Wippschaukeleffekt
In seinem neuen Buch "Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst" beschreibt Albrecht Müller gängige Methoden der Manipulation und analysiert die dahintersteckenden Strategien
Der Begriff Wippschaukeleffekt klingt vermutlich fremd. In den Lehrbüchern kommt er nicht vor. Es fiel mir jedoch kein passenderer Begriff für die Manipulationsmethode ein, die hier zu skizzieren sein wird.
US-Präsident Donald Trump ist schon eine besondere Figur, er bedient sich übler Methoden und schlägt mit maßlosen Sprüchen um sich. Aber er ist bei vielen politischen Absichten und Taten wie etwa bei der Neigung, Kriege zu führen, nicht schlimmer als seine Vorgänger Barack Obama und vor allem als George W. Bush oder auch Bill Clinton und auch nicht schlimmer als seine Gegenkandidatin von 2016, Hillary Clinton. Doch dank des permanent gegen den jetzigen Präsidenten erhobenen Zeigefingers wird das ohnehin vorhandene negative Bild weiter verschlimmert. Im Gegenzug erscheinen seine Vorgänger und seine Konkurrentin beim letzten Wahlkampf als vorteilhafte tugendhafte Figuren. Die Demokraten um Obama und Clinton wirken geradezu als glanzvoll - das Ergebnis des Wippschaukeleffektes.
Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wenn immer wieder und mit Recht, die AfD und einzelne Politiker dieser Partei kritisiert und als undemokratisch bezeichnet werden. In der Kontrastierung mit den Rechten erscheinen die Kritiker als links oder linksliberal, obwohl viele von ihnen das gar nicht sind. Einen erstaunlich schrägen Beleg für diesen Effekt konnte man am 1. August 2019 im Internetmedium Tichys Einblick finden. Da macht sich Gastautor Dr. Manfred Schwarz, früher einmal für die CDU und den Hamburger Senat tätig, Gedanken über Innenminister Horst Seehofers Reaktion auf den Tod eines sechsjährigen Jungen im Frankfurter Hauptbahnhof und Seehofers Zögern mit Kritik. Der Kommentator meint: "Zu groß ist seine Angst, vom linken medialen Mainstream unter Dauerbeschuss genommen zu werden."
Da führt offensichtlich der Ruck nach rechts eines Beobachters des Geschehens dazu, dass er den wahren Standort des medialen Mainstream in Deutschland völlig verkennt. "Linker medialer Mainstream" in Deutschland - das ist zum Lachen.
Ein Beispiel aus früheren Zeiten: Zwischen den beiden Spitzenpolitikern Willy Brandt und Helmut Schmidt knirschte es oft. Schmidt hielt sich für fähiger, war konservativer als Brandt und schon deshalb bei der Mehrheit der Medien höher angesehen als Willy Brandt. Helmut Schmidt hat dieser besonderen Vorliebe nachgeholfen, indem er seinen Parteifreund Brandt häufig kritisierte und ihn von seiner Umgebung in Hintergrundgesprächen schlechtmachen ließ. Der Effekt war erstaunlich: Je schlechter das Ansehen Willy Brandts wurde, umso mehr stieg die Bewunderung für Helmut Schmidt.
Die Wirkung wurde dabei noch dadurch verstärkt, dass Menschen dazu neigen, sich nicht entscheiden zu wollen. Im konkreten Fall konnten sie den Sozialdemokraten Brandt und auch die SPD ablehnen und gleichzeitig den Sozialdemokraten Helmut Schmidt gut finden. Das führte am Ende zumindest im bürgerlichen Lager der Schmidt-Bewunderer zu der Aussage, Helmut Schmidt sei prima, aber er sei in der falschen Partei.
Sachliche Gründe für diesen Wippschaukeleffekt gab es nicht, eher umgekehrt. Aber die Methode funktionierte.
Noch ein Beispiel: In den letzten Jahren begannen die etablierten Medien und ihre Vertreter die heranwachsenden Medien im Internet kritisch bis herablassend zu beäugen. Diese Kritik und die damit eintretende negative Etikettierung wirkt ebenfalls nach dem Schaukelprinzip. Die etablierten Medien erscheinen als das Wahre; sie erscheinen zugleich immer mehr als eine Einheit. Das Boulevardblatt Bild-Zeitung auf der einen Seite und zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit auf der anderen Seite wirken als einvernehmliche Gruppierung der wahren Medien. Das ist schon seltsam, vor allem dann, wenn man sich an die früheren großen Unterschiede und an die gegenseitige Kritik erinnert.
Es gibt bei uns im Westen unter kritischen Mitbürgern seit langem schon eine skeptische Debatte und kritische Analyse dessen, was allgemein Demokratie genannt wird. Demokratie gab es fast nie, habe ich einmal mit Blick auf die massive finanzielle Unterstützung des CDU-Kanzlers Konrad Adenauer und seiner Nachfolger, vor allem Helmut Kohl und etwas stiller Angela Merkel, durch die Wirtschaft formuliert. Die konservativen Parteien CDU, CSU und FDP hatten die Unterstützung des reichen Teils unserer Gesellschaft. Sie hatten immer sehr viel mehr Mittel, um ihre Wahlkämpfe zu finanzieren. Gleiche Wettbewerbsbedingungen und damit wirklich demokratische Verhältnisse gab es nie.
Auch in anderen Ländern ist das nicht anders, zum Teil schlimmer: In den USA müssen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten Hunderte von Millionen Dollar heranschaffen, um kandidieren zu können. Diese Art von Kandidatenauswahl kann man nicht demokratisch nennen.
In Frankreich taucht ein Präsidentschaftskandidat wie Emmanuel Macron aus dem Nichts auf. Offenbar ausgesucht und gesteuert.
Das große Geld spielt in allen solchen sogenannten Demokratien eine große Rolle. Eigentlich müsste man zugestehen, dass die Verhältnisse nicht demokratisch sind. Da hilft der Wippschaukeleffekt aus der Patsche: Im Vergleich zu den sogenannten Autokraten, im Vergleich zum türkischen Präsidenten Erdoğan beispielsweise, erscheinen die bei uns handelnden Personen als Demokraten und unser System als demokratisch. Die Wippschaukel sorgt dafür, dass wir dann als Demokraten und ohnehin als die Guten gelten.
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