Wohltätige Gehirnwäsche

Drogenexperiment in einem MKULTRA-Lehrfilm

Psychopathen, Psychiater und Psychonauten, Teil 2

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Teil 1: "Besondere Verhörmethoden" im Kalten Krieg

Am 3. April 1953 schlug Richard Helms, Chef der Planungsabteilung der CIA, dem Direktor die Einrichtung eines Programms zum "verdeckten Einsatz von biologischen und chemischen Materialien" vor, das schon eine Weile am Laufen war. Im Antrag betonte Helms wieder einmal, dass Angriff die beste Verteidigung sei:

Abgesehen vom offensiven Potential [...] verschafft uns die Entwicklung von umfassenden Fähigkeiten auf diesem Gebiet ein fundiertes Wissen des theoretischen Potentials des Gegners und versetzt uns dadurch in die Lage, uns gegen einen Feind zu verteidigen, der sich beim Einsatz dieser Techniken möglicherweise nicht dieselbe Zurückhaltung auferlegen wird wie wir.

Einfacher gesagt: Weil die Kommunisten irgendwann irgendetwas erfinden und dann vielleicht einsetzen könnten, mussten die Amerikaner das theoretisch Erfindbare schon vorher erfinden. Und einsetzen. Das aber mit der gebotenen Zurückhaltung, die relativ zum Verhalten des Feindes war. Und der Feind kannte leider gar keine Zurückhaltung.

Projekt MKULTRA

Am 13. April 1953 genehmigte Direktor Allen Dulles das Programm mit dem Namen MKULTRA. Das war der Tag, an dem das Pentagon bekanntgab, dass amerikanische Kriegsgefangene in Korea, die sich der Repatriierung widersetzten, von nun an als Deserteure betrachtet und bei sich bietender Gelegenheit erschossen würden. Zunächst mit 300.000 Dollar ausgestattet, war das Projekt den üblichen Abrechnungspflichten enthoben. Forschungsaufträge konnten ohne schriftliche Vereinbarung vergeben werden. Der Buchhaltung gegenüber genügte eine von Willis Gibbons oder Sidney Gottlieb unterschriebene Zahlungsanweisung. Gibbons war der Chef des "Mitarbeiterstabs für technische Dienstleistungen" (Technical Services Staff/TSS). Das "MK" zeigte Eingeweihten an, dass das Projekt beim TSS angesiedelt war. "ULTRA" war vielleicht eine sentimentale Reminiszenz an die "gute alte Zeit" des Zweiten Weltkriegs, die viele CIA-Leute stark geprägt hatte; im Rahmen des ULTRA-Programms hatten Dechiffrierexperten versucht, deutsche Militärcodes zu entschlüsseln. Jetzt sollte das menschliche Hirn geknackt werden.

Der "Technische Dienst" machte das, was Q in den James-Bond-Filmen macht: er stellte falsche Bärte, Perücken und Miniaturkameras in einer Streichholzschachtel zur Verfügung. Aber innerhalb des TSS gab es eine Chemie-Abteilung, die so geheim war, dass die meisten anderen davon gar nichts wussten. Die Chemical Division leitete ab 1951 Sidney Gottlieb, ein Protegé von Richard Helms, damals Chef des "Directorate of Operations", besser bekannt als "dirty tricks department". Mit jeder neuen Stufe, die Helms auf dem Weg zum Direktorenposten nahm, wurde Gottlieb ein bisschen wichtiger.

Auch Gottlieb interessierte sich für Hypnose, war aber kein Aficionado wie Morse Allen, sein Gehirnwäsche-Konkurrent vom Sicherheitsdienst. Gottlieb hatte eine Schwäche für LSD. Die Kunde von der Droge aus dem Sandoz-Labor brachte Dr. Otto Kauders nach Amerika, ein Arzt aus Wien. In der Hoffnung, Geldgeber für eigene Forschungsarbeiten zu finden, machte Kauders 1949 bei einer Konferenz am Boston Psychopathic Hospital (das heutige Massachusetts Mental Health Center) mit. Dort erzählte er vom LSD und davon, dass eine winzige Dosis Albert Hofmann vorübergehend verrückt gemacht habe. Das Krankenhaus war eng mit der medizinischen Fakultät von Harvard verbunden, wo Henry Murray nicht der einzige war, der Geld vom Geheimdienst bekam. So erreichte die Nachricht die CIA.

Robert Hyde, Psychiater am Boston Psychopathic, ließ sich von Sandoz ein paar Proben schicken und ging mit 100 Mikrogramm auf den ersten dokumentierten LSD-Trip in Amerika. Das war der Beginn einer äußerst umfangreichen Forschungstätigkeit. LSD-Studien wurden bei amerikanischen Wissenschaftlern auch deshalb so beliebt, weil es ungewöhnlich einfach war, Fördermittel zu bekommen. Dahinter steckte sehr oft die CIA (Hyde erhielt ab 1952 40.000 Dollar pro Jahr).

Lass dich testen

Gottlieb protegierte seinerseits den seit 1950 bei der CIA angestellten Psychologen John Gittinger, der nach Mitteln und Wegen suchte, wie man andere Leute manipulieren konnte und dabei sein Personality Assessment System (PAS) entwickelte. Gittinger glaubte, ein wissenschaftliches System zur Vorhersage von zukünftigem Verhalten entwickeln zu können. Grundlage war eine von ihm modifizierte Form des von David Wechsler entwickelten Intelligenztests. Im Laufe der Jahre sammelten sich in seiner Datenbank 29.000 Wechsler-Tests an, die er und sein Team auswerteten. Gittinger galt in CIA-Kreisen als Genie. Weil bei der Agency Kontroll-Fetischisten das Sagen hatten, wurden bei Geheimoperationen dauernd Persönlichkeiten bestimmt und Verhaltendweisen prognostiziert. Während der Kubakrise wurde Gittinger vom Weißen Haus angefordert. Dort wurden verschiedene Szenarien entworfen, und Gittinger sollte sagen, wie sich Nikita Chruschtschow jeweils verhalten würde.

Das PAS hatte den Fehler, dass nur Gittinger selbst richtig damit umgehen konnte. Die von ihm erzielten Resultate scheinen aber so verblüffend gewesen zu sein, dass die CIA Hunderttausende von Dollars in Forschungsprogramme anderer Wissenschaftler steckte, die ebenfalls an der Entwicklung von Tests arbeiteten, mit denen der IQ, die Persönlichkeit, das Verhalten oder was auch immer bestimmt werden sollte. Die Vorläufer vieler heutiger Eignungs- und Persönlichkeitstests, angewandt von Universitäten über Personalabteilungen bis zu Scientology, wurden von der CIA finanziert. Das heißt nicht, dass uns ohne Gittinger & Co. die ganze Testerei erspart geblieben wäre. Wenn sich etwas durchsetzt oder nicht, hat das noch mit anderen Faktoren als mit Fördergeldern zu tun. Geheimdienste spiegeln die Gesellschaft wieder, aus der sie kommen.

In Gittingers Datenbank landeten auch die Informationen, die Dr. Harris Isbell regelmäßig zur Verfügung stellte. Das von ihm geleitete Addiction Research Center war in einer Suchtklinik in Lexington, Kentucky untergebracht, wo es eine geschlossene Abteilung für straffällig gewordene Drogenabhängige gab. Isbell schickte die Daten von Heroinsüchtigen, mit deren Hilfe Gittinger herauszufinden hoffte, wer besonders anfällig für Drogen ist. Seinen Etat besserte er auch dadurch auf, dass er für die CIA neue Substanzen, die schnell ausprobiert werden sollten, an die Gefangenen verabreichte. Wer mitmachte, erhielt wahlweise eine Strafverkürzung oder die Droge seiner Wahl. Die meisten der "Freiwilligen" entschieden sich für die Droge, nach der sie süchtig waren.

Um zu testen, was Menschen alles aushalten können, schickte Isbell sieben seiner Patienten auf einen 77 Tage andauernden LSD-Trip. Zu bedauern war dabei, Isbells Meinung nach, nur er selbst. Er beklagte sich darüber, dass die Opfer seiner Versuche zunehmend verängstigt auf die Ärzte reagierten und nicht so offen über ihre Erfahrungen sprachen, wie er und seine Mitarbeiter sich das wünschten. Bei "Patienten dieses Typs", schrieb er resigniert, müsse man wohl mit einem solch uneinsichtigen und unkooperativen Verhalten rechnen. Mit wenigen Ausnahmen waren die Probanden alle schwarz.

Anomales Verhalten

Mit Leuten wie Isbell arbeitete die CIA besonders gern zusammen, weil sie selbst die Probanden für die Experimente einbrachten. Dr. Harold Abramson, Professor der Columbia University und am New Yorker Mt. Sinai Hospital tätig, war auf Allergieforschung und Immunologie spezialisiert und interessierte sich - mehr privat - für das menschliche Gehirn. 1953 bat er die CIA um Geld. In seinem Antrag heißt es, er wolle Krankenhauspatienten, "die aus psychiatrischer Sicht im Grunde normal sind [...] ohne deren Wissen und zu psychotherapeutischen Zwecken Drogen in verschiedenen Dosen" verabreichen. Dafür erhielt er 85.000 Dollar. Erhalten ist ein Schriftstück, in dem Gottlieb auflistet, auf welchen Gebieten er sich Informationen über "für Operationen zweckdienliches Material" von ihm erhofft:

a. Stören der Gedächtnisleistung
b. Diskreditieren durch anomales Verhalten
c. Verändern der Sexualgewohnheiten
d. Entlocken von Informationen
e. Beeinflussbarkeit
f. Schaffen von Abhängigkeit

Die Gelder für Abramson und Kollegen flossen auch deshalb so reichlich, weil der militärische Nachrichtendienst 1951 meldete, dass die Russen bei Sandoz LSD für 50 Millionen Trips gekauft hätten. 1953 warnte dieselbe Quelle sogar vor 10 kg LSD (100 Millionen Trips), die Sandoz auf den freien Markt werfen wolle. Ein CIA-Dokument von 1975 kann erklären, wie es zu den alarmierenden Meldungen kam; dem Schriftstück zufolge hatte der US-Militärattaché in der Schweiz ein Milligramm mit einem Kilogramm verwechselt. So wurden aus 100 Trips 100 Millionen.

Die Massenproduktion von LSD wurde erst möglich, nachdem es gelungen war, das in einem Getreidepilz enthaltene Ergotamin, den Ausgangsstoff für die Lysergsäure, künstlich und in großen Mengen herzustellen. Auf den Markt kam LSD schließlich unter dem Produktnamen Delysid. Auf dem Beipackzettel stand u.a.:

Indem der Psychiater selbst Delysid einnimmt, wird er in die Lage versetzt, eine Einsicht in die Welt der Ideen und Wahrnehmungen psychiatrischer Patienten zu gewinnen.

Wenn man "Psychiater" durch "CIA" und "Patient" durch "feindlicher Agent" ersetzt, weiß man über MKULTRA schon eine ganze Menge. Zur medizinischen Behandlung gehörte allerdings, dass der Patient nur mit dessen Wissen LSD erhielt, nach sorgfältiger Vorbereitung und im Beisein des behandelnden Psychiaters, der ihn durch den Trip geleitete. Der CIA kam es gerade darauf an, dass das Opfer nicht wusste, wie ihm geschah. Gottlieb engagierte deshalb John Mulholland, einen der bedeutendsten Bühnenzauberer des 20. Jahrhunderts, Autor des Klassikers The Art of Illusion und Herausgeber des Fachblatts The Sphinx. Mulholland schrieb für die CIA ein von ihm selbst illustriertes Handbuch, dem der Agent entnehmen konnte, wie man andere täuschte und ihnen z.B. LSD in den Cocktail oder den Kaffee schmuggelte. Titel: Some Operational Applications of the Art of Deception.

Im Gegensatz zu Morse Allens Polizei- und Schlägertruppe von der Sicherheitsabteilung besaßen Gottliebs Leute einen Hochschulabschluss und meistens einen Doktortitel. Sie sahen sich als Wissenschaftler und hatten noch den alten Forschergeist. Die Bereitschaft zum Selbstversuch gehörte zwingend mit dazu. In den frühen 1950ern kippten sich die TSS-Mitarbeiter gegenseitig LSD ins Glas. Wenn man liest, was John Marks und andere inzwischen herausgefunden haben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Filme, die man bisher für überdrehte Komödien hielt, tatsächlich Dokumentarberichte über den Arbeitsalltag der CIA sind.

"Monkey Business"

Fenstersturz

In Monkey Business von Howard Hawks arbeitet Cary Grant an der Herstellung eines Verjüngungsmittels, was zu viel Tohuwabohu führt, weil schließlich der Versuchsaffe das Mittel erfindet und ins Trinkwasser schüttet. Wenn man sich statt des Verjüngungsmittels eine Wahrheitsdroge denkt, könnte man auch in der CIA-Abteilung für technische Dienstleistungen oder in einem der von der Agency finanzierten Forschungsinstitute sein. Wenn doch einmal etwas über die Geheimversuche an die Öffentlichkeit drang, konnte das unvoreingenommene Publikum kaum glauben, was da im Kampf gegen den Kommunismus veranstaltet wurde. Und diejenigen, die den Geheimdienst für eine Ansammlung von lächerlichen Stümpern hielten, fühlten sich in ihrer Meinung bestätigt. So verschafften die komödiantischen Aspekte der geheimen Tests eine zusätzliche Sicherheit. Während aber im Film der Nebenbuhler von Cary Grant einen Irokesenschnitt erhält, gab es in der Realität spätestens 1953 den ersten Toten.

CIA-Geld (200.000 Dollar pro Jahr) ging auch an die Special Operations Division (SOD) des Army Chemical Corps in Fort Detrick. Dort wurde erforscht, wie man andere vergiften und mit Krankheiten infizieren konnte. Gerechtfertigt wurde das so wie immer: um das eigene Volk schützen zu können, musste man genau wissen, was der Feind womöglich einsetzen würde. SOD- und TSS-Leute trafen sich halbjährlich zu einem gemeinsamen Brainstorming. Im November 1953 spendierte Gottlieb bei einem dieser Treffen eine Flasche Cointreau, mit LSD versetzt. Am Ende der Tagung wirkte Dr. Frank Olson sehr verwirrt. Seiner Frau erschien er deprimiert und verängstigt. Bald danach fiel er unter mysteriösen Umständen irgendwo zwischen dem 9. und 13. Stock (die Angaben differieren) aus dem Fenster eines Hotels. Im Film The Good Shepherd, der in groben Zügen die Geschichte von OSS und CIA von der Gründung bis zum Desaster in der Schweinebucht erzählt, wird darauf angespielt, wenn ein russischer Überläufer nach Waterboarding und einer Dosis LSD aus dem Fenster springt.

Eine interne CIA-Untersuchung gelangte zu dem Ergebnis, dass Gottliebs LSD-Experiment zu dem Sprung aus dem Fenster geführt habe; Olson sei vorher schon depressiv und/oder paranoid gewesen. Aus Sicht der CIA war das durchaus schlüssig. Die hauseigenen Experten waren der Meinung, dass die Wirkung von LSD von der Persönlichkeit des Probanden abhing (und bereits vorhandene Merkmale verstärkte) sowie von den Umständen, unter denen es eingenommen wurde. Zehn Jahre später nannte man das Set und Setting. Da die CIA dies schon 1953 wusste, waren die Versuche umso verantwortungsloser.

Gottlieb kam mit einer leichten Rüge davon. Admiral Luis deFlorez, Chef der Forschungsabteilung, riet in einem Memo für CIA-Direktor Dulles von Disziplinarmaßnahmen ab, weil diese "den Initiativgeist und den Enthusiasmus, die bei unserer Arbeit so wichtig sind" einschränken würden. Anfang 1955 war Gottlieb so weit rehabilitiert, dass er und seine MKULTRA-Leute die meisten Aufgaben von ARTISCHOCKE übernehmen konnten (die beiden Geheimprojekte liefen offenbar eine Weile lang nebeneinander her). Aber der zu den Akten gelegte Olson-Fall hatte eine Langzeitwirkung, von der damals niemand etwas ahnte.

Waterboarding in "The Good Shepherd

MKULTRA fliegt auf

1972 beschloss Richard Nixon, den inzwischen zum CIA-Direktor aufgestiegenen Jesse Helms in die Wüste zu schicken. Die Gründe sollen mit Watergate zu tun gehabt haben und bleiben weiter ungeklärt. Bevor Helms seinen Stuhl räumte, segnete er noch die große Aktenvernichtung ab. Im Januar 1973 ließ Gottlieb alles zerstören, was mit MKULTRA zu tun hatte. Jedenfalls war das der Plan. James Schlesinger, der neue Direktor, kam von außen und tat etwas für Agency-Verhältnisse Unerhörtes: er wies alle CIA-Angehörigen an, ihn über Aktionen zu informieren, die eventuell illegal gewesen waren. Im CIA-Jargon sind das die "Familienjuwelen". Einige dieser Pretiosen spielte jemand Seymour Hersh von der New York Times zu.

Im Dezember 1974 begann Hersh mit einer Reihe von Artikeln über Bespitzelungen unter den Präsidenten Johnson und Nixon. Der Skandal war enorm. Gerald Ford, der Nachfolger des über Watergate gestürzten Nixon, setzte zur Schadensbegrenzung eine von Vizepräsident Nelson Rockefeller geleitete Untersuchungskommission ein. Im Abschlussbericht war von einem Mann die Rede, der unter LSD-Einfluss aus dem Fenster gesprungen war. Das klang sensationell und sorgte für ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald. Noch mehr Sprengkraft hatten zwei Sätze, die gut im Bericht versteckt waren:

Das Drogenprogramm war Teil eines viel größeren CIA-Programms zur Erforschung möglicher Mittel zur Kontrolle des menschlichen Verhaltens. Andere Studien erkundeten die Auswirkungen von Bestrahlung, Elektroschock, Psychologie, Psychiatrie, Soziologie und Substanzen zum Schikanieren und Zermürben.

Das interessierte John Marks, Autor eines Buches, das die Regierung aus Gründen der nationalen Sicherheit hatte zensieren lassen (The CIA and the Cult of Intelligence). Im Rahmen des Freedom of Information Act beantragte er Einsicht in die Dokumente über die Versuche zur Verhaltenskontrolle. 1977 informierten CIA-Angehörige Marks' Anwälte, dass sie sieben Kisten mit Rechnungen, finanziellen Aufstellungen usw. gefunden hatten. Offenbar waren sie falsch archiviert worden und so der Vernichtung entgangen. Der Fund der Akten führte schließlich zu einem Untersuchungsausschuss des Senats.

In den Wochen vor den Anhörungen im Senat begann die CIA mit der taktischen Freigabe von Akten. 8000 mal mehr und mal weniger geschwärzte Seiten waren zu viele, um sie noch gründlich durchzuarbeiten und zu kontextualisieren. Das Ausschussmitglied Edward Kennedy konzentrierte sich auf das, was er und seine Mitarbeiter bereits wussten: die Existenz des LSD-Bordells in San Francisco. John Marks ist darüber sehr erbost. Er glaubt, dass man viel mehr hätte herausfinden können, wenn den Politikern die Unterhaltung des Publikums und ihr eigener Auftritt weniger wichtig gewesen wären. Das ist oft ein Problem. Bei den meisten CIA-Operationen gibt es auch was zu lachen. Wenn man sich davon ablenken lässt, steht das der Aufklärung im Weg.

1994 ließ Eric Olson den Leichnam seines Vaters Frank exhumieren. Ein Gerichtsmediziner fand Spuren eines Schlages mit einem stumpfen Gegenstand und glaubte an Mord. Der Mordtheorie neigen auch Egmont R. Koch und Michael Wech zu, die Autoren von Deckname Artischocke (Film und Buch). Sie vermuten, dass Frank Olson den Einsatz bakteriologischer Kampfstoffe über Nordkorea oder tödlich verlaufene, in Deutschland durchgeführte Folterexperimente öffentlich machen wollte und deshalb zum Schweigen gebracht wurde. In The Good Shepherd gibt es auch dazu die entsprechende Szene: ein Killerkommando wirft einen als Sicherheitsrisiko geltenden Agenten zum Ertrinken in die Themse. Eric Olson ist überzeugt davon, dass sein Vater ermordet wurde. Er betreibt eine Website, die eine gute Anlaufstelle für alle ist, die mehr über MKULTRA, BLUEBIRD und ARTISCHOCKE wissen wollen: frankolsonproject.org.

Operation Midnight Climax

Aus Sicht der Technischen Abteilung war es gut und schön (und im Fall Olson auch mal schlecht), wenn man sich gegenseitig LSD ins Glas kippte, aber größere Feldversuche konnte so etwas nicht ersetzen. Beim Aktenstudium stieß Gottlieb auf George White alias Morgan Hall und die alten Marihuana-Versuche des OSS. White, inzwischen wieder bei der Drogenpolizei, wurde als "Berater" ausgeliehen. Im New Yorker Greenwich Village mietete die CIA 1953 zwei nebeneinander liegende Wohnungen an, richtete sie pompös ein und stattete sie mit auf einer Seite durchsichtigen Spiegeln, Mikrofonen und Kameras aus. White lud Leute aus der Halbwelt ein, bewirtete sie auf Kosten der CIA und verabreichte ihnen heimlich LSD. Ein Arzt war nicht dabei.

1955 wurde White bei der Drogenpolizei befördert und nach San Francisco versetzt. Das "Subproject # 3" von MKUltra inklusive der Möbel nahm er mit. Auf dem Telegraph Hill mietete er eine Wohnung mit Aussicht auf die Bucht. White kaufte mit CIA-Geld rote Vorhänge, Toulouse-Lautrec-Poster und Photos von gefesselten Frauen in Netzstrümpfen, die er an die Wand hängte. Das war seine Vorstellung von einem Luxusbordell. Damit die CIA mithören konnte, was dort geschah, wurde die neueste Überwachungstechnik installiert und ausprobiert. White besorgte die Prostituierten. Bezahlt wurden sie mit kleinen Gefälligkeiten (White hatte beste Verbindungen zur Polizei von San Francisco) und mit Bargeld.

Das LSD und andere Drogen brachte John Gittinger mit. Gittinger war immer auf der Suche nach Persönlichkeitsmerkmalen, die von der Norm abwichen und die helfen konnten, potentielle Spione und Überläufer zu identifizieren. Tests an Sexualverbrechern hatten ergeben, dass Leute mit schwer kontrollierbaren Trieben andere Verhaltensmuster aufweisen als der Normalbürger. Deshalb schickte Gottlieb seinen Starpsychologen nach San Francisco. Gittinger sah den Probanden beim Geschlechtsverkehr zu und befragte Normabweichler: Schwule, Lesben, Prostituierte. Die "Operation Midnight Climax" galt als so erfolgreich, dass auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge eine ebenfalls von White geleitete Filiale eingerichtet wurde. Auch in New York eröffnete die CIA zu Versuchszwecken ein Bordell. Die Häuser wurden 1965 (San Francisco) bzw. 1966 (New York) geschlossen.

