Wollen die USA die Vereinten Nationen schleifen?
Seit einigen Jahren setzen die USA statt auf kodifiziertes Völkerrecht auf ihre eigene "regelbasierte Ordnung". Was hat die jüngste UNSC-Resolution zu Gaza damit zu tun?
Die Resolution 2728 des UN-Sicherheitsrates (UNSC) fordert die sofortige Waffenruhe im Gazastreifen für den Monat Ramadan, die umgehende und bedingungslose Freilassung aller von den Al Aqsa Brigaden festgehaltenen Geiseln sowie die ungehinderte Lieferung von Lebensmitteln und anderen Gütern nach Gaza.
Dieser Beschluss konnte jedoch nur zustande kommen, weil die USA sich – entgegen einer bereits Jahrzehnte dauernden Praxis – dieses Mal ihrer Stimme enthalten haben.
Mindestens drei US-Regierungsvertreter haben kurz daraufhin unabhängig voneinander behauptet, die Resolution sei nicht bindend, und zwar Linda Thomas Greenfield, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und Matthew Miller, der Sprecher des US-Außenministeriums sowie John Kirby, der Sprecher des Weißen Hauses.
Resolutionen des UN-Sicherheitsrates sind bindend
Diese Behauptungen sind zwar koordiniert, aber falsch. Denn nach Artikel 25 der UN-Charta verpflichten sich die "Mitglieder der Vereinten Nationen, die Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und auszuführen".
Das entscheidende Wort des Artikels ist "Beschluss" oder "Entscheidung", schreibt der Verfassungsblog. Resolution 2728 fordere ausdrücklich einen sofortigen Waffenstillstand sowie die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln.
Die Sprache sei eindeutig: "Welches Gewicht sollte eine Forderung haben, wenn nicht das einer rechtlichen Verpflichtung?", fragt der Blog. Nur, wenn der Sicherheitsrat sich auf Ermahnungen beschränke oder Maßnahmen lediglich empfehle, erwachse daraus keine rechtliche Verpflichtung.
Die Sprache ist eindeutig
Entsprechend empfindlich reagieren die Beteiligten. UN-Generalsekretär António Guterres mahnte: "Diese Resolution muss umgesetzt werden. Ein Scheitern wäre unverzeihlich".
Nicht nur die Verantwortlichen bei den Vereinten Nationen sehen das so, auch die Verbündeten der USA betonen die Verbindlichkeit ihres Votums.
Barbara Woodward, die Botschafterin Großbritanniens bei den Vereinten Nationen, forderte die sofortige Umsetzung von Resolution 2728. In einer Verlautbarung betonte sie, dass es eine "geeinte" Botschaft des UNSC sei und die Forderungen darin "absolut klar" seien.
Die Verbündeten sind nicht amüsiert
Ein Sprecher der französischen Regierung erklärte: "Eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist völkerrechtlich bindend. Alle betroffenen Parteien müssen sie umsetzen, insbesondere Israel, dem es obliegt, diese Resolution anzuwenden."
Dass Russland und China, die beiden nicht-westlichen ständigen Mitglieder des UNSC gleichlautende Stellungnahmen zu Protokoll gaben, muss nicht erst umfassend erläutert zu werden. Auch die zehn nichtständigen Mitglieder äußerten ihre Sorge, dass die USA versuchen könnten, die Resolution zu verwässern.
Pedro Comissario, der Botschafter Mosambiks bei den UN drängte als Sprecher dieser Ländergruppe auf einen "sofortigen und ununterbrochenen Fluss humanitärer Hilfe nach Gaza" und betonte, dass die Resolution "von allen Parteien in gutem Glauben umgesetzt wird und dazu beiträgt, das Leiden der Bevölkerung in Gaza zu lindern."
Wollen die USA den UN-Sicherheitsrat schleifen?
Der Versuch der USA, eine Resolution des UNSC nachträglich zu entschärfen, stellt einen schweren Angriff auf die Autorität der Institution dar. Dass die koordinierten Angriffe sämtlich aus der zweiten und dritten Reihe der US-Administration gekommen sind, lässt darauf schließen, dass man diesen Vorgang nicht an die ganz große Glocke hängen will.
Gleichzeitig ist die zersetzende Wirkung der Angriffe erheblich, denn sie signalisieren Israel, dass es Recht daran tut, die Vereinten Nationen zu ignorieren. Kirby formulierte ausdrücklich: "Es handelt sich um eine nicht bindende Resolution, die keinerlei Auswirkungen auf Israel und seine Fähigkeit hat, die Hamas weiterhin zu verfolgen."
Dass die USA sich nicht scheuen, internationale Institutionen zu entmachten, wenn sie ihnen unbequem werden, haben sie schon im Falle der Welthandelsorganisation (WTO) demonstriert. 2019 weigerte Washington sich, ein Richteramt bei einem WTO Schiedsgericht neu zu besetzen, was die Arbeitsmöglichkeiten der Organisation ernsthaft beschneidet.
Die "regelbasierte Ordnung"
Im besten Fall ist dieses Verhalten der US-Regierung als bewusste Irreführung der westlichen Öffentlichkeit zu werten. Letztlich werden derartige zerstörerische Manöver aber wohl ausgeführt, um die "regelbasierte Ordnung" der USA gegen bestehendes Völkerrecht durchzusetzen.
Diese "Ordnung" besteht jedoch lediglich aus ungeschriebenen Codices, deren Ursprung, Zustimmung und Legitimität unbekannt sind. Daher entsteht der berechtigte Verdacht, dass sie immer dann angewendet wird, wenn sie den USA und ihren Partnern nützt und dass sie nicht angewendet – oder sogar entsprechend angepasst – wird, wenn das nicht der Fall ist.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.