"Wir dürfen jetzt nicht in Panik verfallen"
Seite 2: "Die größte Gefahr besteht darin, dass soziale Verteilungskämpfe entstehen"
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Was antworten Sie denen, die sagen, derzeit werde nicht konsequent abgeschoben?
Ralf Stegner: Das stimmt nicht. Im Übrigen kehren auch viele freiwillig zurück. Zudem kommt die überwiegende Mehrheit der Neuankommenden aus Kriegs- und Krisengebieten. Deren Asylanträge werden ohnehin anerkannt. Solche Abschiebe-Sätze sind Vorwände derer, die glauben, damit politisch etwas gewinnen können. Die CSU begeht einen Fehler, wenn sie auf diese Karte setzt, davon profitieren nur die rechten Ausländerfeinde.
Die Zahl der Asylbewerber aus den Balkan-Staaten...
Ralf Stegner: ….ist inzwischen stark gesunken. Einige dieser Länder sind ja ohnehin EU-Beitrittskandidaten, und da die Menschen dort nicht politisch verfolgt werden, sind deren Asylgesuche zumeist aussichtlos. Sie müssen unser Land in aller Regel wieder verlassen, weil das Asylverfahren für sie das falsche Instrument ist. Kurz: Für die Menschen vom Westbalkan brauchen wir andere Perspektiven.
Sie meinen einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt?
Ralf Stegner: Ja, immer vorausgesetzt, der- oder diejenige hat einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag. Die Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern hierzu müssen nun beherzt umgesetzt werden. Dazu gehört übrigens auch, dass wir Minderheiten schützen. Was nützt der Status des sicheren Herkunftsstaates, wenn dort beispielsweise die Roma noch immer diskriminiert werden und deswegen flüchten?
Ihr Kollege Christoph Strässer (Menschenrechtsbeauftrater der Bundesregierung, d. Red.) sagte kürzlich, er sei der festen Überzeugung, dass Deutschland Roma nicht zurückführen sollte. Er fügte sogleich an, die Mehrheitsmeinung in der SPD sei eine andere.
Ralf Stegner: Deshalb ist es richtig, dass Bund und Länder auf Druck der SPD vereinbart haben, die soziale Situation zu verbessern. Sonst macht das mit den sicheren Herkunftsländern keinen Sinn.
Die Unterbringung der Flüchtlinge, vor allem in den Großstädten und Ballungszentren, wird nicht selten mit den Worten menschenunwürdig und katastrophal beschrieben. In Hamburg beispielsweise kommen täglich 400 bis 500 Menschen in der Registrierungsstelle an - die Stadt weiß nicht, wohin mit ihnen. Befürchten Sie eine Ghettoisierung der Flüchtlinge über Jahre?
Ralf Stegner: Nein, das sehe ich nicht. Noch mal: Je schneller die Verfahren, desto eher können diejenigen Flüchtlinge verteilt werden, die hier bleiben. Die Integration kann dann sofort beginnen. Das ist enorm wichtig, schließlich besteht die größte Gefahr darin, dass soziale Verteilungskämpfe entstehen. Nach dem Motto: "Für die Flüchtlinge gibt der Staat Milliarden aus - und wir schauen in die Röhre." Nein, derlei müssen wir mit aller Kraft verhindern. Das wäre ein Brandbeschleuniger für Fremdenfeindlichkeit. Davon würden vor allem die Rechtspopulisten profitieren.
Wie wollen Sie derartige Verteilungskämpfe verhindern?
Ralf Stegner: Es geht zum Beispiel darum, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Dafür steht die SPD. Die Sozialpolitik muss so ausgestaltet sein, dass sie nicht die eine Gruppe gegen die andere ausspielt. Deswegen sind die Vorschläge, den Mindestlohn für Flüchtlinge abzusenken, brandgefährlich. So etwas ist mit uns nicht zu machen. Wir dürfen nicht den Eindruck entstehen lassen, die Politik nehme die Sorgen der Bürger nicht ernst und beschäftige sich ausschließlich mit der Flüchtlingspolitik.
Erfreulicherweise ist die Hilfsbereitschaft in unserem Land ausgesprochen groß. Das dürfen wir aber nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Ohne die Zustimmung und Unterstützung der Bürger schaffen wir das alles nicht.
Herr Stegner, haben auch Sie die Herausforderung der Flüchtlingskrise zunächst unterschätzt?
Ralf Stegner: Ich habe eine derart hohe Zahl an Flüchtlingen in der Tat nicht erwartet, das gebe ich zu. Trotzdem nehme ich für uns in Anspruch, dass gerade die SPD seit über einem Jahr darauf drängt, die Kommunen zu entlasten. Da sind wir lange Zeit bei den Konservativen auf taube Ohren gestoßen.
Ein wenig Selbstkritik kommt aber vor in Ihrer Analyse?
Ralf Stegner: Na klar. Es ist doch so: Wir haben es mit einem schwierigen Aufgabenpaket zu tun, einer Herausforderung in der Größenordnung der deutschen Einheit. Daher müssen wir mit Besonnenheit, Tatkraft und Augenmaß handeln. Allerdings sollten wir uns dabei nichts vormachen: Ohne Russland und ohne die Türkei werden wir die Fluchtursachen in den Krisenländern nicht lösen. Hier ist also Realpolitik gefragt. Mit anderen Worten: Es wird nicht zu vermeiden sein, dass der ein oder andere in den kommenden Wochen und Monaten gelegentlich über seinen Schatten springt. Schließlich geht es um das große Ganze.