"Wir entschuldigen uns für die Verletzungen"

Bild: @athmrva

Telepolis dokumentiert: Erklärungen zur Verdeckung einer Arbeit von Taring Padi auf der Documenta Fifteen

Schon in den vergangenen Wochen war die Documenta in Kassel mit einer Antisemitismusdebatte konfrontiert. Ein Banner der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi facht diese Kontroverse nun weiter an. Journalisten und anonyme Aktivisten haben das großflächige Bild „People’s Justice“ aus dem Jahr 2002 vor allem in sozialen Medien heftig kritisiert. „Das soll Kunst sein?“, fragte etwa die auch für die Grünen-nahe tageszeitung tätige Journalistin Anastasia Tikhomirova.

Grund für den Eklat sind mehrere Detaildarstellungen auf dem Kollektivwerk, unter anderem die eines Soldaten mit Schweinsgesicht, einem Halstuch mit Davidstern sowie einem Helm mit der Aufschrift "Mossad" – der Name des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Zu sehen ist auch eine Figur mit Kippa, Hut und Schläfenlocken, inklusive blutunterlaufene Augen, spitzen Zähne und einer krummen Nase, wie sie in antisemitischen Karikaturen üblich ist.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen) beanstandete nun die "antisemitische Bildsprache". Angesichts der Darstellung „findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen", erklärte sie. Die Documenta müsse die notwendigen Konsequenzen ziehen".

Telepolis dokumentiert im Folgenden die Erklärung des Künstlerkollektivs und der Aussteller.


Aufgrund einer Figurendarstellung in der Arbeit People’s Justice (2002) des Kollektivs Taring Padi, die antisemitische Lesarten bietet, hat sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung entschieden, die betreffende Arbeit am Friedrichsplatz zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren. Taring Padi äußert sich dazu wie folgt:

Die Banner-Installation People’s Justice(2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt.

Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren.

Das Banner wurde erstmals 2002 auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt. Seitdem wurde das Banner an vielen verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten gezeigt, insbesondere bei gesellschaftspolitischen Veranstaltungen, darunter: Jakarta Street Art Festival (2004), die retrospektive Ausstellung von Taring Padi in Yogyakarta (2018) und die Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung in Nanjing, China (2019).

Taring Padi ist ein progressives Kollektiv, das sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt einsetzt. Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.

Die Ausstellung von People’s Justice auf dem Friedrichsplatz ist die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext. Sie steht in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung. Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck.

Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen. Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird. Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann.

"Im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden"

Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH dazu:

Die Geschäftsführung der documenta ist keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein. Das Banner wurde am vergangenen Freitagnachmittag am Friedrichsplatz installiert, nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt wurden.

Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Werk nicht für Kassel, nicht für die documenta fifteen konzipiert wurde, sondern im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden ist und dort, wie an anderen außereuropäischen Orten gezeigt wurde.

Dies ist das erste Mal, dass die Arbeit in Deutschland und in Europa gezeigt wird. Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden. Gemeinsam haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken. Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein.