Wir wollten eine Regierung ohne Politik
Die Opposition hat die Jungwähler verloren
Während alle Parteien noch vor 24 Stunden betonten, es gehe bei der Wahl um das Bestimmen der politischen Richtung, um ein Votum der Bürger über das Schicksal des Euro, um Gerechtigkeit und Zukunft, war am Wahlabend nichts mehr davon zu sehen und zu hören. Die Oppositionsparteien außer Linken und Piraten haben sich als Koalitionspartner bei CDU und CSU beworben.
Das Rennen im Casting um das unpolitischste und damit koalitionsfähigste Programm machte die SPD. Deren erster und einziger Beitrag am Wahlabend: Gratulation an Mutti und die Bitte, als Dank für die Wahlhilfe mitregieren zu dürfen. Schließlich sind nun mit dem Wegfall der FDP nicht hunderte, sondern tausende Jobs in Ministerien und im Bundestag neu zu vergeben.
Unsere heimliche Sympathie mit Linkspartei, Piraten und AfD blieb platonisch: In der Wahlurne wollten wir dann doch kein Experiment mit ungewissem Ausgang.
Die Nichtwähler, die sich selbst als besonders politisch empfanden, gar ein "Notsignal" für das "untergehende Schiff" senden wollten (Apologie des Nichtwählens), mussten wie alle Oppositionsparteien Einbußen hinnehmen. Sie sind dagegen sogar zur Union gewechselt.
Wenn aber die große Mehrheit unpolitisch wird, dann schadet das am meisten der Partei, die das Unpolitischste, nämlich das wirtschaftliche und soziale Eigeninteresse, zum einzigen Inhalt ihrer Politik machte. Die FDP-Wähler sahen nämlich auch bei SPD, CSU, CDU und selbst bei den Linken ihre unpolitischen Interessen gut vertreten. Die Linken wiederum verloren viele Protestwähler an die AfD. Mit der FDP scheiterte auch die FDP-Parodie "Die Partei". Trotz guten Slogans (Das Bier entscheidet).
Wähler-Tenor: "Politik, nein danke!" Wie auch in den letzten Jahren, wird Angela Merkel genau wahrnehmen, wo Politikgefahr besteht und diese rechtzeitig eindämmen. Der Atomausstieg bremste die Grünen wohl für immer aus. Mit der Agenda 2010 hat sich die SPD dauerhaft als Partei der sozialen Gerechtigkeit verabschiedet.
Merkel dagegen traf gerade in der Außenpolitik treffsicher die Mehrheitsmeinung, als sie mit einem "No!" in der Syrienkrise vor allem innenpolitische Gegner ausparkte. Dass sie für ihre, von Schröder gelernte pazifistische Verzögerungstaktik am Ende sogar noch recht bekam, indem die USA den Krieg verschoben, schadete vor allem der Linkspartei, deren USP die Ablehnung von Kriegseinsätzen war.
Wenn es also in den nächsten Monaten oder Jahren zu einer Verschärfung der europäischen Schuldenkrise kommt, wird Merkel tun, was sie bereits erfolgreich bei der Finanztransaktionssteuer tat: Sie wird für den Austritt einiger Eurostaaten plädieren und dabei bedauern, dass sie dafür in der Eurogruppe keine Mehrheit finde.
Nach SPD, FDP und Grünen wird sie so auch die AfD erledigen.
"Die Parteien und Kandidaten haben keine unterschiedlichen Weltanschauungen und Programme mehr, sondern sie verwalten die kollektiven Besitzstände, wählen also ihrerseits den Bürger." - so schrieb ich am 3. September. War es so?
Wer gestern auf dem Lande in Bayern den Wahltag verfolgte, musste bemerken, dass gerade die Jungwähler, unter ihnen auffallend viele weibliche, mit der Nicht-Politik von Merkel und Seehofer sehr zufrieden waren. Homoehe, Pädophiliehistorie und Abschaffung des Ehegattensplittings sind für junge Wählerinnen, die ihre Identität zwischen hochkarätigem Studienabschluss und Traumfamilie ansiedeln, No-go-Inhalte.
Im Fernsehen wiesen ständig tanzende JungunionistInnen in orangenen Shirts vor der Bühne auf die Perspektive hin: Die Opposition hat die Jungwähler verloren. Wenn, was Gott und Merkel verhüten mögen, doch noch eine schwerere Krise eintreten sollte, wird diese den inhaltlich vergreisten Oppositionsparteien nicht mehr nützen.
Denn Wende, das haben CDU und CSU zum Beispiel in der Energie- und in der Außenpolitik bewiesen, können sie inzwischen selbst im Schlaf.
Alexander Dill verfolgte den Wahlkampf mit zwei Kommentaren und einem Hintergrundbericht über die Grünen: