XL-Gefangenenaustausch mit Russland: Hoffnungsschimmer oder riskanter Präzedenzfall?

Auf dem Flughafen Esenboga in der türkischen Hauptstadt Ankara kam es am Donnerstag zu dem Gefangenenaustausch. Archivbild: Shutterstock.com

Gemischte Reaktionen auf Deal mit dem Kreml. Diplomatische Verhandlungskunst gefeiert und kritisiert. Warum verstärkt vor Russland-Reisen gewarnt wird.

Nach Deutschland kämen mutige Oppositionelle und Freiheitskämpfer, kommentierte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt, am Donnerstag den umfangreichsten Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und westlichen Ländern seit Ende des Kalten Krieges.

"Nach Russland fliegen Spione und Mörder. Deutlicher kann der Unterschied unserer Werte nicht sein", schrieb die FDP-Politikerin auf der Plattform X.

Der Gefangenenaustausch sei "in der aktuellen Weltlage ein kleiner Hoffnungsschimmer und eine gute Nachricht", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP.

Wall-Street-Journal-Reporter Gershkovich frei

Am Donnerstag waren nach russischen und türkischen Angaben insgesamt 26 Gefangene aus sieben Staaten in Ankara ausgetauscht worden – darunter der Wall-Street-Journal-Reporter Evan Gershkovich, der in Russland unter Spionagevorwürfen inhaftiert worden war. Er und andere US-Amerikaner verließen gegen 11.20 Uhr Ostküstenzeit ein russisches Flugzeug in der türkischen Hauptstadt Ankara und wurden von dort aus in die USA geflogen.

US-Präsident Joe Biden teilte in einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X mit, dass die freigelassenen Personen wohlauf seien. Sie befänden sich auf dem Weg zu ihren Familien.

Belarus sah freigelassenen Deutschen als Terroristen

Auch der gerade erst nach einem Todesurteil in Belarus begnadigte Deutsche Rico Krieger, dem Söldnertum und Terrorismus vorgeworfen worden war, kam durch den Austausch am Donnerstag frei – im Gegenzug endete unter anderem die Haft des Berliner "Tiergartenmörders" Wadim Krassikow.

Kreml warf Opfer des Tiergartenmörders Terrorismus vor

Das Berliner Kammergericht hatte den Russen 2021 wegen Mordes an einem Georgier zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht ging damals von einem politischen Auftragsmord aus. Dem Opfer war von russischer Seite Terrorismus unterstellt worden – und eine russische Stiftung soll für den Angeklagten einen Promi-Anwalt bezahlt haben.

Hintergrund des Austauschs ist eine komplexe Vereinbarung, die nach monatelangen Verhandlungen auf höchster Regierungsebene zustande gekommen war. Neben Gershkovich wurden von russischer Seite auch der ehemalige US-Marine-Offizier Paul Whelan, die Journalistin Alsu Kurmasheva und der britisch-russische Dissident Vladimir Kara-Murza aus russischer Haft entlassen.

Hamburger war nur wegen Cannabis-Besitzes inhaftiert

Insgesamt fünf Deutsche waren Teil des Deals – darunter neben deutschen Staatsbürgern mit russischer Abstammung, denen "Verrat" oder "Hochverrat" vorgeworfen wurde, auch der zuvor wegen eines völlig "unpolitischen" Delikts inhaftierte Patrick S. Aus Hamburg. Er hatte in St. Petersburg wegen des Besitzes sogenannter Cannabis-Gummibärchen vor Gericht gestanden.

Unter den Ex-Gefangenen der USA, die im Rahmen des Austauschs nach Russland zurückkehren, befinden sich auch zwei bekannte verurteilte Hacker, die sonst beide langjährige Haftstrafen zu verbüßen hätten. US-Geheimdienste und Diplomaten hatten im Vorfeld intensiv daran gearbeitet, Verbündete für den Austausch zu gewinnen.

Vorwurf: Etablierung von Geiseldiplomatie

In Deutschland wird der Austausch nicht nur als Paradebeispiel diplomatischer Verhandlungskunst gefeiert.

"Ich fürchte, dass mit der Freilassung des verurteilten Tiergartenmörders ein Präzedenzfall geschaffen wird, der von Russland politisch massiv ausgenutzt werden kann", kritisierte etwa der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Russland sei ein "Terrorstaat" und versuche gezielt, eine "Geiseldiplomatie zu etablieren", sagte Kiesewetter dem Tagesspiegel. Dies müsse bei allen Möglichkeiten einer Befreiung politischer Gefangener berücksichtigt werden.

Baerbock drückt Erleichterung aus

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte im Interview mit dem Sender BR24 von einem "Tag der Erleichterung" gesprochen, auch wenn die Entscheidung nicht leicht gewesen sei. Es sei ein hochsensibles Dilemma, wenn ein Auftragsmörder im Zuge der Vereinbarung freigegeben werde.

Warnung an Reisende: Mit Deals kann nicht gerechnet werden

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), hob hervor, dass Reisen nach Russland gefährlicher werden und willkürliche Inhaftierungen von westlichen Ausländern zunehmen könnten: "Nach diesem Austausch muss jedem klar sein, dass man in Putins Russland willkürlich zum Faustpfand des Diktators wird. Wir können Putins Mörder nicht jedes Mal frei lassen und werden es auch nicht", sagte Faber dem Tagesspiegel. "Das sollte bei seiner Reiseplanung jeder berücksichtigen."