Yo, I control the Video!
Im Internet ist das erste interaktive HipHop-"Webeo" veröffentlicht worden
Die Annäherung von Musikgeschäft und Computerspiel gebiert eine neue Form des Musik-Videos: exklusiv im Web kann man jetzt das erste komplett digital animierte Video "6 Feet Underground" des Rappers "Ja Rule" anschauen und dabei interaktiv das Geschehen mitgestalten. Das Plattenlabel DefJam hat speziell dazu ein Studio für digitale Animation mitgegründet.
Vor ziemlich genau 15 Jahren war das bereits legendäre New Yorker "DefJam"-Label schon einmal weit vorn, als es ab 1986 mit HipHop-Künstlern wie LL Cool J, Public Enemy und den frühen Beastie Boys die damalige New School des Rap (im Verhältnis zur Old School eines Kurtis Blow, Grandmaster Flash oder der Sugarhill Gang) verkörperte und den ersten weltweiten Boom der street-tuffen Beats auslöste. Treibende Kraft hinter "DefJam" war schon damals der schwarze Amerikaner Russell Simmons, gemeinsam mit seinem Partner Rick Rubin, der heute Rockbands produziert. So weit Geschichte.
Jetzt ist Simmons mit dem ersten interaktiven HipHop-"Webeo", ein aus Web und Video zusammengesetzter Begriff, (vgl.Mit Björk im Bitstream), der allerdings nicht eindeutig von der Musikbranche besetzt ist, wieder am Puls der Zeit. Die Idee lag quasi ohnehin in der Luft, bedenkt man, dass Musiker sich zunehmend für Computerspiele interessieren (z.B. David Bowie und "Nomad Soul"). Games werden Filmen mit ständig verbesserter Grafik, realen Filmsequenzen und Artificial Intelligence in ihrer realistischen Darstellung immer ähnlicher, Hollywood-Filme wie "Star Wars-Episode One" oder "Gladiator" sind umgekehrt bereits in erheblichem Maße am Computer generiert. Die eigentlich schon begrabene Pixel-Ikone Lara Croft erlebt demnächst als Kinostar aus Fleisch und Blut ihre Auferstehung. Manche Rapper wie Busta Rhymes oder Missy Elliott haben zwar schon digitalisierte Klone ihrer selbst in Videos auftreten lassen. Was den Musikvideos im Vergleich zum Computerspiel bisher fehlte, war die interaktive Dimension.
Seit einigen Tagen nun kann man (ausschließlich) im Web ein Video zum Stück "Six Feet Underground" von Rap-Artist "Ja Rule" (bürgerlich: Jeffrey Atkins) betrachten. Gebraucht wird zum Abspielen der frei herunterladbare Media Player Digital Projector. Normalerweise sind Rap-Videos ja (meist) furchtbar stereotyp und langweilig.
Das wirklich Neue an "Six Feet Underground" aber ist, dass man nicht nur zuschaut, wie weibliche Hintern in Nahaufnahme wackeln und böse Jungs herumfuchteln und dabei Gereimtes über ihr Genital und sonstige brennende Issues stammeln. Man kann hier in einem virtuellen Stadtszenario (ähnlich wie in den Ego-Shootern "Duke Nukem" oder "Deus Ex") interaktiv in die Handlung eingreifen und beispielsweise durch Mausklick auf angezeigte Icons bestimmen, ob der wackere Ja Rule als Einmann-Putztruppe die eigentlich ganz niedlichen Teufelchen zur Abwechslung mit der Kettensäge oder mit dem Samurai-Schwert plattmachen darf. Ferner erscheinen mehrfach im Video Buttons, mit denen man die Hautfarbe der flaschenschwenkenden Mini-Monster ändern kann.
Das ist erstmal alles, noch ziemlich primitiv, aber immerhin - ein erster Schritt. Und die Storyline? Der auf einer Parkbank schlaff abhängende Ja Rule wird dauernd von Dämonen belästigt, springt als Großkotz vom Balkon des "Apollo"-Theatre in einen Lowrider herunter und endet wieder auf der Bank. Bikini-Girls mit echt deffen Oberweiten und ein depperter weisser Polizist dürfen natürlich auch nicht ganz fehlen. Der Song selbst ist musikalisch eher mau, finde ich jedenfalls. Fällt aber gar nicht so auf. Entwickelt hat Simmons das interaktive Webeo zusammen mit "Digital HipHop", ein Animationsstudio speziell für Internet-Videos. Das Unternehmen war von Simmons und dem erfahrenen Produzenten und Regisseur Stan Lathan (drehte beispielsweise 1984 das Breakdance-Movie "Beat Street") speziell zur Kreierung von Internet-Videos gegründet worden. Dritter im Bunde mit DefJam und Digital HipHop ist Brilliant Digital Entertainment.
Während Digital HipHop für das inhaltliche Design des Videos verantwortlich zeichnet, stellt Brilliant Digital Entertainment vor allem die Videostream-Technologie für die User zur Verfügung und verbreitet die Webeos über kooperierende Netzwerke auf ausgewählten Sites von Lycos, Yahoo oder VH-1. Weitere demnächst erscheinende interaktive Videos von den "DefJam"-Künstlern Jay-Z, DMX, Ludacris und Redman & Lady Luck sind bereits angekündigt. Russell Simmons hofft, mit weiterentwickelten, noch Spiel-ähnlicheren Clips die HipHop-Fans in den Bann zu ziehen (und natürlich die "DefJam"-Umsätze entsprechend zu steigern). Mal sehen, ob die große weisse Hoffnung Duke Nukem die Herausforderung annimmt.