Die Agenten fanden heraus, dass ein Freier vor dem Orgasmus kaum Staatsgeheimnisse ausplaudert, nachher aber womöglich schon, wenn ihm die Prostituierte sagt, wie gut er war und dass sie sich gern noch mit ihm unterhalten würde. Weitere Ergebnisse der Experimente wurden nie bekannt. Vielleicht liegt aber in irgendeinem Archiv die CIA-Version des Hite Report. Das ist gar nicht mehr so lustig, wenn man an die kürzlich in der Washington Post veröffentlichten Details zu den "verschärften Verhörmethoden" der CIA denkt. Dem Bericht nach gab es Empfehlungen, Terrorverdächtige mit nackten Frauen zu umgeben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieser Ratschlag auch auf Gittingers Untersuchungen in San Francisco zurückgeht.

Dr. Cameron empfiehlt

Alfred W. McCoy fasst in A Question of Torture die wichtigsten Empfehlungen eines Verhör- und Folterhandbuchs der CIA von 1963 zusammen, das seine Existenz den MKULTRA-Experimenten verdankt. 1983 wurde es für einen Einsatz in Honduras nur unwesentlich modifiziert. Seither scheint nicht mehr viel Neues hinzugekommen zu sein. Womöglich müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass es die Methoden im "Kampf gegen den Terror", über die wir uns empören, weil sie einer Demokratie unwürdig sind, schon viel länger gibt, als wir glauben wollen, sie demnach nicht nur mit Bush, Cheney und Rumsfeld zu identifizieren sind. Sprechen wir also von dem Mann, dem Naomi Klein in The Shock Doctrine ein eigenes Kapitel widmet ("Das Folterlabor"): Dr. Ewen Cameron.

Ewen Cameron

Der Psychiater Ewen Cameron überprüfte bei den Nürnberger Prozessen Rudolf Hess auf seinen Geisteszustand. Das von ihm an der McGill University in Montreal gegründete Allan Memorial Institute war ein renommiertes Forschungszentrum. Cameron war 1952/53 Präsident der American Psychiatric Association und später Präsident der World Psychiatric Association. Wer sich bei ihm in Behandlung begab, ging davon aus, es mit einer der ganz großen Koryphäen seines Berufsstandes zu tun zu haben. Optimisten glauben, dass er seine Experimente nur durchführen konnte, weil er einen so hervorragenden Ruf genoss, man ihn andernfalls als kriminellen Schwachsinnigen unschädlich gemacht hätte.

Professor Cameron erhielt 1957 erstmals (und dann alljährlich bis 1964) Forschungsgelder von der Gesellschaft für Humanökologie, einer Tarnorganisation der CIA. Camerons Ansatz: Der Verstand der Patientin (meistens behandelte er Frauen, die Probleme mit ihren Männern hatten) musste in einen Zustand der tabula rasa versetzt ("Entprägen") und dann durch psychich driving (psychisches Antreiben) neu erschaffen werden. Üblicher Ablauf des "Entprägens":

Die Behandlung begann mit einer 15- bis 30-tägigen "Schlaftherapie". Bei manchen Patientinnen dauerte sie bis zu 65 Tagen. Ein Mitarbeiter Camerons weckte die Patientin dreimal täglich und verabreichte ihr einen Medikamentencocktail, der aus einer Kombination von 100 mg. Thorazin, 100 mg. Nembutal, 100 mg. Seconal, 150 mg. Veronal und 10 mg. Phenergan bestand. Ein anderer Mitarbeiter weckte die Patientin zwei- oder dreimal täglich und gab ihr Elektroschocks. In psychiatrischen Kliniken damals üblich war ein Stromstoß von 110 Volt, einen Sekundenbruchteil lang, einmal täglich oder einmal jeden zweiten Tag. Camerons Patientinnen erhielten 150 Volt. Zuerst eine Sekunde lang. Dann folgten fünf bis neun weitere Schocks. Diese "Behandlung" war 20- bis 40-mal so intensiv wie in anderen Krankenhäusern.

Wenn alles nach Wunsch verlief, führte das "Entprägen" zu einer totalen Amnesie. In den Jahren 1958 und 1959 "entprägte" Cameron mindestens 53 Patientinnen und Patienten. Gottlieb wollte gerne wissen, ob er danach neue Verhaltensmuster einprogrammieren, eine kontrollierte Veränderung der Persönlichkeit erreichen könne. Das geschehe durch das "psychische Antreiben", so Cameron. Dabei wurden die Patienten mit der immer gleichen Botschaft bombardiert. Nachdem er seine Opfer befragt hatte, besprach Cameron Bänder mit für die Patienten emotional aufgeladenen Texten. Sein Mitarbeiter Leonard Rubenstein installierte unter den Kopfkissen der Probanden einen Lautsprecher und konstruierte ein Abspielgerät mit Endlosschleifen, mit dem gleichzeitig 8 betäubte Patienten mit der für sie bestimmten Nachricht beschallt werden konnten. Das geschah mehrere Wochen lang, 16 Stunden täglich.

Psychologische Zermürbung

Zuerst hörten die Patienten negative Botschaften ("Du bist eine Heulsuse und konntest dich nie gegen deine Eltern durchsetzen."). Bei besonders widerstandsfähigen Probanden verstärkte Rubenstein den Effekt, indem er ihnen am Ende jeder Schleife einen Stromstoß versetzte. Wenn Cameron der Meinung war, dass das "negative Antreiben" ausreichte, folgten zwei bis fünf Wochen des "positiven Antreibens" ("Du willst deine Mutter dazu bringen, dass sie dich nicht mehr herumkommandiert. Fange zuerst bei den kleinen Dingen an, dich durchzusetzen, und bald wirst du in der Lage sein, ihr in Augenhöhe gegenüberzutreten.").

