You'll never walk alone
Die zukünftige GPS-Technologie in Verbindung mit globaler Vernetzung weist in eine zwiespältige Zukunft
Das GPS-Ortungssystem ist bald nicht mehr nur für die Autofahrer im Alltag hilfreich. Hewlett-Packard arbeitet an der Weiterentwicklung seines CoolTown-Systems, das User weltweit jederzeit an jedem Ort für Informationen erreichbar machen soll. Der Mensch wird als vernetztes Wesen in einer komplett vernetzten Umwelt zum Empfänger und Nutzer einer riesigen Informationsflut. Aber wer ein solches System manipulieren kann, besitzt unkontrollierbare Macht.
Wer die ganze Erde im Blick haben will, muss dafür in den Weltraum hinaus. Die Großen Brüder von heute befinden sich daher im Orbit. Es sind 24 Satelliten, die im Verbund Radiosignale zur Erde senden. Das "Global Positioning System" (GPS) nutzt dieses Satelliten-Netzwerk in besonderer Weise. Führt man unterwegs einen GPS-Empfänger mit sich, erhält man an seiner jeweiligen Position Signale verschiedener Satelliten zu verschiedenen Zeiten. Das Empfangsgerät vergleicht die unterschiedlichen Ankunftszeiten der Satellitensignale und errechnet daraus die eigene genaue Position auf der Erdoberfläche. Je nach Bodenhöhe beträgt die Toleranz bei der Messgenauigkeit maximal sechs Meter.
Vor zehn Jahren noch kostete ein GPS-Receiver um die 100.000 Dollar und hatte die Größe eines Koffers. Heute hat der technologische Fortschritt bei der Kompaktbauweise die Größe einer Zigarettenschachtel erreicht, der Preis beträgt gerade noch 100 Dollar. Während das GPS-System bisher in erster Linie in Autos zum Einsatz kam, kann man es nunmehr auch problemlos in Mobiltelefone, Armbanduhren oder Kleidungsstücke integrieren. Ein Pionier bei der kommerziellen Nutzung dieser Entwicklung ist Hewlett-Packard. 1994 begannen HP-Ingenieure im kalifornischen Palo Alto mit der Arbeit an einer total vernetzten Umwelt, im typisch kalifornischen Jargon CoolTown genannt.
Die Idee dahinter war, allen Sachen eine individuelle Internet-Seite mit darauf gespeicherten Informationen zuzuweisen. Bei der Reparatur eines Haushaltsgeräts konnte dann ein Handwerker z. B. Daten über frühere Reparaturen abrufen. Bei der Begutachtung eines wertvollen Gemäldes hatte der Betrachter die Möglichkeit, sich eine Expertise dazu herunterzuladen. Zunächst wurden die Web-Adressen in Form von Barcodes unter anderem an Videorecordern und medizinischen Geräten angebracht. Der User konnte mit einem am Handy oder Handheld PC angebrachten Scanner die im Barcode gespeicherten Informationen abrufen. Später ersetzten die HP-Forscher den Barcode durch sogenannte Beacons, winzige Transmitter, die die IP verschlüsselt in Radiowellen übermitteln.
Als der Student an der Bristol University Alistair Mann im letzten Jahr zu Hewlett-Packard kam, tat er das, um im HP-Labor von Bristol seine Abschlussarbeit zu machen. Mann hatte an der Uni bereits mit Kommilitonen und Professoren an dem Cyberjacket-Projekt gearbeitet. Experimentiert wurde mit sogenannter "intelligenter Kleidung", in die ein Handy mit Internetverbindung integriert war. Bei Empfang von Textbotschaften wandelte ein Synthesizer diese in Sprache um und übertrug sie in ein Earpiece. Das Cyberjacket enthielt daneben auch einen GPS-Receiver. An der Hochschule von Lancaster war - speziell für Touristen - ähnliche Kleidung der Zukunft entwickelt worden. Informationen von Transmittern, die Objekten in der jeweiligen Umgebung zugeordnet waren, wurden durch einen Server sortiert und die relevanten Informationen über Sehenswürdigkeiten, Restaurants, Verkehrsverbindungen etc. an dafür ausgerüstete Besucher übermittelt.
Man denke etwa an den Kreditkarten-Werbespot, in dem sich ein asiatischer Jogger in einer fremden futuristischen Stadt einen Schuh kaputtmacht und mit einem Locator-Gerät sofort einen Schuhladen in der Nähe mit passendem Ersatz findet. Auch die international betriebene Entwicklung der sogenannten Smart Clothes für unterschiedliche Zwecke schließt die Arbeit mit GPS-Technologie ein. Mit Handys oder Handheld PCs, die mit Software vom kalifornischen Unternehmen Go2.com ausgerüstet sind, können bereits Informationen über nächstgelegene Fastfood-Filialen, freie Wohnungen oder Anbieter freier Arbeitsstellen in bestimmten Branchen ermittelt werden. Bei der Produktion von Handys wird in den USA jetzt serienmäßig Ortungstechnologie eingebaut, damit der Besitzer von Notruf-Systemen aufgespürt werden kann. Europäische Hersteller wollen demnächst nachziehen.
