Wird der Ukraine-Krieg der EU zum VerhÀngnis?
Die Schlacht um Bachmut in der Ostukraine gilt als verlustreichste Schlacht in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Bild: National Police of Ukraine / CC BY 4.0
Das Versprechen der Charta von Paris ist vorerst beerdigt. Die damalige Einsicht: Sicherheit ist unteilbar. Was Europa jetzt braucht und womit es sonst leben muss.
Mit der Ăberwindung der Teilung Europas werden wir uns um eine neue QualitĂ€t unserer Sicherheitsbeziehungen bemĂŒhen, wobei wir die diesbezĂŒgliche Entscheidungsfreiheit des anderen voll respektieren. Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit eines jeden Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden.
Charta von Paris fĂŒr ein neues Europa, 21. November 1990
In Europa herrscht wieder der Wahnsinn des Krieges. Der Irrglaube, dass nur Waffen Sicherheit bringen können, hat seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine erneut Hochsaison unter europĂ€ischen Politikern, in europĂ€ischen Denkfabriken und den Medien. Schlimmer noch, die gerade begonnene ukrainische Gegenoffensive soll nun eine militĂ€rische Entscheidung bringen, die wir politisch nicht erreichen konnten â oder wollten.
Als hĂ€tten wir nichts aus der Vergangenheit gelernt, werden in Europa wieder Menschenopfer am Altar angeblicher Entscheidungsschlachten dargebracht. Damit ĂŒberlassen wir EuropĂ€er die Zukunft der Ukraine und Europas, ja, vielleicht sogar die der Welt, der Unberechenbarkeit, dem Rausch und der BrutalitĂ€t des Schlachtfeldes. Dabei bleibt völlig unklar, welche "Entscheidung" mit der nun stattfindenden Intensivierung des Krieges ĂŒberhaupt erreicht werden könnte. Einen Frieden in Europa wird das sicherlich nicht bringen.
Denn dieser Krieg ist zunehmend ein Krieg zwischen Russland und der Nato geworden, indem Nuklearwaffen eine entscheidende Rolle in den militĂ€rischen Kalkulationen spielen. Niemand kann sagen, wo bei einer derartigen "Entscheidungsschlacht" die roten Linien liegen, ab denen es zu einer nuklearen Eskalation kommen wĂŒrde. Damit setzen wir nicht nur uns, sondern die Menschheit einer unkalkulierbaren Gefahr aus â und das fĂŒr einen Konflikt, der eigentlich diplomatisch hĂ€tte gelöst werden können.
Die Möglichkeit einer auf Vernunft und gegenseitigem VerstĂ€ndnis basierenden friedlichen Lösung des dem Krieg zugrundeliegenden Konfliktes ĂŒber die Ausweitung der Nato zu finden, scheint in der nun herrschenden kriegerischen AtmosphĂ€re in Europa nicht in Betracht gezogen zu werden. Diese erschreckende Unverantwortlichkeit können wir EuropĂ€er nicht nur Russland oder den Vereinigten Staaten anlasten.
Auch die EuropĂ€ische Union und ihre Mitgliedsstaaten tragen eine Verantwortung fĂŒr die Katastrophe, die nun Europa befallen hat â vielleicht sogar die maĂgebende Verantwortung. Denn dieser Krieg findet auf europĂ€ischen Boden statt und die EU als die bei weitem gröĂte Staatengemeinschaft auf dem europĂ€ischen Kontinent hatte und hat damit einen entscheidenden Anteil an den Ursachen dieses Konfliktes und an der jetzigen VerlĂ€ngerung des Krieges.
Auch wenn die EU sich gerne im Gewand der entrĂŒsteten moralischen Unschuld prĂ€sentiert, so trĂ€gt sie doch eine Mitschuld daran, dass es in Europa wieder einen Krieg gibt.
Die 27 EU-Mitglieder stellen auch die groĂe Mehrheit unter den Nato-Mitgliedern. So hĂ€tte die EU sehr wohl ihren Einfluss einsetzen können und mĂŒssen, um diesen Krieg zu verhindern und, als er einmal ausgebrochen war, um ihn so schnell wie möglich zu beenden.
