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Wir sind die Marsmenschen

Nigel Kneale, die Queen, Hammer Horror und ein Professor als Rufer in der Wüste: Science Fiction im Großbritannien der 1950er

Heute vor 55 Jahren, am 18. Juli 1953, strahlte die BBC die erste Episode einer Science-Fiction-Serie aus, die Maßstäbe setzte: The Quatermass Experiment. Dieser Sechsteiler etablierte das bis dahin verlachte Genre im britischen Fernsehen, lieferte den Beleg, dass die Mattscheibe intelligente Unterhaltung für Erwachsene bieten konnte und ermöglichte es einer eher unbedeutenden Produktionsfirma namens Hammer Film, inzwischen längst Inbegriff des Horrors Made in Britain, sich neu zu erfinden.

Das Fernsehen - Radio mit Bildern

Anfang der 1950er Jahre herrschte bei der BBC ein militärischer Umgangston. Die meisten Chefstellen in der Verwaltung waren mit ehemaligen Offizieren besetzt, von denen der TV-Pionier Rudolph Cartier gesagt hat, sie seien "unfreundlich, alles andere als hilfsbereit und ausgesprochene Scheißkerle" gewesen. Vom Fernsehen hatten sie keine Ahnung. Leider galt das auch für die Kreativen, die dort angestellt waren. Die meisten von ihnen kamen vom Radio, einige auch vom Film, und sie waren vor allem eines: frustriert. Nigel Kneale hat das Elend so beschrieben:

"Ich sah traurigen Radioleuten dabei zu, wie sie versuchten, aus dem Fernsehen ein Radio mit Bildern zu machen, wie sie mit Photos versuchten, diese infernalische Mattscheibe zu füllen. Und ich sah enttäuschten Filmleuten dabei zu, wie sie an den Beschränkungen von Zeit und Platz verzweifelten, die ihre dafür nicht geschriebenen Drehbücher durcheinander brachten."

Kneale, der sich als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen gemacht hatte, war anders. Er war als Autor zur BBC gegangen, weil ihn der Gedanke faszinierte, dort an der Entwicklung eines Mediums mitwirken zu können, das noch in den Kinderschuhen steckte. Weil aber Fernsehspiele zunächst nichts weiter waren als ein Theater in der Kiste, musste er anfangs Theaterstücke adaptieren. Dann hatte er viel Glück. Michael Barry, der mehr wollte als sprechende Köpfe, wurde der Chef des Fernsehspiels. Barry führte den Samstagabend-Thriller ein, jeweils halbstündige Miniserien für Erwachsene. Im Sommer 1952 waren plötzlich die Sendeplätze für einen Sechsteiler frei. Die Lücke im Programm musste möglichst schnell gestopft werden. Der Auftrag ging an Nigel Kneale.

Von Science Fiction hielt man in Großbritannien (immerhin das Land von H.G. Wells) eher wenig. Bei der BBC dachte man dabei an Kinderkram und dümmliche Billigfilme aus Amerika. Das wollte man keinesfalls. Andererseits war die Zeit so knapp, dass Kneale im Grunde freie Hand hatte. Er tat nun das, was ihm am liebsten war. Er verknüpfte Science Fiction-, Horror- und Krimielemente und machte daraus eine Geschichte, die alte mit neuen Invasionsängsten verband: Professor Bernard Quatermass, Leiter der "British Experimental Rocket Group", schickt die erste bemannte Rakete ins All. Als das Raumschiff zur Erde zurückkehrt, sind zwei der drei gestarteten Astronauten verschwunden; der dritte, Victor Carroon, steht unter Schock. Während die Polizei im Dunkeln tappt, findet Quatermass heraus, dass ein außerirdischer Organismus in das Raumschiff eingedrungen ist, Carroons Körper übernommen und die beiden anderen Raumfahrer in diesen aufgesaugt hat. Carroon verwandelt sich in ein gigantisches Monster. Wenn sich die Sporen dieses Wesens ausbreiten, werden sie alles Leben auf der Erde vernichten. Quatermass kann das im letzten Moment verhindern.

Bring mir was mit: Prof. Quatermass geht auf Sendung

Als Producer wurde Rudolph Cartier eingeteilt. Auch das war ein Glücksfall. Der Producer führte Regie und war generell dafür verantwortlich, dass eine Produktion zustande kam. Meistens handelte es sich um einen Schauspieler, der das tat, was im schlimmsten Fall zu erwarten war: er ließ andere Schauspieler ihre Texte so aufsagen, als müssten sie mit Stimme und Mimik die hintersten Ränge eines Theaters erreichen. Der Österreicher Cartier (eigentlich hieß er Rudolf Katscher) hatte als Autor für die Ufa gearbeitet, war vor den Nazis nach England geflohen und von Barry zum Fernsehen der BBC geholt worden. Was er dort sah, gefiel ihm gar nicht. Sprechende Köpfe konnte auch er nicht leiden. Für ihn war Fernsehen ein primär visuelles Medium (damals keine Selbstverständlichkeit), das Emotionen und Ideen transportieren sollte. Das war neu und ganz im Sinne von Nigel Kneale.

Kneale schrieb die Bücher für die sechs Episoden in enger Zusammenarbeit mit Cartier, der ihm sagen konnte, was mit den Mitteln des Fernsehens umsetzbar war und sich auch sonst nicht abschrecken ließ. Kneale über Cartier: "Er war ein Mann, der nie ein Nein akzeptierte. Er brauchte nur zu wissen, dass es praktisch unmöglich war, und dann fing er sofort an und machte es." Weil beide ihren eigenen Kopf hatten, soll es öfter gekracht haben. Aber weil es stets ein kreativer Streit war, konnte das der Serie nur nützen. Im britischen Fernsehen der 1950er war die Partnerschaft Kneale-Cartier die produktivste überhaupt.

Fernsehspiele wurden grundsätzlich live ausgestrahlt, allenfalls unterbrochen durch einige vorab gefilmte Inserts. Der Stress war für alle Beteiligten enorm. Wenn etwas schiefging, wenn ein Schauspieler den Text vergaß oder wenn die Kulissen umfielen, landete das direkt in den Häusern der Besitzer eines TV-Geräts. Die Darsteller mussten ein Stück aufführen wie im Theater, jedoch ohne die direkte Reaktion des Publikums auskommen, tunlichst versuchen, eben nicht wie auf der Bühne zu agieren und auch noch damit zurecht kommen, dass sie zur Seite geschoben wurden, wenn sie der Kamera im Weg standen. Cartier war einer der wenigen Regisseure, die es verstanden, das so freigesetzte Adrenalin auf eine Weise für die Inszenierung zu nutzen, dass ein lebendiges (und kein unbeholfenes) Fernsehspiel dabei herauskam. Seinen sehr sorgfältig ausgewählten Darstellern verlangte er alles ab, aber er flösste ihnen auch das Selbstvertrauen ein, ohne das eine solche Live-Sendung schnell zum Desaster werden konnte. Wer in einer Cartier-Produktion auftrat, durfte damit rechnen, in der Fernsehkiste gut auszusehen. Das gab Sicherheit.

