"Wir müssen die schwarze Droge Erdöl verstehen, um von ihr loszukommen"
Alexander Klose und Benjamin Steininger zu den komplexen Verflechtungen der Petromoderne, die epochenprägende Rolle eines Energieträgers und die vorsätzliche Abkehr vom Prinzip der Nachhaltigkeit
Alexander Klose und Benjamin Steininger sind Autoren des Erdöl. Atlas zur Petromoderne, erschienen bei Matthes & Seitz, mit dem sie die Abhängigkeit unserer gegenwärtigen Zivilisation vom Erdöl aufzeigen. Der Rohstoff ist nach wie vor begehrt, dabei sehr vielseitig und Grundlage unseres heutigen Wohlstands.
Klose und Steininger nähern sich diesem Energieträger von verschiedenen Seiten, dabei wird deutlich: So einfach lässt sich die Herrschaft des Erdöls und seiner Derivate nicht brechen.
Selbst die kritische Analyse ist abhängig von diesem Rohstoff, wenn etwa moderne Medien eingesetzt werden. Ganz abgesehen von den Transportwegen, die unsere Bücher und Innovationen nehmen. Ohne Strom wäre kein heutiges Leben in der Industrienation leicht möglich. Wie also mit einem solch omnipräsenten Stoffen wie Petroleum, Erdöl und CO₂ umgehen?
Zunächst eine weitgefasste Frage: Was kann man sich unter der Petromoderne vorstellen?
Alexander Klose: In einen Satz gefasst: Die Petromoderne ist der Teil der industriellen Moderne, der maßgeblich von der Verwendung von Treibstoffen und Materialien aus Erdöl geprägt war und ist. Seit dem Ersten Weltkrieg begann die Transformation der Gesellschaften durch das Erdöl im großen Stil.
Benjamin Steininger: Es ist innerhalb der Epoche der Moderne der Teil, der der Kohle- und Eisenbahnmoderne historisch nachfolgt. Dieser Zeitabschnitt wird durch den Verbrennungsmotor, durch eine ganz andere Art der Mobilität, durch Fliegerei, aber auch durch eine neue chemische Industrie geprägt, die dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in alle Lebensbereiche hineinreicht.
Über das Label der Petromoderne kann man zudem die Widersprüche und das gesamte Koordinatensystem der Moderne als ästhetische und politische Epoche im sehr konkreten, materiellen Reflexionsmedium der fossilen Brennstoffe und der Allverfügbarkeit von Erdöl in allen Lebens-, Denk- und Wissenschaftsbereichen betrachten und fassen.
Alexander Klose: Im Grunde ist dieser kritische Blick auf die Moderne als Petromoderne auch eine neue Form von Geschichts- und Gesellschaftswissenschaft, die das Materielle nicht nur bei Labour, also in der Kategorie der verrichteten Arbeit verortet, wie es bei marxistischen Theorien immer wieder der Fall ist, sondern auch bei den Naturstoffen oder den zu Kunststoffen weiterverarbeiteten Naturstoffen, wie beim Erdöl. Man geht von diesen Stoffen aus, um kulturelle, geschichtliche und materielle Entwicklungen zu deuten.
Das Material ist also die Basis Ihrer Analyse?
Benjamin Steininger: Das Spannende ist ja, dass das meist nur als passiv gefasste "Material" in diesem Sinne ein sehr aktiver Part in der Geschichte ist. Dies liegt am Energiegehalt und an der stofflichen Qualität der fossilen Rohstoffe.
Sowohl die Energie wie auch die stoffliche Verwendung, ob als Plastik oder in der Pharmazie oder als Kunstdünger, treibt Prozesse an. Es besteht damit eine Verknüpfung von Prozessen mit wahnsinnig langer Zeitdauer in der fossilen Biogeochemie und den Prozessen, die in der Technik, in der chemischen Industrie und damit in der modernen Geschichte stattfinden.
Das ist das Spannende an Erdöl, dass man über die Stoffe an den speziellen Prozesscharakter der Moderne herankommt. Denn genau dies unterscheidet sie von anderen historischen Epochen: dass sie durch die Nutzung fossiler Energie vormalige Wachstumsgrenzen sprengt und dass sie systemisch auf einer Fährte ist, die ganz explizit nicht nachhaltig gedacht ist, als ob es kein Morgen gäbe.
