Wirtschaftstouristen im Krisengebiet

Zwei Berliner Unternehmer haben eine Radiostation gegründet, sie gehen am 10. Juli in Bagdad auf Sendung und haben einen Medienhype ausgelöst

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Während die deutsche Wirtschaft im Ruf steht, im Irak keinen Fuß in die Tür zu bekommen, haben es zwei Berliner Jung-Unternehmer geschafft: Anja Wollenberg, ehemals CEO bei der mittelständischen IT-Firma "Ports United", und Klaas Glenewinkel, Gründer des Multimedia-Dienstleisters Streamminister (Das funktioniert sonst nur in der Sauna beim Aufguss). Sie haben jüngst mit "Telephone FM" eine Radiostation gegründet, die ab dem 10. Juli in Bagdad auf Sendung geht.

Klaas Glenewinkel in Bagdad, Sommer 2003

Wie bereits beim Wiederaufbau des Kosovo sind Institutionen wie der DIHK auch dieser Tage ein wichtiger Unterstützer beim Geschäft mit dem Wiederaufbau im Irak. Damit deutsche Unternehmen sich bei den Ausschreibungen der Besatzungsregierung im Irak ("Coalition Provisional Authority") und der UN-Organisationen sowie für Unteraufträge von US-amerikanischen Unternehmen qualifizieren können, hat der DIHK Ansprechpartner für "ein mögliches Irak-Engagement" deutscher Unternehmer zusammengestellt und aktualisiert die Liste laufend.

Das DIHK-Dossier bietet weiterführende Informationen zu Themen wie: Allgemeines/Wiederaufbau, Ausfuhrkontrolle/Oil-for-food-Programme, Öffentliche Einrichtungen, Bagdad International Fair, Ausschreibungen, Humanitäre Hilfen, Flugverbindungen, Sicherheitshinweise und wichtige Informationsquellen. Wie sich die Investitionslage im souveränen Irak tatsächlich gestalten könnte, hängt derzeit jedoch noch gänzlich in der Luft. Denn auf die Frage nach dem dort anwendbaren Recht, gibt es gegenwärtig keine Antwort.

Juristisches Dickicht

Wie Florian Amereller und Jochen Clausnitzer sagen, wurde zwar von der CPA im vergangenen Jahr praktisch das gesamte irakische Wirtschaftsrecht reformiert und damit ein Rechtsrahmen geschaffen, der "sicherlich Richtung weisend, einfach und investorenfreundlich ist", doch lebe in der lokalen Praxis die alt bekannte Bürokratie weiter und ignoriere anders lautende Vorschriften.

Hinzu komme das Problem, so der Münchner Anwalt und der Nahost- und Nordafrika-Experte beim DIHK, dass der Rechtsrahmen nach der Machtübergabe ohnehin noch einmal vollständig neu definiert werden wird, da nach Ansicht irakischer Juristen die meisten CPA-Verordnungen ohnehin nie hätten erlassen werden dürfen. Die Umgestaltung des Wirtschaftsrechts sei ihrer Meinung nach weit über die völkerrechtlichen Befugnisse einer Besatzungsmacht hinausgegangen. Vor diesem Hintergrund ist der Standort Bagdad für die deutsche Wirtschaft eine Katze im Sack:

Als Folge der verfassungs- und völkerrechtlich ungeklärten Ausgangslage ist sowohl in rechtlicher als auch in praktischer Hinsicht die Lage für ausländische Unternehmen äußerst unsicher, und es bleibt abzuwarten, wie die irakische Verwaltung und Rechtsprechung die Übergangsverfassung und die von der CPA erlassenen Vorschriften auslegt. Es ist durchaus möglich, dass in Zukunft wieder die "alten" irakischen Gesetze angewendet werden. Die sind zum großen Teil sozialistisch geprägt und äußerst investitionsfeindlich. Dies würde der alten Nomenklatur aber auch einigen islamischen Traditionalisten durchaus entgegenkommen.

Florian Amereller und Jochen Clausnitzer

Warten bis die Flamme brennt

Während Bagdad-Aktivitäten für deutsche Unternehmer derzeit häufig noch pure Theorie bleiben und auf internationalen Konferenzen wie der Deutsch-Irakischen Wirtschaftskonferenz, die am 1. und 2. April 2004 im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin stattgefunden hat, über die Zukunft spekuliert wird, zeugen die Meldungen in der Presse ebenfalls mehr denn je von großer Zurückhaltung. Die prekäre Sicherheitslage, die fehlende Rechtsstaatlichkeit, die hohe Verschuldung und die Unwägbarkeiten im Finanzierungsbereich werden keinesfalls als Herausforderung dargestellt, sondern als unüberwindbare Hindernisse.