Nach fünf Probentagen war es endlich so weit. Am Samstag, den 18. Juli 1953, wurde alles noch einmal durchgespielt. Um 18.45 Uhr wurde das Abendessen serviert. Um 20.15 Uhr erschien der Titel "The Quatermass Experiment" [1] auf britischen Bildschirmen. Es gab nur ein Programm. Fernsehen war noch eine kollektive Erfahrung. 3,4 Millionen Zuschauer sollen miterlebt haben, wie eine Rakete in den Weltraum aufstieg (bei der letzten Folge waren es fünf Millionen). Damals wusste jeder, dass es sich um eine V 2 handelte. Die Verunsicherung des Publikums war damit garantiert. Heute ist dieses vom BBC-Archiv zur Verfügung gestellte Anfangsbild erklärungsbedürftig.

Der Kolumbus des Alls - von der V 2 zum Kernsprengkopf

1952 veröffentlichte Walter Dornberger, vormals Leiter der Abteilung für Raketenentwicklung im Heereswaffenamt Berlin und Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, seine in der BRD mehrfach neu aufgelegten und auch sofort ins Amerikanische übersetzten Memoiren mit dem Titel V 2 - Der Schuß ins Weltall. Dieser Titel spart aus, dass die "Vergeltungswaffe 2", ein für die Nazis entwickeltes Terrorinstrument, nicht einfach ins All geschossen wurde, sondern dass sie über London und Antwerpen wieder herunter fiel, dort etwa 6.000 Menschen tötete und für Angst und Schrecken sorgte (bei der Herstellung der Raketen kamen bis zu 20.000 KZ-Insassen und Zwangsarbeiter ums Leben). Durch seine Memoiren, so Dornberger, werde "Falsches endgültig richtiggestellt". Die bereinigte, von den "alten Peenemündern" favorisierte Version der Geschichte ist wie folgt:

Die V 2 war eine Großtat deutscher Ingenieure, durch die "in Peenemünde das Tor ins Zeitalter der Raumfahrt aufgestoßen" wurde, wie die Bunte 1964 schrieb. Die bedauerlichen Begleiterscheinungen dieser Meisterleistung waren in Anbetracht der Umstände (Wernher von Braun, einst technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt, sprach 1963 von "kummervollen Kriegsjahren") unvermeidlich und langfristig unerheblich. Die Wissenschaftler waren ausschließlich mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Dummerweise gab es da noch Himmler und die SS. Erst diese Schurken brachten das "3. Reich" nach Peenemünde, pervertierten ein einzig und allein auf die Erforschung des Weltraums abzielendes Projekt und errichteten direkt neben der heilen Welt der Forscher ein KZ (wie tief die "alten Peenemünder" tatsächlich in den Sklavenstaat verstrickt waren, kann man in Rainer Eisfelds Buch Mondsüchtig: Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei nachlesen).

Nach dem Krieg wurden von Braun und die meisten seiner Kollegen als "Beutedeutsche" in die USA gebracht (die anderen nahmen die Russen mit). Im April 1946 wurde in White Sands die erste der nun "amerikanischen" V 2 abgeschossen. Aber wirklich Verwendung für von Braun und seine Gruppe hatten die Amerikaner erst 1950, mit dem Beginn des Koreakriegs. In Huntsville in Alabama wurde in aller Eile ein moderner Raketenversuchskomplex aus dem Boden gestampft. Dort entstand die Redstone, eine weiterentwickelte V 2 mit Kernsprengkopf. Technischer Direktor war, wie zuvor in Peenemünde, Wernher von Braun. Seine Raumfahrtpläne (Erforschung des Mondes, Flug zum Mars) verkaufte er seinen Auftraggebern wieder, wie zuvor den Nazis, mit dem Hinweis auf die militärischen Vorteile. So regte er den Bau einer Raumstation an, von der aus er die Erde überwachen und östliche Aggressoren mit Atombomben beschießen wollte (Präventivschläge mit eingeschlossen). Von 1952 bis 1954 erschien in der millionenfach gelesenen Zeitschrift Collier’s eine Reihe von Artikeln, in denen von Braun seine Ideen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte.

1953 veröffentlichte Franz Ludwig Neher (der Ghostwriter von Walter Dornberger) in der BRD sein Buch Menschen zwischen den Planeten. Dieses utopische Werk (Vorwort und "technische Beratung": Wernher von Braun) feiert die Raumfahrt als den Garanten von Fortschritt und Weltfrieden. Der Westen ist dem Osten beim Bau einer mit "Raketengeschoßträgern" bestückten Raumstation gerade noch zuvorgekommen. Dank dieser Station können die Angriffspläne einer östlichen Diktatur zunichte gemacht werden. Das führt zum Ende des Kommunismus in der Sowjetunion und in China sowie zur Bildung eines Weltstaatenbundes, der einträchtig den Flug zum Mars beschließt. Es kam dann doch anders. Wernher von Braun wurde trotzdem zum Kulturhelden des Westens; als eine Art Karajan des Weltraums stieg er zum "Kolumbus des Alls" auf. Die Werbeabteilung von Collier’s verschaffte ihm zahlreiche Fernsehinterviews, in denen er Reklame für seine Artikelserie machte. Walt Disney inspirierte das zu drei TV-Filmen, die 100 Millionen Zuschauer erreicht haben sollen - mit Gastauftritten Wernher von Brauns, der zum Dank die Mondrakete im neu eröffneten Disneyland entwarf.

Die Raumfahrt: Experiment mit Risiko

Nur in Großbritannien - also am anderen Ende der von den alten V 2 beschriebenen Flugparabel - blieb man skeptisch. Kneales Prof. Quatermass ist in vielem der Gegenentwurf zu Wernher von Braun: ein empfindsamer Mensch mit viel Ehrfurcht vor der schieren Größe dessen, was er im Weltall entdecken könnte, ein Forscher mit einem Gewissen und ohne die selbstzufriedene Gewissheit, sich den Weltraum mir nichts dir nichts untertan machen zu können, wenn erst die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. "Ein Experiment", sagt die Erzählerstimme zu Beginn der ersten Episode von The Quatermass Experiment, "ist eine Unternehmung, die darauf abzielt, eine unbekannte Wahrheit zu entdecken - und auch ein Risiko." Zu diesem Risiko gehört, dass die zivile Weltraumfahrt untrennbar mit deren militärischer Nutzung verbunden ist (etwas, das von Braun je nach Bedarf besonders hervorhob oder vehement in Abrede stellte). Das wird schon daraus deutlich, dass Quatermass seine Rakete von Australien ins All schickt; dort machte auch das britische Kriegsministerium, ganz real, seine Raketentests, und dort arbeiteten britische Forscher an der Wasserstoffbombe.