Cameron machte auch Gehirnwäsche-Experimente, bei denen er alle bekannten Methoden kombinierte, von LSD bis zum extremen Reizentzug. Mit CIA-Geld ließ er schalldichte Isolationsräume bauen, manche kaum größer als eine Kiste. Eine 52-jährige Patientin in der Menopause steckte er 35 Tage in diese Kiste, nachdem er sie zuvor mit seinen anderen Techniken "behandelt" hatte. Trotzdem schlug die Behandlung nicht an. Aktennotiz Camerons:

Obwohl die Patientin sowohl durch fortgesetzten Reizentzug (35 Tage) als auch durch wiederholtes Entprägen vorbereitet wurde, und obwohl sie 101 Tage positives Antreiben erhielt, wurden keine positiven Resultate erzielt.

Aus Sicht der CIA stellten sich die Dinge so dar (Memorandum):

Das Geheimprogramm prüfte und erforschte zahlreiche ungewöhnliche Befragungstechniken, einschließlich psychologischer Zermürbung und solcher Dinge wie "vollständige Isolation" und auch des Einsatzes "von Drogen und Chemikalien".

Was Dr. Camerons Behandlung für die Patienten bedeutete, kann man in A Father, a Son and the CIA von Harvey Weinstein und In the Sleep Room von Anne Collins nachlesen. Viele erholten sich ihr Leben lang nicht mehr davon. Um seine Methode der "wohltätigen Gehirnwäsche" zu propagieren, gab Cameron gern auch den bunten Blättern Interviews. 1955 erzählte er den Lesern von Weekend, dass er sich mit "denselben Problemen wie die professionellen Gehirnwäscher" konfrontiert sehe; seine an Neurosen leidenden Patienten "tendierten wie die Gefangenen der Kommunisten dazu, zu widerstehen", weshalb sie "gebrochen" werden müssten. Dazu gab es das Photo einer Frau mit Kopfhörern, die - so der Begleittext - immer wieder ihr zuvor abgelegtes "Geständnis" hören müsse.

Psychologe Gittinger sagte 1977, es sei ein schlimmer Fehler gewesen, Cameron mit Forschungsgeldern auszustatten. Gittingers Chefs waren offenbar anderer Meinung. Am vielversprechendsten an Camerons Methoden fanden die Folterer den extremen Reizentzug, gefolgt von der totalen Reizüberlastung. Der Historiker Alfred A. McCoy meint dazu:

Um die bizarren Exzesse bereinigt, bildeten Dr. Camerons Experimente [...] die wissenschaftliche Grundlage der zweistufigen psychologischen Foltermethodik der CIA.

"The Manchurian Candidate"

The Manchurian Candidate

Ende 1953 gab CIA-Direktor Allen Dulles bei Harold Wolff (dem Erfinder der Humanökologie) und seinem Kollegen Laurence Hinkle eine Studie über die chinesischen Gehirnwäsche-Techniken in Auftrag. 1956 war die Studie fertig. Wolff und Hinkle kamen zu dem Ergebnis, dass weder die Chinesen noch die Russen über geheimnisvolle Wunderdrogen oder sonstige esoterische Mittel zur Bewusstseinsveränderung verfügten. Ihnen zufolge gab es Programme zur politischen Umerziehung, die auf hergebrachten Verhörmethoden der Polizei aufbauten, auf massivem psychologischem Druck und dem Ausnutzen menschlicher Schwächen, auf Isolation und Reizentzug. Man kann diese Studie auch als Handlungsanweisung an Dr. Cameron lesen.

Die CIA hatte sich längst zu einer Behörde entwickelt, die so schwerfällig war wie andere Behörden auch. Es dauerte also, bis man anfing, sich von der alten Lieblingsidee zu trennen, die Kommunisten könnten Menschen programmieren wie pawlowsche Hunde. Dann erschien Richard Condons The Manchurian Candidate (1959). In dem Roman geht es um einen Amerikaner, der im Koreakrieg gefangen genommen und in einem Gehirnwäsche-Zentrum in der Mandschurei als Attentäter programmiert wird; zurück in den USA, soll er im Sinne von Russen und Chinesen in den Präsidentschaftswahlkampf eingreifen. 1962 kam John Frankenheimers Verfilmung in die amerikanischen Kinos. Das hatte Auswirkungen auf die Testprogramme der CIA. Gittinger 1977 vor dem Senatsausschuss:

Ich kann Ihnen dazu sagen, dass in den Jahren 1961, 1962 auf für mich überzeugende Weise bewiesen war, dass die sogenannte Gehirnwäsche, also ein esoterisches Verfahren, bei dem Drogen oder bewusstseinsverändernde Zustände und so fort benutzt werden, nicht existierte. Allerdings warf uns der Film The Manchurian Candidate weit zurück, weil er etwas Unmögliches plausibel erscheinen ließ. Verstehen Sie, was ich meine? Aber in den Jahren 1962, 1963 waren wir allgemein der Überzeugung, dass Gehirnwäsche im Großen und Ganzen ein Prozess ist, der mit dem Isolieren eines Menschen zu tun hat, mit der Verweigerung von Kontakten und damit, dass man ihn durch lange Verhöre großen Belastungen aussetzt, und dass man auf diesem Wege eine Bewusstseinsveränderung erreichen kann, ohne zu irgendwelchen esoterischen Mitteln greifen zu müssen.

Weil den Film-Kommunisten gelang, wovon viele bei der CIA träumten (der programmierte Attentäter), ging alles, was die eigenen Experten für sinnlos befunden hatten, vorerst weiter. In der geheimen Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion schwer zu ziehen sind, konnte das auch gar nicht anders sein.

Die CIA behauptet, dass MKULTRA 1963 beendet und auch nicht unter anderem Namen fortgeführt wurde. Gittingers Aussage lässt sich unschwer entnehmen, dass das nicht stimmt (das Projekt hieß ab 1963 MKSEARCH). Dem wurde nicht weiter nachgegangen. Über den Fortgang der Experimente weiß man wenig. Bekannt ist, dass Implantate im Gehirn getestet werden sollten. In Jonathan Demmes Remake von The Manchurian Candidate lässt eine Fondsgesellschaft mit dieser Methode den Attentäter programmieren. Die US-Geheimdienste vereiteln den Plan der Kapitalisten. Demme knüpft damit an The Silence of the Lambs an und verbessert wieder einmal das Image der Agenten. Mit der Realität hat das leider wenig zu tun.

