zurück zum Artikel

"Wir sollten von einem asymmetrischen dreißigjährigen Krieg ausgehen!"

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer über den gescheiterten Kampf gegen den Terror und warum Europa eine leichte Beute für den Terrorismus sein könnte

Die Bücher des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer sorgen in den USA regelmäßig für großes Aufsehen. Baers Werke "See No Evil" und "Sleeping with the Devil" lieferten die Vorlage für den 2005 fertiggestellten Film Syriana [1]. Die Person des Film-Charakters Bob Barnes - gespielt von George Clooney - wurde Robert Baer nachempfunden.

Die Anschläge von Paris [im November 2015] haben weltweite Schockwellen ausgelöst. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von den Attentaten dort hörten?
Robert Baer: Meine ersten Gedanken waren, was wird nur aus Europa?
Wie meinen Sie das?
Robert Baer: Europa steht leider im Begriff, alle Voraussetzungen zu erfüllen, um eine leichte Beute der Terroristen zu werden. Besondern natürlich die europäischen Metropolen. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die Krisenherde, die Außengrenzen der EU sind mehr oder weniger offen. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen, oder?"
Die deutsche Regierung hat neulich eingestanden, dass sie nicht weiß, wie viele Menschen kürzlich als Flüchtlinge eingereist sind. Halten Sie das für eine Gefahr?
Robert Baer: Absolut. Ohne die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge als Bedrohung darstellen zu wollen, die vor Not, Terror und Krieg flüchten, aber natürlich können potentielle Terroristen sich in diesem Strom von Menschen wie Fische im Wasser bewegen.
In Paris wurde auch ein syrischer Pass gefunden, der darauf hinzudeuten scheint, dass einer der Täter erst im Oktober nach Griechenland einreiste.
Robert Baer: Das kann natürlich auch ein Fake sein, um Spuren zu vermischen. Die Terroristen benötigen ja nur 8 Menschen, um ein Blutbad wie in Paris anzurichten. Die Gefahr geht heute von kleinen, fanatisierten Gruppen aus, nicht von einer Zentrale irgendwo im Irak oder Syrien. Sie können zwar in Verbindung mit dem Islamischen Staat stehen, benötigen von diesem aber kein grünes Licht.
Sie selbst waren in den 1980er Jahren als CIA-Agent an der Verfolgung von islamistischen Terroristen in Frankreich beteiligt. Wie unterscheidet sich die heutige Ausgangslage von der damaligen?
Robert Baer: Grundsätzlich. Die Einstellung der französischen Öffentlichkeit hat sich grundsätzlich geändert. Den traditionellen antiarabischen Rassismus in Frankreich gab es damals auch schon, der viele der maghrebinischen Einwanderer dazu verdammte, ein Leben an der Peripherie der Gesellschaft zu führen, nicht nur geographisch, sondern auch sozial. In der französischen Gesellschaft war es damals wie heute unglaublich schwer, nach oben zu kommen. In diesen Milieus entstanden ja auch die Probleme, die bis heute anhalten.
Damals waren sich die Europäer aber darüber bewusst, dass sie nur etwas politische Gewalt anwenden müssen, aber trotzdem ihre offene Gesellschaft aufrecht erhalten können. Inzwischen macht sich Panik breit, die beschriebenen Probleme von damals sind nicht gelöst, politischer Extremismus macht sich breit.
Was würde geschehen, wenn sich Anschläge dieser Art fortsetzen?
Robert Baer: Dann kommt ein neuer Faschismus in Europa. Werte wie Liberalismus und Demokratie werden über Bord geworfen, das Projekt der EU bricht zusammen, Schengen ist ja schon jetzt tot.
Muss Deutschland also auch mit einem Anschlag wie in Paris rechnen?
Robert Baer: Tendenziell ist jedes Land gefährdet. Ob im Westen oder anderswo. Deutschland scheint mir noch relativ sicher, von potentiellen Anschlägen gegen ausländische Einrichtungen einmal abgesehen, da sich Berlin bisher nicht an direkten militärischen Aktionen beteiligt hat. Eine Garantie ist das allerdings nicht.
Und wie schaut es mit den USA aus?
Robert Baer: Die sind genauso gefährdet, alleine schon wegen des leichten Zugangs zu Waffen, der bekanntlich hier vorhanden ist.

"Terrorismus ist so alt wie die Menschheit"