Es wĂ€re doch im ureigensten Interesse der EU gewesen, in dem ĂŒber den bereits seit 1994 sich anbahnenden Konflikt auf dem europĂ€ischen Kontinent ĂŒber die Ost-Erweiterung der Nato, zwischen dem geopolitischen Interesse der USA ihre globale Dominanz zu behaupten und der Angst Russlands, militĂ€risch von der Nato eingekreist und vom Zugang zum Schwarzen Meer abgeschnitten zu werden, zu vermitteln.
Als es zum Krieg kam, hĂ€tte sich die EU unterstĂŒtzend hinter die russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen im MĂ€rz/April 2022 stellen mĂŒssen; der Krieg hĂ€tte so bereits nach einem Monat beendet werden können. Beides ist aber nicht geschehen.
Obwohl es warnende Stimmen innerhalb der EU gab und gibt, hatte die EU als Gemeinschaft seit 1994 nicht nur die Osterweiterung der Nato uneingeschrĂ€nkt unterstĂŒtzt, sondern in deren Windschatten auch eine Osterweiterung der EU betrieben. Dabei war allen zustĂ€ndigen europĂ€ischen Politikern klar, dass sie damit Europa auf einen Konfrontationskurs brachten, einen Konfrontationskurs, der nun zum Krieg mit Russland gefĂŒhrt hat.
Mit dem Ausbruch des Krieges hat sich die EU nach anfĂ€nglichem Zögern sogar zu einer militĂ€rischen Eskalation des Konfliktes hinreiĂen lassen, die heute selbst jene der USA ĂŒbertrifft. So haben mehrere LĂ€nder der EU die ukrainischen Angriffe auf russisches Territorium als legitim bezeichnet, obwohl die USA strikt dagegen sind.
Und wĂ€hrend sich die USA mit derartigen Waffensystemen eher zurĂŒckhalten, liefern LĂ€nder der EU gemeinsam mit GroĂbritannien die modernsten Panzer, Kriegsdrohnen, Langstreckenraketen und Uranmunition, und es ist eine europĂ€ische Koalition, die der Ukraine nun F-16 Kampfflugzeuge zur VerfĂŒgung stellen will. Sogar die EU-Kommission ist zum Waffenlieferanten abgestiegen; ironischerweise werden ihre milliardenschweren MunitionskĂ€ufe fĂŒr die Ukraine ĂŒber die EuropĂ€ische FriedensfazilitĂ€t (EFF) finanziert.
Maximalforderungen, die nur die EU unterstĂŒtzt
Dabei sollte doch Frieden und nicht Krieg das Hauptanliegen der EU sein. Dennoch hat die EU weder einen eigenen Friedensplan entwickelt noch eine diplomatische Friedensinitiative unternommen und lehnt selbst einen Waffenstillstand strikt ab. Die EU besteht weiterhin auf der Maximalforderung des Selenskyj-Friedensplans, dass Russland erst einmal militĂ€risch besiegt und das gesamte ukrainische Gebiet in den Grenzen von 1991 zurĂŒckerobert werden mĂŒsse, bevor es zu Verhandlungen kommen könne. Damit steht die EU allein in der Welt.
Keine der groĂen Regionalorganisationen der Welt, ob nun die G20, die BRICS-Staaten, die Staaten Zentralasiens, die Shanghai Cooperation Organisation, ASEAN, Afrikanische Union, OIC oder CELAC, unterstĂŒtzen eine derartige Forderung. Sogar die USA zeigen sich zunehmend skeptisch und Stimmen einflussreicher US-Politiker werden stĂ€rker, die fĂŒr einen Verhandlungsfrieden mit Russland ĂŒber die Zukunft der Ukraine plĂ€dieren.
Dieser von der EU eingeschlagene Weg der Konfrontation und Eskalation war in keiner Weise vorgezeichnet oder gar unumgĂ€nglich. Im Jahr 1990, also nur ein Jahr nach dem Ende des Kalten Krieges, hatten sich alle europĂ€ischen Staaten sowie die USA und Kanada, in der Charta von Paris fĂŒr ein neues Europa feierlich verpflichten, ab jetzt ein gemeinsames friedliches Europa, das vom Pazifik bis zum Atlantik reicht â also Russland mit einschlieĂt â aufzubauen; ein Europa, dass frei von Kriegen und militĂ€rischen Blockbildungen ist.
