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Wir brauchen eine Bundesbeauftragte für Erneuerbare Energien!

Der schnelle Ausbau Erneuerbarer Energien kann Klima- und fossile Energiekrise gleichzeitig lösen. Bild: Mark Mühlhaus / CC BY-NC-ND 2.5

Telepolis dokumentiert den offenen Brief von drei Energiewende-Experten (aus FDP, SPD, Grüne) an die Bundesregierung. Sie fordern die Einführung eines Energiebeauftragten für Erneuerbare, um Energiearmut und Klimakrise zu bekämpfen.

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Energiekrise und dem weit unter den Möglichkeiten bleibenden Ausbau der Erneuerbaren Energien als entscheidende Lösungsstrategie haben die drei renommierten Energiewende-Experten Prof. Eicke Weber (FDP), Dr. Axel Berg (SPD) und Hans-Josef Fell (Bündnis 90/ Die Grünen) den Vorschlag an die Bundesregierung herangetragen, noch in diesem Jahr das Amt einer/s Bundesbeauftragen für Erneuerbare Energien einzuführen.

Dazu haben die Unterzeichner den folgenden Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner versendet:

"Verschiedene wissenschaftlicher Machbarkeitsstudien zeigen, dass eine Vollversorgung mit 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 in allen Energiesektoren verwirklichbar ist und damit echter Klimaschutz, bezahlbare Energiepreise und vor allem Unabhängigkeit von geopolitisch gefährlichen Energielieferungen insbesondere von Russland erreicht werden kann. Doch die heutige Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren Energien ist weit unter dem, was einst bis 2012 möglich war. Sie kann und muss aber erheblich beschleunigt werden.

Ein/e Bundesbeauftragte/r für Erneuerbare Energien würde die großen Hemmnisse angehen, die sich im bestehenden Gesetzesrahmen, auch nach der Verabschiedung des Osterpakets, lähmend auf den Ausbau der Erneuerbare Energien auswirken.

Tausende Einzelvorschriften, ein gesetzlicher Paragraphendschungel, Verordnungen, Normungs- und Zertifizierungsvorschriften und insbesondere strukturelle Veränderungen, wie die Umstellung auf Ausschreibungen, statt der erfolgreichen festen Einspeisevergütung, haben das seit 2000 angestoßene exponentielle Wachstum jäh gestoppt.

Durch die fachliche Hilfe und Durchgriffsmöglichkeiten einer/s Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien können auch kurzfristig Hemmnisse identifiziert und ausgeräumt werden, was die im bevorstehenden Winter drohende fossil-atomare Energienot abmildern würde.

Im Folgenden wird die Begründung für die Notwendigkeit dieses Amtes unter Bezugnahme auf die größten Versäumnisse der energiepolitischen Vergangenheit dargestellt:

Begründung

Die Angst vor Energieengpässen im kommenden Winter und darüber hinaus in Deutschland und der EU ist groß.

Präsident Putin benutzt Erdgas als politische Waffe, weil er es kann. In den letzten Jahren wurde entgegen aller Mahnungen von Klimaschützer:innen und geopolitischen Berater:innen in Deutschland und der EU eine immer stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas, Erdöl, Kohle und atomaren Brennelementen geschaffen.

Gleichzeitig wurde unter 16 Jahren Kanzler:innenschaft von Frau Merkel das von Rot-Grün – insbesondere mit dem EEG 2000 – auf den Weg gebrachte exponentielle Wachstum der Erneuerbaren Energien jäh gestoppt. Zuerst betraf es den Ausbau der Biokraftstoffe ab 2007 und ab 2012, in den folgenden Jahren Stück für Stück schließlich alle Bereiche des Ökostroms wie Solar, Wind, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie. Der Ausbau der Erneuerbare Energien im Wärme- und Verkehrssektor ist kaum erfolgt.

