Wohnungsmarkt: Wenn die Mehrheit andere Spielregeln will
Wie geht es mit der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. in Berlin weiter? Eine Konferenz am Wochenende zeigte das Dilemma einer eigentlich sehr erfolgreichen Initiative
"Wir haben viele Pläne, aber wie wir konkret weitermachen, wissen wir auch noch nicht so genau. Wir hoffen, dass wir auf der Konferenz dazu Anregungen mitnehmen", so ehrlich formulierte Nina Scholz von der Berliner Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen auf der Auftaktveranstaltung von deren Enteignungskonferenz am Freitagabend in der Technischen Universität Berlin die Erwartungen, die sicher nicht nur sie mit der lange vorbereiteten Veranstaltung verknüpfte.
Die Problemlage ist klar beschrieben. Gut 59 Prozent Zustimmung gab es beim Volksentscheid am 26. September 2021 für die Forderung nach Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen im Land Berlin. Ein großer Erfolg, der bei politischen Parteien nur Neid hervorrufen kann.
Doch seitdem sind die Mieten weiter gestiegen und die Phalanx von Kapital und Bürokratie will das Volksbegehren ins Leere laufen lassen. Jetzt soll darüber erst einmal eine Kommission mindestens ein Jahr, vielleicht auch länger beraten. Der Stadtsoziologe Andrej Holm brachte den Grund für diese Hinhaltetaktik prägnant auf den Punkt.
Wenn die Forderungen des Volksbegehrens umgesetzt würden, wäre an einem Punkt die Kapitalpläne zumindest etwas eingeschränkt, wie auch der Soziologe Philipp Metzger in seinen Buch "Wohnkonzerne enteignen" beschriebt, auch wenn die Immobilienkonzerne viel Geld die Immobilien bekämen – selbst bei einer Entschädigung unter dem Marktwert, die laut Grundgesetz unter "gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten" möglich ist.
Daher sehen sie in einem faktischen Rückkauf fast schon Sozialismus und betreiben Klassenkampf von oben. Sie hoffen darauf, dass der Elan der Initiative verfliegt, wenn sie merkt, dass die Forderungen nicht umgesetzt werden, dass wieder Resignation einkehrt und die Welt des Kapitals wieder in Ordnung ist.
Dass es überhaupt eine so beständige Initiative gibt, liegt auch an dem Druck, dem Mieterinnen und Mieter inzwischen selbst in den Berliner Randbezirken ausgesetzt sind, wie Nina Scholz berichtete.
Keine Massenbewegung auf der Straße
Das hat dann dazu geführt, dass auch dort Unterstützung für das Volksbegehren zu finden war. Die Eigentümerphalanx erkennt auch den wunden Punkt der Initiative, den der Aktivist Kalle Kunkel offen benannte. Die Initiative hat aktuell nicht die Kraft, 40.000 Menschen auf die Straße zu bekommen, die einfordern, dass die Forderungen des gewonnenen Volksbegehrens zeitnah umgesetzt werden.
Es war eine strategische Entscheidung, den Schwerpunkt auf die Organisierung des Volksbegehrens und nicht auf die Organisierung von Mieterprotesten zu legen, erklärte Kunkel. Beides wäre aus organisatorischen Gründen nicht möglich gewesen.
Das hat Folgen: Da es sich vielfach um eine passive Zustimmung zu den Forderungen des Volksbegehrens handelte und viele gar nicht glaubten, dass sie umgesetzt würden, ist eine Zuspitzung der Auseinandersetzung auf der Straße momentan schwer.
So ist damit zu rechnen, dass die Kommission erst einmal ihre Arbeit aufnimmt. Sie soll Wege zur Umsetzung des Volksbegehrens aufzeigen, die von der SPD berufenen Mitglieder sind aber teilweise vollständig dagegen. Aber auch die größten Kritiker akzeptieren zähneknirschend die Initiative. Den Grund benannte die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck, die als Mitglied der Partei Die Linke die Forderungen des Volksbegehrens unterstützt, aber selbst wenig Einflussmöglichkeiten hat.
Denn bei der Senatsbildung hat sich die SPD mit ihrer Forderung durchgesetzt, dass für die juristischen Fragen rund um das Volksbegehren der Innensenat zuständig ist, und dort residiert der Sozialisierungsgegner Andreas Geisel (SPD). Kreck wurde von Karin Baumert von der Initiative Zwangsräumung verhindern gefragt, warum sie nicht in ihrem Amt einen Entwurf für die Umsetzung des Volksbegehrens erarbeiten lässt. Sie verwies dabei zunächst auf den Koalitionsvertrag, der das nicht möglich mache.
