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"Wir Grüne haben in der Sicherheitspolitik eine Menge zu verlieren"

Irene Mihalic. Foto: priv.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, über frustrierte Polizisten, neue Sicherheitsgesetze sowie die Kritik am Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt

Frau Mihalic, in drei Monaten wird gewählt: Laufen die Grünen in der Sicherheitspolitik den anderen Parteien hinterher?
Irene Mihalic: Nein, wie kommen Sie darauf? Wir nehmen das Thema seit jeher sehr ernst.
Robert Habeck sagte vor dem Wahlkampf, die Partei dürfe beim Thema Innere Sicherheit nicht mehr reflexhaft nur auf die Vorschläge anderer reagieren, sondern solle stark, aktiv und selbstbewusst agieren.
Irene Mihalic: Wir haben seitdem eine Menge Vorschläge unterbreitet, wie man die Sicherheit im Land erhöhen kann. Im Gegensatz zu anderen Parteien geht es uns aber um die Effektivität der Maßnahmen. Bevor die Große Koalition weiter über neue Sicherheitsgesetze streitet, sollten erst einmal die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten angewandt werden.
Wie will Ihre Partei die Sicherheit im Land erhöhen?
Irene Mihalic: Die Verhältnismäßigkeit sollte stets im Vordergrund stehen. Placebo-Gesetze, Stichwort Fußfessel, sind nicht unser Ding. Großen Nachholbedarf sehen wir zum Beispiel im Waffenrecht. Der Anstieg beim sogenannten "Kleinen Waffenschein" ist aus unserer Sicht bedenklich. Auch die hohe Zahl an Schusswaffen, die als gestohlen gemeldet wurden - über 17.000 -, ist in höchstem Maße beunruhigend.
Und wie lautet Ihre Forderung?
Irene Mihalic: Fakt ist: Je weniger Waffen im Umlauf sind, desto sicherer ist es. Deshalb sagen wir: Das Waffenrecht muss dringend verschärft werden. Hier gibt es so einige Anknüpfungspunkte - ob bei der Lagerung, der Prüfung oder auch der Registrierung. Zudem brauchen wir ein klares Bild des Waffenbestandes in Deutschland. An diesen Stellen hakt es noch gewaltig.
Wie genau würde eine solche Verschärfung des Waffenrechts aussehen?
Wir halten es für fahrlässig, dass erlaubnisfreie Waffen ohne die Vorlage des zum Führen notwendigen kleinen Waffenscheins gekauft werden können. Angesichts der Tatsache, dass etwa 75 Prozent der mit Waffen begangenen Straftaten mit Schreckschusspistolen und ähnlichem durchgeführt werden, ist eine solche Registrierung längst überfällig. Diejenigen Politiker, die solche Waffen verharmlosen, werden ihrer Verantwortung gegenüber dem Bürger nicht gerecht. Anders gesagt: Wer eine solche Sicherheitslücke nicht schließen will, zugleich aber abstruse Vorschläge macht, mit denen er in die Freiheit der Bürger eingreift, der handelt schlicht unglaubwürdig.
Wie alle anderen Parteien fordern auch die Grünen mehr Stellen bei der Polizei sowie eine bessere Ausstattung eben jener. Wie viele Beamte müssten aus Ihrer Sicht eingestellt werden?
Irene Mihalic: Ich halte wenig davon, irgendwelche Zahlen in den Raum zu werfen. Wir können hier im deutschen Bundestag ohnehin nur für die Bundessicherheitsbehörden entscheiden.
Warum sagen die Grünen den Bürgern nicht vor der Wahl, was genau sie sich unter "mehr Polizei" vorstellen?
Irene Mihalic: Fragten sie drei Polizeigewerkschaften, bekämen sie drei verschiedene Antworten. Das sagt einiges aus über die Komplexität des Themas. Im Gegensatz zu den Damen und Herren der Großen Koalition wollen wir uns im Wahlkampf nicht gegenseitig überbieten. Da machen wir nicht mit.
Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der Telepolis kürzlich sagte, auch er wolle nicht in einen Überbietungswettbewerb einsteigen, hält die Zahl 15.000, die die SPD nennt, für "nicht realisierbar".
Irene Mihalic: Sie ist vor allem willkürlich. Warum nicht 20.000 neue Polizeistellen? Die SPD hantiert mit Zahlen, ohne dass sie sagt, auf welcher Analyse jene fußen. Das ist uns zu oberflächlich.
Noch mal: Was wollen die Grünen?
Irene Mihalic: Es müssen mindestens so viele Polizisten eingestellt werden, wie in den Ruhestand gehen. Das ist die erste Zählmarke. Dann kommt die Frage: Welche Aufgaben soll die Polizei eigentlich erfüllen? Auch hier liefert die SPD keine befriedigenden Antworten.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Irene Mihalic: Schauen Sie sich die Überlastung der Bundespolizei an, die Beamten sind seit geraumer Zeit damit beschäftigt, die deutsch-österreichische Grenze zu überwachen. Das war vor einiger Zeit vielleicht noch erforderlich, aber doch nicht im Juli 2017! Plakativ gesagt: Die Polizeiwachen in den Flächen bluten aus, während 1500 Beamte an der Grenze unnötig Dienst schieben müssen - das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!

Eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung sogenannter Gefährder ist möglich

Kommen wir zu Ihrer Kritik an den Sicherheitsbehörden ...
Irene Mihalic: Wir sagen seit Langem, dass wir eben jene einer Aufgabenkritik unterziehen müssen und neue Strukturen brauchen. Das ist ein wunder Punkt bei der Union. Innenminister de Maiziere sagt ständig, er wolle den Datenaustausch zwischen den Staaten verbessern. Das klingt gut, da würden wir auch mitgehen.
Aber?
Irene Mihalic: Geht es um die konkrete Umsetzung bei der operativen Zusammenarbeit europäischer Sicherheitsbehörden, taucht der Innenminister immer wieder ab. Wollen europäische Behörden - wie zum Beispiel Europol - hier in Deutschland Ermittlungen im Bereich Terrorismus durchzuführen, und bitten ihre deutschen Kollegen um Unterstützung, geht das einigen in der Union zu weit. Hier würden wir Grüne sofort ansetzen.
Sie haben auf Ihrem Parteitag eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung sogenannter Gefährder beschlossen. Ist derlei nicht unmöglich?
Irene Mihalic: Nein, das ist möglich und wurde auch immer wieder schon so praktiziert. Bei Anis Amri hat man auf eine solche Maßnahme bedauerlicherweise verzichtet.
Es braucht etwa 20 Beamte, um einen Gefährder zu überwachen, richtig?
Irene Mihalic: Ja, zwischen 20 und 30 sind nötig. Solche Fälle gibt es in der Praxis übrigens immer wieder. In Schleswig-Holstein wurde vor kurzem über neun Monate hinweg eine Gruppe von drei Gefährdern 24 Stunden am Tag überwacht. Da war nicht nur die Polizei involviert, sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz - mit insgesamt über 22.000 Personalstunden.Wir sehen: Wenn die Prioritäten richtig gesetzt werden, dann ist so etwas durchaus möglich. Vorausgesetzt, die Ressourcen werden auch bereitgestellt.

"Der Staat darf die Sicherheit der Systeme nicht hintertreiben, auf die die Bürger angewiesen sind"

Zur Terrorabwehr sollen künftig auch Messenger-Dienste überwacht werden. Kritiker sprechen vom umfassendsten Überwachungsgesetz seit dem großen Lauschangriff.
Irene Mihalic: Da befinden wir uns in der Tat in einem klassischen Zielkonflikt. Fakt ist: Es gibt die gesetzliche Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung. Das Problem ist, dass die Messenger-Dienste verschlüsselt sind. Zunächst einmal geht es um die Frage: Wollen wir als Staat die Kommunikation unserer Bürgerinnen und Bürger sicher gestalten, das heißt, wenn es irgendwo Lücken in der Verschlüsselung gibt, teilen wir die den Bürgern und Betreibern der Dienste mit, damit sie sie schließen und somit Angriffe Krimineller abwehren können? Oder nutzt der Staat diese Sicherheitslücken für eigene Zwecke? Ein wahres Dilemma.
Wie stehen Sie dazu?
Irene Mihalic: Es kann doch niemand ernsthaft etwas dagegen haben, wenn die Kommunikation desjenigen überwacht wird, gegen den die Behörden Konkretes in der Hand haben und gegen den ermittelt wird. Aber wenn man an die Messenger-Dienste ran will, muss der Staat sich in das Gerät hacken - und kann nicht die Leitung überwachen.
Übrigens: Im Fall Anis Amri bestand das Problem nicht darin, dessen Kommunikation über Telegram-Chats zu überwachen. Nein, am Ende wurden daraus nur nicht die richtigen Schlüsse gezogen; selbst Verbindungen zum IS führten nicht dazu, dass er festgenommen wurde. Insgesamt hapert es nicht daran, Informationen zu bekommen und gefährliche Personen zu identifizieren, sondern sie dingfest zu machen.
Die Behörden werden künftig sogenannte Staatstrojaner installieren. Die Verschlüsselung soll laut Bundesregierung nicht angegriffen werden. Warum haben Sie im Bundestag dagegen gestimmt?
Irene Mihalic: Damit ein Trojaner heimlich installiert werden kann, muss eine Sicherheitslücke ausgenutzt und offen gehalten werden. Diese Lücken können dann nicht nur Sicherheitsbehörden nutzen, sondern eben auch Kriminelle. Da konnte ich gerade auch angesichts von WannaCry nicht zustimmen. Der Staat darf die Sicherheit der Systeme nicht hintertreiben, auf die die Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. Im Übrigen hat das Verfassungsgericht konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Kontrollierbarkeit von Trojanern gemacht, die nicht eingehalten wurden.