Statt einer klimaschützenden Selbstversorgung mit 100 Prozent Ökostrom, die mit dem unter Rot-Grün angestoßenen und fortlaufenden exponentiellen Ausbau in Deutschland bereits heute möglich wäre, sehen wir eine fatale Abhängigkeit von ausländischen fossilen Energielieferungen. Diese bringt uns immer schneller in die Nähe einer unbeherrschbaren Heißzeit, führt in Kriege, in denen auch Energie als Waffe missbraucht wird und ruft geopolitische Spannungen sowie soziale und wirtschaftliche Nöte wegen hoher fossiler und atomarer Energiepreise hervor.

Sämtliche Lösungsansätze innerhalb der fossilen und atomaren Energieversorgung sind zum Scheitern verurteilt. LNG kommt meist aus Fracking-Regionen und ist damit klimaschädlicher als Kohle und darüber hinaus höchst gesundheitsschädlich. Zudem ist zu befürchten, dass auch die LNG-Lieferländer keineswegs die weltweit gestiegene Nachfrage werden stillen können, sodass auch neue LNG-Terminals nicht als echte Hilfe zu bewerten sind.

Das weltweite Angebot an fossilen und atomaren Rohstoffen kann nur marginal erhöht werden, da insbesondere die großen erschlossenen Erdölfelder längst ihren Förderhöhepunkt überschritten haben. Somit läuft auch die Strategie der Diversifizierung von fossilen und atomaren Energielieferländern ins Leere. Neue Abhängigkeiten und damit neue geopolitische Spannungen sind vorgezeichnet. Menschrechtsfragen und Demokratie werden bei der Auswahl neuer Lieferländer oft hintangestellt – dem Primat der Energiebeschaffung werden andere existenzielle politische Ziele oftmals untergeordnet.

Dabei werden rechtsstaatliche, demokratische Grundprinzipien gerade in den jüngst von der Bundesregierung angesprochenen neuen Lieferländern mit Füßen getreten oder gar Kriegs- und Terrorfinanzierung mit unseren Energielieferungen ermöglicht, wie beispielsweise in Saudi-Arabien, Katar, Libyen, Aserbeidschan, Nigeria, Kolumbien.

100 Prozent Erneuerbare bis 2030 sind möglich

Der einzige Ausweg ist die schnellstmögliche Umstellung auf eine Vollversorgung mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien, am besten bis 2030. Energieeinsparung kann und muss den Weg dorthin unterstützen. Doch genau dieser Weg zu 100 Prozent Regenerativen Energien bis 2030 wurde unter Kanzlerin Merkel verhindert.

Seit 2010 wurde mit vielen Novellen des EEG und EnWG ein überdimensionierter Bürokratieapparat aufgebaut, welchen niemand mehr vollständig überblicken kann. Tausende Einzelvorschriften, ein gesetzlicher Paragraphen-Dschungel, Verordnungen, Normungs- und Zertifizierungsvorschriften und insbesondere strukturelle Veränderungen, wie die Umstellung auf Ausschreibungen, statt der erfolgreichen festen Einspeisevergütung, haben das seit 2000 angestoßene exponentielle Wachstum jäh gestoppt.

Eine Industriepolitik, die etwa für neue Fabriken zur Produktion von Solar- und Windkraftanlagen, neue Speicherfertigung und Wärmepumpen sorgen würde, gab es nicht. Eine durchaus möglich erschienene Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom bis 2020 wurde so verhindert. Ohne die immer stärker aufgebauten enormen Bremsen könnten wir heute bereits bei 100 Prozent Ökostromversorgung stehen, anstatt der erreichten 50 Prozent. Präsident Putin hätte dann keine Chance, uns wirtschaftlich zu erpressen und auch das Klima wäre geschützt.

Im Rahmen der Ampelkoalition haben Sie mit der Verabschiedung des EEG 2023 versucht, entsprechende Hemmnisse auszuräumen, und damit auch schon einiges erreicht. Jedoch ist der bürokratische Umfang kaum kleiner geworden, von einer wirklichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien mit exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten sind wir noch weit entfernt. Ein Beschleunigungsgesetz, wie das für den Ausbau neuer LNG-Terminals, ist es jedenfalls nicht geworden.