Damals wie heute stand die britische Regierung treu an der Seite der USA, auch wenn das in der Bevölkerung nicht nur Zustimmung fand. Die Royal Navy war von Anfang an am Koreakrieg beteiligt gewesen, und Ende 1950 hatte man Bodentruppen vor Ort geschickt. Im Sommer 1953 waren in Großbritannien noch immer die Lebensmittel rationiert, und man fragte sich, ob man unbemerkt in den nächsten Krieg hineingeschliddert sei - diesmal in einen, den man nicht überleben konnte. Fernsehen und Radio klärten Hausbesitzer wieder darüber auf, wie sie sich zu verhalten hatten, wenn ihr Anwesen von einer Bombe getroffen wurde. Vor diesem Hintergrund wirkt die von Cartier mit viel Humor umgesetzte Szene, in der Quatermass’ Rakete mitten in einem Haus im Londoner Vorort Wimbledon landet, sehr beklemmend. Kneale hat seinen Mehrteiler als "kontrollierte Paranoia" bezeichnet; als eine Schutzimpfung gegen Ängste, die keineswegs irrational sind, auch wenn sie so erscheinen mögen.

Krönung in Westminster: das erste große TV-Ereignis

The Quatermass Experiment war nicht der einzige Höhepunkt des Fernsehjahres 1953. Am 2. Juni wurde Elisabeth II. in einem Moment nationaler Identitätserfahrung in Westminster Abbey zur Königin gekrönt. Elisabeth traf damals eine folgenreiche Entscheidung. Sie erlaubte der BBC, das Ereignis im Fernsehen zu übertragen - gegen den Widerstand Churchills und der Regierung. Nicht nur die Konservativen fanden eine solche Übertragung in höchstem Maße unschicklich. An den Film hatte man sich gewöhnt (niemand erhob Einspruch gegen Aufnahmen, die anschließend in den Kinos gezeigt wurden), aber das Fernsehen, der neue Paria unter den Massenmedien, hätte niemals Einlass in die Abtei erhalten, wenn es nach Churchill gegangen wäre.

Die insgesamt 13-stündige Übertragung der Krönungsfeierlichkeiten wurde ein Meilenstein in der Geschichte des Fernsehens. In Großbritannien war es der Durchbruch. Der Absatz von TV-Geräten schnellte in die Höhe; Kulturkritiker, die das Medium argwöhnisch beäugten, gerieten in die Defensive; die Verantwortlichen der BBC empfanden die Anerkennung durch das Königshaus als eine Art Ritterschlag. Und eine kleine Minderheit von Privilegierten beklagte den Verlust alter Werte, weil nun die Bilder von dieser Krönung direkt in die Pubs und Wohnstuben des gemeinen Volkes geliefert wurden (auch wenn ein von Churchill instruierter Beamter der BBC diktierte, aus welcher Entfernung die Königin gezeigt wurde).

The Quatermass Experimen fand von Woche zu Woche mehr Zuschauer. Kneale und Cartier waren sich ihrer Sache deshalb sehr sicher und wählten für das Finale Westminster Abbey als Schauplatz. Das war eine Provokation und eine selbstironische Bestätigung der Ängste aller Kulturpessimisten: erst war die BBC mit ihren Fernsehkameras gekommen, und jetzt würde sich in jenen heiligen Hallen, in denen die junge Königin ihren größten Moment erlebt hatte, ein grässliches Monster ausbreiten. Dann erfuhr Kneale, dass sich niemand bei der BBC für Spezialeffekte zuständig fühlte. Er habe sich das Ungeheuer ausgedacht, hieß es, jetzt solle er sich auch selber darum kümmern. Schließlich vergrößerte jemand ein Photo vom Inneren der Abtei. In dieses Bild wurden zwei Löcher für Kneales Hände geschnitten, die in Handschuhen mit aufgeklebten Monster-Accessoires steckten. Fertig war das Ungeheuer aus dem Weltall. Zur Strecke gebracht wurde es nicht nach der Art von Brauns oder Hollywoods. Quatermass hielt eine Ansprache an die drei im Monster aufgegangenen Astronauten und überzeugte diese, zur Abwendung des Weltuntergangs Selbstmord zu begehen. Das Monster wurde nicht mit Waffengewalt besiegt, sondern durch die Macht des Wortes, durch einen Appell an den Intellekt, an die Emotion und an die Menschlichkeit.

Technische Probleme: Die BBC bedauert

Kurz vor dem Ende der letzten Episode fiel ein Mikrofon aus. Nach einer sechsminütigen, von der BBC mit Walzermusik überbrückten Unterbrechung konnte es weitergehen. Für viele der an Hollywoodware gewöhnten Zuschauer war der Schluss zu fremd und zu unerwartet. Ihr Unverständnis lasteten sie der Unterbrechung an. Bald kamen Gerüchte auf, dass es sich in Wirklichkeit um einen Eingriff der Zensur gehandelt habe. Eine Wiederholung gab es leider nie. Vor der Erfindung des Videobands konnten Live-Sendungen nur direkt von einem Monitor abgefilmt werden, was zu einem deutlichen Qualitätsverlust führte. Außerdem sträubte sich die Schauspielergewerkschaft Equity gegen die Aufzeichnung von Fernsehspielen, weil sie fürchtete, dass ihre Mitglieder überflüssig sein würden, wenn die BBC erst einmal genug Sendungen archiviert hätte, um das Programm mit Wiederholungen bestreiten zu können. Trotzdem sollte der Mehrteiler komplett auf 35-mm-Film festgehalten werden, um ihn nach Amerika verkaufen zu können. Als aber nach technischen Problemen und Ärger mit der Gewerkschaft während Folge 2 auch noch ein Insekt auf der Kathodenstrahlröhre des Aufzeichnungsgeräts (ein umgebauter Projektor) Platz nahm, gab man den Plan auf. Deshalb sind nur die ersten beiden Episoden dieses für die Fernsehgeschichte so bedeutsamen Mehrteilers erhalten.

Zwei Tage nach der Ausstrahlung der letzten Folge ging bei der BBC ein Brief der Hammer Film Production Ltd. ein. Tony Hinds, kreativer Kopf des kleinen Familienunternehmens, wollte die Filmrechte erwerben. Für die Firma Hammer war das ein Risiko. Man hatte Erfolg mit der Verfilmung populärer Hörspiele gehabt, aber ob das Publikum bereit sein würde, im Kino für etwas zu bezahlen, das es so ähnlich schon auf der Mattscheibe gesehen hatte, musste sich erst noch erweisen - andere Filmfirmen jedenfalls scheuten das Fernsehen wie der Teufel das Weihwasser. Als erster erfuhr Nigel Kneale, dass eine solche Kooperation eigentlich nicht vorgesehen war. In seinem Vertrag mit der BBC stand davon nichts. Deshalb hatte er kein Mitspracherecht bei der Kürzung seiner Bücher (um mehr als die Hälfte), und an der Kinoversion verdiente er keinen Penny.