"The Manchurian Candidate" (Remake)

Zusammen mit seinem Förderer Richard Helms schied 1973 auch Sid Gottlieb bei der CIA aus. Eine seiner letzten Amtshandlungen war die Einstellung von MKSEARCH. Als "abschließenden Kommentar" hielt er in einem Memo fest, das Projekt habe es der CIA ermöglicht, bei der chemischen und biologischen Verhaltenskontrolle immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Es sei aber auch festzustellen, dass dieses Forschungsgebiet für die gegenwärtig laufenden Operationen immer mehr an Bedeutung verloren habe, denn:

Auf der wissenschaftlichen Seite ist sehr klar geworden, dass die Wirkung dieser Materialien und Techniken auf individuelle Menschen und unter spezifischen Umständen zu wenig vorhersagbar ist, um operationell nützlich zu sein.

Das Bedrückende ist, dass Gottlieb hier nur von den Gehirnwäsche-Versuchen zum Programmieren von Menschen spricht. Für die Folterer war bei diesen Experimenten immer etwas dabei.

Epilog: Girl with the kaleidoscope eyes

1959 geschah etwas, das für Gottlieb sehr beunruhigend gewesen sein muss: Cary Grant erzählte in einem Interview, dass er unter Aufsicht seines Psychiaters regelmäßig LSD einnehme. Die Droge helfe ihm bei der Überwindung von Kindheitstraumata (und bei Potenzproblemen, wie er später noch einräumte). Dadurch erfuhren die Filmfans von der Existenz eines Mittels, das die CIA lieber für sich behalten hätte.

Ebenfalls 1959 erhielt Timothy Leary, ein Experte auf dem Gebiet der Verhaltensforschung, einen Ruf nach Harvard. Ironischerweise hatte der Mann, dessen Namen wir wie keinen anderen mit der Propagierung von Acid-Trips verbinden, bis dahin keinerlei Erfahrung mit Psychedelika. Er wurde nun Professor an einer Universität, deren Studenten seit Jahren die Versuchskaninchen bei von der CIA oder der Armee finanzierten LSD-Experimenten waren. 1977 gab der damalige CIA-Direktor zu, dass im Rahmen von MKULTRA 44 Universitäten, 15 Firmen und staatliche Forschungseinrichtungen, 12 Krankenhäuser und 3 Gefängnisse Geld erhalten hatten. So viele waren es also mindestens. Es gibt kaum eine Eliteuniversität, die nicht mitmachte. Angehende Computerpioniere nahmen genauso an psychedelischen, von der CIA bezuschussten Programmen teil wie Theodore Kaczynski, der spätere Unabomber. In den letzten Jahren hat das zu allerlei Theorien geführt (siehe dazu What the Dormouse said von John Markoff und Das Netz von Lutz Dammbeck).

Leary probierte im Mexikourlaub Magic Mushrooms aus. In Flashbacks schreibt er dazu:

Es war vor allem anderen und ganz ohne Frage die tiefste religiöse Erfahrung meines Lebens. Ich entdeckte, dass die Schönheit, die Offenbarung, die Sinnlichkeit, das historische Gewebe der Vergangenheit, Gott, der Teufel - dass all das im Inneren meines Körpers angesiedelt war, und außerhalb meines Verstandes.

Wieder in Harvard, besprach er mit Kollegen, was nun zu tun sei. Leary:

Bei diesen Sitzungen entstand der Plan zu einer Pilotstudie, bei der die Probanden wie Astronauten behandelt werden sollten; sie sollten sorgfältig vorbereitet und kurz über alle verfügbaren Fakten unterrichtet werden. Dann erwartete man, dass sie sozusagen mit ihrem eigenen Raumschiff losflogen, ihre Beobachtungen machten und der Bodenkontrolle berichten würden. Unsere Probanden waren keine passiven Patienten, sondern heldenhafte Forscher.

So entstand 1960 ein Forschungsprogramm, das als "Harvard Psychedelic Project" in die Geschichte einging. In Harvard traf Leary auch auf den Vater der OSS-Persönlichkeitstests, Henry Murray, der das Projekt nach Kräften unterstützte. Die Sandoz-Niederlassung in New Jersey versorgte ihn großzügig mit LSD und Psilocybin, dem von Albert Hofmann synthetisierten Wirkstoff in den Magic Mushrooms. Wer forschte oder so tat als ob, bekam damals Probepackungen vom Pharmakonzern, der sich Hinweise auf Anwendungs- und Vermarktungsmöglichkeiten versprach. An Learys experimentellen Lehrveranstaltungen nahm auch die Frau eines hochrangigen CIA-Agenten teil. In Flashbacks schreibt er, dass sie ihm eine Warnung überbracht habe: Die CIA habe nichts gegen seine Forschungen, solange er sie in aller Stille betreibe und sie nicht außer Kontrolle gerieten. Verschwiegenheit und Kontrolle waren der CIA immer besonders wichtig. Bei Leary geriet die Agency da an den Falschen.

General Turgidson bedauert

1961 organisierte das Medical Center der University of California in San Francisco ein Symposion zum Thema "Mind Control". Für eine Sensation sorgte der Vortrag von Professor Holger Hydén von der Universität Göteborg über "Biochemische Aspekte der Gehirntätigkeit". Der Professor führte aus, dass es denkbar sei, chemische Mittel zur Veränderung des Bewusstseins ins Leitungswasser zu geben. Für einen Polizeistaat eröffne das ungeahnte Propagandamöglichkeiten. Damit beschrieb er eine Lieblingsidee amerikanischer Generäle: chemische Substanzen im Trinkwasser des Feindes, der so massenhaft manipuliert wurde.