Die Sicherheit eines jeden Staates in Europa, so die Charta, solle nun untrennbar mit der aller anderen Staaten verbunden sein und auftretende Konflikte nur noch entsprechend der UN-Charta friedlich beigelegt werden. In anderen Worten, nur durch ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander sollte von nun an in Europa ein dauerhafter Frieden geschaffen werden. FĂŒr die Nato war dabei keine Rolle vorgesehen; in der Charta von Paris wurde sie nicht ein einziges Mal erwĂ€hnt.
Und doch hat die EU schon frĂŒh die Charta von Paris fĂŒr ein gemeinsames friedliches Europa aufgegeben und sich fĂŒr ein Europa, das von der Nato, einem MilitĂ€rbĂŒndnis aus dem Kalten Krieg, beherrscht wird, entschieden. Eine solch drastische Umorientierung war nicht im Interesse Europas. Dass die EU auf Druck der USA, die dazu die UnterstĂŒtzung einiger osteuropĂ€ischer Staaten mobilisiert hatte, so agierte, darf keine Ausrede sein.
Die Charta bot doch gerade einem Europa, das durch zwei Weltkriege und einen Kalten Krieg gelitten hatte, eine neue friedliche gesamteuropÀische Perspektive. Europa war aus der Zwangsjacke des Eisernen Vorhangs und der stÀndigen Gefahr eines Nuklearkrieges auf europÀischen Boden befreit. Es herrschte zum ersten Mal seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein wirklicher Frieden in Europa.
Es bestanden auch keine militĂ€rischen Gefahren mehr, die eine intensiv betriebene Ausweitung der Nato hĂ€tten rechtfertigen können. Russland war nach der Auflösung der Sowjetunion in ein internes Chaos verfallen und China spielte damals weder wirtschaftlich noch militĂ€risch eine Rolle. Es war das VorrĂŒcken der Nato an die Grenzen Russlands, das die militĂ€rische Gegenreaktion Russlands ausgelöst hatte und nicht umgekehrt.
Gerade im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt hĂ€tten die europĂ€ischen Staaten aus ihren eignen schmerzhaften Erfahrungen heraus es besser wissen mĂŒssen. Bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg war die Kontrolle des Gebietes, welches heute die Ukraine ausmacht, fĂŒr Russland beziehungsweise die Sowjetunion und das Deutsche Reich von hoher strategischer Bedeutung und wurde deshalb stark umkĂ€mpft.
Skelette im Flussbett des Dnjepr sollten nachdenklich stimmen
Die nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms [1] im ausgetrockneten Flussbett des Dnjepr gefundenen sterblichen Ăberreste deutscher Wehrmachtssoldaten [2] sind Zeugnisse dieser schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen in diesem Gebiet einst und heute. Die EU hĂ€tte sich besser bemĂŒhen sollen, die Fehler der deutschen Kaiser- und Nazi-Reiches zu vermeiden.
Damals wie heute hatte jede Seite sich die inneren Spaltungen unter der dortigen Bevölkerung zunutze gemacht. Auch nach der UnabhĂ€ngigkeit der Ukraine im Jahr 1991 zeugten die PrĂ€sidentschafts- und Parlamentswahlen regelmĂ€Ăig von der tiefen Spaltung des Landes in zwei etwa gleich groĂe proukrainische und prorussische Bevölkerungsteile, eine Spaltung, die auch das Land geographisch zwischen der West- und Zentralukraine einerseits und der Ost- und SĂŒdukraine anderseits teilt.
Bei den letzten gesamtukrainischen Wahlen 2010 und 2012, an der noch die Krim und der Donbass teilnahmen, gab es sogar eine knappe Mehrheit fĂŒr einen prorussischen PrĂ€sidenten und prorussische Parlamentsabgeordnete.
WĂ€re es der EU wirklich um den Erhalt und StĂ€rkung der Ukraine gegangen, hĂ€tte sie den Zusammenhalt und das Harmoniebestreben zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen unterstĂŒtzen mĂŒssen. Die EU hĂ€tte die Fortsetzung des Projekts einer binationalen und föderalen Ukraine, wie es 1991 proklamiert wurde, mit aller Kraft fördern sollen.
Sie hat das Gegenteil getan und sich auf die Seite einer von einem monoethnisch ukrainischen Nationalismus geprĂ€gten Politik gestellt. Bei den Verhandlungen ĂŒber ein Assoziierungsabkommen mit der EU im Jahr 2013, stellte der damalige EU-KommissionsprĂ€sident JosĂ© Manuel Barroso die Ukraine vor die Alternative, sich entweder der EU anzunĂ€hern und mit Russland zu brechen oder auf jede enge Kooperation mit der EU zu verzichten.