Am Ende entscheidet der Wächterrat des Kapitals
Als Hauptgrund aber nennt sie das Problem, dass ein Gesetz zur Sozialisierung, wenn es denn einmal erarbeitet ist, vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden muss. Dieses hat aber erst im letzten Jahr den Berliner Mietendeckel und noch andere mieterfreundliche Gesetze gekippt und agiert in der Frage der Wohnraumversorgung praktisch als Wächterrat des Kapitals.
Dazu müssen die Karlsruher Richter keineswegs direkt bestochen werden. Ihre Lebensrealität ist eben näher an der Eigentümerklasse – und mit Sozialmietern haben sie nichts zu tun. Das ist kein Zufall, so ist eben am besten dafür gesorgt, dass die Kapitalseite hier noch immer einen Rettungsanker hat, wenn in der parlamentarischen Demokratie doch einmal zu massenfreundliche Gesetze durchkommen.
Wenn nun an der Gesetzesinitiative so lange geschraubt und gezerrt wird, dass man zumindest hoffen kann, dass der Entwurf durch das Nadelöhr des Bundesverfassungsgerichts passt, kann man sich fragen, was dann davon übriggeblieben ist. Eine zentrale Frage sind die Kosten der Sozialisierung, über die auf der Konferenz mit rund 700 Teilnehmenden relativ wenig gesprochen wurde.
Die könnten am Ende aber entscheidend sein, wenn die Initiative die Unterstützung behalten will. Wenn die Summe zu groß wird, könnte die schwinden. Das ist ja gerade das Kalkül von Politkern wie der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die schon erklärte, dass die Gelder besser für den Neubau ausgegeben werden sollten.
Nur dürfen die Aktivisten nicht zu laut sagen, dass es ja reichen würde, wenn die Immobilienkonzerne mit einem symbolischen Betrag entschädigt würden. Schließlich wurden ja auch für solche Niedrigbeträge in den 1990er-Jahren kommunaler Wohnraum privatisiert.
Doch wenn das offizielle die Position der initiative würde, käme sofort wieder der Vorwurf der Radikalität – und das könnte auch wiederum Zustimmung kosten. Denn in der kapitalkonformen Welt ist es nicht verwerflich, Menschen auf die Straße zu werfen, damit Immobilienkonzerne teure Mikroappartements bauen lassen, die auch Profit bringen, wenn sie leerstehen.
Wer aber die Existenz dieser Wohnkonzerne infrage stellt, gilt schnell als Extremist. Es ist also eine schwierige Gemengelage, in der sich die Initiative bisher recht gut zurechtgefunden hat. Aktuell will sie wieder mehr auf Vernetzung von Mietern im Stadtteil setzen.
Follow the Money
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit soll die Beschäftigung mit der Immobilienbranche sein, die sich noch immer gerne hinter Briefkastenfirmen versteckt. Gabriela Keller von Correctiv und Christoph Trautvetter vom Netzwerk für Steuergerechtigkeit und Leiter eines Rechercheprojekts bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichteten über die schwierigen Bemühungen, die Geldströme in der Immobilienbranche ausfindig zu machen.
Dabei gab es keine einheitliche Meinung, ob das momentane Interesse am Aufspüren von russischen Oligarchen auch am Kapitalmarkt in Deutschland dem Anliegen der Initiative vielleicht förderlich ist. Dann müsste es aber gelingen, deutlich zu machen, dass nicht nur russisches, sondern auch das Kapital aller Länder, einschließlich das aus Deutschland, ein Problem ist, vor allem, wenn es sich am Immobilienmarkt konzentriert.
Trautvetter dämpfte dann auch manche Erwartungen, im Windschatten der Jagd nach russischen Oligarchen auch die Immobilienbranche zu erlegen. Was bleibt vom Wochenende im Sinne der Hoffnung von Nina Scholz, dort neue Strategien kennenzulernen? Den einen Weg gibt es nicht, das war allen klar, aber es wurde auch deutlich, dass der Kampf um bezahlbaren Wohnraum auch weiterhin in Berlin eine Massenbasis hat.
Ob das ausreicht, um die Forderungen des Volksbegehrens umzusetzen, bleibt offen. Dann auch hätte das Beispiel Berlin Ausstrahlung auf andere Städte. Dort gibt es Initiativen, die den Erfolg am 26. September genau so interessiert beobachten wie die aktuellen Versuche der Staatsapparate, ihn einzuhegen.