Rainer Doemen sagt: Windräder beanspruchen relativ wenig Fläche und sind keine Gefahr für Vogelarten. Doch die Windkraft-Mythenmacher schüren Ängste, während die Regierung nur zögerlich die Energiewende-Bremse löst. (Teil 1)
Im Telepolis-Interview erklärt Energieexperte Rainer Doemen vom Runden Tisch Erneuerbare Energien, warum wir keine Angst vor Windrädern haben müssen. Sie seien nicht bedrohlich für Vögel und stellten auch sonst keine außergewöhnliche Umweltbelastung dar. Im Gegenteil: Wir brauchen die Energie von Windrädern, um das Schlimmste in der eskalierenden Klimakrise noch zu verhindern. Die Bundesregierung müsse jetzt beim Zubau von Windrädern noch nachlegen, sagt Doemen, um das Paris-Ziel von 1,5 bis 2 Grad Celsius Temperaturobergrenze halten zu können.
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Das Interview führte David Goeßmann. Teil 2 über die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung und zum SolAhrtal-Projekt, das einen Plan entworfen hat, das im letzten Jahr von verheerenden Überschwemmungen betroffene Ahrtal auf 100 Prozent Erneuerbare Energieversorgung umzustellen, folgt in wenigen Tagen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat einen Plan für den Ausbau der Windenenergie vorgelegt. Danach sollen Flächenziele für Windräder festgeschrieben werden. Bis 2026 sollen es 1,4 Prozent, bis 2032 dann zwei Prozent der Bundesfläche sein. Werden diese Ziele von einzelnen Bundesländern nicht eingehalten, sollen Abstandsregeln zwischen Wohngebieten und Windkraftanlagen fallen. Was halten Sie von dem Plan?
Rainer Doemen: Fakt ist: Bereits der unzureichende Zubau an Windkraft wirkt dem menschengemachten Klimawandel entgegen. Ich begrüße daher diesen Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für den Ausbau der Windenenergie.
Die Länderregelungen zeigen: Der unterschiedliche, schwer durchdringbare "Regelungswust" erschwert es der Windkraft-Branche erheblich, die Anzahl von Windkraftanlagen im Bundesgebiet zügig zu vermehren oder alte Windkraftanlagen gegen leistungsfähigere neue Windkraftanlagen zu ersetzen (Repowering).
Faktisch entziehen sich einige Länder mit ihrem Verhalten ihrer grundlegenden Verpflichtung, die nationale Einhaltung der 1,5-Grad-Celsius-Grenze mitzugestalten. Bliebe das Recht zur Festlegung von Flächen für den Windkraftausbau unverändert in Länderhand, könnte die Bundesregierung selbst ihre unzureichenden Zubauziele bis 2030 nicht erreichen.
Daher ist es nachvollziehbar, dass die Bundesregierung den Ländern ihr Recht auf die Festlegung von Flächen(zielen) für den Windkraftausbau einschränken möchte.
Die Absicht des Bundeswirtschaftsministeriums führt jedoch bereits zu Gegenbewegungen in Ländern, beispielsweise sollen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Aktivitäten im Gange sein, kurzfristig (neue) landeseigene Abstandsregelungen für Windkraftanlagen zur Bebauung zu regeln. Bestehende Abstandsregelungen in Ländern darf der Bund nicht aushebeln.
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Solches Länderverhalten mag zwar legal sein. Es zeigt aber ein völlig verfehltes Verständnis der dortigen Entscheider:innen für die zwingend gebotene Transformation des Energiesystems auf Erneuerbare Energien. Es ist daher für mich nicht nachvollziehbar, dass heute noch Länder nicht schnellstmöglich wirksamen Klimaschutz durch Energiewende betreiben, damit verheerende, selten rechtzeitig vorhersehbare Klimakatastrophen nicht dauerhafte tragische Folge werden.
Über die Festlegung von Flächen für Windräder hinausgehend müssen die seit Jahrzehnten bestehenden massiven Hemmnisse im Genehmigungsverfahren abgebaut werden. Die Vergütung für Kommunen von 0,2 Cent pro Kilowattstunde sollte angehoben werden, um Anreize zu schaffen. Auch im Baugesetzbuch braucht es Änderungen.
