ZDF-Doku: Am Ende sind die Zuschauer arm dran
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"Aufklärung" zur Rente und dem Generationenkonflikt: Wie eine Sendung falsche Fakten propagiert
Die Zoom-Sendung "Am Ende arm?" wurde Anfang Juni im ZDF ausgestrahlt, sie ist noch in der Mediathek zu sehen. Der Sender hatte am Tag der Ausstrahlung, dem 2. Juni, in der Sendung "Volle Kanne" einen Vorbericht geschalten. Am 30.05.21 wurde die Zoom-Sendung im heute-Journal in einem vierminütigen Beitrag empfohlen. Claus Kleber gelang eine bemerkenswerte Zusammenfassung: "Was die jungen Leute heute einzahlen, ist sofort weg. Es geht an die Rentner von heute."1
Die Analyse der Sendung lohnt, weil die vorgebrachten Argumente als Kampagnenmuster gegen die umlagefinanzierte Rente angesehen werden müssen (siehe dazu auch Paul Steinhardt: Rentenhorror-Show beim ZDF).
Vorweg das Positive: Die Schilderung von zwei typischen Lebenssituationen und Problemen von in Altersarmut lebenden Menschen und einer alleinerziehenden Frau mit Armutsperspektive. Auch die solidarische Anteilnahme von drei Gymnasiasten an den Schicksalen von Obdachlosen ist erwähnenswert. Diese Passagen sind realitätsnahe Sozialreportagen. Sie stehen aber in krassem Kontrast zu den Kernaussagen und Forderungen der Dokumentation.
"Verlierer des Systems" mit falschen Zahlen…
Gleich zu Beginn stellt die Autorin der Sendung, Stephanie Gargosch, drei Gymnasiasten eine düstere Zukunftsprognose:
Noch bevor sie ins Leben starten, sind sie Verlierer des Systems…Das Problem: die Wenigen von ihnen müssen in Zukunft immer mehr Renten finanzieren. Der Demografische Wandel. … Trugen 2005 drei Beitragszahler einen Rentner, mussten letztes Jahr zwei Beitragszahler dasselbe leisten. 2050 werden es wohl nur noch 1,2 sein, die für einen Rentner aufkommen. Eine Folge: die Beitragssätze müssten steigen. Der Generationenvertrag könnte dann wackeln.
Am Ende arm?
Diese Zahlen sind unbelegt und falsch. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV), die genau Buch führt, stellt das anders dar: 2005 sorgten 2,09 Beitragszahler für einen Rentner, im Jahr 2019 waren es 2,17 Beitragszahler auf einen Rentner. Übrigens kamen im Jahr 1957 noch 3,73 Beitragszahler auf einen Rentner.2
Woher Frau Gargosch die Zahl 1,2 für 2050 hat, bleibt ein Rätsel. Weder die Bevölkerungsvorausberechnungen von destatis noch die DRV-Prognosen kommen auch nur in die Nähe dieser Zahl.3
Aber die Zahlen klingen gewollt bedrohlich und die Frage liegt nahe:
"Wieviel werden die Jungen zusätzlich in die Rentenkasse einzahlen müssen?"
Zur Beantwortung des Rätsels hat Frau Gargosch Professor Martin Werding in Bochum besucht, er "gehört zu den führenden Forschern auf seinem Gebiet". Dass er im Nebenjob auch als Autor für die von Gesamtmetall finanzierte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) ist, wird in der Sendung verschwiegen.
Ein "führender Forscher" berechnet Merkwürdiges…
Werding: "Wir haben gerechnet, wieviel mehr die eigentlich zahlen, bei den höheren Beitragssätzen, über die nächsten 20, 30 Jahre. Da kommen sechsstellige Beträge raus, 150.000 Euro, je nachdem, welche Generation sie nehmen. Junge Leute sind da in der Zwickmühle, sie müssen ... für die relativ hohen Renten der älteren Generation aufkommen und ergänzend sparen."