So titelte die Berliner Zeitung am 01.07.2004 Deutschen Firmen ist der Irak noch zu gefährlich und malte für den Augenblick ein eher düsteres Szenario an die Wand, das von unterschiedlichen Experten bestätigt wurde: Die erste Euphorie, die unter potenziellen deutschen Investoren nach Kriegsende aufgeflammt war, ist wieder einer deutlichen Ernüchterung gewichen. Erst ab kommenden Jahr, so Hauke Timm, Irak-Experte beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), könnte das Geschäft kräftig anspringen, denn dann sollen wieder die Öleinnahmen sprudeln: Ganze 20 Milliarden Dollar sollen diese im Jahr 2005 ausmachen.

Eine Berliner Erfolgsgeschichte

Vor diesem Hintergrund dürfte verständlich sein, welch große Überraschung eine Meldung in der Süddeutschen Zeitung ausgelöst hat, die am 22.06.2004 textete: "Ein 33-jähriger Berliner gründet mit Hilfe des Auswärtigen Amtes den Sender "Telefone FM" und macht Radio für den Irak", was durch eine offizielle Verlautbarung des Auswärtigen Amtes nur drei Tage später bestätigt wurde.

In seiner Pressemitteilung vom 25. Juni 2004 gab das Auswärtige Amt bekannt, dass es 83.000 Euro in ein Wiederaufbau-Projekt investiert habe (die Süddeutsche Zeitung hatte von 200.000 Euro gesprochen), welches von zwei Berliner Unternehmern für die irakische Hauptstadt entwickelt worden ist: Ein Radio-Sender namens "Telephone FM", der sich in erster Linie an die Generation der 20- bis 35-jährigen in Bagdad richtet:

Im Zentrum einer "Telephone FM"-Sendung steht das Gespräch zwischen irakischen Radiomachern in Deutschland und jungen Menschen im Irak, die als Akademiker, Existenzgründer oder Kulturschaffende den aktuellen Wandel in ihrem Land reflektieren und gestalten. Inhaltlich geht es um Alltag, private Perspektiven und berufliches Schaffen der Interviewpartner und vermittelt über diese persönlichen Fragen auch politische Themen.

Um die unwägbare Sicherheitslage vor Ort zu umschiffen, werden die Sendungen in Berlin produziert, per MP3 über das Internet nach Bagdad geschickt und dort jeden Nachmittag für 90 Minuten auf der Frequenz des örtlichen Privatsenders "Hot FM" ausgestrahlt. Da diese Station nur im Raum Bagdad zu empfangen ist, können andere Iraker die Sendungen über das Internet hören. Im Umkreis von Berlin ist ein "Best Of" der Sendungen über RBB radiomultikulti zu hören.

Eine besondere Raffinesse ist dabei der Produktionsrahmen: Die Interviews werden hauptsächlich über das Telefon zwischen Bagdad und Berlin geführt. Am liebsten versucht man die Iraker via Handy zu erreichen, ihr neuestes, sich derzeit flächenbrandmäßig verbreitendes Statussymbol, das für Freiheit und Unabhängigkeit steht, aber auch ermöglicht, "die Vielfalt aufzuzeigen, wie man Dinge machen und denken kann", wie "Telephone FM"-Ko-Gründerin Anja Wollenberg in den Medien zitiert wird.

Hard-boiled Wonderland

Nach der Meldung in der Süddeutschen Zeitung war das Medienecho durchaus beachtlich. Tages- und Wochenzeitungen haben das Unternehmen mit Schlagzeilen wie "Britney für Bagdad" (Berliner Zeitung, 25.06.) und "Good Morning, Bagdad" (Frankfurter Rundschau, 30.06.) regelrecht gefeiert. Und alle scheinen sich einig zu sein, dass diese Erfolgsgeschichte eine echte Sensation ist.

Bei der Einordnung lehnte sich bislang vor allem die Süddeutsche Zeitung aus dem Fenster. Gleich zu Beginn des Artikels machte der Autor die historische Dimension klar: "Wem der Staat heute noch Geld schenkt, der muss schon Vodafone sein, sich als Elite-Uni tarnen, etwas mit Steinkohle zu tun haben ­ oder Klaas Glenewinkel heißen." Und schloss mit einem Zitat Glenewinkels, dass in einer ähnlichen Tonalität das Legendäre seiner Mission unterstrich: "Die Deutschen wären die ersten, die einen Dialog mit der jungen, modernen Mittelklasse im Irak zustande brächten."

Und so liest sich auch die Projektentwicklung wie eine traumhafte Pioniersgeschichte: Bevor sie mit einflussreichen Medienmenschen wie Haim Saban sprachen, wendeten sich die Unternehmer an die CPA und die UNO: "Hi, ich bin der Klaas und möchte einen Radiosender für Bagdad machen." Dass die ihn ernst genommen haben, darüber staunt er heute noch, wie die Berliner Zeitung berichtet. Als der Business-Plan stand, wurde kurze Zeit später das UN-Hauptgebäude in Bagdad in die Luft gesprengt. Begleitet von weiteren Schreckensberichten aus dem aufständischen Irak, habe sich das Projekt nur mühsam weiterentwickelt.

