Wir sind die guten Spione
US-Präsident Obama kündigt Einschränkungen der Geheimdienstaktivitäten an, bleibt aber im Vagen und verteidigt NSA und Co.
Lange hat US-Präsident Barack Obama gebraucht, um zu erklären, wie er die auch während seiner Amtszeit außer Rand und Band geratenen Geheimdienste zügeln will. Vor allem seit durch die Snowden-Enthüllungen bekannt geworden war, dass auch Mitglieder befreundeter Regierungen abgehört wurden, war Obama außenpolitisch unter Druck geraten, während im Inland das massenhafte Abgreifen der Verbindungsdaten bis zum dritten Schritt nach einem Verdächtigen gegeißelt wurde. Es war allerdings schon vor seiner Rede klar geworden, dass die Veränderungen eher kosmetischer Natur sein werden (US-Präsident Obama kuscht vor den Geheimdiensten.
Das traf weitgehend auch ein, obgleich er natürlich ein paar Reformvorhaben, mehr ist es sowieso noch nicht, ankündigen musste. Schon in den ersten Sätzen seiner Rede machte Obama klar, dass Aufklärung oder Ausspionieren schon seit Beginn der USA wesentlich gewesen seien und für Sicherheit und den Schutz der Freiheit gesorgt hätten, angefangen vom gegen die Engländer bis hin zum Kalten Krieg, als die NSA gegründet wurde, die den Regierungen die Informationen verschafft hatte, "um gegen Aggressionen vorzugehen und Katastrophen zu verhindern".
Um die Geschichte nicht zu sehr zu beschönigen, wies Obama darauf hin, dass die US-Geheimdienste im Kalten Krieg nicht immun gegenüber Überwachungsmissbräuchen waren. Als Vergleich müssen totalitären Staaten wie die DDR dienen, in denen es nicht die Kontrolle wie in den USA gegeben habe und man Leute aufgrund dessen verfolgt hatte, was sie in der Privatsphäre des eigenen Heims gesagt hatten. Man habe dann aber in den USA wieder Zügel angelegt, bis die neuen Bedrohungen durch den Terrorismus kamen, auf die man nicht vorbereitet gewesen sei. Obama wiederholt die Standardargumentation, um die nach 9/11 erfolgte Ausweitung des Abhörens als Notwendigkeit zu rechtfertigen, weil man nun nicht mehr Staaten, die Aktionen von Netzwerken irgendwo in der Welt ausspionieren musste. Dazu mussten Einzelne verfolgt und deren Kommunikation überwacht werden, wozu neue Gesetze gemacht wurden. Zusätzlich habe man den Informationsaustausch zwischen den US-Behörden und zwischen den US- und ausländischen Geheimdiensten ausbauen müssen. Und dann kommt die übliche Sprachregelung: "Alle diese Anstrengungen haben vielfache Angriffe verhindert und unschuldiges Leben gerettet - nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt." Das macht NSA und Co zu altruistischen Helfern, die nur hinter den Bösen her sind (US-Spähprogramme: Ein Erfolg und alles ist gut?).
Man habe dann auch ein wenig übertrieben, wogegen er als Senator auch gewesen sei. Bis zum Antritt seiner Präsidentschaft seien aber die "schlimmsten Exzesse" bereits abgebaut worden, windet sich der Präsident herum, was wohl begründen soll, warum er die Geheimdienste weiter ihre Programme ausbauen ließ, die ja nicht mehr so schlimm gewesen sind, wenn es da nicht, Obama erwähnt Snowden hier lieber nicht (er verurteilt ihn später), ein paar "Faktoren" gegeben hätte, die es "kompliziert" gemacht hätten, die USA zu verteidigen und die Bürgerrechte zu schützen. Er spricht die "technischen Fortschritte" an, die es ermöglichen, massenhaft digitale Daten auf der ganzen Welt abzugreifen und zu durchsuchen. Dass hier die US-Geheimdienste besondere Kapazitäten haben, verdankt sich nicht nur seinem Vorgänger Bush, sondern auch den Geldern, die während seiner Präsidentschaft für die Geheimdienste bewilligt wurden. Aber Obama schildert die Geschichte aus der Distanz, als habe er, der oberste Kriegsherr, der weiterhin die außerordentlichen Rechte im von ihm nicht beendeten, nach 9/11 erklärten Krieg gegen den globalen Terrorismus beansprucht, damit nichts zu tun.