"Ich will nicht, dass die Grünen als ein Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden"

Frau Mihalic, ist es für Sie eigentlich ein kleines oder eher ein großes Problem, dass die Bürger den Grünen in Sicherheitsfragen nicht besonders viel vertrauen?
Irene Mihalic: Ich würde es nicht als ein großes Problem bezeichnen. Klar ist: Wir Grüne können eine noch so gute Sicherheitspolitik machen, noch so gute Vorschläge unterbreiten, am Ende wird uns niemand genau deshalb wählen.
Und was folgt daraus?
Irene Mihalic: Die Bürger wählen uns aus anderen Gründen, ich nenne nur die Themen Klimaschutz und Gerechtigkeit. Wir haben in der Sicherheitspolitik nicht viel zu gewinnen, sondern eher eine Menge zu verlieren.
Kostet es Ihrer Partei Wählerstimmen, wenn Sie das Thema selbst in der Öffentlichkeit nach vorn rücken?
Irene Mihalic: Nein, wenn das Thema Innere Sicherheit in der Öffentlichkeit debattiert wird, wäre es unprofessionell und arrogant, wenn wir sagten: Interessiert uns alles nicht, wir wollen jetzt über andere Themen reden.
Die Grünen wollen doch aber seit jeher herausstechen, Themen setzen - und eben nicht: nur mitmachen ...
Irene Mihalic: ... Natürlich müssen wir deutlich machen, was unsere Kernpunkte sind: Ökologie, Klimaschutz, die Zukunft unseres Planeten, soziale Sicherheit. Ich will allerdings nicht, dass mir Wähler sagen: ja, ich würde Euch ja gern wählen, weil mir Klimaschutz wichtig ist, aber ich habe Angst, dass, wenn ich bei Euch mein Kreuz mache, es mit der Inneren Sicherheit in Deutschland bergab geht. Diese Angst wollen wir den Leuten nehmen. Ich will nicht, dass die Grünen als ein Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden.
Was antworten Sie dem Sozialpsychologen Harald Welzer, der kürzlich in einem Interview sagte, durch die "unglückliche Wahl" des Spitzenduos Göring-Eckardt/Özdemir hätten die Grünen sich der "wunderbaren Chance" eines Neustarts selbst beraubt?
Irene Mihalic: Da sage ich ganz klar, dass ich das nicht teile. Ich bin überzeugt, dass wir insgesamt ein sehr gutes personelles Angebot haben. Da brauchen wir uns vor keiner Partei verstecken, im Gegenteil. Schauen Sie sich allein die FDP an: Die liefern mit Christian Lindner nicht mehr als eine One-Man-Show. Ich sehe uns Grüne da gut aufgestellt.
Die Grünen wollen nach der Bundestagswahl mitregieren, derzeit liegt Ihre Partei in den Umfragen bei sechs bis acht Prozent. Was macht Sie zuversichtlich?
Irene Mihalic: Verschiedene Umfrageinstitute sehen die kleineren Parteien so um die acht Prozent. Das heißt, das Rennen um Platz drei ist noch völlig offen. Und, glauben Sie mir, das ist eine sehr, sehr große Motivation für uns Grüne.

Irene Mihalic [1], geb.1976 in Waldbröl. Fachoberschulreife; Ausbildung zur Polizeibeamtin; Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (Diplom Verwaltungswirtin FH), Studium der Kriminologie und Polizeiwissenschaft (M.A.) an der Ruhr-Universität Bochum. 1993 Eintritt in die Polizei NRW, danach in verschiedenen Bereichen tätig, seit 2007 beim Polizeipräsidium Köln.

Seit 2006 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, seit 2013 Mitglied des Bundestages und seit 2016 innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.


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