Zehn Störfaktoren der freien Wissenschaft

Von gut gemeint bis kriminell: Ein Eskalationsmodell der Einflussnahme. Mit Beiträgen von Volkswirt Christian Kreiß ("Gekaufte Wissenschaft") und der Vorsitzenden des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, Sandra Kostner (Teil 1).

Im Grundgesetz steht ein überholter Satz: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" (Art. 5 Abs. 3 Satz 1). Überholt von der Wirklichkeit. Denn wie alle Grundrechte ist auch das der Wissenschaftsfreiheit nicht nur Garant einer freien Gesellschaft, sondern auch Abwehrrecht gegen einen übergriffigen Staat – doch die Übergriffe häufen sich.

Zunächst einmal die außerhalb von Deutschland: Ein kalifornischer Richter blockiert derzeit ein Gesetz, wonach Ärzten im "sunshine state" aufgrund der "Verbreitung von Falschinformationen" die Approbation entzogen werden kann.

Assembly Bill 2098 hätte am 1. Januar in Kraft treten sollen. Kritiker sehen darin einen staatlichen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Fälle, in denen die Falschinformation von gestern die Erkenntnisse von heute sind, geben Ihnen Recht. Kalifornien ist kein Einzelfall.

So kämpft auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) immer entschiedener gegen "Mis-" und "Desinformation". Dabei beanspruchen die Organisationen der Vereinten Nationen für sich gerne einmal die wissenschaftliche Deutungshoheit.

Beispiele dafür finden sich im jüngsten Entwurf des wenig bekannten Pandemievertrages, aber auch in den – noch weniger bekannten und stark kritisiertenÄnderungen der Internationalen Gesundheitsrichtlinien (IHR). Im Fokus stehen die Sozialen Medien.

Dabei hatten die sogenannten Twitter-Files doch erst kürzlich erneut demonstriert, dass der Kampf gegen Desinformation geradewegs zur Zensur führen kann. Und eben auch in Deutschland.

Fremdkörper und Projektionen

Der Diskurs über die Wissenschaft bewegt sich heute zwischen zwei Extremen: Für die einen ist sie unleugbare Realität und politischer Imperativ, für die anderen ein bloßes Konstrukt des Patriarchats und seiner heteronormativen Gleichmacherei.

Wo Klima- auf LGBTQ-Aktivismus trifft, sind die Schnittmengen zwischen den Positionen kurioserweise ziemlich groß. Dabei handelt es sich in beiden Fällen lediglich um soziale Projektionen auf die Wissenschaft, "Fremd-Codes", die dem innersten Prinzip der Wissenschaft zuwiderlaufen. Bildungsvater Wilhelm von Humboldt hat dieses einmal so definiert:

[D]ie Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten, und unablässig sie als solche zu suchen.

Wilhelm von Humboldt

Diese "prinzipielle Unabgeschlossenheit jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis" hat auch das Bundesverfassungsgericht 1973 dem sogenannten Hochschul-Urteil zugrunde gelegt.

Durch die fachfremden Projektionen und Einflüsse geraten der instrumentelle Charakter der Wissenschaft und der dialektische Wettbewerb der Ideen jedoch ins Hintertreffen. Sandra Kostner, Vorsitzende des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, das sich für politisch unabhängige Forschung und Lehre einsetzt, spricht von vier vorherrschenden "Fremd-Codes": Ökonomisierung, Politisierung, Religionisierung und Moralisierung.

Aber welchen (sozialen) Störfaktoren ist die freie Wissenschaft im Einzelnen eigentlich ausgesetzt? Wo sind die Einfallstore für Fremd-Codes zu finden? Dieser Artikel versucht sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – an einer Einordnung anhand von zehn Punkten, grob gestaffelt nach der Stärke der Einflussnahme. Selbst wenn Ihnen alle bekannt sein sollten, werden einige Details Sie vielleicht überraschen.

  1. Methodik und Datenmanipulation
  2. (staatliche) Drittmittelvergabe
  3. Bezahlte Forschung
  4. Politische Instrumentalisierung wissenschaftlicher Institutionen
  5. Bias bei wissenschaftlichen Gutachten (peer review)
  6. Einseitige Medienberichterstattung
  7. Moralischer Druck
  8. Manifester Druck: Proteste und Angriffe
  9. Disqualifikation (in Reputation und Beruf)
  10. Direkte (juristische) Angriffe

1. Methodik und Datenmanipulation

Weil Daten die Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis darstellen, ist die Datenerhebung der erste Weg, Forschungsergebnisse zu beeinflussen. Eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks unter deutschen Hochschulen ergab 2017, dass manipulierte Daten das dritthöchste Fehlverhalten darstellen – nach Plagiaten und falschen Autorenangaben.

