch seiner Musik. [...] Facebook-Nutzer, die seine Ansicht nicht teilten, hätten daraufhin dafür gesorgt, dass sein Kanal gesperrt wurde. Wenn sich viele Nutzer beschwerten, werde eine Seite automatisch gesperrt, so Fietz. Er habe Facebook auf eine Rücknahme der Entscheidung drängen wollen, doch das sei nicht möglich gewesen: 'Da erreicht man niemanden.'
Die Facebook-Seite des Komponisten sperren zu lassen, dürfte eine heftige Racheaktion christlicher Querdenker gewesen sein.
Was finden Coronaleugner an Christen? Wenn die Veranstaltung tatsächlich ein Fake-Gottesdienst war, dann kann man vermuten, dass die Veranstalter vom Grundrecht der Religionsfreiheit profitieren wollten.
Aber dies ist bloß ein Beispiel, weitere Untersuchungen stehen aus.
Zusammenfassung und die Frage nach dem Warum
Wir haben gesehen, dass es Schnittmengen zwischen Christen und Rechten und zwischen Christen und Coronaleugnern gibt. Aber warum?
Was ist aus den Thesen geworden? Zur Erinnerung:
- Konservative und evangelikale Christen vertreten ein traditionelles Familienbild, kämpfen gegen die so genannte Gender-Ideologie, gegen eine angebliche Islamisierung Europas, und gegen die Abtreibung. Mit diesen Themen können sie Heimat in der rechten Szene finden.
- Für viele konservative und evangelikale Christen ist Covid-19 ein Thema unter vielen, um Verschwörungsdenken zu zelebrieren, sich als Opfer darzustellen und in diesem Zusammenhang politischen Lobbyismus auf Basis einer konservativen Auslegung der Bibel zu betreiben.
- Die Evangelikale Szene ist eine Minderheit und zudem von innerer Zersplitterung bedroht. Ihr Ziel ist die Mission. Gegen die Zersplitterung und für die Mission versucht sie Covid-19 auszunutzen, in beide Richtungen, als Leugner und als Unterstützer.
Diese Thesen haben sich bestätigt. Aber warum?
Gleichgesinnte finden, in einer Opferhaltung politischen Lobbyismus betreiben, Missionieren – das sind offensichtlich starke Gründe, um sich mit Rechten und Coronaleugnern zu verbünden. Aber gibt es auch etwas innerreligiöses, vielleicht sogar innerchristliches – Mission geht ja in diese Richtung?
Im Jahr 1966 hat Gorden W. Allport von der Harvard Universität einen Artikel veröffentlicht (Allport 1966): The religious context of prejudice. Der berühmteste und immer wieder zitierte Satz daraus lautet: "there is something about religion that makes for prejudice, and something about it that unmakes prejudice."
Theologie betone Mitgefühl, aber sie habe auch drei Themen, die Bigotterie ermunterten: Offenbarung, Erwählung und Theokratie. Die meisten Christen kennten sich in der Theologie allerdings kaum aus und letztlich, vermutet Allport, seien Religion und Vorurteil psychologische Ausformungen im persönlichen Leben. Auch Adorno hatte schon in diese Richtung geforscht. Es gab dann viele Folgestudien.
Und im vergangenen Jahr sind mehrere Texte zum Thema erschienen.
So schrieb die promovierte katholische Theologin Sonja Angelika Strube (Strube 2021) über die Folgestudien, über empirischen Forschungen. Sie verweist vor allem auf Forschungen von Heinz Streib und Constantin Klein.
Mit geringer Vorurteilsneigung gehen demnach "reife Formen der Religiosität" einher, die darauf beruhen, dass man einfach fair ist oder andere Religionen als Bereicherung empfinde. Mit "höherer interreligiöser Vorurteiligkeit einhergehen demgegenüber wenig komplexe fundamentalistische religiöse Stile, die durch ein absolutistisches, exklusives und literales Verständnis der eigenen heiligen Texte geprägt sind."
Strube schreibt auch: "Ein literaler dogmatistischer Zugang zur Welt und ein entsprechendes, die eigene Perspektive verabsolutierendes Weltbild sind allerdings keine exklusiven Merkmale von Religion bzw. spezifischen religiösen Stilen, sondern können auch mit einem atheistischen Weltbild einhergehen.
Dies bedeutet zum einen, dass es auch areligiöse Fundamentalist*innen gibt, und zum anderen, dass die von manchen atheistischen Interessenverbänden geforderte Ausblendung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum bzw. die gewünschte grundsätzliche 'Überwindung' von Religion das Problem fundamentalistischer Gewalt keinesfalls lösen würde."
