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Will die EU Flüchtlinge aus ganz Europa nach Griechenland senden?

Bild: Wassilis Aswestopoulos

In Athen rechnet man mit einem Scheitern des Türkei-Deals und einer Vielzahl von neuen Flüchtlingen

Der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei wird immer mehr in Frage gestellt. In Griechenland rechnen daher viele Experten und Bürger mit einem rasanten Anstieg von Flüchtlingszahlen zum Jahresende. Bis dahin hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Ultimatum gestellt. Wenn er bis Jahresende keine Visafreiheit für die Türken erhalte, möchte er vermehrt Flüchtlinge nach Europa schicken, hat er mehrmals angekündigt.

Gleichzeitig konzentriert sich die EU auf eine Wiederherstellung der Dublin II-Regeln, womit die übrigen EU-Staaten Flüchtlinge und Migranten, die über Griechenland - oder Italien - ins Land kamen, wieder zurückschicken können [1]. Schließlich besagt die Theorie der Abschreckung, dass sich die Unpassierbarkeit Griechenlands für Flüchtlinge so weit herumgesprochen hat, dass diese nicht nach Griechenland kommen würden, selbst wenn der EU-Türkei Deal kippen würde.

Tausende verschwunden

Dass Griechenland für die meisten der Flüchtlinge eine vorläufige Endstation ist, trifft weitgehend zu. Allerdings sind Tausende von ihnen schlicht verschwunden. Das Wall Street Journal spricht von 13.000 Flüchtlingen und Migranten in Griechenland, deren Verbleib nicht geklärt ist.

Diese Angaben werden von der griechischen Presse, ohne Zweifel anzumelden, übernommen [2] - zumal das Studium der seit März täglich von der Regierungskoordinationsstelle für das Flüchtlingsproblem gesandten Zählungen teilweise kaum erklärbare Fluktuationen darlegt.

Tatsächlich sollen bis zu 5.000 Menschen von den eigentlich hermetisch abgeriegelten Hotspots auf den griechischen Grenzinseln aufs Festland gelangt sein. Von dort können sie weiter nach Europa gelangt sein, wie Polizisten aus den Grenzregionen in privaten Gesprächen bestätigen.

Verbesserung der Lage in Griechenland?

Die Einstellung der eigentlich nach dem Dublin II-Abkommen gebotenen Rückabschiebungen von Flüchtlingen oder Migranten, die über Griechenland in andere Staaten der EU gelangt sind, trat in Kraft, nachdem die seinerzeit untragbaren Zustände für die Schutzsuchenden im finanziell angeschlagenen Mittelmeerstaat dies geboten. Nach Ansicht der EU-Kommission, welche die Aussetzung des Dublin II-Abkommens im März 2017 beenden will, hat sich dies nun geändert.

Flüchtlingshilfsorganisationen, das UNHCR und jeder Beobachter der Lage der Flüchtlinge im Land widersprechen dieser Feststellung. Außer den immer wieder brennenden Lagern auf den griechischen Inseln und der eher unzureichenden Unterbringung der Menschen in Lagern auf dem Festland gibt es zudem das Problem, dass unter Straftatverdacht stehende Flüchtlinge mangels alternativer Unterbringungsmöglichkeit in Kerkern auf Polizeiwachen, ohne jeglichen Zugang zu sanitären Anlagen, landen [3].

Abschreckende Wirkung der geschlossenen Grenzen?

Die absoluten Zahlen der Neuankömmlinge auf den griechischen Inseln sind im März 2016 nach Inkrafttreten des Paktes mit der Türkei tatsächlich zunächst stark zurückgegangen. Seit dem missglückten Putsch gegen Erdogan und seit der Weigerung der EU, den Türken wie vereinbart die Visafreiheit zu gewähren, kam es zu einem erneuten Anstieg.

Während die Zahlen der Neuankömmlinge im Jahr 2015 im Tausenderbereich lagen, waren sie vom März bis Juli auf täglich zweistellige Zahlen gesunken. Mittlerweite sind sie wieder dreistellig.

Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch auch die ethnische Zusammensetzung der ankommenden Gruppen. So kamen am Sonntag bei kalten Winterwetter und schwierigem Seegang insgesamt 124 Personen auf den griechischen Inseln an.

Davon stammten 54 aus dem Kongo, zwölf aus Kamerun, neun aus Eritrea, sieben aus Äthiopien, fünf aus Angola, vier aus Sierra Leone, jeweils drei aus Algerien, Ghana, Guinea und Mali, und jeweils eine Person aus Nigeria, Sudan, Elfenbeinküste, Gambia, Jamaika und der Türkei. Dem allgemein üblichen Flüchtlingsprofil von 2015 entsprachen dagegen nur dreizehn Personen, zehn Iraker, zwei Syrer und ein Afghane.

Es sieht somit nicht danach aus, als ob Griechenland als Durchgangsstation nach Europa seine Attraktivität verloren hat.

Wie steht es um griechische Asylverfahren?

Bei den Asylverfahren, einem weiteren wichtigen Faktor für die Gültigkeit der Dublin II-Vereinbarung, hinkt Griechenland immer noch hinter den europäischen Standards zurück. Es gibt wohl kein markanteres Beispiel als den Fall der acht türkischen Hubschrauberflüchtlinge. Die Militärangehörigen waren direkt nach dem missglückten Putsch gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan per Hubschrauber über die Grenze geflogen. Sie hatten die Flugaufzeichnung vernichtet und baten um Asyl.

Während auch in Deutschland den politischen Gegnern Erdogans angesichts dessen autokratischer Züge Asyl gewährt wird, wurde es den türkischen Militärs in Griechenland in erster Instanz verweigert. Erdogan betont bei jeder Gelegenheit, dass die Auslieferung der fahnenflüchtigen Militärs für die griechisch-türkischen Beziehungen von essentieller Bedeutung ist [4].

Ein Gericht verweigerte die Auslieferung für die ersten drei von ihnen [5]. Die nächsten drei hatten bei einem weiteren Verfahren Pech, sie wurden zur Abschiebung verurteilt [6]. Die letzten zwei hatten dagegen Glück, auch für sie entschied ein Richter, dass sie nicht abgeschoben werden dürfen [7].

In allen drei Verfahren wird es eine Revision geben. Das aus Gründen der nationalen Sicherheit im Expressverfahren geführte Procedere um das Asyl der Hubschrauberflüchtlinge geht somit an den Areopag, das höchste zuständige Gericht. Wie soll Griechenland dann erst mit der übrigen Anzahl der momentan ausstehenden knapp 63.000 Verfahren und denen, die dann aus der übrigen EU dazu kommen, fertig werden?


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3567129

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-eu-kommission-will-asylbewerber-wieder-nach-griechenland-abschieben-a-1125041.html
[2] http://www.protothema.gr/greece/article/634986/wsj-hathikan-13000-prosfuges-apo-horous-filoxenias-stin-ellada/
[3] http://www.gcr.gr/index.php/en/news/press-releases-announcements/item/617-to-elliniko-symvoylio-gia-tous-prosfyges-kataggellei-apanthropes-kai-ekseftelistikes-synthikes-kratisis-stin-astynomiki-dieythynsi-samou
[4] http://www.iefimerida.gr/news/306193/ekprosopos-erntogan-i-ekdosi-ton-8-axiomatikon-einai-anagkaia-gia-tis-ellino-toyrkikes
[5] http://www.protagon.gr/protagon_brief/44341292066?pp=0&pr=44341292066
[6] http://www.iefimerida.gr/news/305677/ekdidontai-stin-toyrkia-3-apo-toys-8-stratiotikoys-poy-eihan-erthei-stin-ellada-meta
[7] http://www.iefimerida.gr/news/306145/na-min-ekdothoyn-oi-dyo-toyrkoi-axiomatikoi-apofasise-symvoylio-efeton