Wieviel Freiheit bleibt nach Corona?
Der Mangel an Perspektiven und Kritik von links: Wie Bedenken gegen Digitalzwang und Überwachungsinstrumente sich in Luft auflösen. Ein Debattenbeitrag
Grundsätzlich ist das bewusste Schüren von Angst seit jeher die stärkste Antriebsfeder jeglicher Propaganda und ermöglicht nie gekannte gesellschaftliche Umstrukturierungen. Diese ziehen oft eine enorme Macht- und Kapitalverteilung von der Masse, also von unten, hin zu einer kleinen selbsternannten Elite aus Wirtschaft und Politik nach sich.
Zugleich scheint in vielen sozialen Milieus der Fokus auf die wirtschaftlichen Folgen und die Konsequenzen für die persönliche Freiheit der seit fast 1,5 Jahren andauernden massiven Eingriffe des Staates, dieses "kältetesten aller Kalten Ungeheuer" (Friedrich Nietzsche), wegen des ausschließlichen Blickes auf Covid-19 deutlich getrübt zu sein.
Gerade von "links" wird teilweise alles mitgetragen oder es werden gar noch härtere Maßnahmen gefordert. ("ZeroCovid"; "NoCovid"). Der kürzlich von Emmanuel Macron in Frankreich eingeleitete Zivilisationsbruch im sogenannten "Wertewesten" und sein Regieren in Erlassform scheinen weder bei der taz noch im Neuen Deutschland jemanden zu stören, ganz im Gegenteil.
Die Frage "Wem nützt es?" war gestern
Während die Inzidenzen schon beinahe gegen Null gingen und inzwischen auch wegen des Impffortschritts als Kriterium infrage gestellt werden, haben bislang etwa eine Million Solo-Selbstständige und Mittelständler ihre Jobs verloren, die Verschleppung der Insolvenzen ("Zombiefirmen") macht sich spürbar bemerkbar und die Innenstädte sind teilweise kaum noch wiederzuerkennen.
Seit Januar 2021 beschleunigt sich die Inflation von Monat zu Monat, allein im Mai lag sie bei offiziell 2,5 Prozent und im Juni bei 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Gleichzeitig geht das monströse Gelddrucken der Zentralbanken weiter - die Geldmengenausweitung zeigt Parallelen zu den ersten Jahren der Weimarer Republik, der Staat schafft Rekordschulden, die vor allem den Mittelstand, sozial schwache Milieus und zukünftige Generationen enorm belasten werden - dabei hat Deutschland bereits die höchsten Strompreise und Steuern weltweit und die ausufernde Staatsquote befindet sich ebenfalls auf Allzeithoch.
Während die großen globalen Player aus den Bereichen Big Tech (Amazon), Big Pharma (Pfizer/BionTech) sowie Big Money (BlackRock) während der Krise Rekordgewinne erzielen und diese einzusetzen wissen, ist der finanzielle Spielraum des Mittelstands und der "Arbeiterklasse" deutlich geringer geworden. Parallel sind in Afrika und Südamerika viele Millionen Menschen durch die Lockdowns in absolute Armut gerutscht, zerschlagene Lieferketten haben die Versorgung mit Medikamenten erheblich gestört - dabei ist gerade in Afrika die Bevölkerung durch die niedrigere Altersstruktur deutlich weniger anfällig für schwere Verläufe mit Covid-19 als das von "alten weißen Männern" regierte Europa oder Nordamerika.
Doch die Staaten des globalen Südens hängen bekanntlich am Geldtropf des Nordens und spielen brav mit - Neokolonialismus at it’s "best" - doch das alles scheint durch "neulinke" Scheuklappen verdeckt zu sein.
Bargeld auf dem Rückzug und "Sozialpunktesystem" als Szenario
Ob ein digitales Grundeinkommen, wie es viele "Linke" fordern, die Lösung des Problems sein wird, darf bezweifelt werden. Erst recht, wenn man einen Blick auf China wirft, wo bereits fleißig mit den E-Yuan experimentiert wird. Nicht nur dort befindet sich das Bargeld auf den Rückzug, sondern auch die EZB will fortan auf den digitalen Euro setzen, der spätestens 2026 kommen soll.
Dazu betreibt die "Better-than-Cash-Alliance" (mit dabei sind die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung, Mastercard, Visa) einen aggressiven Feldzug gegen Münzen und Scheine und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis man diese nur noch im Museum begutachten kann - so weit, so schlecht. Denn zum einen hätte der Staat dann die absolute Kontrolle über das Konsum- und Mobilitätsverhalten seiner Bürger und zum anderen würden privatwirtschaftliche Konzerne, welche notwendigerweise die Infrastruktur dazu stellen - jede Menge zusätzlicher Daten abgreifen.
Gibt es nur noch ein digitales Konto für jeden - dann kann wie beim chinesischen Social-Credit-System unerwünschte Opposition im Handumdrehen zum Schweigen gebracht werden - so gibt es beispielsweise keine Flug- oder Bahntickets mehr oder bestimmte Produkte können nicht mehr erworben werden.
Dass es sich dabei um keine "Verschwörungsideologie" handelt zeigt der Blick auf die Realität: So stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung vor kurzem in einer Studie sechs mögliche Zukunftsszenarien vor: Beim "Bonus-System (Sozialpunktesystem)" geht es nicht mehr um Leistung oder Qualifikation, sondern ein geringer "CO2-Fußabdruck" oder Organspendenachweise begünstigen den Erwerb von Studienplätzen oder Jobs - die "richtige" Haltung wäre also entscheidend.