Alistair Mann erkannte, wie er sagt, dass es möglich war, die "Cyberjacket"-Idee mit GPS-Technologie zu verbinden. Der nächste Schritt in der Fortentwicklung des GPS-Systems sollen in die Luft projezierte Messages ein. Die ganze Erdoberfläche muss dafür in ein Koordinaten-Netz aus Punkten eingeteilt sein, denen jeweils eine bestimmte Website im Internet zugeordnet ist. Bewegt man sich mit einem GPS-Empfänger fort, checkt dieser automatisch ständig, ob sich auf der Seite für die Stelle, an der man sich gerade befindet, gepostete Text- oder Bilddateien befinden. Ist dies der Fall, werden sie auf das Handheld-Display oder ins Ohrmikro übertragen.
Man kann sich so vorstellen, dass beispielsweise Unfallbeteiligte an einer Unfallstelle zukünftig eine Warnung posten, die sich nähernde andere Verkehrsteilnehmer über ihr GPS-System zur Vorsicht mahnt. Im Hewlett-Packard-Labor von Bristol läuft ein Modellversuch, bei dem die Wissenschaftler sich gegenseitig Botschaften schicken und Schwachstellen erkunden. Problematisch ist derzeit noch, dass drahtlose mobile Kommunikation wie UMTS noch nicht flächendeckend vorhanden ist. Etwa 60 Prozent der Europäer leben aber bereits in Reichweite von Handy-Transmittern. Wie der CoolTown-Projektleiter Simon Crouch sagt, wird es bald erste Zonen mit drahtlosen Highspeed-Verbindungen in guter Qualität geben. GPS-Receiver haben außerdem noch damit zu kämpfen, dass sie innerhalb von Gebäuden durch Interferenzen mit elektrischen Impulsen anderer Geräte leicht gestört werden. GPS-Verstärker in Bürogebäuden oder Parkhäusern sollen dem abhelfen. Und die für 2005 geplante Inbetriebnahme eines neuen Satellitensystems wird die Standortbestimmung überall auf drei Meter genau ermöglichen.
Angesichts der ungeheuren Datentransfer-Menge, die die Versorgung jedes Erdpunkts mit Text- oder Bilddaten bedeuten muss, kann man sich unschwer einen Datenstau und Systemkollaps vorstellen, der das klassische World-Wide-Wait-Symptom locker in den Schatten stellen würde. Simon Crouch ist aber zuversichtlich, dass solche Probleme in den Griff zu bekommen sein werden. Das Netzwerk-Management, das dafür nötig sein wird, stellt im Prinzip keine anderen Anforderungen wie bei der expandierenden Internet-Infrastruktur, da die GPS-Technologie auf Web-Architektur basiert.
Klingt auf den ersten Blick alles ganz schön. Wer irrt schon gerne suchend in fremden Stadtvierteln umher und muss sich bei Nachfrage oft "Konkret nix verstähn" oder "Keine Zeit" anhören. Da wären "frei Haus" gelieferte Infos schon praktisch. Dennoch fällt es auch nicht schwer, sich vorzustellen, dass das Messaging-System manipuliert werden kann. Die rettende Botschaft für Fajitas-Hungrige, dass sich zwei Straßen weiter eine erstklassige mexikanische Cantina befindet, könnte ja auch von dem fliegenumschwirrten Cantina-Wirt mit Reizhusten selbst stammen. Firmen könnten versucht sein, Konkurrenten mit lancierten fiesen Messages schlechtzumachen.
Klärungsbedarf besteht also noch bei Sicherheitsfragen, bei der Verlässlichkeit bei der Authentizität übermittelter Informationen und dem Schutz der Privatsphäre. Die CoolTown-Ingenieure denken beispielsweise an ein kostenpflichtiges System, das Informationen vor der Verbreitung genau auf Authentizität und Seriosität hin abcheckt. Nach Vorstellung von Simon Crouch und Alistair Mann könnten GPS-Benutzer auch persönliche Profile erstellen, die den Kreis der berechtigten Absender von Messages an sie definieren. Und man sollte festlegen können, wer die genauen eigenen Positionsdaten überhaupt sehen darf.
Die Vision, dass in nicht allzu ferner Zukunft jeder Mensch über ein erdumspannendes System von unsichtbaren Augen jederzeit genau ortbar sein könnte, muss dennoch ziemliches Unbehagen bereiten. Otto Schily und Günther Beckstein wohl eher nicht. Bei Usama Bin Ladin und seiner Prätorianergarde ist allerdings durchaus bedauerlich, dass es noch nicht geht. Die präzise Ortung ihrer Toyota-Fahrzeuge z.B. hätte so beim gegenwärtigen Feldzug vielleicht einiges ersparen können. Die Hewlett-Packard-Crew in Bristol arbeitet indes mit Hochdruck an ihrer Vision und sucht weitere Unterstützung im Netz. Auf die Homepage ist ein frei zugängliches Software-Paket gestellt, mit dem interessierte Programmierer experimentieren können.