Zehn kleine Oligarchen

Bild: © Plattform-Produktion

Ruben Östlunds schräge Farce "Triangle of Sadness" ist eine bitterböse Erwachsenenversion des Traumschiffs.

Zu Anfang gleich eine ganz neue Nachricht: Die Modewelt ist böse. Wer hätte das gedacht?

Tatsächlich beginnt Ruben Östlunds Film Triangle of Sadness als humorvoll-sarkastische Betrachtung über diese Modewelt; mit Spott über den Balenciaga Look (ernst, mit gerunzelter Stirn) und den H&M Look (mit dummem, immer-sonnigem Lächeln). Eine Modenschau läuft, im Hintergrund auf der Leinwand gibt es einen Clip, der immer wieder kurze Aussagesätze enthält. Der zweite von ihnen heißt: "Zynismus maskiert sich als Optimismus."

"Zynismus maskiert sich als Optimismus"

Wie Östlunds frühere Filme ist auch dieser eine Satire und eine Farce aus einzelnen, zunächst nur lose zusammenhängenden, sich dann zunehmend zu einem Gesellschaftspanorama verdichtenden Szenen. Die erste Szene ist das Casting eines männlichen Models.

Die zweite: Ein Abendessen. Ein schönes junges Paar, er ist das männliche Model des Beginns, sie offenbar seine Freundin, haben in einem gar nicht mal so edlen Restaurant zu Abend gegessen und streiten sich darüber, wer die Rechnung bezahlt. Alles ist recht spießig und peinlich und von seiner Seite sehr moralisierend, weil er daraus ein grundsätzliches Beziehungs-Ding macht. Dann will sie zahlen, aber ihre Kreditkarte funktioniert nicht…

Im weiteren Verlauf wird dieser Film zu einem Porträt und einer Kritik des ganz alltäglichen Wohlstandslebens unserer Gegenwart. Eine Kritik von Doppelmoral, Dekadenz und der Lebensweisen von Menschen, die sich ein Leben ohne Moral, Yoga und Mandel-Latte mit Hafermilch gar nicht mehr vorstellen können.

Triangle of Sadness (10 Bilder)

Bild: © Plattform-Produktion

Damit ist dies keineswegs nur eine Kritik der Superreichen – so wie dieser Film gelegentlich direkt nach dem Gewinn der Goldenen Palme in Cannes dargestellt wurde. Man sieht zwar viele Superreiche in diesem Film – das stimmt. Man sieht sie Champagner schlürfend und Kaviar fressend auf großen Yachten. Und man sieht, wie sie das oft außereuropäische Dienstpersonal kommandieren und demütigen.

Aber man sieht eben auch die, die untrennbar dazu gehören: Die Hofnarren aus Schauspielern, Künstlern, Models und Medienleuten, die erst den Spiegel bereitstellen, vor dem sich diese Superreichen narzisstisch ausleben.

Man sieht, wie sie sich selbst vor den von ihnen insgeheim Bewunderten kleinmachen. Und man sieht das Personal, die Knechte der modernen Welt, die sich immer dann, wenn sie es können, kein bisschen besser benehmen als ihre Herren.

Wenn die chinesische Toilettenfrau plötzlich den Oligarchen kommandiert…

Man könnte Östlunds schräge Farce auch als die bitterböse Erwachsenenversion des Fernseh-Evergreens Das Traumschiff beschreiben, mit einem Captains-Dinner und Bar-Gesprächen, nur dass der Kapitän von Woody Harrelson gespielt wird und Sozialist ist, und die Gespräche über Marx und Ronald Reagan kreisen. Unter den Kreuzfahrt-Gästen sind in diesem Fall auch Waffenfabrikanten, die sagen, sie würden etwas herstellen, das "upholding democracy" bedeutet: Handgranaten.

Auch zwei deutschen Schauspielerinnnen bietet Östlund die große Bühne des Kinos: Iris Berben und Sunnyi Melles spielen zwei reiche Figuren aus einem ganzen Dutzend Reicher aus aller Welt. Zusammen bilden sie die illustre Gästeschar einer Luxusyacht, auf der der größte Teil eines Films spielt, der vor allem das Porträt moralisch verwahrloster, von gedankenlosem Überfluss und Zynismus geprägter Wohlstandsverhältnisse ist.

