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Wissenschaft im Zeitalter des Antiprofessionalismus

Die populistische Wissenschaftskritik konvergiert neuerdings mit einer fast alle Lebensbereiche erfassenden Romantik des Laien und Amateurs

Seit einiger Zeit kann man in den USA, aber auch in weiten Teilen Europas wissenschaftsfeindliche Tendenzen beobachten, gegen die sich zunehmend Widerstand in Form einer oft unkritischen, neopositivistischen Wissenschaftshörigkeit formiert (vgl. Vom Aberglauben zum Wissenschaftsglauben [1]).

Auf weltweiten Kundgebungen (March for Science), die anlässlich des alljährlichen "Earth Day" am 22. April in vielen westlichen Metropolen stattfanden (Vgl. Science March: Spät, aber wichtig [2]), wurde dabei auf die zentrale Rolle der Wissenschaft für die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf unserem Planeten bzw. für das Überleben der Menschheit insgesamt aufmerksam gemacht. Insbesondere in den USA sollte so dem drohenden Abbau staatlicher Unterstützung für Universitäten und Forschungseinrichtungen entgegengewirkt werden. Diese weitgehend symbolische Manifestation der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft ließ jedoch nicht nur jede Form von Selbstkritik von Seiten ihrer Unterstützer vermissen, sie blendete auch die Rolle der Wissenschaft selbst im Prozess ihres zunehmenden Werte- und Prestigeverlustes beharrlich aus.

Die Frage, warum gerade heute der "aufschäumende Hass auf die Wissenschaft in den spätkapitalistischen Zentren der Macht" (vgl. Buchsbaum) an Bedeutung gewinnt, ist legitim; zu ihrer Beantwortung kann der Verweis auf Adornos vielfach bemühte "Dialektik der Aufklärung" allerdings nur bedingt beitragen. Richtig ist, dass seit der Romantik immer wieder auf die Leerstellen und Unzulänglichkeiten eines absolut gesetzten Rationalismus hingewiesen wurde. Die Kritik an dieser "dunklen" Seite der Aufklärung hat alle modernen westlichen Gesellschaften seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert begleitet. Sei es in Form von Maschinenstürmerei und Technikfeindlichkeit oder sei es als das Bemühen, die durch den expansiven Kapitalismus bedrohten Lebensgrundlagen und vermeintlich "natürlichen" Ressourcen zu bewahren. Moderne Kulturkritik war immer auch von einem vormodernen, antiaufklärerischen, "faustischen" Verständnis von Wissenschaft als dem Urgrund allen menschlichen und sozialen Übels bestimmt.

Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings, dass etwa seit der Mitte des letzten Jahrhunderts diese Kritik zunehmend aus den Universitäten und bürgerlichen Think-Tanks selbst heraus formuliert wurde, und zwar in Form eines zunächst marxistischen, dann poststrukturalistischen, dann postkolonialen und schließlich neoliberalen common sense in den Geistes- und Humanwissenschaften.

Die hier aufgeführte Reihe der verschiedenen diskursiven "Kehrtwenden" ließe sich natürlich leicht ergänzen, differenzieren oder in ihrer zeitlichen Abfolge komplizieren. Sie beschreibt aber in jedem einzelnen Fall eine Form der Subjekt- und Wissenschaftskritik, die oft gut gemeint aber nie folgenlos geblieben ist. In den USA, wo der populistische Hass auf Universitäten und Forschungseinrichtungen sich häufig gerade an den Geisteswissenschaften entfacht, denen man (un-)wissenschaftliche Willkür und politische Einflussnahme unterstellt, bedienen sich konservative Demagogen neuerdings ungeniert der Rhetorik der Humanities (etwa wenn Steve Bannon, der ultrarechte Medien-Mogul und einflussreiche Trump-Berater, den Regierungsapparat in seiner jetzigen Form "dekonstruieren" möchte oder wenn Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway von "alternative facts" spricht).

Die Geisteswissenschaften, die sich bekanntlich seit längerem in einem kräftezehrenden, inneruniversitären Verteilungskampf (science wars) mit den Naturwissenschaften befinden, werden nunmehr — und zwar mit Hilfe ihrer ureigenen Argumente — für die antiaufklärerische Kritik an der Wissenschaft insgesamt in Sippenhaft genommen. Doch damit nicht genug. Die sich zunehmend Gehör verschaffende populistische Wissenschaftskritik konvergiert neuerdings mit einer fast alle Lebensbereiche erfassenden Romantik des Laien und Amateurs, die auch an den Universitäten, und hier wiederum insbesondere in den Humanities, Spuren hinterlassen hat.

