Yahoos letztes Gefecht

Warum ich bei der Welle von Angriffen auf große Firmen-Websites unwillkürlich grinsen muss

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Ich weiß, dass es falsch ist. Ich sollte meine Erregung nicht so äußern. Dennoch löst bei mir und bei fast allen, mit denen ich darüber gesprochen habe, die jüngste Welle von Hackerattacken auf große amerikanische Firmen-Websites ein Grinsen aus. Aber warum sollten wir uns derart über etwas freuen, was sich mittlerweile als internationale und heimtückische Aktion des Cyberterrorismus herausgestellt hat? Ganz einfach, weil es erfrischend ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch. So sehr ich auch wollte, so kann ich den Cyberterrorismus nicht stillschweigend dulden. Langfristig müssen wir alle dafür zahlen. Aber der bloße Umstand, dass unsere Reaktion nicht Angst ist, sondern eher eine perverse Freude bedeutet, dass wir ebenso auch die Unternehmen bedauern, die jetzt unseren Informationsraum beherrschen.

Während der letzten Tage hat ein ziemlich einfaches Programm zeitweise die am besten ausgestatteten und profitabelsten Websites der Welt paralysiert. Das Angriffsprogramm geht so vor, dass es bei der Ziel-Site um mehr Informationen nachfragt, als diese bewältigen kann. Die Website ist gezwungen, wenn alle Ressourcen beansprucht werden, den Millionen von Nutzer den Zugang zu verweigern, die auf sie zugreifen wollen. Die Website bricht zusammen.

Dieser digitale Molotov-Cocktail wurde auf Hacker-Newsgroups weit verbreitet, so dass der Angreifer jeder sein könnte. Es könnten selbst unterschiedliche Gruppen sein, die unabhängig voneinander vorgehen. Zuerst legten sie die Suchmaschine von Yahoo, die populärste Website der Welt, lahm, die für Stunden ihren Geist aufgab, während die Programmierer sich bemühten, die Ordnung wieder herzustellen. Dann griffen sie Amazon, CNN, Ebay und Buy.com an. Das sind keine zufällig ausgewählten Websites. Die Hacker griffen keine Schulen, Stiftungen oder Communities an. Ihre Ziele waren kommerzielle Websites. Warum?

Wer sich bereits in den 80er und frühen 90er Jahren des Internets mit Freude bediente, wird sich an eine Zeit erinnern, als es bei dieser Technologie noch um Kommunikation ging. Firmen war die Benutzung des Internet nicht einmal erlaubt. In jenen Tagen hatte man von der interaktiven Medienlandschaft den Eindruck, sie sei eine Verbindung zwischen einem Universitätscampus und dem Wilden Westen. Es war ein Spielfeld, auf dem die Größe des Computers und der Inhalt des Geldbeutels keine Bedeutung besaßen. Das Internet veränderte die Gedanken der Menschen über Medien und Macht. Das Netz machte nicht den Eindruck eines besonders "sicheren" Ortes - aber Revolutionen waren noch niemals sicher.

Die Einführung des Kommerzes in das Internet veränderte all dies. Kommerzielle Giganten missachteten die ursprüngliche Netzbevölkerung, als sie unseren Raum kolonisierten. Firmen, die online ihren Geschäften nachgehen wollten, mussten die Online-Umwelt sicherer machen - in der Wirklichkeit und als Erscheinung. Schließlich wollen sie unsere Kreditkarten haben.

Das Aussehen und die Anmutung des Internet verwandelten sich, als die Benutzer zu Konsumenten wurden. Kauf mehr, sprich weniger. Das ist keine Spielwiese, wollten sie damit sagen: Das ist Business.

"Die Technologie hat nicht nur verändert, wie die Menschen ihre Geschäfte betreiben, es hat auch die Formen verändert, wie die Kriminellen ihren Geschäften nachgehen", sagte die Generalstaatsanwältin Janes Reno am Mittwoch in einer Pressekonferenz, indem sie die Angriffe in den Kontext der vorherrschenden amerikanischen Rede vom Business stellte. Ihre Ursache-und-Wirkungsanalyse geht nur knapp daneben. Der Kommerz hat die Formen verändert, wie die Menschen technologisch handeln - und die Technologen schlagen zurück.

Die Angriffe dieser Woche beweisen, dass das Internet nicht so undurchdringlich ist, wie das undurchsichtige Interface des World Wide Web es erscheinen lässt. Sie erinnern uns daran, dass das Online-Universum mit öffentlichen Geldern aufgebaut wurde und dass "Corporate America" kostenlos auf einem Highway der Bürger fahren durfte. Sie sind Gäste, nicht die Landbesitzer.

Anstatt nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Verteidigungsanlagen dicht zu machen, könnten diese Unternehmen vielleicht auch einmal darüber nachdenken, warum sie angegriffen werden. Wir werden dem zuhören, was "sie" sagen.

Copyright by Douglas Rushkoff
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Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Rötzer