Yoga unterm Hakenkreuz
Seite 2: Zahlreiche Funde in der Hitler Library in Washington
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Haben Sie einen weiteren Beleg gefunden?
Mathias Tietke: Ja, in der Zeitschrift Die Weiße Fahne. Darin hieß es beispielsweise, "Unser Führer ist Yogi", er sei ein großes Vorbild für gesundes Leben und – Hitlers Leben und Werk wäre "Leibgewordener Yoga". So wurde das Thema "Yoga" im Kontext des Nationalsozialismus neu gewichtet.
Außerdem nahm ich dann Kontakt mit der Hitler Library in Washington auf. Dort befinden sich die Bücher des Diktators. Und, ja, darunter sind Yogabücher.
Er hat sich ganz sicher mit den Themen Geschichte des Yoga und Yogaphilosophie beschäftigt. Die "Metaphysik des Kampfes und der Tat" des genannten Indologen Hauer, der darin einen wichtigen Text der indischen Yoga-Philosophie diskutierte, und Schriften von Hans F. K. Günther, in denen der Autor indische Geschichte und Yoga behandelt. Diese besaß Hitler sogar doppelt.
Kommen wir so dann auf das Bild mit dem Anschirren der Pferde zurück?
Mathias Tietke: Genau. Hauer und viele andere damalige Indologen waren sich darin einig, dass der alte "arische Yoga" mit seinem Krieger-Ethos der einzig wahre und echte Yoga sei. Auf das Friedliche und Asketische, das wir heute eher mit Yoga verbinden, blickten sie geringschätzend herab. Und an das Bild vom Yogi als Krieger konnten die Nationalsozialisten natürlich sehr gut andocken.
Professor Hauer konnte in seinen öffentlichen Vorträgen übrigens derart agitieren, dass ihn die Gestapo darum bat, die Leute nicht zu sehr aufzuwiegeln.
Aber wie kann man sich diesen Yoga vorstellen?
Mathias Tietke: Es geht in Anknüpfung an die Vorstellungen der Theosophen hier immer um einen "geistigen Yoga", die geistige Fokussierung, in die Stille zu gehen. Dabei stand die Tatkraft, das Schöpferische, Kämpferische im Vordergrund. Auf die Körperübungen, wie sie etwa Sacharow lehrte, blickte man herab. Das war etwas fürs "niedere Volk".
Trotzdem ist bemerkenswert, dass auch Yoga als Körperübung, also Hathayoga, im Nationalsozialismus erlaubt blieb, während man ihn später in der DDR verboten hat. Dementsprechend findet man in Zeitschriften und Illustrierten aus der Nazizeit Fotos von - hauptsächlich indischen - Yogis in fortgeschrittenen Körperhaltungen. Diese Übungen wurden als gesundheitsfördernd dargestellt.
Was musste man tun, um den "geistigen Yoga" zu üben?
Mathias Tietke: Es gibt Beschreibungen, dass man sich im Schweigen zusammensetzte und etwa eine halbe Stunde lang auf eine Kerze starrte. Danach ging man gemeinsam und in Stille in den Park oder Wald.
An so einem Tag sollte man außerdem nur Wasser und Tee trinken, also Verzicht üben. Damit würde man eine geistige Stärke entwickeln, um mit Tatkraft und einem starken Willen seine Projekte umzusetzen.
Sie sehen, dass das etwas ganz Anderes ist, als die Körperübungen auf der Matte, für die Yoga heute so bekannt ist.
Gibt es denn Belege dafür, dass führende Nationalsozialisten wie Himmler oder Hitler selbst solche geistigen Übungen praktizierten? Oder wurde das nur in der Öffentlichkeit so dargestellt?
Mathias Tietke: Bei Himmler muss man meiner Einschätzung nach indirekt argumentieren. Noch vor wenigen Jahren sorgte es für große Aufmerksamkeit, als man seine Briefe an die Familie fand. Das beschäftigte die Zeitungen wochenlang.
Der SS-Führer schrieb darin oft von der "großen Anständigkeit", die er seiner SS zuschrieb. Das kann man im Zusammenhang mit der Bhagavad Gita [einer zentralen Schrift des Hinduismus, Anm. d. A.] besser verstehen, die Himmler, auch unter dem Einfluss von Hauer, ausführlich studierte.
In Himmlers Dienstkalender finden sich häufige Einträge, gleich morgens von acht bis zehn oder elf Uhr, für seinen Massagetherapeuten Felix Kersten. Was haben die beiden zwei oder drei Stunden lang gemacht? Mit Sicherheit hat sich Himmler nicht mehrere Stunden massieren lassen. Sie haben miteinander gesprochen und sich ausgetauscht.