Im digitalen Umfeld wähnt sich jeder als Experte

Dieser im Kern ebenfalls vor- bzw. gegenmoderne Antiprofessionalismus, unter dessen Auspizien dem Experten und "Profi" gerne Demokratiedefizite und Machtmissbrauch unterstellt werden, ist dabei nicht nur in den USA, wo er kulturhistorisch tief verwurzelt ist, virulent. Er hat sich inzwischen als ein globales Phänomen etabliert, angetrieben von der digitalen Verfügbarkeit des Weltwissens sowie dem trügerischen Versprechen der großen Hightech-Konzerne, der Kauf ihrer Computer, Laptops und iPads samt der dazugehörigen Software versetze den Benutzer in die Lage, selbst zum Experten, zum Künstler, zum Autor, zum Steuerfachmann oder eben zum Forscher zu werden (so gibt es bereits frei zugängliche Programme, die selbst völlig unkundigen Nutzern den Eingriff in die DNA Struktur einfacher Pflanzen ermöglichen).

In einem digitalen Umfeld, in dem sich jeder als Experte wähnen und durch den einfachen Klick bei Google in die Rituale und Rhetorik wissenschaftlicher Disziplinen einführen kann, müssen eben diese Rituale ihre respekteinflößende, legitimierende Wirkung verlieren.

Sich auf überprüfbare Expertise zu berufen, so der Politikwissenschaftler Tom Nichols in einem unlängst in The Federalist erschienenen Artikel ("The Death of Expertise"), ziehe heutzutage fast unweigerlich den Spott und die Verachtung seiner Gesprächspartner nach sich. Die Gründe für diese Entwicklung sind ebenso vielfältig wie die kulturellen und nationalen Manifestationen dieses Antiprofessionalismus selbst. Sie haben zum einen mit der von vielen Menschen geteilten falschen Vorstellung zu tun, bei den im Internet zugänglich gemachten Informationen handle es sich bereits um eine Form von Wissen. Dass Wissenschaft gerade darin besteht, diffuse Informationen lesbar zu machen und mittels bestimmter standardisierter Methoden in jeweils vorläufiges, durch Konsens legitimiertes Wissen zu überführen, wird dabei gerne übersehen.

Dass sich Mediziner heute einer Heerschar kritischer und zuweilen renitenter Patienten gegenübersehen, denen jeglicher Respekt vor dem Wissen und der Erfahrung des Arztes oder der Ärztin abhandengekommen ist, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die immer weiter um sich greifende Wissenschaftsskepsis, in deren Umfeld nicht nur der einzelne Experte angezweifelt wird, sondern die Institution "Wissenschaft" insgesamt.

Ob es sich bei den auch an den Universitäten selbst festzustellenden antiprofessionellen Tendenzen um ursächliche Entwicklungen oder lediglich um Spiegelungen eines zunehmend wissenschaftsfeindlichen gesellschaftlichen Umfeldes handelt, lässt sich schwer bestimmen. Fest steht jedoch, dass die in den Geistes- und Sozialwissenschaften um sich greifende Erosion der wissenschaftlichen Grundlagen akademischer Ausbildung das ihre zum gegenwärtigen Wissenschaftsverdruss beigetragen haben.

Zweifellos haben Methodenpluralität und die heute gängigen Anleihen bei teils verwandten teilweise aber kaum kompatiblen Nachbardisziplinen auch ihr Gutes; so lassen sich Germanisten von Soziologen oder Philosophen und diese wiederum von Umweltingenieuren, Ethnologen oder Amerikakundlern inspirieren. Ob dabei der Erkenntnismehrwert in allen Fällen den drohenden Kompetenzverlust aufwiegen kann (ein in den Sozialwissenschaften dilettierender Literaturwissenschaftler ist eben noch kein mit der Geschichte und den jeweiligen Methoden des Faches vertrauter Soziologe, Ethnologe oder Religionsforscher), sei dahingestellt.