Beides, so argumentierte er, lieĂe sich nicht vereinbaren. Warum eigentlich nicht? Eine BrĂŒckenfunktion zwischen Russland und Zentralasien einerseits und der EU anderseits wĂ€re von groĂem politischem und wirtschaftlichem Vorteil fĂŒr die Ukraine wie auch der EU gewesen. So wurde aber die spaltende Haltung der EU zum Auslöser des gewaltsamen Sturzes eines gewĂ€hlten PrĂ€senten, was eine Entwicklung in Gang setzte, die letztlich zum Krieg fĂŒhrte.
Unter stĂ€ndigen Beteuerungen der Ukraine helfen zu wollen, trĂ€gt die EU nun dazu bei, dieses europĂ€ische Land zu zerstören. Die von der EU gelieferten Waffen verlĂ€ngern nicht nur den Krieg, sondern fĂŒhren ebenso wie russische Waffen zu Tod und Zerstörung auf ukrainischem Territorium bei.
Heute dĂŒrfte die Ukraine nicht nur das am grĂŒndlichsten zerstörte, sondern auch das politisch am tiefsten gespaltene Land Europas sein. Nach anderthalb Jahren Krieg ist die Ukraine, die schon vor dem Krieg das Ă€rmste Land Europas war, noch tiefer in die Armut und Verschuldung getrieben und zugleich zum am höchsten militarisierte Land Europas geworden.
Die ukrainische Wirtschaft ist am Boden und ist von Korruption geplagt. Hinzu kommt, dass die Ukraine das Land in Europa mit einer am stĂ€rksten schrumpfenden Bevölkerung ist. Die Ukraine könnte nun bis zu 20 Prozent ihres Territoriums sowie den freien Zugang zum Asowschen und Schwarzen Meer verlieren. Wie kann unter solchen Bedingungen die Ukraine als Staat ĂŒberleben?
Die EU trĂ€gt nicht nur eine Mitverantwortung an der sukzessiven Zerstörung der Ukraine. Sie verfolgt zudem auch eine geradezu selbst-zerstörerische AuĂenpolitik, die dazu fĂŒhren wird, dass die EU ĂŒber viele Jahre, vielleicht sogar ĂŒber Jahrzehnte hinweg den Zugang zu den wirtschaftlich attraktiven Rohstoffen und Energiequellen Russlands und Zentralasiens verliert und vom Landzugang zu den groĂen Wachstumsregionen Asiens abschnitten wird.
Die EU amputiert sich also selbst. Um sich von einer AbhĂ€ngigkeit zu befreien, scheint die EU nun in eine viel teurere und ungĂŒnstigere AbhĂ€ngigkeit geraten zu sein. Das wird sich nachteilig auf den EU-Wirtschaftsstandort auswirken.
Auch mit ihrer Sanktionspolitik scheint die EU die globalen VerĂ€nderungen zu ignorieren. Der Anteil der EU an der Weltbevölkerung liegt unter fĂŒnf Prozent und ist abnehmend. Auch der EU-Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung betrĂ€gt heute nur noch 15 Prozent, Tendenz ebenfalls abnehmend. Der Anteil der BRICS-Staaten allein an der Weltbevölkerung liegt bei 40 Prozent und steigt, der an der globalen Wirtschaftsleistung bei 32 Prozent und auch dieser wĂ€chst.
Und nicht nur das; im Zuge des Ukraine-Krieges haben die Staaten des Globalen SĂŒdens eine erheblich selbstbewusstere Haltung eingenommen, die die Vormachtstellung des Westens, und damit auch der EU, in Frage stellt. Dass heute China, Indien, Indonesien und andere asiatische Staaten in der Ukraine-Frage zusammenrĂŒcken, ist nicht, weil sie sich plötzlich lieben, sondern weil sie eine Ausweitung der Nato in Richtung Zentralasien verhindern wollen.
UnberĂŒhrt von den globalen VerĂ€nderungen, schnĂŒrt die EU-Kommission gerade ihr elftes Sanktionspaket und will nun auch DrittlĂ€nder und deren Unternehmen dafĂŒr bestrafen, mit Russland Handelsbeziehungen zu haben. Und als sei das nicht genug, glaubt die EU auch China ins Visier nehmen zu können. Welche Arroganz!