Unglaublich! Der einfache Dreisatz liefert auf die Frage, wieviel mehr das im Monat bei 30 Jahren ausmacht, folgendes Ergebnis: 150.000 Euro geteilt durch 360 Monate = 417 Euro. 417 Euro macht auf das gegenwärtige Durchschnittseinkommen von 3.242 Euro eine Steigerung von 12,9 Prozent. Das sind alles Durchschnittswerte und über die 30 Jahre gleichmäßig verteilt gerechnet.
Schon diese sehr grobe Überschlagsrechnung macht deutlich: Das kann nie und nimmer stimmen.4
Aber wenn ein Professor rechnet, muss man anscheinend nicht nachhaken und Schüler, denen das mit dem Siegel der unerschütterlichen Wahrheit nahegebracht wird, können dann nur wütend feststellen:
Nicht nur müssen wir hier ausbaden, was ihr hier gemacht habt, wie ihr hier unsere fossilen Rohstoffe verbrannt habt, sondern wir müssen uns jetzt auch noch mit 'nem System, was einfach nicht für einen langen Zeitraum geschaffen ist, rumschlagen.
Julian, Schüler in einem Leistungskurs für Politik und Wirtschaft
Die Früchte zum inszenierten Generationenkonflikt beginnen zu reifen.
Und die Fakten?
Vermutlich, um diesen Konflikt noch weiter zu befeuern, legt Stephanie Gargoschs Sendung nach:
Problematisch zudem: Die Politik schuf in den letzten Jahrzehnten Zusatzleistungen, um Altersarmut zu dämpfen, aber auch als großzügige Gaben an die heutigen Rentner: Mütterrente, abschlagsfreie Rente mit 63, Erwerbsminderungsrente, zuletzt die Grundrente. Eine Folge: Fas Loch in der Rentenkasse muss mit Steuergeldern gestopft werden. Letztes Jahr mit 106 Milliarden Euro, beinahe 1/3 des Bundeshaushalts. Und es wird von Jahr zu Jahr mehr.
Am Ende arm?
Die aufgeführten "großzügigen Gaben" wurden erst ab 2014 in die Welt gesetzt. Daraus "in den letzten Jahrzehnten" zu machen, ist eine Verdrehung von Tatsachen. Es sei denn, dass man die einschneidenden Verschlechterungen bei der Rente (eine grobe Übersicht hier5) als "Zusatzleistung" deklarieren will.
Es ist allgemein bekannt, dass die Besserstellungen seit 2014 nahezu ausschließlich über Beitragsleistungen und eben nicht aus Steuergeldern finanziert wurden. Und obwohl hochgelobte Experten wie Axel Börsch-Supan oder Bert Rürup einen Beitragsanstieg auf 20,5Prozent bis 2020 vorausberechneten, trat das Gegenteil ein. Die Rentenversicherungsbeiträge sanken von 18,9 Prozent auf 18,6 Prozent und die Rücklagen der DRV stiegen von 35 auf 40,5 Milliarden Euro.
Aus Steuergeldern wurde nichts gestopft, im Gegenteil vermeldete die DRV in 2019 einen fehlenden Ausgleichsbetrag des Bundes von 34 Milliarden Euro.6 Die Bundesmittel zur Rentenversicherung lagen zwischen 1960 bis 2000 zwischen 16 Prozent und 20 Prozent des Bundeshaushalts. Seit etwa dem Jahr 2000 die Vereinigungslasten der Rentenversicherung stärker durch den Bund ausgeglichen werden, schwankt der Anteil am Bundeshaushalt zwischen 25 Prozent und 30 Prozent.
Ein Startup unterrichtet … und zwar falsch
Ein junges Start-up, mit Namen "Zukunftstag", wird vorgestellt. Zwei junge Männer haben vor zwei Jahren Abitur gemacht und unterrichten jetzt Schulklassen über das Thema Rente. Wer sie finanziert, wird in der Sendung nicht erwähnt. Schaut man auf deren Internetseite, ist das geklärt: "Der Zukunftstag ist der perfekte Einstieg für alle, die Interesse in den Bereichen Steuern, Finanzen oder Immobilien haben."
