"Wir müssen Assad jagen"
Steht ein Krieg gegen Syrien bevor?
Während Syrien selbst angibt, sich auf eventuelle militärische Angriffe vorzubereiten, gehen Nahostbeobachter davon aus, dass diese von den USA diktiert und von Israel ausgeführt würden. Aussagen, wie die des neokonservativen ehemaligen Pentagon-Mitarbeiters Michael Ledeen sprechen dafür: „We have to go after Assad.“ Der allerdings steht so stark wie nie zuvor da. Zumindest im eigenen Land.
Das Referendum vom 27. Mai, in dem Baschar al-Assad mit 97,62 Prozent für weitere sieben Jahre „wieder gewählt“ wurde, manifestierte die Unantastbarkeit, die Syriens Staatspräsident im eigenen Land errang. Seit seinem Amtsantritt gelang es ihm, die „Alte Garde“ seines Vaters schrittweise auszumanövrieren und durch eigene Leute zu ersetzen, womit er zugleich die Basis der an der politischen Macht Beteiligten ausdünnte.
Syriens ohnedies uneinheitliche Opposition wurde in den vergangenen zwei Jahren zusätzlich geschwächt – Dissidenten wie Michel Kilo, Kamal el-Labawani und Anwar al-Bunni verschwanden hinter Gittern, im Ausland ansässige Opponenten, die mit dem nach Paris geflüchteten ex-Vize Abdel-Halim Khaddam und den in London exilierten Muslimbrüdern eine befremdliche Koalition eingingen, scheiterten an ihrer ideologischen Unglaubwürdigkeit. Der Geheimdienst hält unterdessen die Jugend des Landes in Schach - auf sie kommt es in dem demographisch jungen Land schließlich an und auf sie zielte Assads Megafeier im Anschluss an seine Amtsbestätigung ab: Statt militärischen Miefs zog ein dramaturgisch wie technisch hochprofessionell inszenierter Karnevalsumzug mit mehreren Stationen aus Syriens Historie auf – von Ugarit, in dem das erste Alphabet der Welt erfunden wurde, bis hin zur ökonomischen Moderne, präsentiert von Kindern in goldenen Kostümen.
Assad, der Unantastbare
Die Blinksignale sollen, vorrangig dem eigenen Volk, bedeuten: Wir sind jung und modern, aber eben mit jener syrisch-arabischen Eigenart, die uns vor westlicher Gleichmacherei bewahrt. Wir werden von einem jungen Präsidenten geführt, mit einer bildhübschen, in London aufgewachsenen First Lady zur Seite. Wer wollte dieses adrette Paar gegen die verbiesterten Rices, Boltons und Cheneys eintauschen, die den Irak in eine riesige Blutlache verwandelt haben?
Während dort nahezu täglich selbst die heiligsten Stätten in die Luft fliegen, baut Syrien auf. Das Land, dessen Hauptstadt für 2008 zur Hauptstadt der arabischen Kultur gewählt wurde, wird hübscher, moderner, sauberer. Überhaupt: Baschar al-Assad steht für Modernisierung – von Glamourshows bis zur ansatzweisen Privatisierung des Bankensystems. Das Volk mag diese Signale nicht wirklich verinnerlichen, aber es wird sich ihrer auch nicht erwehren. Zum einen will es die „Geburtswehen des Neuen Mittleren Ostens“ (Condoleezza Rices Kommentar zum Libanonkrieg 2006) nicht selbst durchleiden, zum anderen gefallen al-Assads Sound & Light-Initiativen durchaus, zum dritten ist es müde. In jedem Fall: Der bis vor kurzem noch gemeinhin als „dummer Junge“ mit niedriger politischer Lebenserwartung abgetane Präsident hat innenpolitisch alle ausgeschaltet.
Washington: Wut über ausgebliebenen Krieg gegen Syrien
Außenpolitisch sieht es fragwürdiger aus. Von Krieg ist die Rede. Der Parlamentsabgeordnete Muhammad Habbasch erklärte am 5. Mai gegenüber Al-Jazeera unumwunden: Ja, Syrien bereite sich auf den militärischen Ernstfall vor. Das sei kein Geheimnis, schließlich wolle man überleben. Das Szenario, dass Israel als Handlager der USA Syrien noch in diesem Sommer militärisch angreifen wird, ist tatsächlich nicht neu. Ein starker Assad missfalle der US-Administration zu sehr, sagt Hussam Itani, Kolumnist der libanesischen Tageszeitung As-Safir:
Sie wollen einen Assad, der von Iran, der Hisbollah und der Hamas abgeschlagen ist.
Den unkompliziertesten Weg dahin sieht das frühere libanesische Kabinettsmitglied Issam Naaman in einem Militärschlag gegen Syrien. Die aktuellen Ereignisse im Libanon könnten, selbst wenn sie „arabisch-salafitischen“ Ursprungs seien, Israel als wie auch immer gearteter Vorwand dienen.