An den teils sehr empörten Reaktionen auf den TV-Sechsteiler konnte man ablesen, dass die Kinofassung in die 1951 neu eingeführte X-Kategorie (Freigabe ab 16) fallen würde. Ein "X" galt als gleichbedeutend mit dem kommerziellen Exitus, weil sich die großen Kinoketten weigerten, solche Filme zu zeigen. In James Carreras hatte die Firma Hammer allerdings einen Chef, der vom Film keine Ahnung hatte, dafür aber ein Verkaufsgenie war und über beste Kontakte verfügte. Er wusste, dass die Ketten im Begriff waren, ihre ablehnende Haltung zu überdenken, weil sich die Säle durch das bisher anvisierte Familienpublikum nicht mehr füllen ließen. Die Exclusive Film (der Verleiharm von Hammer) würde im richtigen Moment bereit sein, das gewünschte Produkt zu liefern. Dafür wurde ein Budget in Höhe von 42.000 Pfund festgesetzt (die TV-Serie hatte 3.502 Pfund gekostet). Für einen Science Fiction-Film war das lächerlich wenig; für Hammer-Verhältnisse war es recht beachtlich.

Horror-Comics im Palast: Die Queen sieht fern

Die BBC wollte inzwischen mehr vom Duo Kneale/Cartier. Am besten sollte es wieder mit der Zukunft zu tun haben. Der Sonntagabend war für das einteilige Fernsehspiel nach einer literarischen Vorlage reserviert. Am 12. Dezember 1954 wurde auf diesem Sendeplatz - wieder live - Kneales und Cartiers Version von George Orwells Roman 1984 ausgestrahlt. In einem Land, dessen Hauptstadt noch schwer von den deutschen V 2 gezeichnet war, schlug die Geschichte aus einem Großbritannien der Zukunft, das von einem totalitären Regime beherrscht wird, ein wie eine Bombe. Peter Cushing (als Winston Smith) war so überzeugend, dass mehr als 1000 empörte Anrufe bei der BBC eingingen. Am nächsten Morgen machten die großen Zeitungen mit Schlagzeilen auf wie dieser: "FOLTERUNGEN IM FERNSEHEN ENTSETZEN GANZE NATION". Ein Herr Hunt aus Leicester soll hier stellvertretend für viele andere stehen, die ihrem Ärger schriftlich Luft machten: "Seit Wochen", schrieb er, "müssen wir am Sonntag trostlose, unmoralische und sadistische Stücke für Intellektuelle sehen. Die verantwortlichen Personen für Nineteen Eighty-Four sind Sadisten und Leser von Horror-Comics."

Mit "Horror-Comics" waren generell Comics für Erwachsene gemeint, die amerikanische GIs mit nach Europa gebracht hatten. Die Macher von Nineteen Eighty-Four fanden sich plötzlich mitten in einer Kampagne gegen diese Hefte wieder, die gerade richtig in Schwung gekommen war, weil sich ihr der Lehrerverband angeschlossen hatte. Das sonntägliche Fernsehspiel wurde üblicherweise ein paar Tage später wiederholt (erneut als Live-Sendung). Im Parlament wurde bereits darüber gestritten, ob man das in diesem Fall verhindern solle, als Michael Barry Prinzessin Margaret einen Besuch abstattete (ihr und Queen Mum hatte Nineteen Eighty-Four gefallen). Das führte zu einer Audienz bei Prinz Phillip. Anschließend teilte die BBC mit, der Herzog von Edinburgh habe seine Bewunderung für das Fernsehspiel und dessen Botschaft zum Ausdruck gebracht, und die Königin sehe das genauso. Die Wiederholung konnte wie geplant ausgestrahlt werden, wenn auch unter Polizeischutz. Peter Cushing galt von da an als der "Horrormann der BBC", und auch Kneale und Cartier hatten einen eher zweifelhaften Ruf, als sie mit der Arbeit an Quatermass II begannen.

Raketen und Regenmäntel: Hammer startet durch

Am 26. August 1955 lief in London die von Val Guest inzenierte Hammer-Version von The Quatermass Experiment an. Bereits die ersten Minuten machten klar, dass hier eine Firma, die bisher wenig spektakuläre Programmfüller geliefert hatte, dabei war, sich neu zu erfinden. Nach einem Schwenk über den wolkenverhangenen Himmel sehen wir eines jener langweiligen Liebespaare, wie sie seit 20 Jahren den britischen Film bevölkerten. Das spröde Paar, das seine Erregung hinter einem albernen Lachen verbirgt, lässt sich zu einer linkischen Umarmung in einen Heuhaufen fallen, als es von einem Heulen aufgeschreckt wird, das die nächtliche Stille zerreißt. Während der Lärm immer größer wird, rennt das junge Paar in Panik zu einem jener Häuschen, in denen seit 20 Jahren die britische Mittelklassenidylle zelebriert wurde. Kaum haben sie das Häuschen erreicht, stürzt die Decke ein. Mitten im Heuhaufen, oder was davon noch übrig ist, steckt wie ein grotesker Riesenphallus eine Rakete.

Nigel Kneale vermisste den philosophischen Tiefgang seiner Vorlage, und bis an sein Lebensende ärgerte er sich über den Hauptdarsteller. Der nachdenkliche Reginald Tate, der erste Fernseh-Quatermass, war seine Idealbesetzung gewesen. Bei der Firma Hammer wurde die britische Raketenforschung plötzlich von einem Amerikaner geleitet, weil das dort - mit Blick auf den US-Markt - so üblich war. Brian Donlevy, Hollywoodstar im Sinkflug, war ein massig gebauter, dabei aber schüchterner und zärtlicher Mensch, der am liebsten Gedichte schrieb und darunter litt, dass er meistens den Schurken spielen musste. Er hatte ein Alkoholproblem, vergaß dauernd seinen Text, war frustriert und wurde immer wütender. Diese Wut jedoch förderte auch das Adrenalin zutage, das er dringend brauchte, um durch den Film zu kommen. Für einige war Donlevy, der 82 Minuten lang wirkt, als würde er gleich in die Luft gehen (und sich bestimmt weder durch Außerirdische noch durch ignorante Engländer an der Erfüllung seiner Mission hindern lassen) der perfekte Quatermass. Val Guest war überzeugt, dass er genau die körperliche Präsenz mitbrachte, die nötig war, um die Geschichte glaubwürdig zu machen. Für den empörten Nigel Kneale war er "ein nasser Regenmantel auf der Suche nach einem Platz zum Tropfen".