Als "Partnerunternehmen" (richtigerweise muss das wohl Geldgeber heißen) werden unter anderem die Barmer, die Commerzbank, die Deutsche Bank und von Poll Immobilien aufgeführt. Ganz schön prall für ein achtköpfiges Team, das sich rühmt, Referenten aus der Wirtschaft zu vermitteln. Auf jeden Fall haben die für das ZDF zoom genügend Expertise, damit ihnen breiter Raum zur Renten-Aufklärung eingeräumt wird. Und die Aufklärung geht so: über eine Bildschirmeinblendung werden wir informiert:
"Wie funktioniert das Rentensystem - Umlageverfahren - Reserven reichen gerade einmal für 1,6 Monate - Funktioniert nur bei in etwa gleichbleibender demografischer Situation."
Das ist Unfug. Die 1,6 Monatsreserven sind für das Umlageverfahren rekordmäßig hoch, das Gesetz erlaubt eigentlich nur 1,5 Monate. Es ist schon ein starkes Stück, die demografische Situation seit 1957, der Einführung der Umlagefinanzierung, als "gleichbleibend" darzustellen. Die demografische Entwicklung der letzten 150 Jahre zeigt, welche Herausforderungen bei der Altenversorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung gemeistert hat:
Dann kommt Stephanie Gargoschs Stimme, die einen der Startup-Referenten zustimmend wiedergibt:
"Lorenzo erläutert, dass das eingezahlte Geld direkt an die Rentner fließe. Die Beitragszahler würden lediglich (Hervorheb. d. A.) Rentenansprüche erwerben.
Am Ende arm?
Das ist grandios. Vielleicht kann ja in einer Folgesendung erläutert werden: "Das Geld für die Riesterrente (oder in Zukunft Aktienrente?), geht direkt an die Versicherung bzw. Bank. Daraus werden lediglich Auszahlungsansprüche erworben. Wie hoch die Auszahlungsbeträge sind, steht in den Sternen." Aber das zu erläutern, fehlen dem ZDF wohl die passenden Top-Experten?
Was Altersarmut ist, bestimmt die Bertelsmann-Stiftung?
Gargosch: "Arm im Alter sind schon jetzt zu viele Rentner."
Am Ende arm?
Lorenzo: "Es gibt 1,2 Millionen Rentner, die von Armut betroffen sind, das heißt, das ist ein riesiges Problem" und dann folgt die Bildschirmeinblendung: "Fakten über Altersarmut - Jede zweite Rente unter 900 Euro - Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei 917 Euro."
Das klingt so dramatisch wie es falsch ist. Die Armutsgefährdungsschwelle ist eindeutig definiert und das europaweit seit 1984: Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens (sogenanntes Medianeinkommen) bezieht, gilt als arm bzw. armutsgefährdet.
Das waren nach Erhebungen von destatis im vorletzten Jahr 1.175 Euro für Einzelhaushalte. Wie kommen die Zukunftstag-Leute dann auf 917 Euro? Das ist einfach erklärt. Sie übernehmen einfach die Zahlen der Bertelsmann-Stiftung. Die hatte 2019 eine Alters- und Armutsschwelle für Menschen über 65 neu kreiert. Sie nahmen nur die Alterseinkommen und errechneten daraus die 60-Prozent-Quote.
Genauso gut könnte man auch eine Millionärs-Armutsschwelle ermitteln, die dann möglicherweise einen Wert von drei Millionen Euro hätte. Das ist natürlich absurd, aber ebenso absurd ist die Berechnung einer speziellen Alters-Armutsschwelle. Der Zweck dieser Rechnung liegt auf der Hand. Die Anzahl der armen Alten wird so kräftig reduziert.