Windkraft ist ein wichtiger Baustein der notwendigen Energiewende, daher muss der Ausbau gefördert werden. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion vom 1. April 2022 zu Onshore- und Offshore-Windkraftanlagen zeigt eindeutig, dass die Windkraft in Deutschland im Jahr 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen erheblich reduziert hat.
Für Windkraftanlagen an Land waren es für das Jahr 2020 CO2-Einsparungen in Höhe von circa 81 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, bei Windenergieanlagen auf See circa 21 Millionen Tonnen.
Kritiker des Plans wie der Umweltorganisation Nabu bemängeln, dass es Einschnitte beim Natur- und Artenschutz gibt. Der "Tod des einzelnen Tieres" werde in Kauf genommen. Auch würden die neuen Regeln gegen EU-Recht verstoßen, Rechtsunsicherheit schaffen und damit den Ausbau der Windenergie sogar abbremsen. Andere monieren, dass jetzt "vor jede Haustür" ein Windrad komme.
Gleichzeitig hört man kaum etwas von Naturschutz und Abstandsregeln, wenn Bundesverkehrsminister Volker Wissing trotz Klimakrise ankündigt, daran festzuhalten, über 1.300 neue Fernstraßen, hunderte Kilometer neue Autobahnen bauen zu lassen und die hunderte Millionen schwere Autobahn-Verlängerung A 100 in Berlin durch ein dicht besiedeltes Wohngebiet zu schlagen – und das, trotz massiven Protesten. Wie beurteilen Sie die Kritik?
Rainer Doemen: Schreitet die Erdüberhitzung weiter fort, zeigen uns verheerende Klimakatastrophen, wie die im Ahrtal vom 14. auf den 15. Juli 2021 mit 134 Todesopfern und weiteren katastrophalen Auswirkungen, welches Leid ein unzureichendes Handeln auch deutschlandweit bewirkt.
Gehen wir nicht entschlossen gegen die fortschreitende Erderwärmung vor, brauchen wir uns nicht mehr unterhalten über den Schutz von Tierleben und ein Verhindern von Artensterben. Denn Massentode und Artensterben werden aus wissenschaftlicher Sicht ebenfalls Folgen eines unzureichenden Handelns in Deutschland werden.
Wir erachten am Runden Tisch Erneuerbare Energien (RT EE) – Akteure am RT EE sind auch NABU- und/oder BUND-Mitglieder – die in der Frage vorgebrachten Ausführungen eher als Ängste provozierend. Und ja, sie entfalten hartnäckig ihre Wirkung. Valide nachgewiesene Argumente blieben Umwelt- und Naturschützer regelmäßig schuldig.
Ich möchte die in der Frage genannten Aussagen mithilfe von nachprüfbaren Argumenten zum deutschlandweit medial befeuerten Thema "Windkraft im Wirtschaftswald" widerlegen.
Faustformel ist: Ein Hektar Wald "speichert" über alle Altersklassen hinweg ca. sechs Tonnen CO2. Eine Windkraftanlage erspart der Umwelt ca. 6.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Betrachten wir die Klima-Bilanz, dann stehen pro Hektar Fläche 6 Tonnen CO2-Absorbierung durch intakten Baumbestand (maximale Menge) 6.000 Tonnen Kohlendioxid-Vermeidung durch eine Windkraftanlage gegenüber.
Allerdings fallen diese 6.000 Tonnen Einsparungen in jedem Betriebsjahr der Windkraftanlage an und müssen somit Betriebsjahr für Betriebsjahr aufaddiert werden. Zudem werden Windkraftstandorte im Wirtschaftswald regelmäßig durch Ersatzaufforstung aufgewertet.
Wird hingegen im Wirtschaftswald gefälltes Holz nicht als Baustoff, sondern als Brennstoff verwendet, wird die im Brennstoff Holz gespeicherte Menge CO2 Klima-schädigend freigesetzt. Und typischerweise wird jedes Holz irgendwann Brennstoff oder es verrottet und setzt dabei das gespeicherte CO2 ebenfalls frei.
Umweltschützer:innen warnen, dass die geplanten Regelungen gegen EU-Recht verstoßen oder gar Rechtsunsicherheit schaffen. Regelungen zur Windenergie durchlaufen alle Ressorts, auch das auf Umwelt- und Artenschutz spezialisierte Bundesumweltministerium. Die Bundesregierung achtet darauf, dass fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Tötung europäischer Vogelarten beachtet werden müssen.
