Wilhelm Webers Geistesblitz
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Die Entdeckung elektromagnetischer Wellen ist eine bemerkenswerte Errungenschaft der Menschheit. Noch heute könnte die Physik aus Webers Methode lernen
Die Nutzung der Elektrizität und die Erzeugung elektromagnetischer Wellen haben vielleicht mehr als alles andere zur modernen Zivilisation beigetragen. Newtons Mechanik und die damit beginnende Blüte der Naturwissenschaften hatten ideengeschichtlich die Entdeckung der Elektrizität ermöglicht, deren Auswirkungen reichen jedoch heute weit über die Mechanik hinaus.
Oft liest man, die von James Clerk Maxwell gefundenen Gleichungen der Elektrodynamik würden die Existenz elektromagnetischer Wellen "vorhersagen", welche schließlich von Heinrich Hertz 1888 nachgewiesen wurden. Historisch ist dies recht ungenau und verkürzt; insbesondere wird dabei ignoriert, auf welche Weise die entscheidenden Gedankengänge zustande kamen.
Bereits vor Maxwell hatte der aus Wittenberg stammende Physiker Wilhelm Eduard Weber (1804-1891) eine vollständige, wenn auch von der Maxwellschen leicht verschiedene Theorie der Elektrodynamik entwickelt. Die experimentellen Unterschiede sind sehr schwierig festzustellen, und es ist schon bemerkenswert, dass Webers Theorie heutzutage fast komplett ignoriert wird.
Bezug zur Lichtgeschwindigkeit
Unabhängig von Prioritätsfragen liegt Webers entscheidendes Verdienst darin, zusammen mit dem Experimentator Rudolf Kohlrausch den Zusammenhang der elektrischen und magnetischen Konstanten einerseits und der Lichtgeschwindigkeit andererseits hergestellt zu haben. Es war eine epochale Leistung, allein aus Laborexperimenten den Wert der Lichtgeschwindigkeit c zu bestimmen. Weber und Kohlrausch gelang dies 1854 zum ersten Mal, obwohl sie die Lichtgeschwindigkeit nicht sofort identifizierten.
All dies wäre jedoch nicht denkbar gewesen ohne Webers theoretisches Verständnis. Was heute selbstverständlich klingt, darauf musste man jedoch erst einmal kommen: Es gab zwei Naturkonstanten, welche die jeweilige Stärke von Elektrizität und Magnetismus ausdrückten, und Weber erkannte, dass sich aus dem Verhältnis der beiden eine Geschwindigkeit ergab. Erst dies erlaubte, den Elektromagnetismus überhaupt mit der Lichtgeschwindigkeit in Verbindung zu bringen und führte zu der Vereinigung von Elektromagnetismus und Optik, die man als folgenreichste Errungenschaft unserer Zivilisation bezeichnen kann. In heute üblicher Schreibweise drückt sie sich in der einfachen Formel
ε μ = 1 / c2
welche die elektrische und magnetische Konstante ε und μ mit der Lichtgeschwindigkeit c verbinden. Maxwell formulierte später die gesamte Theorie in sehr eleganter Weise, dieser entscheidende Beitrag kam jedoch von Weber. Schließlich wurden die sich so aus den Maxwellschen Gleichungen ergebenden Wellenlösungen von Heinrich Hertz 1888 experimentell nachgewiesen. Durch dies, und durch die Tatsache, dass Webers Geschwindigkeit mit der erstmals 1676 gemessen Lichtgeschwindigkeit übereinstimmte, war klar, dass Licht nur ein Teilbereich des elektromagnetischen Spektrums war.
In den Einheiten liegt der Sinn der Naturkonstanten
Was kann man aus heutiger Perspektive daraus lernen? Weber war offenbar zu seiner Einsicht gekommen, in dem er die Einheiten der Naturkonstanten betrachtete und feststellte, dass sich durch eine spezielle Kombination eine Geschwindigkeit in Metern pro Sekunde ergab, welche er als "diejenige relative Geschwindigkeit, welche zwei elektrische Massen haben müssten, um nach dem Grundgesetze keine Wirkung mehr aufeinander auszuüben" interpretierte.
Diese Methode der Betrachtung der physikalischen Einheiten, nach einem Buch des Nobelpreisträgers Percy William Bridgeman auch Dimensionsanalyse genannt, ist in der heutigen Physik völlig aus der Mode gekommen. Mitunter wird behauptet, dass "fundamentale" Naturkonstanten stets dimensionslos, das heißt, frei von Einheiten sein müssten. Wäre dem so, hätte Weber den Zusammenhang nie entdeckt.
Natürlich ist der Zahlenwert von Naturkonstanten wie der Lichtgeschwindigkeit willkürlich, weil Meter und Sekunde willkürlich definiert sind. Trotzdem ist die Lichtgeschwindigkeit eine fundamentale quantitative Eigenschaft der Natur, die durch die Einheiten von Länge und Zeit konkretisiert wird. Die heute oft anzutreffende Praxis, zur Erleichterung von Rechnungen verschiedene Naturkonstanten gleich 1 zu setzen (weil die Einheiten vermeintlich unwichtig seien), macht letztlich blind für Entdeckungen vom Schlage Wilhelm Webers.