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Zehn- bis Vierzehnjährige: "Bis zu 10,3 Stunden pro Tag mit Handy, Tablet und Co"

Erschöpfte Smartphone-Userin. Bild: Per Palmkvist Knudsen / CC BY-SA 3.0

Mediennutzung des Nachwuchses: Müssen sich Eltern Sorgen machen?

Der Zeitaufwand ist selbst für einen "Abgebrühten" erstaunlich: "Nahm man alle Medien in Betracht, benutzten die Heranwachsenden die Geräte pro Tag im Durchschnitt 10,3 Stunden lang (Mehrfachnennungen), samstags und sonntags waren es zwölf Stunden." Die Feststellung stammt von einer Studie, die Anfang August der allgemeinen Öffentlichkeit vorgestellt [1] wurde.

Mit "abgebrüht" - sehr wahrscheinlich eine Fehleinschätzung -, ist gemeint, dass der Autor tausendundeine Elterngeschichte über die Mediennutzung ihrer Kinder gehört hat, immer wieder fasziniert davon, welche Welten sich da auftun, und er aus eigener Erfahrung glaubt, alle Tricks zu kennen, womit sich seine Kinder Extrazeiten verschaffen.

Von zehn Stunden Mediennutzung täglich hat er nur in Ausnahmefällen gehört, da hatten die Eltern aber schon längst besorgte Gesichter und zum Telefon gegriffen, um sich therapeutischen Rat zu holen. Die Studie spricht von "Durchschnittswerten". Zeit für ein Update des Gegenwartsverständnisses?

"Mediennutzung, sportliche Aktivitäten und motorische Fitness"

Die genannte Studie, erschienen in der Juliausgabe in der Wiener klinischen Wochenschrift, trägt den Titel "Mediennutzung, sportliche Aktivitäten und motorische Fitness in der Kindheit und Adoleszenz" (das Abstract ist hier [2] zu finden, die vollständige Studie unterliegt einer Bezahlschranke).

Mit dem Titel wird der nächste wunde Punkt der elterlichen Sorgengemeinschaft angesprochen: Dass die verstärkte Mediennutzung nicht nur die Konzentrationsfähigkeit oder die Konzentrationsausdauer der Kinder beeinträchtigen könnte, sondern auch ihre körperliche Entwicklung anders als die Generationen zuvor einschränkt, die im friedlichen Mitteleuropa aufgewachsen sind

Doch liefern Aussagen der Studienautoren ein Entwarnungssignal: "Man muss kritisch sagen, dass Medienkonsum die sportlichen Aktivitäten und noch weniger die motorischen Fähigkeiten per se beeinflusst. Es handelt sich eher um einen 'Zeit-Killer' und ist damit Teil des komplexen Freizeitverhaltens der Jugendlichen", werden die Wissenschaftler von der Uni Mainz zitiert [3], wo eine Zusammenfassung der Studienergebnisse veröffentlicht wurde.

Andere Medien stellen die Zeit-Konkurrenz, die von den Studienverfassern angesprochen wird, deutlicher heraus: "Mehr Handy als Sport" [4], "der Medienkonsum bestimmt sportliche Aktivitäten" (ebd.), "lieber Smartphone als Fußball" [5] bzw. Laptops und Smartphones statt Fußball und Radfahren [6].

Die Konkurrenz unter den Medien

Daneben läuft noch die Konkurrenz unter den Medien. Untersucht wurde das Freizeitverhalten von 391 Kindern und Jugendlichen aus 16 Tiroler Schulklassen (Neue Mittelschule und Gymnasium) im Alter zwischen zehn und 14 Jahren. Laut Studie hatte jeder der Heranwachsenden 5,6 folgender Medien bzw. Geräte zur Verfügung: "Fernsehen, Mobiltelefon, Smartphone, Tablet, PC/Laptop, stationäre und portable Spielkonsolen, CD-Spieler, MP3-Player und Radio".

Sie selbst hatten im Durchschnitt zwei Drittel der Geräte im Besitz. 31,1 Prozent quer durch alle sozialen Schichten gaben an, sie könnten ohne Smartphone nicht leben. Die Anzahl der verfügbaren Medien ist dabei unabhängig vom Alter, dem Schultyp oder dem sozialen Status der Familien, auch unabhängig vom eventuellen Migrationshintergrund.

Pressemitteilung Universität Mainz [7]

Das breite Spektrum an Medien lässt die erstaunlich hohe Stundenzahl aus einem anderen Blickwinkel sehen. Wenn ein Hörspiel zum Zimmeraufräumen gehört wird zum Puzzle oder anderen Spielen, ist dies etwas anderes als zehn Stunden YouTube-Videos anschauen. Auch ist das stundenlange Einrichten eines Minecraft-Servers eine andere Aktivität als das Festhaken an TV-Serien. Es gab Mehrfachnennungen bei der Aufstellung der Durchschnittszeiten, wie die eingangs zitierte Aussage der Studie zum Zeitaufwand feststellt.