Ähnliches der Journalist Andreas Speit (Speit 2021), der in seinem Buch "Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" verschiedene Bewegungen untersucht, QAnon, rechte Esoteriker und Anthroposophen etwa.
Ihm fällt auf, dass Rechte und Alternative gemeinsam demonstrieren. Seiner Ansicht nach haben solche Gesellschaftsentwürfe auch problematische Weltbilder, die zumindest anschlussfähig an autoritäres Denken seien, teilweise auch völkische oder menschenfeindliche Vorstellungen hätten.
Die Wissenschaftler Verena Schneider, Gert Pickel und Cemal Öztürk (2021) fragten in einer Studie andersherum, was nämlich Religion für Rechtsextremismus bedeute. Inwieweit erweise sich Religiosität oder eine bestimmte Form von Religiosität sich als förderlich für rechtsextreme Einstellungen?
Nicht rein zufällig riefen Rechtspopulisten, Verschwörungsmythologen und Rechtsextremisten gerne zur "Verteidigung des christlichen Abendlandes" auf. Andererseits kämen gerade aus kirchlicher Seite Betreuungsmöglichkeiten für Geflüchtete etc.
Sie verweisen auf Forschungen zur Religiosität und fragen erstens, ob Zusammenhänge zwischen Religion bzw. Religiosität und rechtsextremen Einstellungen bestehen und zweitens, welche Wirkung Religiosität und Religionszugehörigkeit auf rechtsextreme Einstellungsmuster haben.
Sie analysieren die wenigen repräsentativen Umfragen dazu. Ihnen zufolge sind dogmatische Christen offener für Vorurteile, und Christen mit eher sozialer Religiosität ablehnender gegenüber Vorurteilen und offener für Pluralismus. Auch auf rechtsextreme Einstellungen hat Religiosität eine ambivalente Wirkung. Die Wirkung von Religiosität sei ambivalent.
Viele Forscher sprechen von Scharnieren, von Offenheit gegenüber solchen und solchen Einstellungen. Ich finde aber nicht, dass klar ist, was womit einhergeht: Was ist Ursache, was ist Wirkung? Sind dogmatische Christen offener für Vorurteile, oder sind sie dogmatisch, weil sie Vorurteile haben und diese rechtfertigen wollen?
Also: Treffen sich in den Schnittmengen einfach Menschen, die ein "fundamentalistisches Weltbild" haben? Als Theologin muss ich auch kritisch nachfragen, wenn es um das Christentum geht: Die meisten Argumentationen scheinen eine Art Ergriffen-Sein durch, ja, den Heiligen Geist, negativ zu betrachten, ebenso wie die Notion der Offenbarung. Das aber macht die Argumentation irgendwie unvollständig.
Kritische Gläubige argumentieren anders: Kommt Impfskepsis von Wissenschaftsskepsis? So der Evangelikale Michael Diener und der Katholische Theologe Johannes Hartl, der ein Gebetshaus in Augsburg leitet (was mir suspekt ist, aber das ist ein anderes Thema).
Von Misstrauen gegenüber dem Staat? (Diener) Sind Evangelikale anfällig für Verschwörungstheorien wegen des engen sozialen Gefüges, in dem sie sich oft bewegen? (Johannes Hartl) Neigen sie zu Polaritäten zwischen richtig und falsch? (Johannes Hartl)
Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Die Gesellschaft ist gespalten – diese Einschätzung kommt immer wieder zum Vorschein. Aber ist sie das wirklich?
Ein großer Teil der evangelikalen Bewegung ist und bleibt innerhalb der Landeskirche, Bauer schreibt dazu: "Der evangelikalen Bewegung kommt mit ihrer bloßen Existenz, weniger im Hinblick auf ihre inhaltlichen Themen, eine hohe Bedeutung als Indikator für diese vitalen Kräfte der Kirche zu." (674)
Aber - vielleicht ändert sich das gerade: Guske sieht die Evangelikalen an der Schwelle zwischen Evangelikalismus und Fundamentalismus (221f.)
Rechte, Neurechte, Rechtspopulisten, Rechtsextreme und vor allem Rechtsextremisten stehen anders da als die konservativen Christen: Sie wollen von vornherein die Gesellschaft ändern, im Extremfall stürzen.
Coronaleugner sind vielleicht eine Art Warnsignal: Dafür, dass viele Menschen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Staat haben und mit vielen Entwicklungen unzufrieden sind.
Vielleicht läuft sich die Bewegung allmählich tot – so wie die anfänglichen Proteste gegen die Anschnallpflicht im Auto und Helmpflicht beim Motorradfahren.