14 Jahre, nachdem man in Washington den "War on Terror" verkündete, scheint dieses Phänomen lebendiger denn je. Ist der "War on Terror" gescheitert?
Robert Baer: Selbstverständlich. Der "War on Terror" war ja auch von Anfang an völlig falsch konzipiert, was weniger an geheimdienstlichen Mängeln lag, sondern vielmehr mit der Inkompetenz der damaligen Führung in Washington zusammenhängt. Lassen Sie mich bitte aber noch etwas zu dem Begriff Terrorismus äußern.
Es ist ein Fehler zu glauben, so wie es uns medial vermittelt wird, als wäre Terrorismus etwas Neues. Terrorismus ist so alt wie die Menschheit selbst und trat in allen Erdteilen auf. Auch das Blutbad in Paris war kein Einzelfall, sondern eingebettet in eine Reihe von jüngsten Anschlägen, von Beirut bis hin zum Abschuss des russischen Passagierflugzeuges über der Halbinsel Sinai.
Könnten Sie bitte noch einmal auf die Fehler des "War on Terror" eingehen, welche damals praktiziert wurden, wie Sie es eben andeuteten?
Robert Baer: Schauen Sie, Terrorismus ist eine Art der Kriegsführung, eine der ältesten der Welt, wie ich eben ausführte. Nach 9/11 wurde das Bild aufgebaut, der Terrorismus sei etwas Neues. Neu war nur das Ausmaß, flankiert von modernster Technik in Verbindung mit Verkehrsmitteln, und die Symbolkraft, die durch die Auswahl der Ziele zum Ausdruck kam und deren Bilder um die Welt gingen.
Terrorismus gab es schon zu Zeiten der Bibel und auch davor. Selbst in den USA gab es dieses Phänomen, denken wir an die Ermordung diverser Präsidenten oder an den Anschlag von 1995 in Oklahoma City. Bei einem Krieg gegen den Terror ist der Gegner in diesem Fall in keiner Weise definiert, wie in der konventionellen Kriegsführung, wenn Staaten gegen Staaten kämpfen.
Wenn man also einen Krieg gegen den Terror ausruft, steht man vor einem Dilemma, da man sich dann auf das Feld der asymmetrischen Kriegsführung begibt, eine der schlimmsten Kriegsführungen überhaupt, wie schon die Römer einst in Germanien erfahren mussten. Hinzu kommt, dass nach dem 11. September 2001 völlig falsche Schritte eingeleitet wurden.
Inwiefern?
Robert Baer: Die meisten der Täter von 9/11 hatten die saudische Staatsbürgerschaft und das Attentat wurde in Saudi-Arabien konzipiert. Zwar nicht von der saudischen Regierung, doch gedeckt von einflussreichen Kreisen dort. Das wurde auch schnell ermittelt. Statt aber den engen Verbündeten Saudi-Arabien unter Druck zu setzen, wurde Afghanistan als Kriegsziel ausgewählt, obwohl bis heute kein einziger Afghane als Täter oder Mittäter von 9/11 ermittelt werden konnte. Noch weniger hatten der Irak und Hussein etwas damit zu tun.

Der Krieg gegen den Terror mit wechselnden Kampfzonen wird unsere Art zu leben nachhaltig verändern

Tony Blair gestand neulich öffentlich "Natürlich kann man nicht sagen, dass diejenigen von uns, die Saddam 2003 gestürzt haben, keine Verantwortung für die Situation von 2015 tragen."
Robert Baer: Damit hat er zweifelsohne Recht, nur nützt dieses Eingeständnis heute wenig, wenn die gesamte Politik, ob nun die Verteidigungs- oder die Außenpolitik, immer noch auf höchst unsicheren Säulen basiert.
Mit diesen Säulen meinen Sie Saudi-Arabien?
Robert Baer: Vor allem die permanente Aufrüstung Saudi-Arabiens, die ja einher geht mit der weltweiten Verbreitung wahhabitischer Strömungen innerhalb der islamischen Welt, wovon auch eine Bewegung wie ISIS profitiert.
Aber ISIS hat doch auch Saudi-Arabien den Kampf angesagt?
Robert Baer: Richtig, doch trotzdem bleibt festzuhalten, dass Saudi-Arabien und die dort praktizierte Form des Islam das geistige Epizentrum von Bewegungen wie ISIS oder anderen bleibt!
In Ihren Büchern plädieren Sie seit Längerem dafür, die westliche Außenpolitik im Allgemeinen und die amerikanische im Speziellen müsse sich dem Iran zuwenden, statt Saudi-Arabien weiter aufzurüsten.
Robert Baer: Gerade jetzt, beim Kampf gegen den Islamischen Staat, sind der Westen und Russland auf Teheran als Kooperationspartner angewiesen. Die Saudis kann man diesbezüglich vergessen, wie man gerade beim militärischen Vorgehen Riads gegen Jemen beobachten kann. Iran ist ein relativ stabiler Staat, mit einer starken Armee, der den Islamischen Staat genauso als Gegner fürchten muss wie der Westen und Russland. Aber selbst dann würde sich die weltweite Terrorgefahr nicht abschwächen, sondern eher erhöhen.
Frankreich hat mit der Bombardierung von Stellungen des Islamischen Staates in Syrien begonnen.
Robert Baer: Und all das wird nichts nützen. Washington hat die ganze Zeit mit den Drohnen geprotzt, als angebliche Wunderwaffe beim Kampf gegen den Terrorismus. Das ist genauso ein Quatsch wie der Einsatz der Luftwaffe als alleiniges Instrument. Die Infantrie bleibt noch immer die Mutter aller Schlachten.
Aber das ist doch utopisch.
Robert Baer: Utopisch nicht, aber unwahrscheinlich, denn die westlichen Streitkräfte agieren nach dem Motto "No own deaths!" Wir sollten von einem dreißigjährigen Krieg ausgehen, asymmetrisch, mit immer neuen Kampfzonen, auch innerhalb der westlichen Welt, der unsere Art zu leben nachhaltig verändern wird. Ich wünschte, ich könnte eine andere Prognose vermitteln.
Betrachten Sie die Ereignisse in Paris auch als ein Versagen der dortigen Geheimdienste?
Robert Baer: Jedem Terroranschlag geht ein Versagen der Dienste voraus. Ich kann Ihnen sagen, was die US-Geheimdienste angeht, die sind inzwischen in bürokratischer Routine erstickt, agieren provinziell, bei allem globalen Gehabe.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3376673

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.youtube.com/watch?v=uivurwA6k1A