Wie zermürbt man einen Präsidenten?
Das "Lincoln Project" setzt Donald Trump gehörig zu. Die abtrünnigen Republikaner versuchen den Präsidenten mit seinen eigenen Waffen zu schlagen
Der junge Patient, ein stolzer Republikaner, ist gerade auf der Intensivstation aus einem dreijährigen Coma aufgewacht. Er fragt: "Habe ich etwas Interessantes verpasst?" Seine Familie, auch sie überzeugte Republikaner, versucht, ihm die Nachrichten schonend beizubringen.
Donald Trump sei noch immer Präsident. Trump unterstütze Familien, seine eigene Familie ganz besonders, die sitze im Weißen Haus. Die Mauer nach Mexiko sei wohl noch nicht ganz fertig. Wer dafür bezahlt habe, ist unklar. Im Land herrschten Rassenunruhen, weil die Polizei ständig "aus Versehen" Schwarze töte. Es habe ein Amtsenthebungsverfahren stattgefunden, weil Trump mit den Russen gemeinsame Sache gemacht habe. Der Patient ist irritiert. "Ich dachte, wir hassen die Russen?"
"Seid Ihr alle Ärzte geworden, warum tragt Ihr alle Masken?", fragt er konsterniert. Seine Familie erklärt ihm: 150.000 Amerikaner seien an einem Virus gestorben. Aber Trump habe wenigstens die Wirtschaft repariert. Er habe die Steuern für die Reichen enorm gesenkt. Doch leider ist Papa nun arbeitslos. Mama meint, man solle 'mal in Mar a Lago übernachten. Das könne sich die Familie nicht leisten, meint Papa. Der Patient zieht unbemerkt den Stecker seiner Herz-Lungen-Maschine und stirbt.
Dies ist ein aktuelles Video des "Lincoln Project", einer Gruppe von Republikanern, die erklären, sich vorgenommen zu haben, die Wiederwahl von Donald Trump zu verhindern. Regie des Videos mit dem Titel "Wake Up" führte Hollywood-Regisseur Jon Turteltaub, von dem Filme wie "Das Vermächtnis der Tempelritter" und "Während Du schliefst" stammen.
Republikaner gegen Republikaner
Das "Lincoln Project" ist ein sogenanntes Political Action Committee (PAC), eine in der amerikanischen Politik akzeptierte Form des Lobbyismus, die es ermöglicht Spenden zu sammeln, um Kandidaten für politische Ämter zu unterstützen oder zu bekämpfen. Zu den Gründern der Gruppe gehören prominente Republikaner, darunter George Conway, der Ehemann von Kellyanne Conway, einer engen Vertrauten von Donald Trump. Auf Frau Conway geht der Begriff "alternative Fakten" zurück.
Angekündigt wurde das "Lincoln Project" in einem Meinungsbeitrag in der "New York Times" im Dezember 2019. "Patriotismus und das Überleben unserer Nation angesichts der Verbrechen, der Korruption und der zersetzenden Art von Donald Trump sind eine höhere Berufung als bloße Politik", so die Erklärung. "Als Amerikaner müssen wir den Schaden eindämmen, den er und seine Anhänger der Rechtsstaatlichkeit, der Verfassung und dem amerikanischen Charakter zufügen."
In einem Meinungsbeitrag in der "Washington Post" im Frühjahr 2020 sprach sich der Beitrat des "Lincoln Project" für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden aus. "Einen demokratischen Kandidaten für das Präsidentenamt öffentlich zu unterstützen, ist für uns alle eine Premiere", so die Erklärung. "Wir befinden uns in außergewöhnlichen Zeiten und haben beschlossen, das Land über die Partei zu stellen - und der frühere Vizepräsident Joe Biden ist der Kandidat, von dem wir glauben, dass er dasselbe tun wird."
Die erklärte Strategie des "Lincoln Project" hat zwei Hauptstoßrichtungen. Sie zielen darauf ab, potentielle Wechselwähler von Trump wegzubewegen sowie Trumps Basis, in der sich viele überzeugte Anhänger befinden, zu erodieren. Außerdem greifen sie Trump direkt an, um ihn mit seinen eigenen Mitteln aus dem Konzept zu bringen: mittels psychologischer Kriegsführung.