Hinter falschen – oder besser: nicht repräsentativen – Daten muss aber nicht zwingend eine Fälschungsabsicht stecken. Es ist nur logisch, dass die Datenselektion von der angewandten Methode abhängt – und von den Vorannahmen, die der Untersuchung zugrunde liegen (Forscher sprechen in diesem Kontext vom Research Bias). Kein Sehen ohne blinden Fleck. So weit, so logisch.

Ebenso muss Wissenschaft notwendigerweise von dem untersuchten Gegenstand abstrahieren, um messbare Ergebnisse zu liefern. Je größer die Abstraktion, umso dünner die Bindung an die unmittelbare Erfahrung. Als besonders fragil hat sie sich in einer sehr abstrakten Disziplin erwiesen: der Prognose beziehungsweise der (computergestützten) Modellierung.

Man denke etwa an die Prognosen, die der britische "Professor Lockdown" Neil Ferguson zu H1N1, H5N1 oder zuletzt Sars-CoV-2 abgegeben hatte. Die letztgenannte Vorhersage von 250.000 Toten alleine im Vereinigten Königreich führte der (einst) renommierte Epidemiologe und Statistiker John Ioannidis 2020 auf "erheblich überzogen[e]" Annahmen und Schätzungen zurück.

Man mag aber auch an die Prognosen zu Peak Oil (siehe auch Telepolis-Artikel Energie- und Umweltkrise: Systemische Parallelen zu den 1970ern) oder die geschmolzenen Himalaya-Gletscher denken – eine modellgestützte Voraussage, die infolge des sogenannten Climategate-Vorfalls 2009 besonders heiß diskutiert wurde.

Als Erklärung für dramatisierte Ergebnisse bot die Welt kurz darauf an, dass die Forscher eben "ihren Themen größere Aufmerksamkeit zu verschaffen" suchten.

Dieser Drang nach Aufmerksamkeit kann unter Wissenschaftlern einen Druck erzeugen, nur positive oder sozial wünschenswerte Ergebnisse zu veröffentlichen und auf diese Weise die Ergebnisse (unbeabsichtigt) zu verfälschen: Man spricht vom Publication- beziehungsweise Social-Desirability-Bias.

Der Drang, publizieren zu müssen, um relevant zu bleiben ("publish or perish") lindert das Problem nicht.

Prestige und Wettbewerb mit konkurrierenden Wissenschaftlern können aber auch die Beweggründe sein, Studienergebnisse zu schönen und die Perspektive absichtlich so zu wählen, dass unliebsame Ergebnisse aus dem Blick rücken.

Der Mathematiker Charles Babbage kritisierte schon 1830 das "täuschen, fälschen, zurechtstutzen und frisieren" ("hoaxing, forging, trimming and cooking") im Wissenschaftsbetrieb. Und der Autor Darrell Huff schrieb 1954 darüber, wie sich auch mit Statistiken lügen lässt ("How to Lie with Statistics").

"Das Studien-Design ist das A und O", sagt der an der Universität Aalen beschäftigte Volkswirt und ehemalige Die-Basis-Kandidat Christian Kreiß, der sich 2020 in seinem Buch "Gekaufte Wissenschaft" ausgiebig mit der kommerziellen Einflussnahme auf die Hochschulforschung auseinandergesetzt hat.

Deutlich wird das beispielsweise beim sogenannten Attrition Bias, den man den Zulassungsstudien des mRNA-Impfstoffes von Biontech/Pfizer unterstellen kann.

So hat das US-Unternehmen seine klinischen Studien nicht nur kurz nach Erhalt der Zulassung entblindet, sondern ein halbes Jahr nach Beginn auch die Kontrollgruppe für die mRNA-Injektion freigegeben – ein schwerer Schlag für die Untersuchung von Folgeschäden, wie das National Public Radio damals bilanzierte.

Der britische Mathematiker Norman Fenton hat auf Youtube mehrere Videos zur Manipulation von Studien-Designs veröffentlicht. In einem davon erklärt er am Beispiel einer Impfstoff-Studie, wie selbst ein wirkungsloses Präparat durch entsprechende Modellierungen als wirksam erscheinen kann.