Die Frage stellt sich, wer diese festlegt - und auf welche Art und Weise, mit welchen "Maßnahmen" - oder anders ausgedrückt: Totalitäre Überwachungssysteme kennen im digitalen 21. Jahrhundert keine Grenzen mehr. Doch die Vorstellung, dass diese - fast immer im Sinne herrschender Machtstrukturen und der Akkumulation von Kapital - umgesetzt werden oder überhaupt technisch möglich sind, ist bei vielen Menschen kaum vorhanden, sei es aus Naivität oder aus Bequemlichkeit.
Foucault, Fromm, Reich, Adorno - offenbar alle vergessen
Dabei hätte die Linke durchaus das Instrumentarium die höchst freiheitsgefährdende aktuelle Situation zu analysieren - und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Infolge der von der WHO festgestellten Pandemie zeichnen sich immer deutlicher passive und autoritäre Charakterausprägungen ab: Zum einen die Devoten, die sich hinter der Maske auch von der psychischen Last von Covid-19 befreit fühlen - erst recht, wenn Autoritäten, wie "Experten" und Politiker sie dazu "anweisen"- und sie nicht selbst entscheiden müssen.
Im Zweifelsfall können dieselben Personen aber auch autoritäre Züge entwickeln, indem sie Nicht-Maskenträger denunzieren oder direkt angreifen - dabei spielt es offenbar keine Rolle, ob ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht vorliegt. Denn für die vermeintliche Solidarität der "Schicksalsgemeinschaft", auf die sich unter anderem Kanzlerin Angela Merkel beruft, müsse jeder zurückstecken.
Das Patientengeheimnis wird anrüchig
Gleiches gilt für Quarantäne-Anweisungen und Impfungen - zumal sich inzwischen jeder verdächtig macht, der sich auf das Patientengeheimnis beruft und weder im Smalltalk zu seinem Gesundheitszustand noch zu seinem Impfstatus Auskunft geben möchte. Hier zeigt sich das von Michel Foucault imaginierte Panoptikum - ein geschickt angeordneter Überwachungsapparat, der die Machtverhältnisse automatisiert und das Individuum durch die angeordnete "Gleichheit" - die freilich stärker für ÖPNV-Nutzer als für den Mercedes-Fahrer gilt, entpersonalisiert.
Der autoritäre Typ "erblüht" besonders dann, wenn er davon ausgehen kann "Masse und Macht" (Elias Canetti) hinter sich zu wissen, denn was die vermeintliche Mehrheit will, ist für viele Menschen in einer religiös entzauberten, entwurzelten, wert(e)losen Welt ein vermeintlich sicherer Orientierungsstrang. Zum Hamsterrad aus Arbeit - dank "Digitalisierung" am besten rund um die Uhr von überall aus, den "bürokratischen Anstaltsstaat" (Max Weber) und dauermedialer intellektueller Abstumpfung gesellte sich "Corona" offenbar genau zur richtigen Zeit.
Erich Fromm sah die Freiheit des Individuums und das Streben nach sozialer Gerechtigkeit als unverrückbare Conditio Humana. Viele Menschen seien dieser Freiheit - damals wie heute - jedoch nicht gewachsen und generierten durch autoritäre Erziehung einen "Sozialcharakter", der sich stets an bestehende Machtstrukturen und Gehorsam orientiert ist - ohne jemals auf die Idee zu kommen, diese auch nur ansatzweise zu hinterfragen.
Fromm beschreibt diese Entwicklung in seinem Buch "Escape from Freedom": Dabei entwickeln viele so erzogenen, autoritäre Charaktere eine regelrechte Angst vor der Freiheit. Der bei Fromm aufgezeigte psychologische "Konformismus" duldet keine anderen Meinungen oder Haltungen als die vorgegebenen. Fromm typisiert die Unterwürfigkeit gegenüber Amts- oder generell Autoritätspersonen, manchmal kombiniert mit Destruktivität und Zerstörungslust gegenüber "Abweichlern", der Überhöhung der eigenen sowie stark ausgeprägten Opportunismus.
Auch Wilhelm Reichs psychoanalytisch-gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus ("Massenpsychologie des Faschismus" 1933) sowie 1950 Adorno et al: "The Authoritarian Personality" zeigen ähnliche Ergebnisse - die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Um noch einmal auf Foucault zurückzukommen: Er verstand in der Untersuchung von Herrschaftsdiskursen "Biomacht" oder "Biopolitik" als eine staatliche oder von anderen interessierten Akteuren angestrebte Kontrolle und Regulierung des Gesundheitszustands der gesamten Bevölkerung. Die aktuellen weltweiten Massenimpfungen gegen Covid-19 - ob sinnhaft oder nicht sei an dieser Stelle dahingestellt - eingefordert von "Autoritäten" wie Bill Gates in einem Neun-Minuten-Interview am Ostsonntag 2020 in der Tagesschau, oder Angela Merkel bei der finalen Befragung der Bundesregierung am 24. Juni dieses Jahres fallen definitiv in diese Kategorie.
Doch auch in jüngster Zeit warnten Autoren wie Harald Welzer vor der "Smarten Diktatur" (2016) und Shoshana Zuboff vor dem "Überwachungskapitalismus" (2019). Es schaudert ein wenig, wie aktuelle Entwicklungen von der "Corona-App" bis zum "digitalen Impfausweis" oder der permanenten Verlängerung des Ausnahmezustands in ähnlicher Form vorausgesagt wurden.
Die Analyse-Instrumente für die Corona-Krise liegen also auf dem Tisch. Die Frage ist nur, wie wichtig der Linken überhaupt die Freiheit (noch) ist - oder ob sie sich in der Rolle, noch autoritärer als der von Lobbyisten großer Konzerne durchseuchte "starke Staat" sein zu wollen, behaglich eingerichtet hat.