Bei der BBC war man aus anderen Gründen entsetzt. Die Zensoren hatten der Hammer-Produktion zunächst jegliche Klassifizierung verweigert, ohne die ein Film nicht öffentlich aufgeführt werden durfte. Das "X" wurde erst nach zähem Ringen erteilt. Dann schlug die Stunde des Vermarktungsgenies James Carreras. Statt das gefürchtete "X" schamhaft zu verstecken, entschied er sich für eine aggressive PR-Strategie und machte damit Reklame, indem er in Anzeigen und auf Plakaten den Titel neu buchstabieren ließ: The Quatermass Xperiment [2]. Vor dem Hintergrund des britischen Kinos der 1950er war der Film eine einzige Provokation. Der größte Kinoheld, eine in himmlischen Gefilden zu gleichsam mythischer Dimension anschwellende Figur, war damals der unerschrockene Flieger, der im Kampf gegen die Deutschen über sich hinaus wachsende RAF-Pilot. The Quatermass Xperiment holt ihn, in Gestalt des Astronauten Victor Carroon, zurück auf die Erde. Dort landet er in einer deutlich von James Whales Frankenstein inspirierten Szene. Schauplatz ist ein Brackwasser an der Themse. Hier trifft der in den Dialogen wiederholt als Held gepriesene Pilot, der sich in finsteren Ecken herumtreibt und seine grotesk verformte Hand unter einem schmutzigen Regenmantel verbirgt, ein kleines Mädchen, dessen Puppe er symbolisch den Kopf abschlägt. Die Szene wirkt ganz so, als solle an Carroons Beispiel zunächst vor den Folgen exzessiven Masturbierens (die entstellte rechte Hand) und dann vor perversen Kindsverderbern gewarnt werden. Alle Versuche dieses Helden der Lüfte, sein Problem mit Hilfe staatlich zugeteilter Medikamente ("Lösen Sie hier Ihr Krankenkassen-Rezept ein", steht auf einem Schild in der Apotheke) oder durch eine Rückkehr in die bürgerliche Familie in den Griff zu bekommen, scheitern kläglich.

Vom Privatfernsehen gerettet: Quatermass II

Die geschockten Entscheidungsträger der BBC hätten vermutlich auf einen zweiten Quatermass-Mehrteiler verzichtet, wenn nicht im September 1955 das Privatfernsehen den Sendebetrieb aufgenommen hätte. Im Kampf gegen die Konkurrenz galt Quatermass als die schärfste Waffe. Deshalb wurde auch ein Budget von 7.500 Pfund bewilligt. Cartier gab das die Möglichkeit, mehr Einstellungen des Sechsteilers vorab zu produzieren (der große Rest wurde wieder live aufgeführt und gesendet). Als neuer Quatermass wurde John Robinson engagiert, weil Reginald Tate kurz vor der Ausstrahlung der ersten Episode am 22. Oktober 1955 starb.

Als Angestellter der BBC hatte Kneale den Official Secrets Act unterschreiben müssen, sich also verpflichtet, im Interesse der nationalen Sicherheit den Geheimhaltungswünschen der Behörden nachzukommen. Das gab ihm zu denken. Inzwischen war allgemein bekannt, dass die Briten eine eigene Wasserstoffbombe entwickelten. Zu diesem größten der Geheimnisse kamen viele kleine. Es gab ein geheimes Kraftwerk zur Gewinnung von Nuklearmaterial, eine geheime Fabrik zur Herstellung bakteriologischer Kampfstoffe, geheime Radaranlagen, geheime Flugplätze und unterirdische Bunker, in denen ausgewählte Persönlichkeiten den drohenden Atomkrieg überleben sollten. Daraus machte Kneale seine Geschichte: "Angenommen, Quatermass würde auf eine riesige Anlage zur Herstellung von synthetischen Nahrungsmitteln stoßen, aber keiner Nahrung für den menschlichen Verzehr - in einer Anlage, die bereits eine außerirdische Lebensform beherbergt?"

In Quatermass II plant der Professor die Besiedelung des Mondes, muss dann aber feststellen, dass Außerirdische bereits mit dem Kolonisieren der Erde begonnen haben. Schlüsselpositionen im Behördenapparat und in der Regierung sind längst mit Personen besetzt, deren Körper und Geist von den Außerirdischen übernommen wurden. Diese Zombies stellen sicher, dass in einem industriellen Komplex ein gigantischer Organismus entstehen kann. Nur Quatermass und einige wenige Mitstreiter geben sich nicht mit offiziellen Beschwichtigungen und allgemeinen Hinweisen auf die Geheimhaltungspflicht zufrieden.

Die meisten Außenaufnahmen entstanden auf dem Gelände einer neuen Ölraffinerie der Firma Shell im Mündungsgebiet der Themse. Die Raffinerie war weitgehend automatisiert. Bei seinen Recherchen fand Kneale heraus, dass das Bedienungspersonal nicht genau wusste, was es da tat und keine Ahnung davon hatte, welche Umweltschäden durch die Raffinerie angerichtet wurden. Auch die irischen Bauarbeiter, die gerade mit der Erweiterung der Anlage beschäftigt waren, interessierten sich nicht für solche Dinge. Kneale erfuhr dafür viel über die Sicherung von Arbeitsplätzen und nationaler Energieversorgung. Ein von ihm erfundener Journalist, der in der Serie die Wahrheit herausfinden will, gibt vor, eine Reportage darüber zu schreiben, wie es ist, in einer modernen Industrieanlage zu arbeiten. Das darf man ganz wörtlich nehmen. Quatermass II ist so aktuell wie eh und je. Man muss die Aliens nur durch Autos oder Kernkraft ersetzen.

Arbeiteraufstand bei Shell: Quatermass macht mobil

Bei Kneale geben sich die durch Quatermass aufgerüttelten Arbeiter nicht mehr damit zufrieden, dass Management und Behörden beunruhigende Vorgänge mit neuen, unverständlichen Begriffen belegen und dann für unbedenklich erklären. Sie stürmen die Fabrik und machen dem unwissentlich hochgepäppelten Organismus den Garaus, indem sie ihn mit der reinen, unverpesteten Luft (oder, metaphorisch verstanden: der Wahrheit) in Berührung bringen. Cartier setzte den Aufstand der Arbeiter mit so viel Verve in Szene (offensichtliches Vorbild waren Fritz Langs Mabuse-Filme), dass die Sache Kneale ein wenig unheimlich geworden zu sein scheint. Jedenfalls verlegte er den Referenzpunkt weg aus der britischen Alltagswirklichkeit und hinter den Eisernen Vorhang, wenn er später immer betonte, er habe den Volksaufstand in Ungarn vorweggenommen. Damit tat er sich selber unrecht. Die meisten Science Fiction-Filme, die im Kalten Krieg aus Hollywood kamen, kann man in ein simples Gut-Böse- bzw. West-Ost-Schema einordnen. Die Quatermass-Geschichten sind dafür viel zu komplex.

