Willkommen im Daft Club!

Das französische Pop-Duo Daft Punk liefert mediale Rundumbetreuung für die gestrandete Wirtschaftskulturelite

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Daft Punks "Discovery"-Projekt (2001) reaktiviert die Ästhetik der 80er aufs Neue. Der Gadget-Fetischismus der Handheld-Generation mit ihrer Schwäche für poppig-technoides Gehäuse-Design und die bunte VR-Grafikwelt des Hackerhelden in "Tron". Alle, die damals Teenager waren, dürfen sich nun in Retro-Fantasien baden. Aber auch arbeitslose IT-Manager! Sie können es sich im Daft Club bequem machen. Doch was hat das noch mit Punk zu tun?

Willkommen im Daft Club!

Als Punk Ende der 70er an seiner eigenen Kommerzialisierung erstickte, haben Cyberpunks dessen ideologische Claims zukunftstauglich gemacht, indem sie ihre Einstellung zum System am neuen Klassenfeind ausrichteten. Wie auch in den Romanen des gleichnamigen Literaturgenres, sah sich diese Computer-Subkultur zu Beginn der 80er High-Tech-Konzernen gegenüber, die eine virtuelle und atopische Elite schufen, während der Rest der Welt in einem meist dystopisch imaginierten Endzeitszenario von dem Zugang zum immateriellen Datentransfer abgeschnitten blieb und somit machtlos. Aus dieser Situation heraus entwickelten sie eine technologische Vision, die sich erstaunlicherweise aus der Londoner Punk-Bewegung der 78er ableiten läßt.

Denn gegen eine Hierarchie im Gerätepark zu sein, hieß damals einer Fetischisierung der Aufnahmetechnologie entgegenzuwirken, indem man - selbstredend im Do-It-Yourself-Verfahren - Tonträger auf beliebigen bzw. provokativ trashigen Geräten produzierte. Was heute am Beispiel diverser Musiktauschbörsen im Internet als Filesharing dämonisiert wird, ließ damals unabhängig und dezentral organisierte Labels auf die Barrikaden steigen und Slogans wie "Home taping is killing the music industry, keep up the good work!" auf die Platten kleben.

Die minimale Modifikation der ursprünglich von den Musikkonzernen kommunizierten Warnung "Home taping is killing music" deutete bereits die Strategie der Emulation an, derer sich Cyberpunks zukünftig bedienen sollten. Denn Voraussetzung für die Anti-System-Haltung der auch als Phreak, Cracker, Hacker und Cypher-punk apostrophierten Subkulturtype war eine innige Kenntnis desselben. Besonders erwähnenswert ist ihr Treiben auf den Schrott- und Marktplätzen des Geräteparks. Wie in Steven Levys Buch Hackers beschrieben, kaperten sie (tote) Hardware, meist Spielecomputer, erweckten sie zu neuem Leben und begannen ihre Performance weit über das Maß, das ihre Entwickler vorgesehen hatten, auszureizen.

Als Spielehacker entlockten sie der Hardware nicht nur ungeahnte Spezialeffekte, sie ergründeten auch ihre Geheimnisse und schafften es somit meist gegen den Widerstand der entsprechenden Hersteller, die alles daran setzten, die Spezifikationen ihrer Maschinen geheim zu halten, eigene Software für diese Systeme zu entwickeln. In der Hochphase dieser als Brotherhood bekannten Hacker-Bewegung, die zum Beispiel im Retro-Gaming der Vectrex-Community ihren Widerläufer hatte, ließ man Informationen frei fließen, half sich gegenseitig und tauschte Code. Die geforderte Demokratisierung der Technologie im allgemeinen tauchte später im Internet-Kontext unter dem Slogan "Zugang für alle!" auf und wurde auch auf Daft Punks "Homework" (1996) wieder aufgegriffen. Der archaische House-Minimalismus des Pariser Duos sollte auf jeder Anlage gleich gut zur Geltung kommen.

Daft Punk 1996

Fünf Jahre später relokalisiert "Discovery" das Wirkungsfeld der französischen Künstler im Internet: Jeder CD ihres neuen Albums liegt in der Form einer Kreditkarte ein Mitgliedsausweis bei, der KäuferInnen ermöglicht, dem Daft Club beizutreten. Dafür muß der Daft Player geladen werden, ein enorm schickes Ding, im spacigen 80er Jahre Design versteht sich. Begrüßt wird man mit der "Ouverture": Die Modemgeräusche klingen knusprig-präzise und sexy, die androgynen Astro-Vocals sind angenehm und der mit gedämpft-traurigen Keyboard-Arrangements untermalte Beat ist mild. Man kommt in Stimmung, taucht langsam ein. Doch ist alles nach zwei Minuten und 42 Sekunden auch schon wieder vorbei. "Ouverture" ist vorläufig der einzige Bonus-Snack im Daft Club. Und alles, was einem übrig bleibt, ist die Option, den Track in die Endlos-Schlaufe zu stellen. Was gar nicht so schlecht ist. Nette Hintergrundmusik beim Teleworkout.