Gleiches gilt — zumindest im europäischen Raum — für die verfehlte, vermeintlich an amerikanischen Vorbildern orientierte neoliberale Hochschulpolitik, in deren Kontext das wissenschaftliche Selbstverständnis einzelner Fächer nachhaltig gelitten hat. Universitäten, die sich nach innen wie in ihrer Außendarstellung als Produktionsstätten anwendbaren Wissens neu erfinden, die mit ihren Angestellten Zielvereinbarungen abschließen, in denen ein ebensolcher Wissenszuwachs nicht nur garantiert, sondern gleich noch in "bare" Münze, sprich: Drittmitteleinwerbungen umgerechnet wird, machen sich an der Demontage der gesellschaftlichen Anerkennung von Wissenschaft mitschuldig.

Marktorientierung und Quantifizierungswahn untergraben die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft und der Forscher

Historisch scheint die Blütezeit der Universitäten eben gerade in ihrer Unabhängigkeit von den Zwängen der Quantifizierung, in ihrer — zumindest idealisierten — Distanz zur Welt des Marktes zu gründen. Noch vor zwanzig Jahren genossen Forscher, in entsprechenden Umfragen, deutlich größeres Ansehen als etwa Politiker, Anwälte oder Autoverkäufer. Solche Ergebnisse können sich leicht umkehren, wenn man Professoren zwingt, ihre wissenschaftlichen Leistungen wie Autos anzupreisen und die Universitäten wie die Zentralen großer Rückversicherer organisiert (an der Ludwig-Maximilians-Universität in München gibt es seit einigen Jahren ein "Center for Leadership and People Management", das sich nicht nur als ein veritables Wortungetüm entpuppt, sondern Wissenschaftlern "leadership skills" und Führungskompetenzen beizubringen versucht).

Werden Marktorientierung und der durch sie bedingte Quantifizierungswahn von den in der Wissenschaft Beschäftigten verinnerlicht (was inzwischen auch in den Geisteswissenschaften nicht selten der Fall ist), dann leidet nicht nur die Qualität der Forschung, sondern vor allem die Glaubwürdigkeit der Forscher sowie der Institution Wissenschaft insgesamt. Nicht die Höhe des zur Verfügung stehenden Lehrstuhl-Etats, die Anzahl der Publikationen, Doktoranden, Habilitanden und Vortragseinladungen entscheidet über das Renommee des einzelnen Forschers, sondern die Qualität der tatsächlich geleisteten Forschungsarbeit.

Um diese zu bestimmen, daran führt kein Weg vorbei, braucht es weitgehend unabhängige Peers, also Forscher, die über eine tatsächliche Expertise in den betreffenden Disziplinen verfügen und die nicht im Dauerwettbewerb um Ressourcen und Anerkennung mit ihren Kolleginnen und Kollegen stehen. Und es braucht eine Forschung, die sich traut, gegen den Strom zu schwimmen, die nicht nur innovativ, sondern auch solide, langsam, bedächtig, und grundlagenorientiert vorgeht und dabei vor allem die kritische Distanz zu ihren Geldgebern wahrt. Anders ausgedrückt, es braucht wieder wissenschaftliche Experten, die diesen Namen verdienen, die sich zu Themen äußern und zu Themen forschen, von denen sie tatsächlich etwas verstehen, und denen Respekt entgegengebracht wird, selbst wenn sich die Relevanz der dabei erzielten Ergebnisse oft nur langfristig und mit verzögerter Evidenz ermitteln lässt.

Er fürchte, so schreibt Nichols am Ende von "The Death of Expertise", nicht so sehr das Aussterben jeglichen Expertentums. Ärzte, Anwälte, Ingenieure usw. wird es wahrscheinlich immer geben; was ihm Sorgen macht, ist vielmehr die Tatsache, dass neuerdings kaum jemand mehr bereit zu sein scheint, einmal gefasste Meinungen und Vor-Urteile durch entsprechende Expertise zu revidieren. Das Goethe-Zitat "Man sieht nur, was man weiß" sollte alle, denen der dramatische Bedeutungs- und Realitätsverlust im digitalen Zeitalter ein Anliegen ist, nachdenklich machen. Und es sollte Wissenschaftler und mit Wissenschaft befasste Politiker daran erinnern, dass der Satz gleichfalls als starkes Plädoyer für eine Kultur der Expertise und Professionalität verstanden werden kann, auch und gerade an den neuerdings so geschmähten Universitäten.

Der Autor ist Lehrstuhlinhaber für Nordamerikastudien an der Ludwig-Maximilians-Universität München


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https://www.heise.de/-3731019

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Vom-Aberglauben-zum-Wissenschaftsglauben-3704868.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Science-March-Spaet-aber-wichtig-3691262.html