Der durchschnittliche Fernsehregisseur der 1950er konzentrierte sich auf Köpfe in Groß- und Nahaufnahme. Für alles andere, hieß es, sei das TV-Bild zu klein. Rudolph Cartier ließ sich dadurch nicht beirren. Er inszenierte Quatermass II über weite Strecken wie einen Kinofilm, als Spektakel mit Massenszenen (man kann heute noch bewundern, wie gut ihm das gelungen ist, weil der Mehrteiler mit verbesserter Technik komplett aufgezeichnet wurde). Allerdings hatte er nach Folge 5 fast kein Geld mehr übrig. Darunter litt die auch wieder von Tonproblemen geplagte Schlussepisode, in der Quatermass in seiner Mondrakete zu dem Asteroiden fliegt, von dem aus die Aliens die Erde infiltrieren. Erneut beklagten sich viele Zuschauer darüber, dass sie das Ende nicht verstanden hatten. Vielleicht hing dieses Unverständnis aber auch damit zusammen, dass das Ende so überraschend war. Quatermass, der Protagonist einer friedlichen Nutzung der Raumfahrt, funktionierte seine atomgetriebene Rakete zur Bombe um, mit der er kurzerhand den feindlichen Asteroiden in die Luft sprengte. Damit hatte er sich sehr weit in die Welt des Wernher von Braun begeben.

Kneale hatte inzwischen mit der BBC einen neuen Vertrag ausgehandelt. Jetzt durfte er selbst das Drehbuch für die Filmversion von Quatermass II [3] schreiben, und er bekam auch Geld dafür. Die Kröte, die er schlucken musste, hieß Brian Donlevy. Wieder war er erbost darüber, was aus seinem Quatermass, einem nachdenklichen Mann der Wissenschaft, geworden war:

"Donlevy spielte ihn wie einen Mechaniker, eine Kreatur mit einem vollkommen abgeschlossenen Verstand. Er konnte aus phantasievollen Dialogsätzen nichts machen, bellte und brüllte sich einfach durch die Geschichte. Ein brutaler Kerl, dessen emotionale Bandbreite von Verärgerung bis zu richtiger Wut reichte."

Alkohol und lange Sätze: Tony Hinds denkt um

Oft sind es die kleinen Dinge, die Großes bewirken. Val Guest, wieder als Regisseur verpflichtet, kam gern sofort zur Sache. Deshalb kürzte er Kneales "phantasievolle Dialogsätze", wo es nur ging. Trotzdem sind die Dialoge viel länger als in Xperiment. Dem alkoholisierten Donlevy merkt man an, wie sehr er damit zu kämpfen hatte. Val Guest blieb in Treue fest. Er lobte seinen Star bei jeder Gelegenheit und erzählte immer wieder (als Ablenkungsmanöver) die Anekdote von Donlevys Toupet, das die Windmaschine davongeblasen hatte. Tony Hinds, der Produktionschef, ließ sich dadurch nicht täuschen. Er kannte die Abrechnungen. Donlevys chronische Textunsicherheit erforderte viele Retakes, kostete somit Zeit und Geld. In Hinds ließ das den Entschluss reifen, es in Zukunft lieber mit nüchternen Briten wie Peter Cushing und Christopher Lee zu versuchen. Und doch: Kein anderer Filmheld hat je einen Regenmantel so überzeugend als Rüstung getragen wie Brian Donlevy.

Für James Carreras, den Geldsammler und Verkäufer, war etwas anderes interessant. In Amerika galt er jetzt als wichtig genug, um direkt - und nicht mehr über Mittelsmänner - mit den großen Hollywood-Studios verhandeln zu dürfen. Beim Aufstieg seines Unternehmens war das ein entscheidender Faktor. Mit den beiden Quatermass-Filmen beginnt die Erfolgsgeschichte des Hauses Hammer. Der bislang nicht unbedingt respektable, aber doch wohlgelittene Produzent wenig aufregender Kriminalfilme war fortan ein Ärgernis - ein Ärgernis allerdings, das dem Königreich eine Reihe von Exportschlagern bescherte und darum nicht in dem Maße geächtet werden konnte, wie mancher es sich gewünscht hätte. Von der Heimeligkeit eines Landsitzes an der Themse aus wurde in den nächsten Jahren der britische Film in seiner provinziellen Selbstzufriedenheit nachhaltig erschüttert, wurden traditionell blutleere Heldinnen durch den Biss von Dracula (Lee) mit Leben erfüllt und stürmte ein Mann die Leinwand, der sich von den vielen Durchschnittsbürgern, die man dort zu sehen gewohnt war, durch Virilität und Professionalität abhob: Frankenstein (Cushing). Mit seiner dynamischen, zupackenden Art wirkte Donlevys Quatermass, ob nun dauernd besoffen oder nicht, durchaus stilbildend.

Prof. Bernard Quatermass steht also symbolisch für das Wiedererstarken der britischen Filmindustrie und zugleich, in seiner Funktion als TV-Held, für den Niedergang von deren Traditionsunternehmen. Cartier konnte The Quatermass Experiment nur deshalb so grandios in Szene setzen, weil er in den neuen Lime Grove Studios der BBC den Platz hatte, den er dafür brauchte. Vor kurzem waren das noch die Studios der Firma Gainsborough gewesen, die Meisterwerke wie Hitchcocks The 39 Steps produziert hatte und in Konkurs gegangen war. Und große Teile des dritten Quatermass-Mehrteilers der 50er, Quatermass and the Pit, konnten nur darum in den Studios der Ealing Pictures entstehen, weil dieses ehemalige Flaggschiff der Branche die Produktion eingestellt und die BBC sich auch dort eingekauft hatte.

Zurück in die Zukunft

Das britische Privatfernsehen antwortete auf Quatermass mit eigenen Science Fiction-Serien (bei The Strange World of Planet X war sogar noch das Hammer-X mit drin). Kneale, jetzt freier Autor, brachte das einen neuen BBC-Auftrag ein. Im London der Nachkriegszeit wurde viel gebaut und tief gegraben. Dabei konnte man ebenso auf nicht explodierte deutsche Bomben stoßen wie auf römische Ruinen. Kneale verschaffte das die Ausgangsidee für Quatermass and the Pit: "Angenommen, ein Bauunternehmer hebt die Grube für ein Bürogebäude aus und gräbt dabei ein wirklich tiefes Loch … und entdeckt plötzlich etwas, das aussieht wie ein Raumschiff." Daraus entstand eine Geschichte, die für eine Vielzahl von Science Fiction-Autoren genauso prägend war wie für ein zeitweise sehr erfolgreiches Segment auf dem Sachbuchmarkt ("Prä-Astronautik"). Wem die Werke Erich von Dänikens zu zusammengeschustert, zu beliebig und zu schlecht geschrieben sind, der versuche es mit Nigel Kneale.