Dieser spezielle Geschichtsprozess der Moderne lässt sich über das Label der Petromoderne von ihrer stofflichen Basis herdenken.
In Ihrem "Atlas der Petromoderne" erhält man auch viel Einblick in die Befangenheit der Menschen, die mit diesem Rohstoff verbunden sind. Sie treiben diese Industrie voran, merken aber, dass dieser Fortschritt den Planeten ruiniert. Aus dieser Unheilsgeschichte scheint man nicht zu entkommen?
Alexander Klose: Es ist eine widersprüchliche Geschichte. Es ist nicht nur eine Unheilsgeschichte, sondern zugleich auch eine Heilsgeschichte, indem viele sogenannte Segnungen der Zeit, in der wir heute leben, sich diesem Material verdanken. Es hängt mit weiteren Möglichkeitsräumen zusammen, die mit der Erdölindustrie in Verbindung stehen. Genau das ist der Grund, warum das verhängnisvoll ist.
Man kann nicht einfach sagen: Jetzt hat es sich herausgestellt, dass sie schlecht ist, darum lassen wir sie lieber sein, und zwar radikal und überall! Wenn man überlegt, was passieren würde, wenn man das Öl aus der Gesellschaft und ihren Handlungsweisen und Kulturtechniken einfach herauszöge, stellt man fest, dass man quasi nackt dastünde. Man hätte keine Fortbewegungsmittel mehr, könnte auch Medizin nicht mehr so betreiben, wie sie sich in den letzten 80 Jahren eingebürgert hat. Natürlich lassen sich in jedem einzelnen Fall Alternativlösungen finden, aber das ist ein mehr oder weniger aufwändiger Prozess und nicht so einfach von jetzt auf gleich zu bewerkstelligen.
Es kommt noch hinzu, dass die Finanzierung des ganzen Wohlstands vom sprudelnden Öl abhing. Dann stellt sich in einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe die Frage: Wer subventioniert das dann? Wie kann man das überhaupt in diesem Umfang und in dieser nicht sparsamen Weise betreiben für das Unternehmen "moderne Gesellschaft"?
Das ist eine Rückversicherung durch das "Schwarze Gold", was in einigen Staaten der Welt, die reiche Öl- und Erdgasvorkommen haben, einen deutlichen Wohlstand generiert hat. Norwegen sichert hierdurch etwa die Renten seiner Bevölkerung.
Benjamin Steininger: Spannend ist hier, dass das Erdöl in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen ganz unterschiedliche Entwicklungen befördert hat. Es gibt die Beobachtung, dass das Erdöl schwache staatliche Strukturen noch schwächer macht und dass es umgekehrt in der Lage ist, starke staatliche Strukturen für die Bevölkerung gewinnbringend voranzutreiben.
Da ist Norwegen das Beispiel, das immer angeführt wird. Ein starker und sozialdemokratisch ausgerichteter Staat konnte durch den Aufbau eines Rentenfonds für seine im Übrigen auch relativ kleine Bevölkerung eine Art Wohlstandsparadies aufbauen.
Selbst dieses sehr reiche und fortschrittliche Land hat jetzt aber große Schwierigkeiten, sich im Selbstbild aus dieser Epoche zu lösen. Die Straßen in Norwegen sind zwar voller Teslas, aber es ist in weiten Teilen der Bevölkerung ein Tabu, überhaupt nur über ein Ende von Öl und Gas nachzudenken.
In den Ländern im Nahen Osten wiederum führten die enorme Energie und der Wohlstand, der dank der Ölförderung über diese vormodernen Gesellschaften geprasselt ist, gerade nicht zu einer Emanzipation und zu einer demokratischen Modernisierung der Gesellschaftssysteme.
Natürlich ist Saudi-Arabien auch ein moderner Staat, aber es folgt eben nicht dem Modell westlicher Demokratisierung und allgemein verbindlicher Menschenrechte. Das Erdöl befördert hier dies und dort das. Die Gegenwart ist damit von unterschiedlichen Petromodernen im Plural geprägt. Ein derartiger "Petrokulturvergleich" ist ein wichtiges Anliegen unseres "Atlas" gewesen.
Beim "Atlas" sticht hervor, dass Sie häufig mit Bildern und auch Anekdoten arbeiten, dass hier sich verschiedene Lebensgeschichten abspielen. War das ein Weg, der Vielfalt gerecht zu werden?
