Wo selbst der Mullah postet
Weblogs im Iran - ein Überblick. Teil 2
Im Iran gibt es mehr Blogger als in Deutschland, in den iranischen Städten boomt das Internet wie sonst nirgendwo in der arabischen Welt. Woran liegt das? Im ersten Teil ("Ich möchte kotzen, zerspringen, explodieren") wurden auf der Grundlage von Nasrin Alavis Studie "Wir sind der Ir@n. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene" drei Gründe genannt: die drakonische Pressezensur der islamischen Republik, das Ende der vorsichtigen politischen Reformen seit 1997 und der große Anteil von unter 30Jährigen an der Bevölkerung. Diesmal soll es um die Bedeutung von Frauen im Netz und um die "kulturelle Invasion" des Westens gehen.
Irans Frauen sind von der politischen Macht weitgehend ausgeschlossen und im Alltag unter Kopftuch oder Tschador verborgen. Umso offener und selbstbewusster präsentieren sich die Webloggerinnen und legen erstmal virtuell den Schleier ab. Neben allerlei eigenwilligen Verteidigungen des Schleierzwangs ("Schleier gilt als Zeichen des Widerstands gegen westliche Werte" oder als Möglichkeit, "sich freier zu bewegen") ist in einem Blog zu lesen, dass wenn die Frauen den Tschador nicht mehr trügen, "diese koreanischen Fabriken, die jährlich Millionen von Metern schwarzen Stoff in den Iran exportieren (und sonst nirgendwo hin) werden Bankrott anmelden müssen."
Virtuell unverschleierte Frauen
Auch die Schleierverbote im öffentlichen Dienst europäischer Länder werden in den Blogs diskutiert:
Freiheit bedeutet, wählen zu dürfen ... in unserem Fall zwingen uns Männer, das Ding zu tragen, und woanders zwingen sie Frauen, es abzulegen.
Immer wieder geht es auch um die rigiden iranischen Gesetze zum Ehebruch, die Frauen mit Steinigung drohen, oder zur Ehescheidung. So weist eine Bloggerin darauf hin, "dass 80 Prozent der Scheidungsanträge von Frauen gestellt werden", obwohl nach islamischem Recht die Gefahr besteht, dass die Kinder nach vollzogener Scheidung dem Mann zugesprochen werden. Der schönste Kommentar im Buch befasst sich mit dem Thema "Ehre der Frau":
Männer ... Gentlemen, überlasst die Ehre der Frauen doch ihnen selbst. Statt ständig unsere M***n zu überwachen, konzentriert euch lieber auf eure Arbeit.
"Kulturelle Invasion"
Beim Thema der von staatlicher und geistlicher Macht viel beschworenen "Kulturellen Invasion" wird Alavi besonders deutlich:
Ganz offenbar ist der Versuch des Regimes, die Iraner von der 'kulturellen Invasion' des Westens abzuschotten, grandios gescheitert.
In diversen Blogs wird über Britney Spears oder die "Matrix"-Trilogie diskutiert, die Songs der aus dem Iran vertriebenen Sängerin Googoosh dürften sich auf den Festplatten hunderttausender iranischer Computer befinden, bei kafaar.com lassen sich sogar Salman Rushdies "Satanische Verse" downloaden und so mancher Schriftsteller stellt seinen neuen Roman lieber ins Netz als sich der staatlichen Zensur zu beugen. Abbas Maroufis Manuskript von "Feridun hatte drei Söhne", an dem das Kulturministerium mehr als 200 Stellen verändert sehen wollte, kann man problemlos auf einer Webseite runterladen.
Überall in den Großstädten ist die Menge an Satellitenschüsseln unübersehbar; außerdem sind dort Massen an Raubkopien ausländischer DVDs, CDs, Videos und Computerspiele erhältlich, denn weil der Iran alle internationalen Copyright-Gesetze ignoriert, ist das Land nach Alavis Ansicht "zum Paradies für Raubkopierer geworden."