Nicht einfach, aber offenbar nicht unmöglich war es, einen klaren Kopf im Dschungel der irakischen Radiolandschaft zu behalten: Allein 30 Stationen kämpfen in Bagdad um die Gunst der Hörer, darunter BBC World, die Deutsche Welle oder Radio Monte Carlo. Als aufreibend wird die Annäherung mit jenem Sender beschrieben, über den "Telephone FM" seine Inhalte derzeit ausstrahlt: "Hot FM", eine Station in Bagdad, die einem Amerikaner gehört, der sich in der Hoffnung auf den schnellen Dollar eine Lizenz von der US-Zivilverwaltung gesichert hat. Es habe nicht nur unternehmerische, sondern auch ideologische Bedenken gegeben.

Besonders schwierig soll sich jedoch die Suche nach Sponsoren gestaltet haben. Als das Auswärtige Amt schließlich einwilligte, sollen sich die beiden Berliner Unternehmer nicht sicher gewesen sein, ob sie träumten oder ob für sie nun ein Traum in Erfüllung gegangen war. Immer wieder heißt es, Glenewinkel und Wollenberg konnten der Zusage des Auswärtigen Amtes kaum Glauben schenken.

Es war einmal...

Was sich bei dem "Telephone FM"-Märchen besonders frappierend ausnimmt, das ist ihr Beginn - und ist es nicht der Anfang eines Märchens, an den sich später alle am Besten erinnern?

Alles habe, so die Massenmedien, mit einer Reise Glenewinkels nach Bagdad begonnen, der dort nur sein Freund besuchen wollte. Mit dem Anschein größter Selbstverständlichkeit wird dieser erste Schritt geschildert, so als habe der "berufsjugendliche Mittdreißiger" (Frankfurter Rundschau) aus Zeitvertreib einen Ausflug nach Braunschweig gemacht.

Doch hieß das Ausflugsziel eben nicht Braunschweig, sondern Bagdad - und Glenewinkel hatte eigentlich auch bereits kurz nach seiner Rückkehr am 24.09.2003 in der Berliner Gazette mit klaren Worten davon berichtet, dass die Reise nach Bagdad nicht nur Mut erfordert habe, sondern auch Geschick, sich im Dickicht von Bedrohung und Bestechung zurecht zu finden. Die Angst sei so groß gewesen, dass bei der 600 km langen Wüstenfahrt selbst sein ortskundiger Fahrer keinerlei Verdauung zu haben schien, sprich: aus Furcht vor Überfällen, keinen Stop eingelegt habe:

Obwohl die Steuerfreiheit lockt, kann schon die Autobahn Amman-Bagdad zur ersten Finanzierungsrunde werden. Eine andere Straße in diese Stadt gibt es nicht. 2000 Menschen befahren täglich den abenteuerlichen Handelskorridor, beladen mit Satellitenschüsseln, Gebrauchtwagen und anderen Konsumgütern. Westliche Neueinsteiger werden von den "Ali Babas" [Anmerkung des Autors: amnestierte Schwerverbrecher, die sich durch Meuchelmord Respekt verschaffen] mit ihren weißen BMWs und den schwarzgetönten Scheiben diskret bedrängt. Dann heißt es rechts ranfahren und Geld abgeben. Das haben alle schon einmal mitgemacht: Der Alcatel Mitarbeiter, das Rote Kreuz und sogar die deutsche Botschafterin, allein sie ist angeblich weitergefahren, denn der Wagen war gepanzert.

Symptome eines historischen Mangels

"Telephone FM" ist nicht nur eine gute Geschäftsidee, die den Dialog zwischen zwei Ländern fördert. Allein deshalb wäre ein solcher Wirbel um das Unternehmen wohl kaum entstanden - mittlerweile haben sich mit Al-Dschasira, Jordan Times oder Middle East Times auch arabische Medien eingeklinkt. Nein, hier wird der gute alte Goldgräber-Mythos aufgewärmt (Im Wilden Osten). Und zwar in einer Zeit, da die Euphorie in der deutschen Wirtschaft sich beim Wiederaufbau im Irak zu beteiligen, auf den Nullpunkt gesunken ist.

Dass durch diese Situation ein besonderer Mangel im kollektiven Bewusstein entstanden ist, dürfte nicht schwer nachzuvollziehen zu sein. Schließlich ist der Wunsch Goldgräber-Geschichte zu schreiben, in Deutschland besonders groß. Während die Wurzeln für diesen Wunsch in der verhinderten deutschen Kolonialgeschichte zu suchen sind - erst als die anderen europäischen Mächte den Kuchen in Übersee unter sich aufgeteilt hatten, kamen deutsche Unternehmen und erst zögerlich der deutsche Staat zum Zuge -, gibt es gegenwärtig deutliche Anzeichen dafür, dass dieser Wunsch mehr als jemals zuvor in Erfüllung gehen kann: Deutschland war nicht am Krieg beteiligt, die Vorbehalte von Seiten der Iraker dürften erwartungsgemäß gering sein. Was die Massenmedien derweil mit ihrem teils verharmlosenden, teils märchenhaften Ton soufflieren, ist vor allem eines: Just do it! Den Traum, im Irak groß rauszukommen, kann sich jeder Unternehmer erfüllen.