Wundermittel oder Märchen?
Die Zukunft des Reisanbaus
Reis ist eine wichtige Waffe gegen den Hunger. Doch während die Bevölkerung weiter wächst, hat die Reisproduktion das Limit erreicht. Und die Fachwelt streitet über die optimale Anbaumethode.
Mehr als die Hälfte aller Menschen sind auf Reis als Grundnahrungsmittel angewiesen. Sie leben davon mehr schlecht als recht, weil die Ernteerträge mit der ständig wachsenden Bevölkerung nicht mehr mithalten können. In den Reis produzierenden Regionen Asiens, Afrikas und Südamerikas leiden mehr als 400 Millionen Menschen an Hunger. Von Besserung kann keine Rede sein: In den nächsten 30 Jahren soll die Nachfrage um weitere 38 Prozent steigen, aber die Anbauflächen geben das nicht her. Um auf diesen Missstand hinzuweisen haben die Vereinten Nationen 2004 zum Jahr des Reises erklärt. Das Wissenschaftsmagazin Nature widmet dem Thema in seiner aktuellen Ausgabe ein News Feature.
Bei der Reisproduktion scheint das Ende der Fahnenstange erreicht. Versuche an vielen Fronten haben keine überzeugende Lösung zur Steigerung der Erträge gebracht. Da ist es wenig erstaunlich, wenn eine Methode, die eine bessere Ernte bei weniger Kosten verspricht, in Windeseile Anhänger findet - und natürlich Gegner.
Die Rede ist vom so genannten System of Rice Intensification (SRI), das der französische Jesuitenpater Henri De Lalaunie bereits in den 80er-Jahren für Reisbauern in Madagaskar entwickelt hat. Bei dieser Anbaumethode wird nur ein Zehntel der sonst üblichen Menge in den Anzuchtbeeten ausgesät. Die Schösslinge werden nicht erst nach einem Monat, sondern schon nach acht bis zwölf Tagen aufs Feld gesetzt. Anstatt in Büscheln werden sie einzeln in die Erde gepflanzt. Wird sonst das Feld geflutet, um den Reis ständig mit Wasser zu versorgen und das Unkraut niederzuhalten, bekommt der Reis bei SRI nur so viel Wasser, wie er für ein optimales Wachstum braucht. Blätter und vor allem Wurzeln gedeihen bei SRI sehr viel üppiger. Dem Unkraut muss jedoch manuell zu Leibe gerückt werden, wobei De Lalaunie herausfand, dass die Belüftung des Bodens per Hacke ebenfalls das Pflanzenwachstum anregt. Der Lohn von so viel Handarbeit: ein - gemessen am Durchschnitt beim konventionellen Anbau - doppelt so hoher Reisertrag pro Hektar. Obendrein empfiehlt sich die Methode als ökologisch vorbildlich, denn chemischer Pflanzenschutz und Kunstdünger werden in der Regel durch Kompost ersetzt, der sich als perfekter Nährstofflieferant für die Reispflanze erwies.
Mittlerweile wird SRI nicht mehr nur in Madagaskar angewendet. Auch in Ländern wie Sri Lanka, Sierra Leone und Kambodscha erfreut sich die Anbaumethode wachsender Beliebtheit. Ist SRI also die lange gesuchte Lösung zur Steigerung der Ernteerträge? Kritiker halten die überlieferten Supererträge für reine Märchen. Sie kritisieren die bislang veröffentlichten Studien als unwissenschaftlich, halten sie für nicht mehr als Anekdoten. Sie bestätigen zwar, dass der Reis üppiger treibt, da jedoch weniger Pflanzen auf den Feldern gepflanzt würden, bleibe der Ertrag nach ihrer Hochrechnung unterm Strich gleich. Bei SRI brauche der Reis zwei Wochen länger um zu reifen. In dieser Zeit nähmen die Pflanzen besonders viel Wasser auf. Was nach mehr Ertrag aussehe, sei womöglich nur das Wasser.
Die ersten Feldversuche der SRI-Gegner scheinen diese Kritik zu untermauern. Auf Testfeldern in China, auf denen parallel konventionell und nach SRI angebaut wurde, konnte SRI keine höheren Erträge verbuchen. Die Popularität der Methode beruht nach Ansicht der Zweifler darauf, dass die Reisbauern von der Üppigkeit der Pflanze geblendet seien. Die Fürsprecher von SRI jedoch meinen, dass die Kritiker zu sehr im traditionellen System verhaftet seien. Langfristig sei SRI die bessere Alternative, da dem Boden mehr Sauerstoff zugeführt werde, was die Bodenflora verbessere. Welche Partei hier Recht hat, lässt sich nicht entscheiden. Vielleicht ist der Streit aber auch nur ein Scheingefecht, der auf dem altbekannten Konflikt zwischen Öko- und konventionellen Anbaumethoden basiert. Denn natürlich liegen die Gentechnik-Konzerne in den Starlöchern, um mit genetisch veränderten Nutzpflanzen das Rennen im Kampf gegen den Hunger zu machen.
Einigkeit gibt es nur in einem: Wenn das Ziel der UNO, Hunger und Armut bis 2015 zu halbieren, erreicht werden soll, sind radikale Veränderungen in der Landwirtschaft nötig - ob diese nun aus dem Hochland von Madagaskar oder aus den High-Tech-Labors der Industrienationen kommen.