In Deutschland sind bereits 16Prozent der Rentnerinnen und Rentner von Armut bedroht.
Am Ende arm?
Auch das ist nicht richtig. Destatis weist die Armutszahl der Rentner:innen und Pensionär:innen im Jahr 2019 mit 17,1 Prozent aus. In einer Sonderauswertung für 2018, die sich destatis von Gerd Bosbach und Matthias W. Birkwald gesondert bezahlen ließ, zeigten die Microzensusdaten, dass die Quote bei den Rentner:innen um 3,5 Prozent höher lag. Die Armutsquote betrug dagegen bei den Pensionär:innen insgesamt lediglich 0,9 Prozent.
Warum destatis die Armutsquote der Rentner:innen nicht regelmäßig ausweist, ist merkwürdig. Die entsprechenden Daten sind jedenfalls vorhanden. Für das Jahr 2019 würde die Quote der armen Rentner:innen demnach bei etwa 20,5 Prozent liegen.
Aber die ZDF-Sendung zitiert als Quelle die Bertelsmann-Stiftung: "So könnte 2036 jeder fünfte Neurentner als arm gelten, bei alleinstehenden Neurentnerinnen wird wohl jede dritte sein." Diese Zahlen sind viel zu niedrig. Wie sie zustande kamen, ist mittlerweile geklärt.
Gegen drohende Altersarmut der Frauen helfen Sparpläne?
Altersarmut wird bei Frauen in den nächsten Jahren massiv ansteigen. Doch was sind die Ursachen.
Am Ende arm?
Dazu wird Manuela Barisic von der Bertelsmann-Stiftung befragt. Sie fasst ihre, Analyse richtig so zusammen: "Einkommenslücken sind Vorboten für die Rentenlücke".
Darauf die Stimme von Stephanie Gargosch: "Auch sie fordert (wie Werding) mehr Mut bei Reformen."
Manuela Barisic: "Wir brauchen Reformen im Steuer- und Transfersystem, Reform des Ehegattensplittings oder die Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung".
Das erscheint sehr kurz gesprungen und löst an der Problematik der Einkommenslücken gar nichts. Diese Maßnahmen wären eher kleinmütig.
Was aber helfen kann, so wird in den folgenden Minuten erklärt, ist, dass Frauen für die Vorsorge rechtzeitig anfangen zu sparen. Die Protagonistin, an deren prekären Situation das erklärt werden soll, ist 49 Jahre alt, hat zwei Kinder zu betreuen, ist seit 5 Jahren geschieden und hat laut ihrer Renteninformation eine Rente von 600 Euro zu erwarten (über den Anspruch aus einem Versorgungsausgleich von der Rente ihres ehemaligen Partners wird nichts ausgesagt).
Stimme Gargosch: "Weil sie sich für die Familie opferte, wäre sie im Alter arm gewesen … Doch sie ist eine Kämpferin."
Am Ende arm?
Bei der Münchener Finanzberatung frau&geld wird ihr vorgerechnet:
"Nehmen wir mal an 100 € über einen normalen Sparplan, dann könnte ich eine Rente bekommen zwischen 100 und 200 Euro, bei einer Laufzeit von 20 Jahren ..."
Gargosch: "Claudia Höger legt jetzt für die Rente zurück, dass was sie kann… sie will raustreten aus der Frauen-Armutsfalle …"
Nur, wie soll das gehen? Wenn die Frau tatsächlich nur 600 Euro Rente bekommen sollte und sie auf monatliche 100 bis 200 Euro Sparkontoauszahlung käme (was überaus unwahrscheinlich ist), würde die Gesamtversorgung immer noch unter der Grundsicherung liegen. Sie würde weiter weit unter der Armutsschwelle leben müssen, hätte aber 20 Jahre lang auf monatlich 100 Euro verzichtet.
So eine Beratung nützt nur den Banken und dem Staat (der weniger Grundsicherung zahlen muss). Mit Armutsvermeidung hat das nichts zu tun.