Wir sind acht Milliarden
Weltbevölkerung: Das Wachstum wirkt rasant und stimmt bedenklich, aber es findet allmählich sein Ende. Jetzt ruft ein neues demografisches Problem die neoliberalen Hardliner auf den Plan.
Gerade erst elf Jahre ist es her, dass die Weltbevölkerung die Sieben-Milliarden-Grenze überschritten hat. Und irgendwann in diesem November gibt es bereits acht Milliarden und mehr von uns. Dieses Wachstum wirkt rasant und stimmt bedenklich. Dennoch ist es keineswegs gewagt, zu prognostizieren, dass dieses Wachstum noch in diesem Jahrhundert sein Ende findet.
Denn wuchs die Weltbevölkerung 2011 noch um etwa 80 Millionen Menschen pro Jahr, ist dieses Wachstum nun auf knapp 66 Mio. p.a. zurückgegangen. Entsprechend wurden die Prognosen nach unten korrigiert.
Galt es nach Einschätzung des Weltbevölkerungsfonds vor fünf Jahren noch als wahrscheinlich, dass die Menschheit bis zum Jahr 2100 auf über elf Milliarden anwachsen werde, ("Mittlere Prognose") geht das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung nun davon aus, dass der Höhepunkt mit rund 10,4 Milliarden Menschen in den 2080-er Jahren erreicht werden wird.
Warum kriegen Menschen viele Kinder – oder warum haben sie das zumindest die letzten 12.000 Jahre so gehalten? Wenn von zehn Kindern sieben bis neun sterben und wenn die Gefahr besonders hoch ist, dass die Mütter bei der Geburt ebenfalls sterben, macht es Sinn, so viele Kinder so früh und so schnell wie möglich in die Welt zu setzen. Unter vormodernen Bedingungen ist eine hohe Kinderzahl also rational.
Der demografische Übergang nähert sich seinem Ende – weltweit
Wenn sich die Situation ändert und von zehn Kindern auf einmal sieben bis neun überleben, beginnt die Bevölkerung natürlich zu wachsen – umso schneller, als die Menschen gleichzeitig die Chance bekommen, länger gesund zu bleiben und älter zu werden. Erst allmählich stellen sich die Leute auf die neue Situation ein.
In Europa hat diese als "demografischer Übergang" bezeichnete Periode etwa von 1840 bis 1980 gedauert. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ziehen auch die anderen Weltregionen schrittweise nach und stellen somit die ursprüngliche Bevölkerungsverteilung mehr oder weniger wieder her.
Vor allem Subsahara Afrika wird nach aktuellen Prognosen noch deutlich weiterwachsen, ist sich Dr. Frank Swiaczny vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung sicher. Ein Großteil des künftigen Wachstums der Weltbevölkerung werde dort und in einigen Ländern in Asien stattfinden. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben, schätzt Swiaczny.
Im aktuellen Stadium wächst die Weltbevölkerung vor allem aufgrund eines sekundären, quasi mathematischen Effektes weiter: Aufgrund der ersten Wachstumsphase leben derzeit sehr viele junge Menschen, die nun ihrerseits Kinder bekommen. Das lässt die Bevölkerung weiter wachsen – auch wenn jedes Paar nur ein bis drei Kinder zeugt.
Allen jenen, die um die planetaren Grenzen fürchten, weil die Weltbevölkerung immer noch weiter wächst, erteilen die Fachleute übrigens eine Abfuhr: Fast die Hälfte der globalen CO2-Emissionen werden von den zehn Prozent der Weltbevölkerung mit dem höchsten Einkommen verursacht, während der Beitrag der ärmsten Hälfte mit lediglich sieben Prozent zu vernachlässigen ist.
Versöhnung von Bevölkerungspolitik mit den Menschenrechten
Schon die Geschichte des 20. Jahrhunderts kennt eine ganze Reihe Versuche, das Bevölkerungswachstum einzudämmen.
Am bekanntesten dürfte die chinesische Ein-Kind-Politik sein. Wesentlich weiter verbreitet aber waren Zwangssterilisationen, wie die Programme in Indien. Solche Programme gab es auch in anderen Ländern – teilweise mit Unterstützung westlicher Geberorgansiationen. Teilweise laufen Sterilisationsprogramme für Frauen bis heute.
Doch anders als im Umweltbereich, in Bezug auf den Klimawandel oder im Hinblick auf eine Welt-Wirtschaftspolitik ist es in der Bevölkerungspolitik gelungen, die Menschenrechte mit den politischen Zielsetzungen zu versöhnen und auch international einen ziemlich weitreichenden Konsens darüber herzustellen.
