Wird Medikamentenmangel zum Dauerzustand?
Über 500 Medikamente sind in Deutschland aktuell nicht lieferbar. EU will Produktion wieder nach Europa holen. Doch der Plan könnte an einem Detail scheitern.
Die Versorgung mit Medikamenten in Europa leidet unter den von den Staaten verordneten Preisdiktaten und intransparenten Rabattverträgen der Pharmaanbieter mit den Gesetzlichen Krankenkassen.
Aus dem Dilemma von steigenden Kosten und reduzierten Abgabepreisen resultierte die Tendenz zur Konzentration auf der Produktionsseite und der Verlagerung der Produktion in Regionen, wo die Kosten niedriger sind und der Markt deutlich größer ist.
Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben diese Rolle inzwischen deutlich erschwert.
In den Mittelpunkt der hiesigen Pharmaproduktion war in den vergangenen Jahren die Medikamenten-Versorgung der USA gerückt, weil sich dort höhere Preise erzielen ließen. Schon unter Biden arbeitete man daran, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, und mit den Zöllen unter Trump dürfte diese Einnahmequelle weitgehend verloren gehen oder zumindest nicht mehr kalkulierbar sein.
Zersplitterter Pharmamarkt innerhalb der EU
Die EU ist bei der Versorgung mit Medikamenten keinesfalls ein einheitlicher Markt, und Privatpersonen ist der Import von Medikamenten aus anderen Ländern des Binnenmarktes nicht erlaubt. "Privatpersonen dürfen nach dem deutschen Arzneimittelrecht im Wege des Postversandes grundsätzlich keine Arzneimittel aus einem Mitgliedstaat der EU bestellen", stellt der deutsche Zoll auf seiner Website fest. Ausnahmen sind für einzelne Länder zwar möglich, aber eher selten.
Die Aufteilung in nationale Märkte hängt sowohl mit den historisch gewachsenen Rechten und Lizenzen zusammen, als auch mit den unterschiedlichen Versicherungssystemen im europäischen Gesundheitswesen.
Medikamente "Made in Europe"
In Brüssel hat man erkannt, dass die eigenständigen nationalen Pharmamärkte auf dem Weltmarkt keine Überlebenschance haben und man versucht nun in einem ersten Schritt, die Produktion in gebündelter Form wieder nach Europa zu verlagern.
Die Europäische Kommission hat dazu neue Vorschriften vorgeschlagen, um die Versorgungssicherheit und Verfügbarkeit wichtiger Arzneimittel zu verbessern. Bei der Beschaffung sollen Lieferanten aus der EU bevorzugt werden.
Die Europäische Kommission möchte mehr Arzneimittel "Made in Europe". So zielt ein Gesetzesentwurf darauf ab, Engpässe vor allem bei lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika, Insulin oder Schmerzmitteln zu beseitigen. Denn derzeit ist die EU in hohem Maße von Drittländern, vor allem in Asien, abhängig. Das geplante Gesetz zielt darauf ab, die Investitionen der Hersteller von wichtigen Arzneimitteln und wichtigen Inhaltsstoffen in der EU zu fördern.
Ob diese Initiative die erhoffte Wirkung erzielt, ist jedoch keinesfalls gesichert. Der Vorwurf lautet hier, dass keine umfassende Folgenabschätzung durchgeführt worden sei und die Interessengruppen aus der Pharmaindustrie nur wenig Rückmeldungen erhalten hätten. Die Kommission erklärte, der Vorschlag sei angesichts des anhaltenden Medikamentenmangels jedoch dringend erforderlich.
Medikamente sind nicht nur in Deutschland knapp
In Deutschland werden die Lieferengpässe auf der Seite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bekannt gemacht. Aktuell sind dort 543 Lieferengpässe gelistet. Ferner werden dort auch Abkündigungen von Medikamenten aus kommerziellen Gründen bekannt gemacht, wie aktuell im Falle von Mimpara.
In Frankreich hat man zur Absicherung der Versorgung mit Medikamenten im Jahre 2020 die im französischen Markt aktiven Firmen dazu verpflichtet, einen Mindestsicherheitsvorrat von vier Monaten an Arzneimitteln von sogenanntem hohem therapeutischem Interesse zu halten. Dabei handelt es sich um rund 5.000 Medikamente, die bei einer Unterbrechung der Behandlung kurz- oder mittelfristig das Leben von Patienten gefährden könnten.
Da mehrere Pharmaunternehmen dieser Forderung nicht nachgekommen waren, hat Frankreich 2024 Strafzahlungen von insgesamt acht Millionen Euro gegen ein Dutzend Pharmaunternehmen verhängt.
Versorgungssicherheit und Verfügbarkeit
Das geplante EU-Gesetz über kritische Arzneimittel soll sicherstellen, dass Patienten in der EU zu einem erschwinglichen Preis Zugang zu den Medikamenten haben, die sie brauchen, wann und wo immer sie diese benötigen.
Der Gesetzesentwurf zielt in erster Linie auf kritische Arzneimittel ab, die in der von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Jahr 2023 erstellten EU-Liste kritischer Arzneimittel aufgeführt sind. Der Schwerpunkt liegt dabei allerdings auf Arzneimitteln, die zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen eingesetzt werden oder für die es nur wenige Alternativen gibt
Der aktuelle Vorschlag zielt darauf ab, Investitionen in die Herstellung von wichtigen Arzneimitteln und Inhaltsstoffen innerhalb der EU anzukurbeln und damit die Abhängigkeit von externen Anbietern zu verringern.
Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich der Finanzierung. Das im Vorschlag vorgesehene Budget von 83 Millionen Euro für den Zeitraum 2026 bis 2027 dürfte nicht ausreichen, um die Lieferketten nach Europa zurückzuverlagern und auch dauerhaft in der EU zu halten, ohne die Kosten des Gesundheitswesens zu erhöhen.
Daher müssen dringend zusätzliche Mittel für diese Rückverlagerung bereitgestellt werden und so erscheint es durchaus zielführend, wenn sich elf EU-Gesundheitsminister dafür aussprachen, den Anwendungsbereich des bevorstehenden EU-Verteidigungsfinanzierungsprogramms auf kritische Arzneimittel auszuweiten. Denn die Arzneimittelsicherheit und -verfügbarkeit scheint, ist genauso wichtig zu sein, wie die Verteidigungs- oder Energiesicherheit.