Man mag ihm abnehmen, dass er möglicherweise den Geheimdiensten und den ihnen ermöglichten Freiräumen skeptisch gegenüberstand, als Präsident hat er jedoch bislang kaum etwas gemacht - und wenn, dann eher als Getriebener. Gestoppt habe er die Programme nicht, sagt er, weil doch die Angestellten der Geheimdiensten ihren "außerordentlich schwierigen Job" gewissenhaft ausführten, die Regeln beachteten, die die Privatsphäre schützen, und Fehler korrigierten. Man kann den beschönigenden, die eigene Position krampfhaft rechtfertigenden Ausführungen kaum ertragen, da sie nur dazu dienen, kaum etwas ändern zu müssen und den Sicherheitsapparat nicht zu verärgern. Wie immer hat man den Eindruck, dass Obama hier nicht als Präsident in einer Demokratie handelt, sondern unter dem Zwang steht, möglichst vorsichtig nicht gegenüber den Bürgern, sondern gegenüber dem Sicherheitsapparat und den mit diesem verbundenen Politikern und Lobbyorganisationen zu handeln.
Er habe, so sagt er, schon immer Sicherheit mit dem Schutz der Privatsphäre ausbalancieren wollen. Um das gehe es auch jetzt. Letztlich, so will er sagen, habe es Snowden nicht gebraucht, da es ja sein Anliegen schon immer gewesen ist und es notwendig sei, das Vertrauen der US-Bürger und der Menschen auf der ganzen Welt aufrechtzuerhalten. Er habe jedenfalls das letzte halbe Jahr Gremien einberufen und endlos besprochen, was man machen müsse. Aber es sei auch klar, dass die US-Geheimdienste die zahlreichen Feinde da draußen im Cyberspace abwehren müssten, die Geräte hacken und in Netzwerke eindringen würden - dass dies die US-Geheimdienste im Ausland auch machen, lässt er lieber mal beseite.
Was also will Obama machen, um die Balance zu wahren? Das Nationale Sicherheitsteam wird jedes Jahr die Arbeit der Geheimdienste und die politischen Entscheidungen, die mit der Arbeit der Geheimdienste zu tun haben, überprüfen. Das ist reine Symbolik. Es soll weiter für Transparenz über die Geheimdienstaktivitäten und die rechtlichen Grundlagen gesorgt werden. Das bleibt abzuwarten. Das FISC-Geheimgericht soll Datenschutzrechte mehr beachten, dazu soll ein unabhängiges Gremium von Rechtsexperten einberufen werden, um die Interessen der Bürger einzubringen. Von Rechten spricht Obama nicht, was wohl auch bedeutet, dass es sich um ein symbolisches, der Legitimation dienendes Gremium handelt. Es sollen die Auflagen zur Verschwiegenheit für Firmen, die Daten herausgeben müssen, aber darüber nicht reden dürfen, weniger stringent gehandhabt werden. Konkret wird Obama hier auch nicht.
Die massenhafte Sammlung von Verbindungsdaten von Telefonanrufen wird von Obama als Notwendigkeit verteidigt. Sie sollen aber übergangsweise nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Schritte von einem Ziel verfolgt werden dürfen. Zudem sollen die gesammelten Daten nur noch nach einer gerichtlichen Anordnung durchsucht werden. Schließlich sollen Geheimdienste, der Justizminister, Geheimdienstausschüsse im Kongress und Experten Ideen entwickeln, um ein alternative Regelung zu finden.