Denn die EU hat lÀngst die politische und wirtschaftliche Macht verloren, um solche wirtschaftlichen Drohungen auch durchsetzen zu können. Die Sanktionen werden daher vornehmlich die eigene Wirtschaft treffen.
Die USA dĂŒrften sich bald vom Ukraine-Abenteuer verabschieden
Der nĂ€chste PrĂ€sident der USA muss nicht unbedingt Trump heiĂen, aber wir können davon ausgehen, dass die USA, wie bei so vielen anderen Kriegen, in die sie mutwillig verwickelt waren, sich spĂ€testens nach der PrĂ€sidentschaftswahl im nĂ€chsten Jahr vom teuren Ukraine-Abenteuer verabschieden werden.
Dann wird die EuropĂ€ische Union die ganze Wucht ihrer fehlgeleiteten AuĂenpolitik treffen. Die EU wird dann Teil eines Europas sein, das erneut durch einen Eisernen Vorhang geteilt ist, der von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reicht und durch Sanktionen undurchlĂ€ssiger sein könnte als alles, was wir noch aus den Zeiten des Kalten Krieges kennen.
Die EU wird auf diesen Kontinent mit einer zerstörten Ukraine, die ein enormes langfristiges Finanzloch darstellt, und vielleicht auch mit einem destabilisierten Russland, das durch seine 6,000 Nuklearsprengköpfe eine permanente Gefahr bedeutet, zusammenleben mĂŒssen.
WĂ€hrend die Wirtschaft der EU-Staaten von diesen VerĂ€nderungen schwer angeschlagen sein könnte, wird es die EU sein, die fĂŒr die enormen Folgekosten dieses Krieges aufkommen muss. Das wird zu sozialen Problemen innerhalb von EU-Mitgliedsstaaten fĂŒhren, die sich erhöht in politische und soziale Gewalt entladen können.
Und das alles nur, weil wir unbedingt die Nato ausweiten und eine neutrale Ukraine nicht akzeptieren wollten? Ist das nicht ein zu hoher Preis â und dazu ein Preis fĂŒr einen Konflikt, der auch friedlich hĂ€tte gelöst werden können?
Um eine derartige Entwicklung zu verhindern, muss die EuropĂ€ische Union aus einem ureigensten Selbstinteresse heraus, ihr bisheriges selbstgerechtes und moralisch ĂŒberhebliches Kriegsnarrative abgelegen, sich von der Militarisierung ihrer AuĂenpolitik verabschieden und aufhören, in einer Nato-Erweiterung ihre Sicherheit finden zu wollen.
Die EuropĂ€ische Union muss zu einer Sprache des Friedens zurĂŒckfinden und einen Friedensplan fĂŒr Europa entwickelt, der Russland und Ukraine mit einschlieĂt, und an der Charta von Paris fĂŒr ein neues Europa anknĂŒpft.
Damit wĂŒrde sie nicht nur ein weiteres BlutvergieĂen in Europa verhindern, der Gefahr der inneren Auflösung der EuropĂ€ischen Gemeinschaft vorbeugen und ihren wirtschaftlichen Niedergang vermeiden, sondern auch ihre Stellung in der Welt als europĂ€isches Friedensprojekt, als das es nach dem Zweiten Weltkrieg einmal konzipiert war, enorm verbessern. Dazu wird sie Mut brauchen â Frieden braucht sehr viel Mut!
Michael von der Schulenburg, ehemaliger stellvertretender GeneralsekretĂ€r der Vereinten Nationen, arbeitete ĂŒber 34 Jahre fĂŒr die UNO und die OSZE. Dazu gehörten langfristige EinsĂ€tze in Haiti, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und Sierra Leone sowie kĂŒrzere EinsĂ€tze in Syrien, auf dem Balkan, in Somalia, in der Sahelzone und in Zentralasien. 2017 veröffentlichte er das Buch "On Building Peace: Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations" [3].
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[1] https://www.telepolis.de/features/Staudamm-Bruch-in-der-Ukraine-Folgen-fuer-Getreidepreis-und-Oekosysteme-9183541.html?seite=all
[2] https://www.fr.de/politik/wehrmacht-soldaten-skelette-kachowka-stausee-staudamm-sprengung-ukraine-russland-krieg-92341043.html
[3] https://www.amazon.de/dp/9462984271/ref=nosim?tag=telepolis0b-21
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