Wladimir Putin: Das Selbstbild hat Risse
- Wladimir Putin: Das Selbstbild hat Risse
- Folgen einer Elternkonstellation
- Rückgriff auf die "Russische Welt"
- Stützen Putins
- Putin und die russische Militärdoktrin
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Wie kann man dem russischen Präsidenten angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine begegnen? (Teil 2 und Schluss)
Das Bild eines arbeitsamen, disziplinierten Präsidenten, der wie ein "Galeerensklave" zum Wohle Russlands "schuftet" (Putins Worte), bekommt allerdings Risse, wenn man Berichten von Oppositionellen über Putins Reichtum und luxuriöser Lebensführung trauen darf. Es ist die Rede von einer Vielzahl von Flugzeugen, mehreren Yachten und Villen, außerdem von undurchsichtigen Geschäftsverbindungen. Der Kreml weist Kritik zurück. Der Präsident benutze lediglich Staatseigentum.
Auch Putins Tagesablauf in seiner Residenz in Novo-Ogaryovo gleicht nicht dem eines Arbeitstiers. Wie es heißt, steht er spät auf, frühstückt ausgiebig, widmet sich sportlichen Tätigkeiten.
An die Arbeit (Lektüre) geht er am frühen Nachmittag und empfängt dann seine Entourage. Familienleben hat er keines, da er sich von seiner Frau scheiden ließ. Wie Bilder, auf denen beide gemeinsam auftraten, andeuten, bestand wohl ein kühles Verhältnis zwischen beiden. Wo seine beiden ehelichen Töchter leben, ist nicht bekannt. Seine "Familie" sind Leibwächter und Mitarbeiter.
Herkunft und psychische Dispositionen
Es ist anzunehmen, dass die am äußeren Verhalten gemachten Beobachtungen mit inneren, psychischen Dispositionen zusammenhängen. Ich wende mich noch einmal der Kindheit Putins zu.
Eine Unsicherheit fängt mit seinen Eltern an. Eine in Georgien lebende alte Frau behauptete im Jahr 2000 in dem Ministerpräsidenten Wladimir Putin ihren als Kind weggebenen, gleichnamigen unehelichen Sohn wiedererkannt zu haben. Er sei mit neun Jahren – nach Zwischenstationen in Georgien – von dem damals kinderlosen Ehepaar Wladimir S. und Marija I. Putin aufgenommen worden, entfernten Verwandten. Diese seien nach Leningrad gezogen und hätten ihn dort als ihren leiblichen Sohn registrieren lassen.
Die von mehreren Journalisten weiterverbreitete und schließlich von Steffen Dobbert nachgeforschte und veröffentlichte Geschichte sieht sehr nach einer aus Zufälligkeiten gewebten Legende aus. Sie könnte in Umlauf gebracht worden sein, um Putin zu schaden.
Dass Vera Putinas verlorener Sohn "Vova" mit dem prominenten Wladimir Putin identisch sein soll, lässt sich weder mit Sicherheit belegen noch widerlegen.
Putin ist im Jahr 2000 dieser Geschichte mit anderen Angaben und Erzählungen entgegengetreten – ohne sie zu erwähnen. Dobbert meint, Putin habe seine wahre Herkunft verleugnet, da sie seinem Weg zur Macht abträglich gewesen wäre.
Putin erzählt von einer Kindheit und Jugend in Leningrad, wo seine Eltern in einer kommunalen Einzimmerwohnung in einem Arbeiterviertel lebten. Zwei Brüder seien lange vor ihm verstorben, sodass er als spätes Einzelkind aufwuchs.
Sein Vater sei Ingenieur mit Hochschulabschluss gewesen und arbeitete in einer Fabrik (Stone, Die Putin-Interviews). Nach einem Jugendfreund war der Vater "ein echter Proletarier", der seinen Sohn liebte, aber immer etwas an ihm auszusetzen hatte.
Wladimir Spiridonowi Putin war streng. Wladimir Putin spricht von "Schlägen", die er erhalten habe. Er hat den Vater als Kriegsinvaliden, der dennoch seine Arbeit bis ins Alter ausführte, erlebt.
Als Partisan und Soldat hatte der Vater im Krieg von den Deutschen Schlimmes erlebt, war nur knapp mit dem Leben davon gekommen und wurde durch Granatsplitter schwer verletzt. Putin schildert ihn als Menschen, der sich für Vaterland, Frau und neugeborenen Bruder heldenhaft und aufopferungsbereit eingesetzt habe.
Als Lehre aus den Kriegserfahrungen des Vaters zieht Putin den Schluss: "Das Leben ist so einfach und grausam" – ein Motto, das wohl auch manches über die Lebenseinstellung Putins verrät.
Putin hebt hervor, dass seine Mutter zu seiner Verwunderung keinen Hass auf die deutschen Soldaten gehabt habe. Ihrer Meinung nach seien sie "harte Arbeiter genau wie wir" gewesen, die "einfach an die Front getrieben wurden."
Die Mutter, Marija Ivanovna Putina, bemühte sich, die Strenge des Vaters auszugleichen. Sie wird als gütig und harmoniebedürftig geschildert. Putin charakterisiert sie als "im Allgemeinen sehr sanfte, freundliche Person". Er berichtet, sie habe ihn früh ohne Wissen des Vaters, der Parteimitglied war, taufen lassen.
Um den Jungen davor zu bewahren, dass er in ein Waisenhaus gesteckt wurde, nahm sie eine Stelle als Hausmeisterin an. Tagsüber arbeiteten die Eltern, der Junge war bis in die Abendstunden sich allein überlassen und verbrachte die Zeit mit anderen Jungen und Mädchen auf dem Hof.
Zur Atmosphäre in der Familie berichtet Putin, sie hätten sich wohl verstanden, aber untereinander wenig Worte gemacht und Emotionen gezeigt: "Ich kann nicht behaupten, dass wir eine sehr emotionale Familie waren … jeder lebte irgendwie in sich selbst."