Befreundete Regierungschefs sollen verschont werden - Merkel kann aufatmen, aber alle anderen bleiben Ziel
Eine von Obama verabschiedete Anordnung, die aber noch nicht veröffentlicht wurde, soll klar stellen, dass Überwachung auch im Ausland nur "legitimen Zwecken der Nationalen Sicherheit" dient. Man also nicht massenhaft Emails und Telefonanrufe überwacht. Die Geheimdienste sollen nach der Anordnung auch keine Informationen sammeln, um Kritik oder Opposition zu unterdrücken oder Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer religiösen Überzeugungen zu unterdrücken. Es soll auch keine Wirtschaftsspionage stattfinden.
Als herausragende Veränderung soll die Überwachung von Ausländern auch gewissen Einschränkungen unterliegen, die für US-Bürger gelten (die bislang freilich wenig geschützt waren). Zudem soll die Dauer der Datenspeicherung und die Möglichkeiten, die Daten zu nutzen, reguliert werden. Das klingt erst einmal gut und ist auch zu begrüßen, bezweifelt werden kann freilich, ob dies wirklich umgesetzt wird - und wie dies glaubhaft stattfinden soll. Die Daten sollen auch nicht mehr von der NSA selbst in eigenen Datenbanken gespeichert werden. Bei den Providern aber auch nicht, die dies ablehnen. Wer dies machen soll: Keine Antwort.
Überraschend mag auch sein, dass Obama erklärt, dass die Kommunikation der befreundeten Regierungschefs nicht mehr ausspioniert werden soll, wenn es nicht einen zwingenden Grund im nationalen Interesse gibt. Das ist natürlich dehnbar. Und die Erklärung, einzig die Regierungschefs nicht mehr auszuspionieren, wohl aber die Regierungen, dürfte vor allem als Sedativum gemeint sein. So ist die Bundeskanzlerin Merkel erst aufgewacht, als klar wurde, dass auch ihr Handy von der NSA abgehört wird, dass die deutschen Bürger massenhaft abgehört werden, störte sie hingegen kaum.
Regierungssprecher Seibert twitterte erst einmal zurückhaltend: "BReg wird Ankündigungen v. Präs. #Obama genau analysieren, begrüßt grundsätzl., d.Rechte von nicht-US-Bürgern besser geschützt werden sollen." Und fügt hinzu: "Nach wie vor gilt für die BReg, dass auf dt. Boden dt. Recht zu respektieren ist, auch + gerade von unseren engen Partnern. #NSA" Der Verdacht liegt nahe, dass Obama vermeiden will, mit der deutschen oder mit anderen Regierungen ein No-Spy-Abkommen zu schließen. Die Beschränkungen sollen nicht verpflichtend sein, sondern freiwillig und damit auch unkontrollierbar, letztlich nur als Selbstverpflichtung. Und wie üblich will Obama Entscheidungen vermeiden, in dem er zahlreiche Expertengremien einrichten will. Dass die Nation, die das Internet entwickelt hat, auch dafür sorgen wird, dass "jeder Mensch das Recht hat, frei zu denken, zu schreiben und Beziehungen zu bilden, weil die individuelle Freiheit die Quelle des menschlichen Fortschritts ist", darf nach den Ausführungen von Obama bezweifelt werden, die eher dazu dienen sollen, die Aufregung zu dämpfen, als wirkliche Reformen durchzuführen. Aber dasselbe kann man von allen Regierungen, inklusive der deutschen, sagen, die nicht einmal den Anschein erweckt, die Arbeit der Geheimdienste transparenter zu machen oder die Rechte von Ausländern vor Ausspionierung zu stärken. Wo also sind die Bürgerrechtler in der schwarz-roten Regierungskoalition, die hier wirklich Zeichen setzen würden, um die US-Regierung unter Druck zu setzen?