Die "kulturelle Invasion" geht aber noch weiter. Sich am unscheinbaren Valentinstag was zu schenken, wird von vielen als Ausdruck von Protest verstanden, da weder der Islam noch die Nationalkultur einen Valentinstag kennen:
Aus Protest gegen die Machthaber sind die Menschen bereit, immer weiter von ihrer eigenen Kultur abzurücken, koste es, was es wolle...
Wo die "kulturelle Invasion" begrüßt wird, gilt das noch lange nicht für eine mögliche politische oder gar militärische Invasion. Nicht selten wird in den Blogs Freude über den Sturz Saddam Husseins im Nachbarland Irak ausgedrückt, doch auch die Warnungen vor den möglichen Folgen bleiben nicht aus. Stellvertretend für viele andere bringt es der Eintrag einer Amerikanerin, die im Iran lebt, auf den Punkt:
Vor ein paar Monaten hörte man nur selten ein böses Wort über Bush und unsere Politik gegenüber dem Irak. Aber das ändert sich. Die Iraner haben Bush aus vollster Überzeugung unterstützt. Die Pilger von Karbala zählten zu seinen enthusiastischsten Anhängern. Aber das ändert sich. Die Menschen hier beginnen, an dem Verhalten der USA im Irak zu zweifeln, und sind besorgt über Bushs Kriegsbegeisterung.
Andere Blogger betonen, dass von einem möglichen Einmarsch amerikanischer Truppen im Iran nur die Mullahs profitieren könnten.
Obwohl es an US- und europafreundlichen Stimmen nicht mangelt, überwiegen bei der Formulierung dessen, wie Demokratie im Iran aussehen könnte, die positiven Bezüge auf die Geschichte des eigenen Landes. Viele Blogger feiern etwa Mohammad Mossadegh, den Regierungschef der letzten demokratischen Regierung des Landes, ohne zu verschweigen, dass er 1953 von Briten und Amerikanern gestürzt wurde, um den Schah an die Macht zu bringen. Häufig ist auch zu lesen, nach der Rückkehr Chomeinis habe die Revolution als "pro-demokratische Bewegung" begonnen, die jedoch schon von einer Herrschaftsform abgelöst worden sei, "die genauso wenig demokratisch ist wie die Monarchie, die sie abgelöst hatte."
Das Ergebnis liest sich bei einem Blogger so:
Wir saßen vor dem Fernseher und sahen zu, wie sie hängten und hängten.
Mullahs in Gefahr?
Je mehr Blogs es gibt, desto stärker werden auch die Zensur im Internet und die Repression gegen die Betreiber von kritischen Seiten. Außerdem sollte man die Bedeutung des Internet nicht überschätzen, da alle anderen Massenmedien - Fernsehen, Radio, Zeitungen - fast ausschließlich die Meinung der Machthaber verbreiten. Ob das aber reicht, die Machtbasis der Mullahs zu stärken, ist fraglich. Alavi schreibt:
Niemand leugnet, dass das Regime einige treu ergebene Anhänger hat: 10 bis 15 Prozent der Wähler.
Selbst unter ihnen finden sich Weblogger, etwa Muhammed Sarshar, Literaturkritiker der reaktionären Jugendzeitschrift "Hareem", mit seinem Blog oder ein Mullah-Blogger, der sein Verständnis von Demokratie präsentiert:
Immer in der Geschichte waren die Gerechten in der Minderheit.
Quasi als Erwiderung darauf soll hier ein Eintrag auf river.blogsky.com das letzte Wort behalten:
Irgendwann wird sich alles in Wohlgefallen auflösen, und zwar dann, wenn unsere Bürger ihnen mal ordentlich eins in die Fresse hauen ...
river.blogsky.com ist derzeit leider offline. Die Gründe dafür sind klar.
Nasrin Alavi: Wir sind der Ir@n. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene. Aus dem Englischen von Violeta Topalova und Karin Schuler. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 224 S., 9,90 Euro