Aus Kerstens Aufzeichnungen wissen wir, dass sie auch indische Philosophie diskutierten. Hier spielte insbesondere das vierte Kapitel der Bhagavad Gita eine Rolle. Darin geht es um Themen wie den "Yoga der Erkenntnis" und die Pflichterfüllung des Kriegers. Die Gedanken, dass man den Kern des Menschen nicht töten könne, sondern nur seine körperliche Hülle, und für die Folgen seiner Handlungen nicht verantwortlich ist, dürften Himmler mit seiner Ideologie sehr gefallen haben.
So sah er seine SS als spirituellen Orden, bei dem es um Anständigkeit geht. Seine Leute vernichten dann vielleicht ein ganzes Dorf, doch niemand durfte sich an der Schmuckschatulle einer getöteten Familie vergreifen. Das widersprach der "Kriegerethik".
Nur wenige wissen, dass Himmler schon 1920 schrieb: "Wir müssen Kshatriyas sein." Das ist das Sanskritwort für die indische Kriegerkaste. Er muss sich also damals schon mit der indischen Weltanschauung beschäftigt haben.
Bezüge zur indischen Philosophie in Mein Kampf
Das ist alles auf der philosophisch-ideologischen Ebene. Gibt es denn Belege dafür, dass Himmler oder Hitler meditierten oder ähnliche Übungen praktizierten?
Mathias Tietke: Wir wissen natürlich nicht alles über deren Privatleben. Aber auf zahlreichen Fotos ist Hitler in einer meditativen Haltung zu sehen, introvertiert und fokussiert. Der Reichspressechef Dr. Otto Dietrich schrieb in seinem Rückblick: "Er [Hitler] meditierte dann weiter."
Außerdem machten einige Textstellen in Mein Kampf und die Quellen, die erst selbst nennt, deutlich, dass er sich für indische Philosophie und Yoga interessierte. Hierbei muss man wissen, dass Hitler nur wenige Quellen nannte. Doch die Namen, auf die er sich ausdrücklich bezog, vereint das Interesse für indische Philosophie: der Philosoph Arthur Schopenhauer, der Komponist Richard Wagner und dessen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain.
Vielleicht können wir bei dieser Gelegenheit mit dem Vorurteil aufräumen, Hitler sei Asket oder Vegetarier gewesen. Meines Wissens können Sie das Gegenteil belegen.
Mathias Tietke: Ja. Nach meinem Kenntnisstand war Hitler zu keinem Zeitpunkt Vegetarier. Dass er kerngesund, enthaltsam, ja asketisch gelebt habe, ist als NS-Propaganda zu werten.
Es ist belegt, dass der Diktator stets auch Fleischgerichte zu sich nahm. Und auch Alkohol gehörte bei ihm zum guten Essen dazu.
Dass er oft leichte Kost, auch Breinahrung und Suppen bevorzugte, hatte eher mit seiner schlechten Gesundheit zu tun: Seine Zähne waren in einem katastrophalen Zustand und er hatte Magen- und Darmprobleme.
Darüber durfte in der NS-Zeit natürlich niemand schreiben. Deshalb wurde dieser Mythos vom asketischen und tierlieben Vegetarier inszeniert.
Kommen wir mit einer Zusammenfassung zum Schluss: Im Nationalsozialismus wurden die Körperübungen zwar als "niederer Yoga" geringgeschätzt, aber als Mittel zur Körperertüchtigung und für die Gesundheit toleriert. Daneben gab es einigen "geisten Yoga" mit meditativen und asketischen Übungen, die Tatkraft und Willensstärke fördern sollten. Schließlich hatte man die Vorstellung von einem "arischen Yoga", in dem die Kriegerethik im Vordergrund stand.
Mathias Tietke: Ja. Hierbei sollte man aber noch bedenken, dass die Bhagavad Gita nur ein kleiner Teil des größeren Mahabharata-Epos ist. Die Bhagavad Gita behandelt den Gewissenskonflikt des Kriegers Arjuna, der keinen Krieg anfangen will, bei dem - auch auf der Gegenseite - seine alten Freunde, Verwandten und früheren Lehrer sterben werden.
Der Gott Krishna überzeugt ihn dann davon, dass er als Kshatriya, als Angehöriger der Kriegerkaste, keine andere Wahl hat, als in die Schlacht zu ziehen. Auf diesen Aspekt konzentrierten sich die Nazis - und übrigens auch andere religiöse oder politische Führer, um Kriege zu rechtfertigen.
Im größeren Kontext der Mahabharata könnte man das aber als Negativbeispiel sehen. Denn im weiteren Verlauf der Geschichte werden die Helden der Bhagavad Gita eigentlich Verlierer: Arjuna verliert erst seinen Sohn und landet dann in der Hölle und sogar Krishna wird verflucht und erschossen. Mit solchen Widersprüchen hat man sich im Nationalsozialismus oder in jüngerer Zeit in der Hare Krishna-Bewegung aber lieber nicht auseinandergesetzt.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.