Willkommen in Deutschlands schöner neuer Wasserstoffwelt

Deutschland könnte bald schon Europas größter Importeur von Wasserstoff werden. Bild: Corporate Europe Observatory

Wasserstoff wird in Deutschland als "Wundergas" propagiert und gefördert. Eine neue Studie deckt die dreckigen Fakten hinter dem grünen Hype auf. Von Lobbys, indirekten Emissionen und Menschenrechtsverletzung.

Deutschland und die EU propagieren Wasserstoff seit Jahren als Kernstück einer klimaneutralen Wirtschaft. Er soll nicht nur in der Stahlproduktion, Schifffahrt oder dem Flugverkehr eingesetzt werden, sondern auch "technologieoffen" für den weiteren Betrieb von Verbrenner-Autos zur Verfügung stehen.

So hatte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erfolgreich auf EU-Ebene durchsetzen können, dass auch nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotoren, die mit synthetischen Kraftstoffen fahren, gebaut werden dürfen. Diese Kraftstoffe lassen sich mit elektrischer Energie produzieren, wenn durch Elektrolyse Wasserstoff hergestellt und mit CO2 zu Kohlenwasserstoffen verbunden wird.

Auch für Bundeskanzler Olaf Scholz ist Wasserstoff ein zentraler Baustein zukünftiger Energiepolitik. So sagte er in einer Rede:

Wasserstofftechnologien entscheiden über den Erfolg der Energiewende und damit über die gesamte Energiewende und damit die gesamte Transformation unserer Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität.

In einigen Medien wird Wasserstoff manchmal sogar das "grüne Wundergas" genannt. Doch diese Rhetorik ignoriert eine wichtige Tatsache: 99 Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs wird aus fossilen Brennstoffen hergestellt – dem größten Verursacher der Klimakrise. Unter anderem wird dieser sogenannte "graue" Wasserstoff zur Herstellung von Ammoniakdüngern und Chemikalien wie Methanol verwendet.

Die Wasserstoffproduktion war im Jahr 2021 für über 900 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Das ist deutlich mehr CO2, als die gesamte deutsche Wirtschaft im selben Jahr ausstieß.

Selbst wenn Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird, hat er viele Nachteile. Vor allem die hohen Umwandlungsverluste in der Produktion werden gegen den Energieträger vorgebracht. Zudem ist Wasserstoff ein indirektes Treibhausgas, das, wenn es entweicht, die atmosphärische Komposition verändert und damit die Lebenszeit sowie klimaschädigende Wirkung von Methan verlängert.

Auch wird argumentiert, dass der Wasserstoff-Hype notwendige strukturelle Maßnahmen wie Effizienzsteigerungen von Gebäuden, eine Agrarwende usw. herauszögere.

Daher warnen immer mehr Experten davor, dass eine auf Wasserstoff ausgerichtete Energiewirtschaft die Emissionen sogar noch erhöhen wird. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, hat beispielsweise erklärt, dass Wasserstoff "keine übergeordnete Rolle" bei der Lösung der Klimakrise spielen kann.

Eine neue Studie von "Corporate Europe Observatory" (CEO) mit Sitz in Brüssel hat nun untersucht, warum Wasserstoff in der deutschen Politik trotz all der Nachteile und Beschränkungen eine derart privilegierte Stellung einnimmt. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss:

Ein Teil der Antwort ist, dass es ein großes Geschäft ist. Die Dekarbonisierung stellt ein existenzielles Risiko für deutsche Konzerne dar, seien es Autohersteller, Flugzeugbauer oder Energieunternehmen. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bedeutet, dass ihre Pipelines, Kraftwerke, Flughäfen, Verbrennungsmotoren und so weiter zu "stranded assets" zu werden drohen, die wenig bis gar keinen Wert mehr haben. Für diese Industrien ist der Hype um Wasserstoff der Ausweg: Er schützt ihre umweltschädlichen Anlagen und verzögert sinnvolle Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft

Hinter Deutschlands Wasserstoff-Boom steht ein breites Netzwerk von Unternehmen, Industrieverbänden und Beratungsfirmen. Mehr als 100 deutsche Unternehmen wurden als wichtige Akteure entlang der Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff identifiziert. Viele von ihnen kommen aus der Industrie für fossile Brennstoffe und andere umweltschädliche Stoffe oder haben Verbindungen zu ihnen.

Laut CEO beschäftigt die deutsche Wasserstoffindustrie Hunderte von Lobbyisten und stellt Millionen von Euro bereit, um die deutsche Politik zu beeinflussen. Der Chemieriese BASF beispielsweise, ein großer Nutzer und Produzent von fossilem Wasserstoff, hatte 2021 ein Lobbybudget von 3,8 Millionen Euro und beschäftigt derzeit 24 Lobbyisten.