Erschwerend kommt hinzu, dass in den Bundesministerien weitgehend noch die gleichen Beamt:innen arbeiten, die im Auftrag ihrer vorherigen Minister:innen seit Jahren den Niedergang und Bürokratieaufbau der Erneuerbaren Energien organisierten. Vielfach gilt offensichtlich das kluge Wort von Hermann Scheer: "Wer ein Problem geschaffen hat, kann es nicht lösen."

Das Umweltministerium hat die Konflikte zwischen Artenschutz und Erneuerbaren Energien noch nicht so gelöst, dass deren Ausbau schnell möglich ist. Noch immer gibt es große rechtliche Hürden in den Bereichen Naturschutz, Denkmalschutz, Landschaftsschutz, militärische Sicherung, Steuerrecht, Verkehrsrecht, Bauordnungen, Landwirtschaftsrecht, Normungsrecht u.a. Die dringend notwendige Sektorenkopplung – also das Eindringen des Ökostromes in den Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektor – kommt nur schleppend voran, weil übergreifende Politikansätze für Ministerien schwierig sind. Ferner kommt der Netzausbau vor allem auf Verteilnetzebene nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit voran.

Vor diesem Hintergrund sind wir mit den Erfahrungen der rot-grünen Koalition und auch aus der Wissenschaft der klaren Auffassung, dass es an einer Stelle in der Bundesregierung fehlt, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien als zentrales, ministeriell übergreifendes Aufgabenfeld koordiniert: Der/ Dem Bundesbeauftragten für 100 Prozent Erneuerbare Energien.

Schon unter Rot-Grün wurde die Forderung nach einer/m Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien politisch erhoben. Die Realisierungschancen standen damals gar nicht schlecht, wenn nicht Kanzler Schröder, heutiger Lobbyist für russische Energie, die rot-grüne Koalition fast eigenmächtig frühzeitig aufgelöst hätte.

Wir empfehlen dringend der Ampelkoalition, spätestens im September diesen Jahres, das Amt eines mit qualifiziertem Personal ausgestatteten Bundesbeauftragten für 100 Prozent Regenerative Energien zu schaffen. Durch die Hilfe und Durchgriffsmöglichkeiten eines derartigen Amtes können auch kurzfristig Hemmnisse identifiziert und ausgeräumt werden, die noch im kommenden Winter helfen, die fossil-atomare Energienot zu mildern.

Dazu gehört unbürokratische Hilfe beim Anschluss bereits bestehender Solar- und Windkraftanlagen sowie Hilfe bei der Planung und Genehmigung neuer Anlagen. Bereits 2023 wären dann gute Gesetzes-Novellen vorzulegen und durchzusetzen, die das Bürokratiemonster aus EEG und EnWG entschärfen und den einst erfolgreichen, exponentiellen Ausbau der Regenerativen Energien insbesondere mit Hilfe von Investitionen wieder auf Erfolgskurs setzen.

Mit diesem wichtigen Ansatz können 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 in allen Energiesektoren entsprechend vorliegender wissenschaftlicher Machbarkeitsstudien verwirklicht werden und mit ihnen Klimaschutz, bezahlbare Energiepreise und vor allem Unabhängigkeit von geopolitisch gefährlichen Energielieferungen.

Darüber hinaus wird Deutschland eine international bedeutende, führende Rolle in der Transformation des Energiesystems zu Erneuerbare Energien übernehmen, zusammen mit Kalifornien in den USA, China, Costa Rica und vielen anderen Ländern, die zum Teil auf diesem Weg bereits deutlich weiter sind als wir."

Prof. Eike Weber ist Physiker. Er leitete lange das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, war Direktor des Zentrums für Erneuerbare Energien der Universität Freiburg und Leiter der Berkeley Education Alliance for Research in Singapore. Seit 2019 ist er Ko-Präsident des European Solar Manufacturing Council.

Axel Berg ist Vorsitzender der deutschen Sektion von Eurosolar. Von 1998 bis 2009 war er für die SPD im Bundestag und Obmann für seine Fraktion in der Enquête-Kommission Nachhaltige Energieversorgung. Zugleich war er stellvertretender Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Energie.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.


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