Übliche Genehmigungsauflagen sind z. B.: Antikollisions-Systeme – automatisierte kamera- und/oder radarbasierte Entdecker – die bei Annäherung gefährdeter Vogelarten reagieren; vorübergehende Abschaltungen bei Erntebetrieb; die Verpflichtung, attraktive Ausweich-Nahrungshabitate in ausreichend großem Umfang anzulegen.
Die angeblich hohe Anzahl von Vogeltoden durch Windkraftanlagen wird immer wieder erfolgreich in die Öffentlichkeit getragen. Regelmäßig fällt dabei auf, dass Journalist:innen solche Aussagen nicht hinterfragen und deshalb mitverantwortlich an der Verbreitung von Windkraft-Mythen sind.
Für 1,5 Grad: Windkraft-Ziele der Regierung müssen verdreifacht werden
Auf Nachfrage reagieren manche solcher Journalist:innen mit dem Argument: Fachdebatten sind den Fachmagazinen vorbehalten! Durch solches Verhalten bekommt die von uns sehr geschätzte Medienfreiheit beim Thema Windkraft ein "Geschmäckle".
Hochrechnungen zufolge kommen in Deutschland zwischen 10.000 bis 100.000 Vögel an Windkraftanlagen zu Tode. Daher ist es erstaunlich, dass die über 100 Millionen Vögel, die jährlich in Deutschland an Glas und Glasscheiben sterben, kein öffentliches Thema sind.
In der Umweltministerkonferenz 2020 wurden beispielsweise Uhu und Schwarzstorch von der Liste der Windkraft sensiblen Arten gestrichen. Weitergehende Hinweise auf Forschungsprojekte können z. B. auf der Webseite des Bundesamtes für Naturschutz nachgelesen werden.
Wahr ist, dass verbesserte Techniken im Einsatz bei neueren Windkraftanlagen zu Vermehrungen der Bestände bedrohter Vogelarten geführt haben. Die Faktenlage und die wissenschaftlichen Erkenntnisse führen eher dazu, dass Deutschland sich auf der EU-Ebene massiv dafür einsetzen sollte, dass die europäische Vogelschutz-Richtlinie gründlich überarbeitet wird.
Umweltschützer:innen warnen ohne fundierte Nachweise, dass zu befürchten sei, "vor jede Haustür" komme nun ein Windrad. Auch dies ist reine Panikmache.
Das Bundeswirtschaftsministerium setzt das Flächenziele für Windkraftanlagen an Land auf den Wert "zwei Prozent der Bundesfläche" an. Das ist keine besonders große Fläche und auch wahrscheinlich viel zu hoch angesetzt. Denn wenn man sich den Bruttostrombedarf ansieht (von der Bundesregierung sicherlich zu niedrig mit 715 Terrawattstunden pro Jahr angesetzt) und ihn mit dem Flächenverbrauch von Referenz-Windkraftanlagen in Beziehung setzt (ca. 350 m² pro Anlage), dann kommt man auf eine Fläche, die deutlich unter zwei Prozent liegt. Selbst wenn zur versiegelten Fläche noch die Flächen für Wege und Kranstellungen sowie die vom Rotor überstrichene Bodenfläche hinzu gerechnet werden.
Ergänzend verwundert es mich, dass sich Niemand in den Medien öffentlich darüber aufregt, wenn in Deutschland jedes Jahr Flächen für Gewerbe, Verkehr oder Wohnen von rund 100 km² versiegelt werden.
Der Bau neuer Windräder ist wie der der Solarkraft durch bürokratische Hemmnisse vor allem der Merkel-Regierungen gehemmt worden, der Zubau brach in den letzten Jahren ein. In Bayern sind 2020 zum Beispiel nur acht neue Windräder ans Netz gegangen, drei neue wurden genehmigt und null sind beantragt worden. In anderen Bundesländern ist die Lage nicht viel besser. Was läuft da falsch?
Rainer Doemen: Neben den rechtlichen Veränderungen, d. h. Anpassungen im Planungs-, Bau-, Genehmigungs-, Natur- und Artenschutzrecht müssen die seit Jahrzehnten bestehenden massiven Hemmnisse im Genehmigungsverfahren abgebaut werden.
Nur ein gemeinsamer Wille und gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden wird dazu führen, dass der tatsächlich gebotene massive Zubau von Windkraftanlagen an Land bis spätestens 2030 gelingen kann.