Bereits im vergangenen Sommer drängten die USA Israel, seine Militärangriffe über die Grenzen Libanons hinaus auszudehnen. Was unter anderem die Jerusalem Post noch während des 33-Tage-Krieges gegen den Libanon berichtete, bestätigte letztlich niemand anderer als Meyrav Wurmser, Likud-Anhängerin, Direktorin des „Centre for Middle East Policy“ am Hudson Institut und Ehefrau von David Wurmser, dem neokonservativen Nahostberater von US-Vizepräsident Dick Cheney. In einem Interview gegenüber dem israelischen Ynet-Nachrichtenportal verlieh sie im Dezember ihrer Frustration über die nicht zustande gekommene Ausweitung des Krieges Ausdruck.
Die Wut bezieht sich auf den Umstand, dass Israel nicht gegen die Syrer kämpfte. Statt gegen die Hisbollah zu kämpfen, glauben viele Teile der US-Administration, dass Israel gegen den wahren Feind hätte kämpfen müssen und das ist Syrien, nicht die Hisbollah.
Medienberichten zufolge wiesen israelische Offiziere die Idee als „verrückt“ von sich. In einer Situation, da Israel die Hizbollah als die Kriegstreiberin anklagte, wäre eine Ausweitung der Angriffsziele dem Eingeständnis gleich gekommen, selbst der Aggressor zu sein.
Neuer Sommer, neuer Anlauf?
Frau Wurmsers Träume von einem „Clean Break“ könnten sich dennoch erfüllen. Gemeint ist damit jener Plan, der noch heute auf der Seite des „Institute for Advanced Strategic and Political Studies“ nachzulesen ist. Wurmser arbeitete ihn unter anderem gemeinsam mit ihrem Mann und unter Federführung von Richard Perle 1996 aus. Eine seiner Hauptempfehlungen an die israelische Regierung lautet, die Nordgrenze Israels gegenüber Syrien – auch durch Militärschläge auf dessen Territorium - abzusichern.
Die „Invasion in ein syrisches Dorf“ übte Israel jüngst zumindest schon einmal im Südnegev, mit Panzern, Infanterie und Luftwaffe. Generalstabchef Gabi Ashkenazi zeigte sich gegenüber der Jerusalem Post beeindruckt. Lediglich ein Element habe noch gefehlt – ein Feind.
Die Simulation fand im Rahmen der alljährlichen großen Übungsaktion der Israeli Defence Forces am 5. Juni statt. Es war das erste Mal seit dem Ausbruch der Zweiten Intifada, dass man nicht „Invasion in ein palästinensisches Dorf“ trainiert habe. Yaakov Katz von der Jerusalem Post sieht darin ein Zeichen für die „Verlagerung von Palästina und Hisbollah nach Syrien“. Dass dieses im Ernstfall militärisch unterliegen würde, bezweifelt Katz nicht. Aber er rechnet auch für Israel mit mehr als nur einem blauen Auge: Syrien verfüge unter anderem über 1000 Raketengeschosse, mit denen jede israelische Stadt zu treffen sei, über mehrere hundert moderne Scud Raketen und über hochtrainierte, auf Panzerabwehr spezialisierte Kommandos. Mit iranischen Geldern würden zudem hochmoderne russische Waffen eingekauft.
Israels Außenpolitik unter US-Management
Unterdessen lassen Hardliner wie Benjamin Netanyahu, Vorsitzender des konservativen Likud-Blockes und „Clean Break“-Befürworter, keine Gelegenheit aus, Syrien verbal Zähne zu zeigen. So betonte er anlässlich des 40. Jahrestages des Sechs-Tage-Krieges von 1967, dass ein Rückzug aus „Judea und Samaria“ Israel der Bedrohung der Auflösung preisgeben könnte. Condoleezza Rice übersetzt dies in US-Prosa: Syrien die Golan-Höhen zurückgeben? – „don’t even think about it.“
Die Frage, wer hier wem folgt, beantwortet unter anderem Stephen Zunes, Politikprofessor der University of San Francisco, in seinem „U.S. Blocks Israel-Syria Talks“ betitelten Artikel. Zwar würden diverse Stimmen in Israel für eine Wiederaufnahme der Gespräche mit Damaskus plädieren – etwa Außenministerin Tzipi Livni oder der ehemalige Verteidigungsminister Amir Peretz -, doch winke Washington ab.
Entsprechend wachse in Israels Gesellschaft der Ärger darüber, die eigene Außenpolitik der US-Administration überantwortet zu haben – eine Kursänderung bewirkt dies aber offensichtlich nicht. Anscheinend möchte keiner „Israels größten Freund, Präsident Bush“ (so die Definition von Innenminister Ronni Baron) verärgern.
Ehud Olmerts jüngste Ankündigungen, Syrien die Golan-Höhen zurückgeben zu wollen, sofern das Regime seine Beziehungen zum Iran und zur Hisbollah abbreche, nehmen daher die wenigsten Araber ernst. Eher seien sie ein Manöver, das von den eigentlichen, „von der Bush-Regierung autorisierten“ Kriegsplanungen ablenken soll, schreibt Naaman.