Wie diese Mehrfachnutzungen berechnet wurden, ob sie gar einfach aufsummiert wurden, ist offen, auch wenn man unterstellen müsste, dass die Wissenschaftler ordentlich arbeiten und nicht einfach spektakuläre Zahlen präsentieren wollen. Ihre kritischen Bewertungen der Studienergebnisse widersprechen einem solchen Ansatz.

Zeitgleiche Mehrfachnutzungen

Erwähnt wird, dass die Mehrfachnutzungen auch zeitgleich erfolgen - das nächste Phänomen, das Eltern nervös macht: Der Nachwuchs schaut fern oder spielt ein Computerspiel an der Konsole, nebenbei wird das Smartphone bedient und im Hintergrund ist das Hörspiel noch nicht zu Ende.

Wir konnten erheben, dass die Jugendlichen heutzutage oft verschiedene Medien gleichzeitig im Einsatz haben. Es ist mittlerweile üblich, dass Kinder zugleich den Fernseher oder Computer nutzen und parallel dazu mittels Smartphone oder Tablet aktiv sind.

Klaus Greier [8], Mitverfasser der Jugendstudie

Laut Studie wird die meiste Zeit auf Medien mit Bildschirmen verwendet. Unter der Woche im Durchschnitt 8,2 Stunden (täglich), am Wochenende sind es 9,9 Stunden, teilt der Standard [9]mit. Und: "Die Gesamtwerte sind bei den Buben um 2,5 Stunden höher als bei den Mädchen."

Der soziale Hintergrund

Der Artikel der österreichischen Zeitung macht darüber hinaus auf einen bereits bekannten Zusammenhang aufmerksam: Der soziale Hintergrund spiele zwar keine Rolle bei der Anzahl an Unterhaltungsmedien, die den Heranwachsenden zur Verfügung stehen, aber sehr wohl sei er ausschlaggebend bei der Verwendungsdauer. Die betrage 12,8 Stunden (täglich) unter der Woche und 15 Stunden am Wochenende bei Kindern mit Migrationshintergrund und 9,5 und 10,8 Stunden bei Kindern ohne Migrationshintergrund.

Noch deutlicher werden die Unterschiede sichtbar, wenn man den sozioökonomischen Status der Kinder betrachtet. In Haushalten, in denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss hat, verbringen die Jugendlichen die geringste Zeit mit Medienkonsum, nämlich durchschnittlich 7,4 Stunden pro Tag

Der Standard [10]

Ähnliches zeige sich bei "Sport und Bewegung". Kinder aus Akademikerhaushalten "bewegen sich rund 6,2 Stunden pro Woche", der Vergleichswert bei Familien ohne akademischen Hintergrund liege bei durchschnittlich 4,6 Stunden.

Gleichwohl bleibt der Unterschied beider wöchentlicher "Bewegungs"-Durchschnittswerte gegenüber der täglichen Nutzungszeit von Medien der eklatante Unterschied. Die Studie stellt fest [11], dass starker Medienkonsum, ein hoher BMI-Wert und Migrationshintergrund mit geringerer sportlicher Aktivität und weniger motorischen Fähigkeiten der Jugendlichen einhergehe. Mit dem Zusatz, dass eine eindeutige Kausalität "allerdings nicht nachweisbar" sei.

Elterliche Ratschläge? Haustiere anschaffen, damit die Hoffnungsträger im Umgang mit scheuen Wellensittichen Geduld lernen und Ausdauer und Pflegedienste? Jede Gelegenheit zum Ausflug und langen Märschen rücksichtslos nutzen? Selbst ein Beispiel geben und nicht zehn Stunden am Tag vor dem Bildschirm verbringen?


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3809986

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/2375_DEU_HTML.php
[2] https://link.springer.com/article/10.1007/s00508-017-1216-9
[3] http://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/2375_DEU_HTML.php
[4] http://tirol.orf.at/news/stories/2859202
[5] https://idw-online.de/de/news679424
[6] http://derstandard.at/2000062922614/Jugendstudie-Laptop-und-Smartphone-statt-Fussball-und-Radfahren
[7] http://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/2375_DEU_HTML.php
[8] http://derstandard.at/2000062922614/Jugendstudie-Laptop-und-Smartphone-statt-Fussball-und-Radfahren
[9] http://derstandard.at/2000062922614/Jugendstudie-Laptop-und-Smartphone-statt-Fussball-und-Radfahren
[10] http://derstandard.at/2000062922614/Jugendstudie-Laptop-und-Smartphone-statt-Fussball-und-Radfahren
[11] http://derstandard.at/2000062922614/Jugendstudie-Laptop-und-Smartphone-statt-Fussball-und-Radfahren