Zehn Jahre Neue Seidenstraße: China schafft Fakten, der Westen macht Versprechen
Das globale Projekt wurde großspurig angekündigt, hat aber auch viele Erwartungen erfüllt. Zum Renommee trägt auch Beijings Schuldenpolitik bei. Der Westen hinkt hinterher.
Zehn Jahre sind vergangen, seit der damalige chinesische Staatspräsident Xi Jinping 2013 bei Staatsbesuchen in Kasachstan und Indonesien die Initiative "Neue Seidenstraße" ankündigte. Von Anfang an bestand das Konzept aus zwei Teilen: dem Wirtschafts- und Transportgürtel an Land und der maritimen Anbindung.
Beide Teile wurden zunächst unter dem Namen "One Belt, One Road" zusammengefasst und schließlich in "Belt and Road Initiative" (BRI) umbenannt.
Die BRI-Vision beinhaltet die Schaffung eines riesigen Netzwerks von Eisenbahnen, Energiepipelines, Autobahnen und leistungsfähigen Grenzübergängen sowohl nach Westen (durch die Gebirgsregionen Zentralasiens) als auch nach Süden – vor allem nach Pakistan und in die Asean-Staaten.
Um den wachsenden Seehandel zu bewältigen, investiert China in den Ausbau von Häfen entlang des Indischen Ozeans von Südostasien bis nach Ostafrika und Europa. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Westasien.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums dieses gigantischen Investitionsprogramms schwärmte Xi im Mai 2023 auf dem Zweiten Eurasischen Wirtschaftsforum in Moskau, dass die BRI darauf abziele, "neue Wege für Länder aus nah und fern zu erkunden, um eine gemeinsame Entwicklung zu erreichen und einen Weg des Glücks zu eröffnen, der der ganzen Welt zugutekommt".
Zeit für Telepolis, Bilanz zu ziehen.
Erfolge
Das klingt hoch gegriffen, doch ein Blick auf die reinen Zahlen untermauert diesen Anspruch Xi Jingpings: Chinas BRI-Ambitionen sind beachtlich. Insgesamt hat das Reich der Mitte in den vergangenen zehn Jahren schätzungsweise 3,7 Billionen US-Dollar für die BRI ausgegeben oder als Kredite an Partnerländer vergeben.
Und es gibt Schätzungen, nach denen Chinas Ausgaben während der Laufzeit der BRI bis etwa Mitte des Jahrhunderts auf acht bis zehn Billionen US-Dollar steigen könnten.
Bisher haben 152 Länder Projekte unterzeichnet oder ihr Interesse bekundet. Sie repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung 40 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes.
Mehr als 3.000 Einzelprojekte wurden bisher realisiert. Am sichtbarsten sind die vielen neuen Eisenbahnverbindungen, vor allem zwischen China und Europa, aber auch die Hochgeschwindigkeitsstrecke Jakarta-Bandung, die kenianische Strecke zwischen Mombasa und Nairobi sowie die äthiopische Addis-Abeba-Djibouti-Bahn. Hinzu kommen Kraftwerke, Staudämme, Industriegebiete, Rohstoffabbau, Straßen und Häfen, etwa in Piräus bei Athen.
Oft fasst Peking Projekte zusammen – wie beim chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (Cpec) mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet 74,4 Milliarden US-Dollar. Der Cpec verbindet China mit dem pakistanischen Hafen Gwadar am Arabischen Meer. Am meisten Geld aber wurde in Russland investiert, (291 Mrd. US-Dollar) gefolgt von Katar (246 Mrd. US-Dollar).e.
Chinas Ziele
Ein Blick auf drei Grafiken der Global Times verrät viel über die zentralen Stoßrichtungen der Initiative.
- Wirtschaftliche und industrielle Entwicklung. Das Handelsvolumen zwischen China und den BRI-Ländern wird sich zwischen 2013 und 2022 von umgerechnet 1,04 auf 2,07 Billionen US-Dollar pro Jahr verdoppeln. Gleichzeitig wurden in den BRI-Ländern 421.000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
- Förderung benachteiligter chinesischer Regionen. 18 Regionen in Zentral- und Westchina wurden an das BRI-Verkehrsnetz angeschlossen, was in diesen Landesteilen einen spürbaren Entwicklungsschub auslöste. 2022 erreichten 16.000 Güterzüge auf 84 Routen 211 Ziele in 25 europäischen Ländern.
