Windkraft in Gefahr: Wenn der Klimawandel den Wind abstellt

Bernd Müller
Eine Gruppe Windräder vor strahlend blauem Himmel.

(Bild: Fahroni / Shutterstock.com)

Der Klimawandel bedroht die Zukunft der Windenergie in Europa. Eine neue Studie zeigt, dass die Windgeschwindigkeiten deutlich abnehmen könnten.

Auf der Windenergie liegt die Hoffnung, einen entscheidenden Anteil am Schutz des Klimas und an der Energiewende zu haben. Aber ausgerechnet der Klimawandel könnte diese Hoffnung negativ beeinflussen, wie eine aktuelle Studie von Gan Zhang, Klimaforscher an der University of Illinois Urbana-Champaign, zeigt.

Der Grund: Die globale Erwärmung könnte dazu führen, dass die Windgeschwindigkeiten in den Sommermonaten deutlich abnehmen. Das Phänomen, das als "Wind Stilling" bekannt ist, wird durch eine Erwärmung der Landflächen und der darüber liegenden Troposphäre verursacht. Betroffen wären die nördlichen Mittelbreiten, also auch Europa.

Verstärkte Landerwärmung schwächt Winde ab

Laut Studie könnten die Windgeschwindigkeiten um bis zu 15 Prozent abnehmen, wobei die größten Veränderungen in den Tropen und in den Polarregionen zu verzeichnen sind, die für die Windenergienutzung bislang wenig tauglich sind. Gegenüber Bloomberg geht Zhang davon aus, dass die Windgeschwindigkeiten in Europa und Nordamerika im Zeitraum von 2021 bis 2050 wohl weniger als fünf Prozent geringer werden.

Was nach wenig klingt, ist nicht zu unterschätzen, und selbst kleine Rückgänge können zu großen Schwankungen in der Windenergieerzeugung führen. Denn die Leistung von Windkraftanlagen hängt entscheidend von der Windgeschwindigkeit ab.

Physikalisch betrachtet steigt die Energieausbeute in etwa mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Das bedeutet: Verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, verachtfacht sich die Energieausbeute. Umgekehrt führt schon ein leichter Rückgang der Windstärke zu einem drastischen Einbruch der Stromerzeugung.

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, im Zeitraum von 2071 bis 2100, könnte sich das Problem verschlimmern. In der Studie heißt es, dass dann die Windenergieleistung um bis zu 25 Prozent sinken könnte. Werden natürliche Klimaschwankungen mit hinzugerechnet, könnte der Rückgang bis zu 40 Prozent betragen, was für Betreiber von Windkraftanlagen ein Desaster sein dürfte.

"Das Energiesystem ist ein Grenzmarkt", erläutert Zhang. "Das bedeutet, dass eine Änderung der Marge um fünf bis zehn Prozent zu einer enormen Preisreaktion führen kann." Für Betreiber von Windkraftanlagen bedeutet das: Selbst kleine Rückgänge der Windgeschwindigkeit können die Wirtschaftlichkeit ihrer Anlagen gefährden.

Windstille gefährdet Klimaziele und Versorgungssicherheit

Viele europäische Länder haben sich beim Umstieg von fossilen Brennstoffen und Kernenergie auf erneuerbare Quellen stark auf die Windkraft verlassen. Die Aussicht auf niedrigere Windgeschwindigkeiten stellt diese Strategie nun infrage.

Schon das kann dazu beitragen, dass Klimaziele gefährdet werden. Aber die wirkliche Herausforderung ergibt sich durch das Zusammenspiel von weniger Windenergie und höheren Temperaturen, die in den Sommermonaten den Bedarf an Kühlung steigen lassen. Laut Studie könnten dann die Stromnetze an ihre Grenzen stoßen und eine zuverlässige Stromversorgung in den Sommermonaten kaum noch möglich sein.

Erste Anzeichen für Windstille bereits sichtbar

In der Wissenschaft wird darüber diskutiert, ob bereits zu verzeichnen ist, dass sich die Windgeschwindigkeiten abgeschwächt haben. Laut Studie deuten Beobachtungen darauf hin, dass sie in der Zeit von 1980 bis 2010 deutlich zurückgegangen sind. Über die Ursachen ist man sich allerdings noch uneins. Einiges deutet auch darauf hin, dass sich der Trend nach 2010 umgekehrt hat.

Laut Ivan Føre Svegaarden, dessen norwegisches Unternehmen TradeWpower Energiehändlern Wetter- und Klimaberatung anbietet und mit dem Bloomberg jetzt gesprochen hat, gibt es bei der europäischen Windenergieproduktion bereits Anzeichen für einen klimatologisch bedingten Abschwung: "Die vorherrschenden Hochdruckgebiete treten häufiger auf, sie entstehen häufiger, sie halten länger an."

Zwar mangelt es noch an soliden historischen Winddaten, auf deren Grundlage sich zukünftige Klimaauswirkungen präzise modellieren ließen. Doch Zhang und sein Team haben dieses Problem durch die Verwendung mehrerer Datensätze und Simulationen ausgeglichen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die sommerliche Windstille im Laufe dieses Jahrhunderts verstärken wird.

Kreative Lösungen für die Energiewende gefragt

Was bedeutet das für die Zukunft der Windenergie in Europa? Zhang ist trotz der Herausforderungen optimistisch: Selbst bei sinkenden Windgeschwindigkeiten könne die Windkraft für die meisten Länder ein wichtiger Bestandteil des Energiemixes bleiben.

Allerdings sind sich die Experten laut Bloomberg einig, dass Europa bei der Entwicklung erneuerbarer Energien kreativer werden muss, um die Auswirkungen der Windstille auszugleichen. Mögliche Maßnahmen sind eine stärkere Verteilung von Erzeugungsanlagen, der Bau von mehr Verbindungsleitungen und die Bereitstellung von Reserve-Stromquellen.