Wir sind acht Milliarden
Seite 2: Versöhnung von Bevölkerungspolitik mit den Menschenrechten
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Schon die Geschichte des 20. Jahrhunderts kennt eine ganze Reihe Versuche, das Bevölkerungswachstum einzudämmen.
Am bekanntesten dürfte die chinesische Ein-Kind-Politik sein. Wesentlich weiter verbreitet aber waren Zwangssterilisationen, wie die Programme in Indien. Solche Programme gab es auch in anderen Ländern – teilweise mit Unterstützung westlicher Geberorgansiationen. Teilweise laufen Sterilisationsprogramme für Frauen bis heute.
Doch anders als im Umweltbereich, in Bezug auf den Klimawandel oder im Hinblick auf eine Welt-Wirtschaftspolitik ist es in der Bevölkerungspolitik gelungen, die Menschenrechte mit den politischen Zielsetzungen zu versöhnen und auch international einen ziemlich weitreichenden Konsens darüber herzustellen.
Denn unumstritten ist: Bei den oben genannten, rabiaten Methoden der Bevölkerungskontrolle handelt es sich um schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen, bei denen nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung, auf körperliche Unversehrtheit und verletzt wird und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Eine Familie zu gründen und selber zu bestimmen, wie groß die werden soll, ist spätestens seit der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 weithin anerkanntes Menschenrecht. Damit alle Menschen – und vor allem alle Frauen dieses Recht wahrnehmen können, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein:
- Alle Menschen brauchen Zugang zu hochwertigen und umfassenden Informationen und Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
- Allen Menschen ist möglichst schon in jungen Jahren eine umfassende Sexualaufklärung zu bieten.
- Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist zu eliminieren und alle Opfer sind mit medizinischer, psychologischer und rechtlicher Hilfe zu unterstützen.
Wer die Rechte und die Gesundheit von Mädchen und Frauen respektiert, braucht sich um die Bevölkerungsentwicklung keine Sorgen zu machen
Weltweit hat sich zudem gezeigt, dass die Ausbildung und Stärkung von Mädchen und jungen Frauen zentral ist, wenn es um eine Senkung der Geburtenraten geht, die menschenrechtlich nicht nur unbedenklich ist, sondern Mädchen und Frauen neue Freiräume verschafft. Dazu gehört auch die Schulbildung von Frauen und Mädchen.
Unzählige Studien haben gezeigt, dass Frauen umso weniger Kinder bekommen, je besser sie ausgebildet sind, denn desto später und selbstbewusster gehen sie in die Ehe. Besonders eindeutig belegt ist der Zusammenhang zwischen geringerer Kinderzahl und Sekundarbildung von Frauen. Zudem sind gebildetere Frauen und Mädchen natürlich auch wesentlich häufiger sexuell aufgeklärt.
Doch der Weg ist noch weit: Immer noch kann jede vierte Frau weltweit nicht darüber entscheiden, wann sie Sex hat. 257 Millionen Frauen haben aktuell immer noch keinen Zugang zu modernen Verhütungsmethoden. Die Folge: Jährlich gibt es 121 Mio. unbeabsichtigte Schwangerschaften – davon 13 Mio. bei Teenagern. Jährlich werden 33 Mio. Abtreibungen durchgeführt, von denen viele leider illegal und daher allzu oft lebensbedrohlich sind.
Allein aus menschen- und frauenrechtlichen Gründen sind also weitere Investitionen in die Gesundheitsversorgung, Mädchenbildung und Familienplanung auf absehbare Zeit dringend geboten. Auch der Aufbau sozialer Grundsicherung kann bevölkerungspolitische Effekte zeitigen, wenn diese tatsächlich die Bedürftigsten erreichen, sie aus der Armut heben helfen und Fortschritte bei Ernährung, Gesundheit und Bildung beschleunigen.
Die Menschheit altert
Fast alle Industrieländer, viele Entwicklungs- und Schwellenländer und vor allem die Transitionsländer Osteuropas und Zentralasiens verzeichnen niedrige oder fallende Geburtenraten. Und das ruft die neoliberalen Hardliner auf den Plan.
"Problem Überalterung: Immer weniger Babys in China", informiert die ARD etwa Anfang des Jahres. Und die Salzburger Nachrichten melden im Oktober: "Überalterung drosselt EU-Wirtschaftswachstum".
Sorgen macht diesen Exegeten die Tatsache, dass nur noch ein schwindender Bevölkerungsanteil in vollem Umfang am Arbeitsleben teilhaben kann. Man sieht die Renten, die Pflege, die Gesundheitssysteme und die Krankenkassen in Gefahr.
Niemand aber scheint sich vorstellen zu wollen oder zu können, dass bei einem weiteren Wachstum der Produktivität weniger Menschen mehr Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen können. Und natürlich stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Verteilungsfrage wieder neu.
Die Entwicklungs- und Schwellenländer werden den demografischen Übergang früher oder später genauso meistern, wie es Europa tat (aber – Stichwort Altersarmut – leider immer weniger erfolgreich). Ein hoher Anteil älterer Menschen ist ein Beweis für den Erfolg einer Gesellschaft und nicht der reitende Vorbote des Untergangs, wie viele scheinbar meinen.
Folglich setzen sich Organisationen wie Help Age International bei ihrer Lobbyarbeit auch weniger mit den vermeintlichen Gefahren auseinander, die von den angeblich zu vielen Alten ausgehen. Sie richten den Blick auf die Qualität der Politiken, die die Regierungen für die Menschen – und für die Alten – machen. Und nur so wird auch ein Schuh draus.