"Wir brauchen keine Rettung, wir brauchen Respekt"
Seite 2: "Gegenseitige Sozialkontrolle"
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Ist über Pornofilme, die in dieser Beziehung manchmal ganz schön brutal sind, ein falsches Bild entstanden?
Undine de Rivière: Sicher. Wenn man sich Gang-Bang-Parties real ansieht, sind die oft ziemlich harmlos. Es herrscht dort gegenseitige Sozialkontrolle: Sollte jemand übergriffig werden, wird er oft von den anderen Gästen zurechtgewiesen oder gebremst, bevor die Sexarbeiterin oder der Veranstalter etwas sagen muss.
Im Allgemeinen ist man in Kommunikation mit den Gästen: Man sagt, was geht und was nicht, es herrscht ein vernünftiges Miteinander - in vernünftigen Clubs natürlich. Auch dort gibt es Unterschiede, aber wenn die Arbeitsbedingungen nicht gut sind, können wir immer noch mit den Füßen abstimmen.
Viele Clubs bieten vernünftige Arbeitsbedingungen, allein schon aus Eigennutz, denn die Frauen, die die meisten Gäste anziehen, wissen um ihren Wert und gehen als erste, wenn ihnen etwas nicht passt. Das Bordellsterben, das sich durch das Prostituiertenschutzgesetz ausgeweitet hat, ist da natürlich kontraproduktiv, denn es schränkt unsere Wahlmöglichkeiten ein.
Undine de Rivière: Sie schreiben in Ihrem Buch vom Unterschied der bürgerlichen Feministinnen, die die Prostitution abschaffen, und proletarischen Feministinnen, welche die Prostitution legalisieren und rechtlich absichern wollen. Gibt es diese Trennlinie auch heute noch oder hat die bürgerliche Sichtweise obsiegt?
Undine de Rivière: Es gibt sie definitiv heute auch noch. Ich habe sehr viel mit sexpositiven Feministinnen zu tun, die anerkennen, dass auch Sexarbeit unter die sexuelle Selbstbestimmung fällt. Das heißt, wenn ich entscheiden kann, unter welchen Umständen ich mit wem eine sexuelle Beziehung eingehe, muss auch akzeptiert werden, dass ein Teil meiner Rahmenbedingungen dafür eine Bezahlung ist. Es gibt viele Feministinnen, die uns bei unserem Kampf unterstützen. Die bürgerlichen, sexfeindlichen Radikal-Feministinnen sind nicht so zahlreich, aber vor allem durch EMMA und Alice Schwarzer häufig sehr laut und raumgreifend und werden dadurch als die vorherrschende Strömung im Feminismus wahrgenommen. Aber das sind sie glücklicherweise nicht.
Was halten Sie von der Anti-Prostitutions-Kampagnen á la EMMA?
Undine de Rivière: Sagen wir so: Als ich 2013 den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen mitgegründet habe, hat die EMMA- Kampagne uns wahnsinnig viel Publicity gebracht, weil viele Pressevertreter auch die Gegenseite hören wollten. Wir haben damals eine Gegenkampagne für die Arbeitsrechte Sexarbeitender lanciert. Insofern muss man Frau Schwarzer fast dankbar sein. Aber ihre Kampagne an sich ist natürlich absolut indiskutabel.
Sie schreiben, dass, die Staatsgewalt die Sexarbeiterinnen unter dem Vorwand des Opferschutzes stigmatisiert, diskriminiert und entmündigt. Wie müsste sich in Bezug darauf gesellschaftlich und politisch etwas ändern?
Undine de Rivière: Wir bräuchten rechtlich eine Anerkennung von Sexarbeit als Freiberuf und eine Eingliederung von Bordellen in das Gewerberecht als ganz normale anmeldepflichtige Gewerbe. Das wäre ein deutliches Zeichen für eine Normalisierung der Branche. Sexarbeit würde auch ohne jedes Sonderrecht nicht im rechtsfreien Raum stattfinden - das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Menschen- und Arbeitsrechte, die für alle gelten, sind auch zur Regierung der Sexarbeit völlig ausreichend und angemessen.
Wir brauchen flächendeckend Angebote zur freiwilligen Beratung und Untersuchung für alle Menschen mit Risikoverhalten bezüglich sexuell übertragbarer Infektionen. Statt Geld in Zwangsmaßnahmen und neue Behörden zu stecken, sollten mehr an bedarfsgerechten und anonym wahrnehmbaren Weiterbildungs- und Professionalisierungsangeboten in Bordellen finanziert werden. Dazu würde ich mir noch Kampagnen zur Entstigmatisierung von Sexarbeitenden wünschen. Wir brauchen keine Rettung, wir brauchen Respekt!
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