Benjamin Steininger: Das Vorgehen war eher umgekehrt. Wir hatten ja zunächst die Fundstücke. Unser Anliegen war, den sehr komplexen Wissensgegenstand Erdöl, bei dem ganz faktisch alles mit allem zusammenhängt, an dichten, kleinteiligen Beobachtungen und Quellen festzumachen. Wir wollen damit auch einladen, dass die Leserinnen und Leser in ihrer eigenen Alltagswelt die verschiedenen Aspekte reflektieren.
Das Vorgehen des "Atlas" war also, aus inhaltlich und grafisch ganz unterschiedlichen Bildwelten eine Art Panorama oder Mosaik zu erzeugen, das sich aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Geschichten zusammensetzt und einen Gesamteindruck dessen erzeugt, was in der Petromoderne faktisch, aber auch imaginär miteinander verknüpft ist.
Die Wissensform des Atlas, bei dem man aus einzelnen Karten und Geschichten ein großes Ganzes – in der Geografie etwa den Globus, aber auch andere komplexe Wissensgegenstände – zusammensetzt, ist dafür die leitende Idee gewesen, in Auseinandersetzung und Weiterentwicklung natürlich bestehender Ansätze der Petrokulturforschung etwa von Timothy Mitchell, Stephanie LeMenager, Kathryn Yusoff bis Andreas Malm.
Diese Verknüpfungen zu entdecken und bisschen stärker zu machen, wäre auch eine Methode der Theory Fiction, wie es der Philosoph Reza Negarastani etwa auch zum Erdöl in seinem Werk "Cyclonopedia" versucht hatte?
Benjamin Steininger: Unser Anspruch war schon der, dass wir ein Sachbuch liefern, das auch ein Chemieingenieur oder eine Geologin in die Hand nehmen können, ohne bei jeder zweiten Seite nachdenken zu müssen, ob das jetzt eine Spekulation oder noch die durch historische Quellen oder wissenschaftliche Forschung belegte Wirklichkeit ist.
Es war uns also wichtig, dass dies Hand und Fuß hat, was wir über tatsächliche historische und technische Abläufe schreiben. Aber die Welt der Petromoderne ist eben sehr schillernd, und da wirken die puren Fakten oft schon wie Literatur.
Alexander Klose: Gleichzeitig war und ist die Spekulation vielleicht die fruchtbarste Seite des Philosophierens und des Theoretisierens. Der Sprung ins Offene und Ungewagte: die Möglichkeit, etwas Neues zu erzählen, Zusammenhänge sichtbar zu machen, die sich nicht als sofort evident erweisen. Der Bereich, wo sich Theorie und Kunst treffen.
Das würde ich schon als ausgesprochen fruchtbar und bereichernd bezeichnen. Mit diesem Erkenntnisinteresse haben wir auch die Ausstellung Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters am Kunstmuseum Wolfsburg kuratiert.
Ich wollte jetzt noch auf das Technologische zu sprechen kommen: Was kann man sich unter der "Technosphäre" verstehen?
Benjamin Steininger: Bei der Beschreibung der Erde gibt es ein Schichtenmodell. Man spricht von der Lithosphäre, der Schicht der Gesteine, der Hydrosphäre, der Schicht des Wassers, der Atmosphäre in der Luft bis hin zur Stratosphäre, der Biosphäre, und manchmal wird auch noch die Eisschicht, die Kryosphäre, genannt. Und auch die Technik bildet eine erdumfassende Schicht. Bei Vladimir Vernadskij heißt sie noch "Noosphäre", mit Peter Haff dann "Technosphäre".
Die petromoderne Technosphäre umfasst 50 Millionen Kilometer von Bohrstrecken, die auf der Suche nach Öl und Gas vertikal in die Planetenoberfläche hineingetrieben wurden. Ihre Verkehrsnetze und Industriereviere erstrecken sich horizontal über die Erdoberfläche und mit ihren Abgasen hinein in die Atmosphäre.
Die Sphäre der Technik wurde durch die Petromoderne auf entscheidende Weise erweitert. In dieser Lesart ist die Technosphäre eine Art gefräßiger Superorganismus, eine mit technischen Mitteln erweiterte Super-Biosphäre, die genau wie diese zwischen und in den anderen Sphären drinsitzt.