Auch die politischen Operateure des "Lincoln Project" gehen davon aus, dass die Entscheidung über die nächste Präsidentschaft in wenigen "Swing States" fallen wird. "Wir versuchen, einen Prozentsatz der republikanischen Wähler und republikanisch handelnden unabhängigen Wähler in Schlüsselstaaten von Trump weg und in die Biden-Kolumne zu bewegen", erklärte John Weaver, einer der Mitbegründer der Gruppe. Ein Bundesstaat, in dem die Entscheidung über die Wahl fallen könnte, sei Ohio. Deswegen werde man dort bis zum Schluss kämpfen.
Das Thema, das alle anderen dominiert, ist die Entwicklung von COVID-19 in den USA. Trump habe die Verantwortung für die zögerliche Vorgehensweise in der Pandemie zu tragen. Deswegen hätten sich viele Wähler von ihm abgewendet. In vielen ihrer Werbespots versuchen die Macher des "Lincoln Project" die Message zu verstärken: Der Präsident sei für die hohe Zahl an Corona-Toten persönlich verantwortlich.
"Dieser Typ zeigt Dir ständig seine Kehle"
Neben bewährten Mitteln die Wähler zu überzeugen, setzt das "Lincoln Project" auf Methoden der politischen Kriegsführung. Sie versuchen ihren erklärten Gegner Donald Trump psychisch zu zermürben. Dazu reagiere man auch tagesaktuell auf die Gelegenheiten, die Trump zum Angriff biete. "Dieser Typ zeigt Dir in diesem Kampf ständig seine Kehle", so Rick Wilson, einer der Mitbegründer der Gruppe.
Ein Beispiel dafür ist ein Video-Spot mit dem Titel "#TrumpIsNotWell" ("Trump geht es nicht gut"). Darin sieht man Aufnahmen, die Trump in wenig souveränen Situationen zeigen, wie er Mühe zu haben scheint, eine Rampe von einer Bühne abwärts zu gehen oder ein Wasserglas zu halten. Der Präsident sei zitterig und schwach, so die Message. "Wir sind keine Ärzte, aber wir sind auch nicht blind", so die Stimme zum Schluss des Clips.
"Manche der Spots", so Rick Wilson, "richten sich an nur einen Zuschauer - psychologische Kriegsführung mit Donald Trump." Man wolle damit Trumps Wahlkampf stören und ihn von seinen eigentlichen Aufgaben ablenken. Um sicherzustellen, dass die Angriffe auch direkt beim Gegner ankommen, werden sie gezielt im Raum Washington, DC, auf Trumps Lieblingssender "Fox News" platziert.
Ein Video soll sogar dazu beigetragen haben, dass Trump den Chef seiner Wahlkampagne, Brad Parscale, ausgewechselt hat. "Brad wird gerade reich. Wie reich? Sehr reich. Sag's nicht dem Donald", heißt es in dem Spot. Danach werden Parscales Reichtümer aufgezählt, die er sich dank seiner Beraterhonorare angeblich leisten konnte: ein Haus für 2,4 Millionen Dollar in Florida, zwei Eigentumswohnungen für je 1 Million Dollar, eine Yacht, ein Ferrari, ein Range Rover. Parscale sei ein Star.
Ein Star im Gefolge von Donald Trump? "Wir verfolgen Ziele, von denen wir wissen, dass Donald Trump auf sie empfindlich reagiert", sagte der Stratege Wilson gegenüber der "Washington Post". "Er mag es nicht, wenn Menschen wichtiger erscheinen als er, und er mag es nicht, wenn Leute sich auf seine Kosten bereichern." Nachdem es Parscale auch nicht mehr gelungen war, Trump aus einem mittlerweile chronischen Umfragetief herauszuholen, wurde er Mitte Juli als Chef des Wahlkampf-Teams von Trump persönlich ausgewechselt.
"Sie sind republikanische Loser"
Das "Lincoln Project" versucht, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein. Zur Verstärkung der Botschaften werden neben klassischer Fernsehwerbung, die in ausgesuchten Märkten platziert wird, vor allem YouTube, Twitter und Facebook genutzt. Kommuniziert wird nicht selten nach dem Strickmuster von Horror- oder Katastrophenfilmen. Reed Galen, einer der Mitbegründer der Gruppe, der in der Vergangenheit bereits für George W. Bush und Arnold Schwarzenegger tätig war, erklärt, man spreche "republikanische Wähler mit republikanischen Sprachmitteln und einer republikanischen Bildsprache" an.
Exemplarisch dafür ist der Clip "Mourning in America" ("Trauer in Amerika"), für den auf YouTube bislang über drei Millionen Zugriffe registriert wurden, und der auch auf "Fox News" lief. Mit dem Titel wird auf einen Wahlkampfspot Ronald Reagans aus den achtziger Jahren, "Morning in America", angespielt. Zu dystopischen Bildern, die aus einem Film wie "I Am Legend" oder "28 Days Later" stammen könnten, wird der Zustand des Landes im Jahr 2020 beschrieben: Virustote, die Wirtschaft in Trümmern, Massenarbeitslosigkeit, Krankheit und Hoffnungslosigkeit.
"Mourning in America" brachte Trump so in Rage, dass er die Macher von "Lincoln Project" unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos auf Twitter als "Verlierertypen" angriff. "Ich weiß nicht, was Kellyanne ihrem geistesgestörten Verlierer-Ehemann, Mondgesicht, angetan hat", so Trump über den Ehemann seiner Beraterin, "aber es muss wirklich übel gewesen sein." Noch am selben Tag erklärte er vor laufenden Fernsehkameras: "Sie sind republikanische Loser.
Die dadurch erzeugte Aufmerksamkeit war dem "Lincoln Project" nicht abträglich. Die Spenden an die Gruppe stiegen im Juni stark an, auch aufgrund vermehrter Zuwendungen durch reiche Unterstützer der demokratischen Partei.
Starke Werbespots, starke Wirkung?
"Politico" argumentiert, dass die harten und brutalen Spots der Gruppe besonders wirkungsvoll seien. Republikaner seien generell besser im Erzeugen von Ängsten und vielleicht habe Trump sogar das Gefühl, die Angriffe könnten ihm gefährlich werden, da sie genau auf die Wähler abzielen, die er vor vier Jahren mit ähnlichen Methoden gewonnen habe. "Republikaner verstehen sich darauf, den Menschen einen Mordsschrecken einzujagen und das ermöglicht richtig starke Werbespots."
Republikaner bzw. Menschen mit konservativen Ansichten, so "Politico" unter Verweis auf wissenschaftliche Studien, seien aber auch für Ängste besonders anfällig. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass besonders schreckhafte Menschen verstärkt politische Maßnahmen wie Verteidigungsausgaben und die Todesstrafe befürworten, die einem konservativen Gedankenkreis zuzuordnen sind. Wahlwerbung, die darauf abziele Ängste auszulösen, so "Politico", könne bei bestimmten Bevölkerungsgruppen politische Meinungen beeinflussen.
Ein generelles Problem von Wahlwerbung besteht allerdings darin, dass politische Präferenzen in Wählergruppen über lange Zeit stabil sind. Wähler einer Partei abzuwerben und für ein neues Lager zu gewinnen, ist mit hohem Aufwand verbunden. Deutlich ist, dass das "Lincoln Project" eine signifikante Resonanz im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf erzeugt hat. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass sich daraus eine signifikante Verschiebung von Wählerstimmen ergeben wird.
Dr. habil. Thomas Schuster, ehem. Berater bei Roland Berger und ehem. Autor der Frankfurter Allgemeine ist Hochschullehrer für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seine Bücher "Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit" und "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen" sind bei S. Fischer und im Rowohlt Verlag erschienen.
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