Im Gegensatz zu seinem Schöpfer, dem noch ein Meisterwerk wie The Stone Tape (1972) gelang, erlebte der aufrechte Professor mit Quatermass and the Pit [4] seine größte Stunde (oder genauer: 3 ½ Stunden, denn jede der sechs Episoden dauert etwa 35 Minuten). 1972/73 schrieb Kneale für die BBC einen Vierteiler rund um den Niedergang der urbanen Gesellschaft, prähistorische Steinkreise und eine auf dem Psychotrip befindliche Hippiejugend, die von Außerirdischen "geerntet" wird wie das Getreide auf dem Feld. Das Projekt wurde abgebrochen, als die Kosten explodierten und man keine Drehgenehmigung für Stonehenge bekam. Schließlich wurde die Miniserie (Quatermass, 1978) von einer privaten TV-Firma produziert. Vielleicht wäre wieder der Funke übergesprungen, wenn der unverzichtbare Rudolph Cartier Regie geführt und den armen Quatermass (John Mills) davor bewahrt hätte, sich mit so vielen miserablen Schauspielern abplagen zu müssen, die schlimmer sind als jeder Alien. Das fertige Produkt ist enttäuschend.

Pläne für ein Prequel (der junge Quatermass reist 1936 nach Deutschland und lernt den jungen Wernher von Braun kennen) wurden nie realisiert. 2005 bot BBC Four ein gekürztes - und wieder live aufgeführtes - Remake von The Quatermass Experiment. Davon einmal abgesehen, endete die Medienkarriere des Mannes, der mehrfach die Welt gerettet hatte, im Radioprogramm der BBC. Im fünfteiligen Hörspiel The Quatermass Memoirs (1996) erzählt der Professor (Andrew Keir, Hauptdarsteller in der Hammer-Version von Quatermass and the Pit) aus seinem Leben, kombiniert mit O-Tönen aus den BBC-Produktionen und Kommentaren von Nigel Kneale. Wenn man bedenkt, dass alles mit einer Sendung begann, die den Beweis erbrachte, dass Fernsehen mehr sein kann als bebildertes Radio, ist das nicht ohne Ironie. Also schnell zurück zu den alten Serials der 50er, die einen auch heute noch in ihren Bann ziehen, weil sie die technischen Möglichkeiten in den Dienst der Phantasie stellen, statt sich ihnen zu unterwerfen.

Rassismus in Notting Hill

1948 kamen die ersten 492 Jamaikaner nach Großbritannien, um dort zu arbeiten. Zehn Jahre später lebten knapp 200.000 "Gastarbeiter" im Land. Viele davon hatten eine dunkle Hautfarbe. Diese Einwanderer wurden dringend als Arbeitskräfte gebraucht, vergrößerten aber auch die Wohnungsnot. Es kam zu Spannungen und zu rassistisch motivierten Gewalttaten. Im Sommer 1958 gab es Straßenkämpfe in mehreren Städten, die Polizei sah sich Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt, und Schwarze mussten damit rechnen, von weißen Rechtsradikalen verprügelt zu werden, wenn sie von der Arbeit kamen. Kneale beunruhigte das sehr, als er an Quatermass and the Pit arbeitete:

"Ich entwickelte diese Idee. Woher haben wir das? Sind wir alle, von Natur aus, geborene Rassisten? Und ich nahm an, dass es doch nicht von uns kam. Angenommen, es war nicht schon immer in uns drin, sondern es war etwas, das wir von einer außerirdischen Lebensform geerbt hatten? Das könnte vor Millionen von Jahren passiert sein; die Marsmenschen kamen auf diese Erde, und weil ihre eigene Zivilisation im Sterben begriffen war, wollten sie die Erde zu ihrem nächsten Wohnort machen. […] Also nahmen sie die Affen von vor fünf Millionen Jahren und impften ihnen ihre Marsmenschen-Instinkte ein. […] Ich glaube, dass dabei ein paar ganz aufregende Ideen herauskamen."

Im Februar 1958 hatten sich Friedensgruppen zur "Kampagne für nukleare Abrüstung" zusammengeschlossen, die am Karfreitag eine Großdemonstration auf dem Trafalgar Square veranstaltet hatte. Und Kneale las irgendwo von Insektenvölkern, die regelmäßige Säuberungsaktionen durchführen, um die Art von Mutationen zu "reinigen". Solche Elemente, die eigentlich nicht zusammenpassen, verband er zu einer äußerst spannenden, ebenso faszinierenden wie funktionierenden, nie ins Absurde oder in unfreiwillige Komik umkippenden Geschichte (das konnte er wie kein Zweiter). Außerdem machte er sich noch daran, die gute alte Geistergeschichte einer Generalüberholung zu unterziehen, indem er eine wissenschaftliche Erklärung für scheinbar übernatürliche Phänomene vorschlug und darüber spekulierte, ob unsere Vorstellung von Teufeln, Geistern und Dämonen auf - in unserem kollektiven Gedächtnis gespeicherte - Erinnerungen an reale Vorkommnisse zurückgehen könnten. Und auch, wenn die gehörnten Marsbewohner aussehen wie eine Kreuzung aus Hummer und Heuschrecke (mit drei Beinen): mit Filmen, in denen die Sowjetunion mit dem Mars (der "rote Planet") und die Kommunisten mit roten Ameisen oder anderen Insekten gleichgesetzt werden, hat Quatermass and the Pit nur am Rande zu tun.

Star Wars ohne Bush und Reagan

Die Raketenforschungsgruppe, einst als zivile Einrichtung gegründet, ist inzwischen in das Kriegsministerium eingegliedert. Als neuen Stellvertreter muss Quatermass Colonel Breen akzeptieren. Dieser Herr hat die Schriften Wernher von Brauns aufmerksam studiert. Seit die Russen ihre Sputniks in den Weltraum geschossen hatten, sprach man auf beiden Seiten ganz offen von einem Kampf um die Vorherrschaft im All. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Mond. Von Braun meinte, es käme einem "nationalen Selbstmord" gleich, wenn die USA nicht alle Hebel in Bewegung setzten, um diesen "Wettlauf zum Mond" zu gewinnen. Colonel Breen ist entschlossen, aus der friedlichen Zwecken dienenden Mondbasis, die Quatermass bauen will, eine Polizeistation zu machen, von der aus die Erde kontrolliert und bei Bedarf mit Atomraketen beschossen wird.