Neom in Saudi-Arabien: Der blutige Run auf Wasserstoff

Deutschlands größter Energielobbyverband BDEW, dessen Mitgliedsunternehmen für 90 Prozent des fossilen Gasabsatzes in Deutschland verantwortlich sind und die auf Wasserstoff setzen, um im Geschäft zu bleiben, hat 51 Lobbyisten und ein Lobbybudget von 7,1 Millionen Euro im Jahr 2021.

Eine solche Lobbymacht ermöglicht es der Wasserstoffindustrie, komplexe Regulierungsprozesse zu beeinflussen und sich Lobbytreffen mit wichtigen Entscheidungsträgern zu sichern.

Deutsche Regierungen, einschließlich der Ampel, haben sich zugleich immer wieder mit Vertretern der Gas-Lobby zusammengesetzt. So trafen sich von Dezember 2021 bis September 2022 hochrangige Regierungsbeamte durchschnittlich einmal pro Tag mit Gaslobbyisten wie die von RWE, Equinor, Wintershall Dea, Siemens Energy oder MAN Energy Solution (eine Tochtergesellschaft von Volkswagen, die Elektrolyseure und Motoren für Autos und Schiffe herstellt, die mit Wasserstoff betrieben werden sollen).

Auch haben die Lobbys an öffentlichen Finanzierungsprogrammen wie dem H2Global-Plan mitgearbeitet. Mit ihm stellt die deutsche Regierung vier Milliarden Euro an Förderung für Wasserstoffimporte nach Deutschland bereit. Gleichzeitig ist das Beratungsgremium der deutschen Regierung bezüglich Wasserstoff von Unternehmenslobbys dominiert.

Von den 25 Experten stammen 15 aus der Wirtschaft: darunter Unternehmen wie Linde, Open Grid Europa, Daimler Truck oder der Chemieproduzent Covestro. Einer ihrer größten Erfolge war es, dass nun auch "blauer Wasserstoff" genutzt und öffentlich subventioniert werden soll. Dementsprechende Projekte wie mit Norwegen oder den Vereinigten Arabischen Emiraten sind bereits geplant.

Bei blauem Wasserstoff wird Erdgas eingesetzt, wobei das dabei entstehende CO2 unter die Erde verpresst (Carbon Capture and Storage-Technik, CCS) werden soll. Diese Technik ist nicht vollständig emissionsfrei und wird kritisch gesehen, da CCS bisher nicht erprobt und sehr risikoreich ist sowie keine gesellschaftliche Akzeptanz besitzt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele Wasserstoff-Projekte im Globalen Süden umgesetzt werden, ohne die Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer angemessen zu berücksichtigen.

So spricht CEO davon, dass von Deutschland geförderte grüne Wasserstoffprojekte im Ausland "kolonialen Mustern" folge. Ressourcen würden angeeignet, während man negative Auswirkungen wie ökologische Schäden und Energieknappheit auf die armen Länder auslagere.

Konflikte um die Nutzung von Land und Wasser zeichneten sich bereits ab und könnten sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, befürchtet CEO. Auch gäbe es große Sorge, dass aufgrund von Megahäfen, Entsalzungsanlagen und Exportinfrastrukturen die Küstengebiete verschmutzt und Fischern die Lebensgrundlage genommen werden könnten.

Ein Beispiel für schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit grünen Wasserstoffprojekten ist die von Saudi-Arabien geplante Megastadt Neom. In ihr hat Thyssenkrupp einen riesigen Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff für den Export installiert. Stammesgemeinschaften wurden gewaltsam von ihrem Land vertrieben, um Platz für Neom zu schaffen. CEO stellt fest:

Mehrere Demonstrierende wurden wegen ihres Widerstands gegen die Vertreibung zum Tode verurteilt, und einer von ihnen wurde im April 2020 von Sicherheitskräften erschossen. Dennoch sollen im Rahmen der deutsch-saudi-arabischen Wasserstoffkooperation 2021 gemeinsame Projekte in Neom durchgeführt werden. Solche Kooperationen stützen und legitimieren autoritäre Regime im Namen der Nachhaltigkeit.

Bei vielen anderen Wasserstoffprojekten im Globalen Süden, oft in afrikanischen Ländern, würden über die Köpfe der dort lebenden Gemeinschaften hinweg die meist zentralisierten Mega-Projekte durchgesetzt. Deutschlands Wasserstoff-Hype habe daher nicht nur nationale, sondern europaweite, wenn nicht globale Konsequenzen, so CEO. Das Fazit der Studienautorinnen und -autoren:

Die deutsche Wasserstoffstrategie wird auch Auswirkungen auf globale Lieferketten und Handelswege haben. Während die Regierung stark in die heimische Produktion von grünem Wasserstoff investiert, plant sie, zwei Drittel ihres künftigen Bedarfs an diesem Gas durch Importe zu decken. In der Tat wird Deutschland mit einem geschätzten Anteil von 60 bis 70 Prozent am künftigen Gesamtbedarf der EU der größte Wasserstoffimporteur in Europa werden. Das erklärt, warum deutsche Politiker in den letzten Monaten rund um den Globus gereist sind, um Verträge mit potenziellen Exportländern zu unterzeichnen.

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