In der Zwischenzeit geben Daft Punk Interviews im Musikfernsehen, führen dabei ihre Kostümidee spazieren (in dieser Saison tragen sie nicht transparente Plastikmasken, diesmal verhüllen sie ihre Geischter mit Designer-Cyborghelmen), zeigen, dass man auch über robotisierte Displays kommunizieren kann und plaudern mit maschinell verfremdeten Stimmen über den Daft Club, ihre Medienphilosophie und das Internet. Und wenn man ihnen zuhört, meint man die Napster-Macher reden über die Freiheit im Netz und die auf einer Tausch-Ökonomie sich gründende Gemeinschaft all jener, die das globale Dorf bewohnen. Eine heile Welt, denkt man, wenn man ihnen so zuhört.

Wer jedoch versucht, seine Freunde in den Daft Club mitzunehmen, wird schnell eines Besseren belehrt. Zugang zum Club und damit zu einer versprochenen Oase an Daft-Punk-Extras (es soll sich dabei hauptsächlich um neue, kostenlose Tracks und Mixes handeln) haben nur Mitglieder. Also jene, die im Besitz besagter Daft Card sind und damit Besitzer einer sechzehnstelligen Nummer, dem member personal access code. Der gnadenlose Türsteher hat aber auch noch andere Selektions-Kriterien (u.a. braucht man die Internet Explorer Version 4.01. oder später). Freilich kann man darauf hoffen, sich mit ein bisschen Glück reinzuschummeln, doch wer hier losgelöstes Rumbasteln im Open-Source-Modus erwartet, ist definitiv an der falschen Adresse. Im weiten Feld der Multimedia-Kunst handelt es sich um eine Art Robinson Club, eine exklusive Insel, auf der man sich in der Liegehaltung auf sinnliche Entdeckungsreise begeben kann. Was hat das noch mit Punk zu tun?

Corporate Punks in der Identitätskrise

"It's the groove that keeps us making culture and cash," würde Gramazio, Präsident der etoy.CORPORATION, vielleicht darauf antworten. Das wäre Punk als fiktiver Filter einer Wirtschaftskultur, die das Internet in den letzten Jahren zum exklusiven Club umgestalten wollte. Ein Club, in dem auch Distinktion und kulturelle Differenz von enormer Wichtigkeit sind. Davon zeugen all jene, die ihren Enthusiasmus angesichts der jüngsten Rückschläge am Neuen Markt nicht abgelegt haben und ihre Erwerbslosigkeit auf munteren Arbeitslosenparties feiern. Die Rückkehr der Slacker im Schatten der Dot.com-Krise lässt den Klassenkampf auf den Straßen zum Budenzauber werden: Wem es gelingt, das Scheitern cooler als die anderen zu inszenieren, geht als Gewinner hervor.

Diese haarsträubenden Rückwirkungen lassen sich darauf zurückführen, dass bei der korporativen Version einer vergangenen Jugendkultur wie Punk die Fiktionalisierung der Arbeiterklasse gelingen konnte, die, wie die meisten Reliquien des Industriezeitalters, bestenfalls als romantisiertes Icon einer vergangenen Ära auf Internationalen Bauausstellungen oder in Themenparks inszeniert wird und im Rahmen der neuen Wirtschaft eine ziemlich beklemmende Wiedergeburt erfahren hat.

Das Proletarische nahm im Modell des Corporate Punk einen zentralen Platz ein, weil in den beruflichen Hierarchien der E-Speed-Wirtschaft nicht nur unten, sondern auch oben enorme soziale Unsicherheit herrschte. Gefährlich zu leben, konnte jedoch nur durch die Fiktion, gefährlich zu sein, kompensiert werden. Man selbst war Teil einer Gefahr, die naturkatastrophengleich Umwelzungen verursacht, dabei aber stets kulturell kodiert bleibt. Mit einem abstrakten Motiv, das irgendwie nach radikaler Kontingenz aussah, warnte zum Beispiel eine Schweizer E-commerce-Firma in Anzeigen vor sich selbst: Wie bei einer revolutionären Band seien Chaos, Randale und Massenhysterie zu erwarten: "Eltern, bringt Eure Kinder in Sicherheit!" Ein US-amerikanisches Unternehmen dagegen adoptierte Filmplakate aus dem Katastrophen-Genre für die eigene Werbestrategie und inszenierte sich darin selbstironisch ebenfalls als Bedrohung, wahlweise als Weißer Hai oder als Meteorit.

Jetzt, da die Katastrophe für mehr als 50 000 Arbeitskräfte, die seit dem letzten Jahr in der US-amerikanischen Dot.Com-Branche auf der Strecke blieben, und den Anzeigenmarkt perfekt ist - ausrichten können sie vorerst nichts mehr -, stellt sich tatsächlich die Frage, ob es für die Arbeits- und Perspektivlosen noch eine andere Möglichkeit gibt, als erneut in die Zeitmaschine zu steigen, die Ausbildung vom Cyberpunk zum Hacker zu laden und in den Infowar zu ziehen. Kurz: Augen zu und durch; abtauchen in eine verschollene Ära der Computerkultur, mit einem großen, gutlesbaren Schriftzug auf dem Schiffsrumpf: Entdeckung (dem Projekt-Titel des neuen Daft Punk Kapitels).