Wilhelm Webers Geistesblitz

Seite 2: Naturkonstanten und wissenschaftliche Revolutionen

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Vor allem aber ist die Betrachtung der Naturkonstanten und ihrer Einheiten, wie von Weber vorgenommen, der Königsweg um die Bedeutung von revolutionären Fortschritten in der Naturwissenschaft zu würdigen. Die obige Formel mit μ, ε und c ist deshalb epochal, weil sie drei Naturkonstanten in einer Gleichung verbindet und damit eine Konstante überflüssig macht. Die meisten Durchbrüche in der Wissenschaftsgeschichte lassen sich auf eine Gleichung reduzieren, die die Anzahl der bis dahin bekannten Naturkonstanten reduziert. So verbindet etwa Newtons Gravitationsgesetz

g = G * m / r2

die lokale Erdbeschleunigung g mit dem Erdradius r, der Erdmasse m und der Gravitationskonstante G. Damit war seine visionäre Idee der Vereinigung von himmlischer und irdischer Gravitation vollendet und eine Naturkonstante g überflüssig gemacht (zu seiner Zeit war nur das Produkt Gm bekannt). Fundamentale Fortschritte kennzeichnen sich dadurch, dass Naturkonstanten, die jede für sich ein ungelöstes Rätsel darstellt, durch neue Gleichungen überflüssig gemacht werden.

Stoff zum Nachdenken

Es ist daher kennzeichnend für den Zustand der modernen Theoretischen Physik, dass in den letzten hundert Jahren die Anzahl der Naturkonstanten nicht durch Erklärungen weniger wurde, sondern durch die Beschreibung moderner Experimente sogar zunahm. Auf lange Sicht betrachtet, kann dies kein Fortschritt sein. Dabei böte das derzeitige System durchaus noch Stoff zum Nachdenken.

In analoger Weise zu Newton hat etwa Erwin Schrödinger 1925 vorgeschlagen, die Gravitationskonstante G selbst in einer Gleichung durch die Massenverteilung des Universums auszudrücken. Vereinfacht würde dann gelten

G = c2 * R / M

wobei die Ausdehnung des Universums R und die darin enthaltene Masse M vorkommt, aber auch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c.

Wilhelm Weber hätte sicher sein Freude an dieser Idee gehabt. Er gehört zu den großen Denkern der Menschheitsgeschichte und mag seine Geburtsstadt Wittenberg als Inspiration empfunden haben, die 2017 das fünfhundertjährige Jubiläum der Reformation feiert. Nicht unpassend lautet das Motto dazu: "Reformation heißt die Welt zu hinterfragen".

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Vom Urknall zum Durchknall" wurde 2010 von "Bild der Wissenschaft" als Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet. In seiner Kolumne "Hinterfragt" bei Telepolis greift er mit einem kritischen Blick Themen rund um die Physik auf.