Der Schwede bedient sich dabei einer kunstvollen, an der Bildsprache von moderner Fotografie und Malerei orientierten Ästhetik aus schönen Oberflächen und Glätte, um die moralische Hässlichkeit der Welt dann um so klarer zu zeigen. Hochvirtuos werden moralistische Arroganz, Gier und andere schlechte Seiten der Menschheit mehr oder weniger genüsslich und over the top breitgetreten.

Dabei will der Film zeigen, dass Arme, Flüchtlinge und andere Ausgebeutete moralisch keineswegs besser sind. Das zeigt sich, als nach dem Untergang der Luxusyacht die Überlebenden auf einer einsamen Insel stranden, und sich die Machtverhältnisse verschieben.

Wenn die chinesische Toilettenfrau dann plötzlich den Oligarchen kommandiert – dann lacht das europäische Kinopublikum so lange gellend, bis es ihm dämmert, dass auch es selbst gemeint ist.

Östlund kritisiert die Reichen, er kritisiert den Moralismus der Wohlstandsgesellschaft und die Doppelmoral, den all dem zugrundeliegenden Zynismus, die Ignoranz gegenüber dem Rest der Welt. Er bestätigt aber zugleich auch alle Vorurteile genau dieser von ihm kritisierten Klassen.

Denn hier sind die Armen keineswegs die besseren Menschen, sondern genauso verworfen, gierig, gewalttätig und primitiv wie die Reichen. Oft sogar noch weniger gebildet und in diesem Sinn boshafter, weil sie sich nicht einmal einbilden, sie seien die besseren Menschen, während die Reichen genau das tun.

Auch Moral muss man sich erstmal leisten können. Und deswegen sind hier die Gewalttäter tatsächlich immer die Unterschichten: Flüchtlinge, Fremd-Arbeiter aus Dritte-Welt-Ländern, schwarze Piraten und asiatische Toilettenfrauen.

Das besagte "Dreieck" des Titels ist offenbar ein Ausdruck aus der Schönheitschirurgie und bezieht sich auf die Falten zwischen den Augenbrauen, die man am einfachsten mit Botox wegbringt.

Tatsächlich ist es weniger ein Dreieck der Traurigkeit, als ein Dreieck des Moralismus, des Zynismus, und des Pessimismus ist – in dem die verschiedenen Elemente vielleicht einander bedingen.

"The Ship is going under…"

Dieser Film ist ein Glücksgriff, ein Geschenk für das Kino in Zeiten seiner existentiellen Krise.

Indem er das Publikum spaltet, indem er provoziert, indem er dazu anregt, nach dem Film weiter zu debattieren, nachzudenken und ihn sich vielleicht gleich noch mal anzuschauen, ist Triangle of Sadness eigentlich ideales Autorenkino.

Wir haben es nur ein bisschen verlernt, auf solche Filme angemessen zu reagieren und die Uneindeutigkeit, die sie in uns hervorruft, als Vorzug wertzuschätzen und zu begrüßen.

Gefällige moralische Positionen, Botschaften fürs Poesiealbum und Rücksicht auf Empfindlichkeiten will Östlund nicht bieten. Er will irritieren und provozieren, will unser Weltbild erschüttern, anstatt es zu bestätigen. Und dabei zugleich Schönheit und alternative Welten auf die Leinwand bringen.

Kino ist nicht nur "schöne Menschen, die schöne Dinge tun", sondern auch, wenn kluge und überraschende Sachen in schöner Weise gezeigt werden.

Der Grund, auf dem Östlunds eigener Film und sein vermutliches Weltbild stehen, ist dabei so schlüpfrig und schwankend wie der, auf dem sich seine Figuren befinden – und nicht erst, als in seinem Film ein wilder Sturm aufkommt und das Traumschiff der Reichen und früher mal Schönen zum Schwanken und schließlich zum Sinken bringt.

"The Ship is going under…" – das ist auch ein allgemeiner Befund. Ruben Östlund ist möglicherweise ein Zyniker, er hat möglicherweise sehr konservative Ansichten, die nur als "links" maskiert werden, aber sein Film ist hervorragendes und sehr witziges Kino.