Jedoch menschenverursacht …
Benjamin Steininger: Genau, erzeugt von Menschen im Verein mit außermenschlichen Energien und Materialien. Das Erstaunliche ist, dass diese physikalisch, verglichen etwa mit anderer Biomasse oder gar mit Wasser relativ kleine Menschenmenge auf dem Planeten gemeinsam mit den fossilen Energien und vielen anderen Stoffen tatsächlich in der Lage ist, den ganzen Planeten oder zumindest die Erdoberfläche umzuwandeln und umzuformen. Das ist die planetarisch gedachte Technik.
Alexander Klose: "Technosphäre" ist eigentlich ein komplementärer Begriff zu "Anthropozän". Das Anthropozän bezeichnet das von Menschen gemachte geologische Zeitalter aus der Perspektive der Naturgeschichte. Die Technosphäre bezeichnet eigentlich das Medium, welches das Anthropozän hervorgebracht hat und bewirkt, dass geologische Veränderungen im historischen Maßstab ablaufen.
Das Wissen über die Technosphäre ist auch bedingt durch den Fortschritt, der durch das Öl ermöglicht wurde.
Alexander Klose: In der Tat. Ohne dieses Wissen wären wir jetzt nicht da, wo wir uns befinden. Der Begriff der reflexiven Moderne umfasst das und die Kybernetik zweiter Ordnung benennt auch genau das: ein System, das sich durch Rückkopplungsschleifen mit sich selbst weiterentwickelt. Das trifft auch auf die Petromoderne zu.
Dass man dies als Anthropozän benennen kann, ist im Wesentlichen ein "Verdienst" der Petromoderne: Durch die petromoderne Technosphäre weiß man überhaupt erst, dass es solche Weltökosysteme gibt. Es sind die gleichen Modelle, die ursprünglich der industriellen Expansion und Extraktion dienten, welche jetzt den wissenschaftlichen Nachweis ermöglichen, dass es höchste Zeit ist, damit aufzuhören. Das ist in hohem Maße selbstreflexiv.
Benjamin Steininger: Ich würde noch ergänzen wollen, dass eine planetarische Technosphäre viele Ränder hat, Ränder zur Naturgeschichte, zur Atmosphäre, zu planetarischen Prozessen. Es entstehen überall Reibungsflächen, nicht, weil ein Auto irgendwo durch den Wald fährt, sondern indem die Technosphäre an planetarischen Grenzen kratzt.
An diesen wird einerseits die Technosphäre angepasst, aber es werden auch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum Funktionieren dieser Technosphäre notwendig. Es ist planetares Wissen in die banalsten Lebensäußerungen mit eingebaut.
Gigantische Apparaturen sind im Vorfeld notwendig, seismische Untersuchungen, Bohrstrecken, geologische Labors, Pipelines, Ozeantanker, chemische Raffinerie, damit ein Auto von A nach B fahren kann.
Es ist ein wissenschaftstheoretisch enorm fruchtbares, selbst und gerade in seinen zerstörerischen Dynamiken erkenntnisförderndes Gefüge. Kaum jemand weiß so viel über die Geschichte der Erde wie die Erdölkonzerne. Sie haben ganze Kontinente mit seismischen Untersuchungen erschüttert, durchstrahlt und durchleuchtet.
In der Sowjetunion wurde einmal mit Atombomben ein gesamtes unterirdisches Profil angelegt. Natürlich ist das wahnsinnig brutal, aber es hat auch Erkenntnisse über den Planeten gebracht, hinter die man auch nicht mehr zurücktreten wird. Das ist die tragische Komponente dieser Epoche. Und man kann diese Tragik aus den Wissenschaften ins Politische weiterdenken, auch hier gehen entgegenlaufende Bewegungen der Emanzipation und der Versklavung Hand in Hand.
Gibt es denn Lösungen für dieses Dilemma?
Alexander Klose: Die vordere Ebene, die gerade auch bei der Weltklimakonferenz zur Sprache kam, ist die Ebene von Verträgen und daraus hervorgehenden politischen Entscheidungen und neuen Gesetzen, die den Verbrauch begrenzen, verteuern oder verbieten. Die sich Regelungen und Verfahren überlegen, auf was man umsteigen kann. Welche Kompensationszahlungen eventuell bezahlt werden müssen. Wer überhaupt das zahlen soll.