Denn unumstritten ist: Bei den oben genannten, rabiaten Methoden der Bevölkerungskontrolle handelt es sich um schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen, bei denen nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung, auf körperliche Unversehrtheit und verletzt wird und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Eine Familie zu gründen und selber zu bestimmen, wie groß die werden soll, ist spätestens seit der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 weithin anerkanntes Menschenrecht. Damit alle Menschen – und vor allem alle Frauen dieses Recht wahrnehmen können, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein:
- Alle Menschen brauchen Zugang zu hochwertigen und umfassenden Informationen und Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
- Allen Menschen ist möglichst schon in jungen Jahren eine umfassende Sexualaufklärung zu bieten.
- Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist zu eliminieren und alle Opfer sind mit medizinischer, psychologischer und rechtlicher Hilfe zu unterstützen.
Wer die Rechte und die Gesundheit von Mädchen und Frauen respektiert, braucht sich um die Bevölkerungsentwicklung keine Sorgen zu machen
Weltweit hat sich zudem gezeigt, dass die Ausbildung und Stärkung von Mädchen und jungen Frauen zentral ist, wenn es um eine Senkung der Geburtenraten geht, die menschenrechtlich nicht nur unbedenklich ist, sondern Mädchen und Frauen neue Freiräume verschafft. Dazu gehört auch die Schulbildung von Frauen und Mädchen.
Unzählige Studien haben gezeigt, dass Frauen umso weniger Kinder bekommen, je besser sie ausgebildet sind, denn desto später und selbstbewusster gehen sie in die Ehe. Besonders eindeutig belegt ist der Zusammenhang zwischen geringerer Kinderzahl und Sekundarbildung von Frauen. Zudem sind gebildetere Frauen und Mädchen natürlich auch wesentlich häufiger sexuell aufgeklärt.
Doch der Weg ist noch weit: Immer noch kann jede vierte Frau weltweit nicht darüber entscheiden, wann sie Sex hat. 257 Millionen Frauen haben aktuell immer noch keinen Zugang zu modernen Verhütungsmethoden. Die Folge: Jährlich gibt es 121 Mio. unbeabsichtigte Schwangerschaften – davon 13 Mio. bei Teenagern. Jährlich werden 33 Mio. Abtreibungen durchgeführt, von denen viele leider illegal und daher allzu oft lebensbedrohlich sind.
Allein aus menschen- und frauenrechtlichen Gründen sind also weitere Investitionen in die Gesundheitsversorgung, Mädchenbildung und Familienplanung auf absehbare Zeit dringend geboten. Auch der Aufbau sozialer Grundsicherung kann bevölkerungspolitische Effekte zeitigen, wenn diese tatsächlich die Bedürftigsten erreichen, sie aus der Armut heben helfen und Fortschritte bei Ernährung, Gesundheit und Bildung beschleunigen.
Die Menschheit altert
Fast alle Industrieländer, viele Entwicklungs- und Schwellenländer und vor allem die Transitionsländer Osteuropas und Zentralasiens verzeichnen niedrige oder fallende Geburtenraten. Und das ruft die neoliberalen Hardliner auf den Plan.
"Problem Überalterung: Immer weniger Babys in China", informiert die ARD etwa Anfang des Jahres. Und die Salzburger Nachrichten melden im Oktober: "Überalterung drosselt EU-Wirtschaftswachstum".
Sorgen macht diesen Exegeten die Tatsache, dass nur noch ein schwindender Bevölkerungsanteil in vollem Umfang am Arbeitsleben teilhaben kann. Man sieht die Renten, die Pflege, die Gesundheitssysteme und die Krankenkassen in Gefahr.
Niemand aber scheint sich vorstellen zu wollen oder zu können, dass bei einem weiteren Wachstum der Produktivität weniger Menschen mehr Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen können. Und natürlich stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Verteilungsfrage wieder neu.
Die Entwicklungs- und Schwellenländer werden den demografischen Übergang früher oder später genauso meistern, wie es Europa tat (aber – Stichwort Altersarmut – leider immer weniger erfolgreich). Ein hoher Anteil älterer Menschen ist ein Beweis für den Erfolg einer Gesellschaft und nicht der reitende Vorbote des Untergangs, wie viele scheinbar meinen.
Folglich setzen sich Organisationen wie Help Age International bei ihrer Lobbyarbeit auch weniger mit den vermeintlichen Gefahren auseinander, die von den angeblich zu vielen Alten ausgehen. Sie richten den Blick auf die Qualität der Politiken, die die Regierungen für die Menschen – und für die Alten – machen. Und nur so wird auch ein Schuh draus.