Sterling Hayden in "Dr. Strangelove"

Leary glaubte inzwischen, dass der Konsum von psychedelischen Drogen wie LSD eine geistige Wende einleiten werde. Aber wie brachte man die Leute dazu, Psychonauten zu werden? Im Frühjahr 1962 veröffentlichte er einen Artikel im Journal of Atomic Scientists. Darin warnte er vor einem möglichen Plan der Russen, LSD in die Wasserversorgung der großen amerikanischen Städte zu kippen. Als präventive Maßnahme im Rahmen der Landesverteidigung schlug er vor, selbst LSD ins Trinkwasser zu geben, weil man dann wisse, worauf man sich einzustellen habe.

Diesen Artikel muss General Jack D. Ripper gelesen haben, Kommandant der Burpleson Airbase. Er hat jetzt die Erklärung für seine Erektions- und Ejakulationsstörungen: durch chemische Substanzen im Trinkwasser wurden seine Körpersäfte vergiftet. Um dem ein Ende zu machen, löst er den Dritten Weltkrieg aus. Bei der Krisensitzung muss General Buck Turgidson (George C. Scott) zugeben, dass im Fall von General Ripper die Persönlichkeitstests, die so etwas ausschließen sollten, versagt haben. Das war nicht vorgesehen. Ripper wird übrigens von Sterling Hayden gespielt, der im Krieg an geheimen OSS-Operationen teilnahm.

Stanley Kubrick und Terry Southern sollen informelle Kontakte zur CIA gehabt haben, als sie das Drehbuch für Dr. Strangelove schrieben. Der Legende nach war Sidney Gottlieb das Vorbild für die Titelfigur. Das könnte sogar stimmen. Dr. Strangelove (Peter Sellers) ist gehbehindert (Gottlieb hatte einen verwachsenen Fuß und zog ein Bein nach), früher hat er den Nazis gedient (Operation Paperclip), und sein Name könnte eine Anspielung auf Gittingers Forschungen zu seltsamen Formen der Erotik in San Francisco sein. Das wäre genau die Art, wie Kubrick mehrere Themenbereiche in einer Figur verdichtete.

"Dr. Strangelove"

Fröhliche Witzbolde

1960 schrieb sich Ken Kesey an der Stanford University für einen Creative Writing-Studiengang ein. Im nahegelegenen Militärkrankenhaus wurden Experimente mit "psychotomimetischen Drogen" durchgeführt. Freiwillige erhielten 75 Dollar pro Tag, wenn sie sich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellten. Kesey meldete sich und bekam LSD verabreicht. Bald darauf hatte er in der Klinik einen Job als Pfleger. Er machte Nachtdienst in der psychiatrischen Abteilung. Dort gab es jede Menge Psychedelika, die Kesey an seine Freunde verteilte. Seine Erfahrungen in der Psychiatrie verarbeitete er im Roman One Flew Over the Cuckoo's Nest (1962). Mit dem damit verdienten Geld kaufte er sich ein Haus in La Honda, 50 Meilen südlich von San Francisco. Das Haus wurde schnell zu einem Anziehungspunkt für Leute, die an psychedelischen Drogen interessiert waren. Kesey:

Die ersten Drogentrips waren für die meisten von uns unsere Schneckenhäuser zertrümmernde Torturen, nach denen wir blinzelnd und bis zu den Knien in den zerbrochenen Schalen unserer Luftschloss-Persönlichkeiten standen. Plötzlich wurden Leute vor einander nackt ausgezogen, und siehe da: wir waren schön. Nackt und hilflos und empfindlich wie eine Schlange, nachdem sie sich gehäutet hat, aber viel menschlicher als dieser in einer glänzenden Rüstung steckende Albtraum, der vorher beim Rührt euch! quietschend und scheppernd herumgestanden hatte. Wir waren voller Leben, und das Leben waren wir.

Kesey kaufte einen alten Schulbus und fuhr mit seiner LSD-Truppe, den Merry Pranksters, durchs Land. Die Band der Pranksters, The Warlocks, nannte sich später The Grateful Dead. Unterwegs wurden LSD-Happenings gefeiert. Motto: "Can you take the acid test?" Dabei gingen oft mehrere hundert Leute gemeinsam auf einen LSD-Trip. Kesey zufolge wollte man "die durch Konditionierung erzeugten Reaktionen der Leute" herausfinden und Schluss machen mit dem "konditionierten Robotertum". Das war das genaue Gegenteil von dem, was sich die CIA erträumte.

"One Flew Over the Cuckoo's Nest"

Bald danach scharte Charles Manson im Haight-Ashbury-Distrikt in San Franciso die ersten Mitglieder seiner Family um sich. Auch er kaufte einen alten Schulbus, auch bei ihm gab es psychedelische Drogen, und in San Francisco betrieb die Agency ihr LSD-Bordell. Verschwörungstheoretiker wie Carol Greene (Der Fall Charles Manson: Mörder aus der Retorte) erkennen darin ein Muster. Für sie war die gesamte Hippiebewegung ein gigantischer Feldversuch der CIA. Uneinigkeit herrscht nur darüber, ob der Mord an Sharon Tate, der sich am 9. August zum 40. Mal jährt, ein Betriebsunfall oder Teil des Plans war. Ich schließe mich lieber John Marks an, der in The Search for the "Manchurian Candidate" schreibt:

Die Tatsache bleibt bestehen, dass LSD einer der Katalysatoren der traumatischen Umwälzungen der 1960er war. Niemand konnte die Welt der Psychedelika betreten, ohne zuerst, ohne es zu wissen, durch von der Agency geöffnete Türen zu gehen. Es sollte die größte Ironie überhaupt werden, dass die gewaltige Suche der CIA nach Waffen unter den Drogen - angetrieben von der Hoffnung, dass Spione so wie Dr. Frankenstein das Leben mit Hilfe von Genialität und Maschinen kontrollieren könnten - damit enden würde, dass der Geheimdienst dabei behilflich war, die herumschweifenden, unkontrollierbaren Geister der Counterculture zu schaffen.

Das lässt doch irgendwie auch wieder hoffen.