- Aufbau einer eigenen Finanzinfrastruktur. Die erst 2015 gegründete Asian Infrastructure Investment Bank (AIB) hatte Mitte 2022 bereits 105 Mitglieder und betreute 181 Projekte in 33 Ländern mit einem Volumen von umgerechnet 35 Milliarden US-Dollar. Zu diesem Zeitpunkt hatte China bereits 20 Währungs-Swap-Abkommen mit Ländern entlang der Neuen Seidenstraße sowie 10 Renminbi-Clearing-Abkommen ratifiziert
Probleme der chinesischen Seidenstraße
Ein Investitionsvolumen wie das der BRI bringt natürlich Konflikte und auch Mitnahmeeffekte mit sich.
Dies gilt für die BRI umso mehr, als die VR China schätzungsweise 84 Prozent ihrer Investitionen in diesem Bereich in Ländern mit mittlerem bis hohem Risiko getätigt hat. Auch lokale Widerstände, z.B. in Pakistan, Myanmar, Kenia und Ghana, haben wiederholt zu erheblichen Verzögerungen oder sogar zum Abbruch von Projekten geführt.
Nicht immer kann Peking die ordnungsgemäße Durchführung der Projekte garantieren. In Malaysia beispielsweise veruntreute der damalige Premierminister Najik Razak 2019 erstaunliche 4,5 Milliarden US-Dollar im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von BRI-Projekten.
In Kenia war es Präsident Uhuru Kenyatta, der nach den gewonnenen Wahlen 2017 das Interesse an den BRI-Projekten in seinem Land verlor, was zu erheblichen Verzögerungen führte.
Die Kritik
Dass China Schuldnerländer erpresst, ist im Westen mittlerweile ein etabliertes Narrativ, an dem seit mindestens fünf Jahren gearbeitet wird.
Allein für die deutsche Wortkombination "China Schulden Seidenstraße" ergibt die Google-Suche 38.400 Treffer, von denen allerdings ein Teil auf das neu hinzugekommene Narrativ entfällt, China sei selbst überschuldet.
Aber selbst der Council on Foreign Relation der USA gibt unumwunden zu, dass Peking im Rahmen der Neuen Seidenstraße bereits fast zehn Milliarden US-Dollar Schulden erlassen hat und Kredite über weitere knapp 100 Milliarden US-Dollar gestundet oder modifiziert wurden bzw. derzeit verhandelt werden.
Zum Vergleich: Deutschland hat im Rahmen der internationalen Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder (HIPC-Initiative) zwischen 1996 und 2021 rund sechs Milliarden Euro Schulden erlassen.
Ein gewichtigerer Kritikpunkt betrifft die – zumindest bisher – eher vernachlässigte ökologische Dimension der Neuen Seidenstraße. Die verständliche Abneigung Pekings, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, führt zu einer Vernachlässigung ökologischer Fragen.
Denn die meisten BRI-Projekte sind in Ländern angesiedelt, in denen es kaum Umweltpolitik gibt. Besonders heftig ist die Kritik von UmweltschützerInnen an den Projekten entlang des Mekong und im Mekong-Delta, die die lokale Biodiversität stark gefährden.
Schwer wiegt auch der Vorwurf, dass Peking der weltweit größte Finanzier von Kohleprojekten im Ausland ist. Zwischen 2014 und 2020 sind rund 160 Milliarden US-Dollar an chinesischer Unterstützung für Kohlekraftwerke außerhalb Chinas geplant oder angekündigt.
Mittlerweile hat Peking das Problem jedoch erkannt und steuert gegen. Es sollen nicht nur keine neuen Kohlekraftwerke mehr geplant werden, auch begonnene Projekte sollen nach Möglichkeit aufgegeben werden.
Der Westen versucht gegenzusteuern
Die EU und die USA versuchen seit einigen Jahren, Großprojekte auf den Weg zu bringen, die vor allem in Asien dringend benötigte Infrastruktur schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung fördern sollen.
Der auf dem G-20-Gipfel in Delhi angekündigte India Middle East Europe Corridor (Imec) ist mindestens das dritte Projekt, das der Neuen Seidenstraße etwas entgegensetzen soll.
Die genannten Finanzvolumina bleiben jedoch um ein Vielfaches hinter dem zurück, was China bereits investiert hat. War im Zusammenhang von Build Back Better, (B3W) noch pauschal von "hunderten Milliarden Dollar" die Rede, wurden für "Global Gateway" deutlich konkretere 300 Mrd. US-Dollar veranschlagt.
Auf dem G-7-Gipfel 2022 in Elmau wurden dann 600 Milliarden gehandelt. Davon sollte allerdings über die Hälfte aus privaten Quellen kommen– durfte streng genommen also gar nicht zugesichert werden. Für den Imec werden übrigens – zumindest bisher – keine konkreten Zahlen genannt.
Da kann es nicht verwundern, dass Imec – wie auch die älteren westlichen Initiativen – bei den meisten Beobachtern auch im Westen vor allem auf Skepsis stößt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.