Kirchen und Freikirchen stehen einer großen Herausforderung gegenüber: Die konservativen Christen sind besonders aktiv und interessieren sich für spezifisch religiöse Themen. Die Kirche hat die Aufgabe, aufzuklären. Und das ist schwierig, wenn das Gegenüber nicht aufgeklärt werden will. Eine Art Gebrauchsanweisung für die Situation gibt Ulrich Kasparik (Kasparik 2017):
Er ist Pfarrer im Uckerland und schreibt, dass die AfD Herzen auf dem Land gewinne, nämlich dort, wo niemand offen rede. Und er beschreibt, wie man als Gemeinde kommunizieren kann, nämlich durch verschiedene soziale Medien. Seine Gemeinde habe damit gute Erfahrungen gemacht. Und er betont die Kirchenfeindlichkeit der AfD.
Demnächst werden Zahlen veröffentlicht. Durchgesickert ist, dass neuerdings die Mehrheit in Deutschland NICHT mehr Mitglied in einer Landeskirche ist. Hat die Kirche noch die Kraft, konservative Christen einzubinden? Das heißt auch, dass man ihre Lebenswirklichkeit und ihre Ängste ernst nimmt. Dass man ihnen nicht - zumindest nicht gleich – ins Wort fällt, wenn sie von Islamisierung schwafeln. Und dass man zwar Grenzen setzt, aber auch konservative Meinungen respektiert.
"Wie weit ist der Weg zum Christen zum Coronaleugner?"– Bibliografie, Quellen und Sekundärliteratur
ACCH, Arbeitskreis Christliche Corona-Hilfe: https://acch.info
AfD, Website: (https://afdkompakt.de/2018/02/06/die-afd-feiert-heute-ihren-fuenften-gruendungstag/)
Allport, Gordon W.: The religious context of prejudice. In: Journal for the Scientific Study of Religion , Autumn, 1966, Vol. 5, No. 3 (Autumn, 1966), S. 447-457. https://www.jstor.org/stable/1384172
Bauer, Gisa: Evangelikale Bewegung und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Geschichte eines Grundsatzkonflikts (1945 bis 1989). Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2012
Bednarz, Liane: Fromm und rechts – das passt zusammen. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 15-27
Bednarz, Liane: Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern. Droemer, München 2018
Bednarz 2020: Siehe Klein 2020
Beucker, Hartmut: Warum ich für die AfD kandidiere. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 87-101
Dietrich, Kirsten: Interview mit Martin Fritz Christentum von rechts. Konservative Theologie im Kampfmodus. https://www.deutschlandfunkkultur.de/christentum-von-rechts-konservative-theologie-im-kampfmodus-100.html, Abruf am 7.4.2022
Demo für Alle, Aktionsbündnis: https://demofueralle.de
Federschmidt, Ilka: "Einem klaren Nein würde ich mich anschließen". In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 103-114
Fritz, Martin: Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland. EZW-Texte 273, Berlin 2021
Guske, Katja: Zwischen Bibel und Grundgesetz. Die Religionspolitik der Evangelikalen in Deutschland. Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin, 2013; Springer VS, Wiesbaden 2014. Abruf am 6.4.2022
Idea: https://www.idea.de
Jörgensen, Peter: Sind Freikirchen für AfD-Positionen empfänglicher? In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 63-76
Kasparik, Ulrich: Man kennt sich. Die AfD gewinnt die Herzen auf dem Land – da, wo niemand offen redet. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 39-48
Klein, Mechthild: Rechte Christen. Wahn! Wahn! Überall Wahn! Gespräch mit Liane Bednarz, 28.10.2020, https://www.deutschlandfunk.de/rechte-christen-wahn-wahn-ueberall-wahn-100.html, Abruf am 6.4.2022
Pegida, Website: https://www.pegida.de/
Pro Medienmagazin: https://www.pro-medienmagazin.de/
Schneider, Verena, Gert Pickel, Cemal Öztürk: Was bedeutet Religion für Rechtsextremismus? Empirische Befunde zu Verbindungen zwischen Religiosität, Vorurteilen und rechtsextremen Einstellungen. Z Religion Ges Polit, Online publiziert 17.08.2021. Online unter: https://www.fgz-risc.de/fileadmin/user_upload/Schneider2021_Article_WasBedeutetReligionFuerRechtsex.pdf, (Abruf 07.04.2022)
Speit, Andreas: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Bonn 2021
Strube, Sonja Angelika: Religiöse Stile und Vorurteiligkeit: Hintergrundwissen (nicht nur) für konfessionelle Träger Sozialer Arbeit. Perspektiven - Soziale Arbeit in Der Migrationsgesellschaft Und Muslimische Wohlfahrtspflege, (1), 91 - 104. https://doi.org/10.48439/perspektiven.1-2021.134.v0. https://journals.ub.uni-osnabrueck.de/index.php/perspektiven/article/view/134/108