Während Breen von der finalen Vergeltungswaffe träumt (in Kubricks Dr. Strangelove wird sie "Doomsday Machine" heißen, "Weltuntergangsmaschine"), die im Falle eines Nuklearangriffs der Russen automatisch den Gegenschlag startet (die Vernichtung der Erde wird dabei in Kauf genommen), werden bei Bauarbeiten seltsame Skelette und - so scheint es - eine deutsche Bombe gefunden. In diesem mysteriösen Flugkörper entdeckt man die Leichen von Wesen, die aussehen wie riesige Insekten. Nach und nach kommen Quatermass und der Paläontologe Dr. Roney der Wahrheit auf die Spur. Vor fünf Millionen Jahren fanden auf dem Mars Säuberungsaktionen und Rassenkriege statt, bei denen die Mehrheit nicht nur die Minderheiten ausrottete, sondern auch den eigenen Planeten zerstörte. Weil die Marsbewohner auf der Erde nicht lebensfähig waren, holten sie von dort die Affen, die sie genetisch veränderten und dann, nach Einpflanzung ihrer eigenen Instinkte und Wesensmerkmale, von ihrem sterbenden Planeten zurück auf die Erde brachten - als die Erben der Marsmenschen (und als unsere Vorfahren).

Nur Colonel Breen hat eine andere Theorie: Das Raumschiff ist eine Fortentwicklung der V 2; eine streng geheime V-Waffe, von den Nazis mit gefälschten Marsmenschen besetzt und 1944 nach London geschossen, um dort eine Panik auszulösen. Die deutsche Bundesregierung hat versprochen, nach Beweisen dafür zu suchen, lässt aber nichts von sich hören. Das ist kein Wunder. In deutschen Archiven hätte man nur Belege für die dunkle Vergangenheit des zur Heldenverehrung freigegebenen Wernher von Braun gefunden. Wer an diese erinnerte, wurde während des Kalten Kriegs übrigens zum Kommunisten erklärt oder musste sich sagen lassen, er sei den Propagandalügen der Stasi und des KGB aufgesessen (ganz so, wie der Colonel Quatermass vorwirft, er sei auf Hitler und Goebbels hereingefallen).

Breen und seine Kollegen werden erst nachdenklich, als schon der Mob durch Londons Straßen zieht und Jagd auf Andersdenkende macht. Menschen mit schwarzer Hautfarbe sieht man dabei nicht. Die britische Gesellschaft hatte sich darauf geeinigt, das heikle Rassismus-Thema totzuschweigen. Cartier baute in die erste Episode eine Radiomeldung über "Rassenunruhen in Birmingham" ein. Das führte zu heftigen Protesten von Vertretern der Westindischen Gemeinde, die sich diffamiert fühlten. Die Zeitungen berichteten ausführlich, erwähnten die weißen Rechtsradikalen aber nur ungern. Auch bei der offiziellen Stellungnahme der BBC kann man nur von einem absichtlichen "Missverständnis" sprechen. Es habe sich, hieß es, um "eine erfundene Nachricht in einem fiktiven Fernsehspiel gehandelt, das in einer unbestimmten Zukunft angesiedelt ist." Eine Beleidigung der Stadt Birmingham sei nicht beabsichtigt gewesen (als ob das jemand behauptet hätte). Man musste sich also schon, wie Nigel Kneale, eine Geschichte mit Marsmenschen ausdenken, um das, was vor ein paar Monaten passiert war, im britischen Fernsehen überhaupt thematisieren zu dürfen.

Eine Sternstunde des Fernsehens

Um den Sechsteiler noch visuell anspruchsvoller und komplexer zu machen als Quatermass II, arbeitete Rudolph Cartier mit noch mehr vorab gedrehten und geschnittenen Teilen (viele Totalen, riesige Bühnenbilder, Massenszenen) als beim letzten Mal. Alles andere wurde wieder, beginnend am 22. Dezember 1958, live aufgeführt und ausgestrahlt. Mit Jack Kine und Bernard Wilkie beschäftigte der Sender seit 1954 zwei Experten für Spezialeffekte, die beide voll in Anspruch genommen wurden. Statt sich mit Wind und knarzenden Türen zufrieden zu geben, bestellte Cartier beim neu gegründeten "Radiophonic Workshop" der BBC ein aufwendiges Sounddesign. Cartier war einer der ersten, die in einem Fernsehfilm mit elektronischer Musik experimentierten.

Quatermass and the Pit wurde ein großer Wurf. Cartier und Kneale setzten Maßstäbe, nach denen sich vergleichbare Produktionen auf Jahre hinaus beurteilen lassen mussten. Das Fernsehen galt bis dahin als etwas, das man in der Intimität seines Wohnzimmers, mit emotionaler Distanz und als Einzelperson konsumierte. Jetzt schien alles anders. "Die Inszenierung", schrieb ein Kritiker, "fegt nicht nur allen Abstand und alle Distanz weg, sie löscht auch das Gefühl aus, ein isolierter Zuschauer zu sein; man reagiert auf sie wie in einem erweiterten Resonanzraum, als Teil einer Gemeinschaft und eines großen Publikums."

Am 22. September 1955, um 20.12 Uhr, hatte das Privatfernsehen zum ersten Mal in Großbritannien eine Sendung durch Werbung unterbrochen (für eine Zahnpasta). Seither war die Quote enorm wichtig geworden. Also gab es Messungen, die man glauben konnte oder nicht. Die erste Episode sollen 20% der potentiellen Zuschauer gesehen haben (sieben Millionen); das Konkurrenzprogramm des Privatfernsehens ITV, eine Quizshow, erreichte 32%. Nach der letzten Folge wurde gemeldet, dass die Zuschauerzahl auf elf Millionen (32%) gestiegen sei. Demnach hätte zum ersten Mal seit Bestehen des Privatfernsehens eine BBC-Sendung die höchste Quote erzielt. Das war eine Sensation. Das Branchenblatt Variety, immer auf der Seite des freien Unternehmertums, konterte mit allerlei Zahlenmaterial, das belegen sollte, dass es eher drei als elf Millionen Zuschauer gewesen waren und viel weniger als bei Keep It In The Family (ITV). Darüber wurde noch lange gestritten. Niemand bezweifelte jedoch, dass Quatermass and the Pit der BBC ihren bis dahin größten Publikumserfolg beschert hatte.

Den Schluss der beiden früheren Serials hatten viele Zuschauer nicht verstanden. Quatermass and the Pit hatte eine Botschaft, die Kneale und Cartier für zu wichtig hielten, um das noch einmal geschehen zu lassen. Also setzten sie gegen alle Widerstände durch, dass der Professor am Ende eine kleine Rede halten durfte. Aus dem, was leicht ein dröger Leitartikel hätte werden können, machte André Morell, der nunmehr dritte TV-Quatermass (die beiden anderen waren gestorben), unterstützt durch Cartiers Inszenierung, ein erstaunlich wirkungsvolles Plädoyer für mehr Toleranz, Demut und Selbsterkenntnis. Statt das Böse in uns nach außen zu projizieren und die Verantwortung für unser Tun irgendwelchen Schurken und Monstern zuzuschieben, so Kneales Quatermass, müssen wir uns darüber klar werden, wer wir sind und lernen, unsere destruktive Seite besser zu kontrollieren. Wenn uns das nicht gelingt, wird unser Planet bald tot sein, und wir müssen uns einen neuen suchen. Wir selbst sind die Marsmenschen.


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