Der Gesetzgeber hat es versäumt zu regeln, wie viel Fläche für Windkraftanlagen "weggeplant" werden darf (ich verweise auf den seit 1997 wie eine "Windkraft-Verhinderungsvorschrift" wirkenden Paragraphen 35 im Baugesetzbuch). Gerichte haben seitdem den Gesetzgeber ersetzt. Die von Gerichten entwickelten Merkmale sind jedoch nicht geeignet wie eine "Betriebsanleitung" zur Genehmigung von Windkraft zu wirken; im Gegenteil.
Das geltende Verfahren ist aus Sicht der Windkraft-Branche verbesserungsfähig. Ziel sollte es sein, dass Antragsteller auf Errichtung von Windkraftanlagen an Land über die sehr lange Zeitdauer der Genehmigungsverfahren die Chance erhalten, die am besten geeigneten Windkraftanlagen an dem jeweiligen Standort zu realisieren. Dies setzt voraus, dass zwischenzeitliche Verbesserungen von Windkraftanlagen in Qualität und Technik im Vergleich zum beantragten Typ vom Antragsteller ausgewählt und ohne ein neu zu startendes Genehmigungsverfahren realisiert werden dürfen.
Mit Fachplanern und Windkraft-Unternehmen haben wir dazu eine Tabelle mit relevanten Verbesserungsmaßnahmen entwickelt, deren Vor- und Nachteile aufgeführt. Anschließend sandten wir unsere Empfehlungen dem Bundeswirtschaftsministerium mit der Bitte um Prüfung und Umsetzung einer sog. "Typenoffene Genehmigung".
Die Betreiber des Radioteleskop Effelsberg wenden sich gegen den Ausbau von Windkraft in einem sehr großen Radius. Bis heute fehlt eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der Einwände. Windhöffige Regionen in Kilometer weiter Entfernung dürfen daher nicht für den Ausbau von Windkraft genutzt werden. Gleiches gilt für den Kreis Euskirchen.
Die Generaldirektion Kulturelles Erbe war wegen personeller Wechsel und ständiger Nachforderungen von Unterlagen ein stetes Hemmnis in Raumordnungsverfahren.
Die Genehmigungspraxis der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) zeichnete sich aus durch Verzögerungen und überhöhte Anforderungen.
Diese Hemmnisse werden nicht nur im Landkreis Ahrweiler aufgetreten sein. Hier gilt es, zielorientiert, gemeinsam und sehr zeitnah mit Vertretern aus Landkreisen, Städten und Gemeinden sowie den Ländern unter Einbeziehung von Fachplanern und Windkraft-Unternehmen bestehende Hemmnisse zu identifizieren und abzubauen.
Kann der Habeck-Plan überhaupt in der Form, wie er vorliegt, die Bremsen lösen, um die notwendige Energiewende in nur wenigen Jahren zu gewährleisten? Neue Studien zeigen uns ja, dass die 1,5-Grad-Schwelle demnächst schon überschritten wird und daher die Industriestaaten bis 2030, spätestens bis 2035 komplett dekarbonisiert sein müssen, um überhaupt noch unter 2 Grad Celsius bleiben zu können. Ist der Windrad-Plan des Wirtschafts- und Klimaministers ausreichend, um dem zu entsprechen?
Rainer Doemen: Deutschland hat völkerrechtlich verbindlich mit seiner Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommen bestätigt, dass wir nicht mehr als das unserem Staat zustehende, anerkannte Treibhausgas-Budget verbrauchen dürfen. Bemessen an den viel zu hohen Treibhausgas-Emissionen pro Kopf müssen wir sofort entschlossen handeln. Nur so wird es uns gelingen, die beschlossene Erderwärmungsgrenze von 1,5 Grad Celsius nicht zu überschreiten.
Wir brauchen daher eine starke Steigerung der Ziele und des Zubaus von Windrädern und Solaranalgen.
Rainer Doemen ist Vorstandsmitglied des Solarenergie-Förderverein Deutschland e. V., Ratsmitglied des Bündnis Bürgerenergie e.V., Projektleiter des Solarverein Goldene Meile e.V., (Mit)Initiator der SolAHRtal-Initiative und Impulsgeber des Runden Tisch Erneuerbare Energien. Er ist zudem Beigeordneter der Stadt Remagen und Ausschussmitglied des Landkreises Ahrweiler auf Kreisebene für Abfallwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.
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