Unser Forschungsanliegen ist ein anderes: Wir vertreten die These, dass man aus diesem Zeitalter nur heraustreten wird können, wenn wir im vollen Umfang Bewusstsein darüber erlangt haben, wie viele und welche seiner historischen Stränge untrennbar mit der Einführung der Erdöltechnologien und -materialien in Verbindung stehen. Ob wir diese Stränge weiter fortführen wollen oder ob der Epochenbruch eine Chance bietet, diese Stränge fallen zu lassen und mit gewissen Praktiken aufzuhören?
Um ein Beispiel zu geben: Das aktuelle logistische Weltsystem, das dazu geführt hat, dass Produktionsstätten in immer weiter entfernte Weltregionen verschoben werden, um banalste Produkte herzustellen, ist aus ökologischer Sicht, aber auch aus sozialen und politischen Gründen völlig untragbar geworden, weil es mit brutalsten Ausbeutungsverhältnissen in Verbindung steht beziehungsweise auf diesen basiert.
Etwas, was man in Europa und der westlichen Welt glaubte, beendet zu haben, die Rohheiten der industriellen Moderne, wird in Wirklichkeit seit hundert Jahren zunehmend verdeckt weitergeführt, indem es koloniale als postkoloniale Zustände verlängert und sich in diese verlagert.
Diese Ausbeutungsverhältnisse hängen mit der Petromoderne zusammen und es sprechen viele Gründe dafür, so schnell wie möglich damit aufzuhören. Jetzt besteht die Chance, im Zuge einer ökologisch begründeten Reform tatsächlich darüber hinwegzukommen. Wenn man die Notwendigkeit aus verschiedenen Gründen einsieht, damit aufzuhören.
Schlussendlich ist es in großen Teilen der Bequemlichkeit geschuldet, dass relativ viele Sachen hier so widersprüchlich sind. Ein Stück weit auch idiotisch und überflüssig – diese Erkenntnis ist nun wirklich nicht neu. Ich habe die Hoffnung, dass es zu wirklichen Veränderungen kommen kann, wenn klar wird, in welch hohem Maße diese Widersprüche mit einem der wichtigsten Treiber der modernen Ökonomie zusammenhängen: mit dem Erdöl.
Benjamin Steininger: Die Verflechtungen der aktuellen historischen Epoche mit Stoffen wie Erdöl zu untersuchen, ist auch zentral, um den Spielraum für alles Kommende einzuschätzen. Denn wir sollten nicht in die nächste, ähnliche Falle hineintappen: Man rettet ein kaputtes System in eine nur vermeintlich saubere Elektrowelt hinüber, wo man sich aber wieder genau den gleichen Verwerfungen ausgesetzt sieht.
Der Weg aus den tragischen Verflechtungen der petromodernen Epoche kann nur darüber führen, dass wir uns der realen und imaginären Macht dieser schwarzen Droge Öl und der damit verknüpften, weiteren Stoffe gewahr werden. Wir müssen uns eingestehen, dass der petromoderne Chemiebaukasten tief in unsere Gesellschaften hineinreicht, bis in unser Begehren und in unsere eigenen Körper. Das kann ein relativ schmerzhafter Prozess werden…
Alexander Klose: … eine Art von Trauerarbeit…, wenn wir begreifen, dass wir uns von einem Stoff emanzipieren müssen, dem wir zutiefst in unseren Handlungsmöglichkeiten und -ansprüchen und in unseren Selbstbildern verpflichtet sind.
Literatur:
Alexander Klose, Benjamin Steininger: Erdöl. Ein Atlas der Petromoderne. Berlin: Matthes & Seitz 2020. ISBN: 978-3-95757-942-3, 324 S., 43 Abbildungen, Hardcover, 26 EUR.
Andreas Beitin, Alexander Klose, Benjamin Steininger (Hrsg.): Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König GmbH & Co. KG 2021. ISBN 978-3-7533-0097-9, 400 S., zahlr. Abb., 45 EUR. (dt. und engl. Ausgabe).
Website: Beauty of Oil
Die beiden Autoren waren Teil des Klimakulturen-Festivals "Planet schreibt zurück!" vom 27. – 29. November 2021 in der Volksbühne und dem Babylon Kino in Berlin.